Grundlagen

Gesundheitsversorgung

Die Gesundheitsversorgung von geflüchteten Menschen unterscheidet sich je nach Status und Erwerbssituation. Geflüchtete Menschen mit Schutzstatus im Asylverfahren und entsprechendem Aufenthaltstitel erhalten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Asylbewerbungsleistungsgesetz (AsylbLG) regelt die medizinische Versorgung von jenen Geflüchteten, die Asylbewerber*innenleistungen beziehen (>> Soziallleistungen). Der Umfang der Gesundheitsleistungen richtet sich dabei nach der Aufenthaltsdauer der Personen in Deutschland. Zu beachten ist, dass Personen, die grundsätzlich in den Anwendungsbereich des AsylbLG fallen, gesetzlich krankenversichert sind wenn sie arbeiten und über den Arbeitgeber versichert sind.

Im Folgenden werden die gesetzlichen Grundlagen der Gesundheitsversorgung von AsylbLG-Bezieher*innen dargestellt.

I. Gesundheitsversorgung von Personen in den ersten 36 Monaten des Aufenthalts
II. Gesundheitsversorgung von Personen, die länger als 36 Monate da sind
III. Gesundheitsversorgung von Personen mit Leistungseinschränkungen
IV. Psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung
VI. Personen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität

I. Gesundheitsversorgung von Personen in den ersten 36 Monaten des Aufenthalts

AsylbLG-leistungsberechtigte Personen in den ersten 36 Monaten des Aufenthalts beziehen AsylbLG-Leistungen nach § 3 AsylbLG. Bei ihnen sind § 4 und § 6 AsylbLG maßgeblich für die medizinische Versorgung. Umfasst werden folgenden Leistungen:

  • Bei akuten Erkrankungen sowie bei Schmerzzuständen sind (zahn-)ärztliche Versorgung, die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln und sonstige zur Genesung, Besserung und Linderung von Krankheiten und Krankheitsfolgen erforderliche Leistungen zu gewähren.
  • Auch chronische Erkrankungen müssen behandelt werden, wenn sie mit Schmerzen verbunden sind bzw. bei unterlassener Behandlung eine akute Verschlechterung droht. Beispiele für solche Erkrankungen sind Diabetes und Bluthochdruck.
  • Die durch die Ständige Impfkommission empfohlenen Schutzimpfungen sowie medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen sind ebenfalls zu gewähren. Diese umfassen z.B. Krebsvorsorgeuntersuchungen (§ 25 Absatz 2 SGB V) und Kinderuntersuchungen (§ 26 SGB V).
  • Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur dann, wenn sie unaufschiebbar ist. Allein medizinische Gründe sind für die Entscheidung über die Notwendigkeit ausschlaggebend.
  • Bei Schwangerschaft und Geburt erhalten Frauen im AsylbLG-Leistungsbezug übliche medizinische Leistungen durch niedergelassene Ärzt*innen sowie im Krankenhaus sämtliche Vorsorgeuntersuchungen für Mutter und Kind, Hebammenhilfe sowie erforderliche Medikamente und Heilmittel.
  • „Sonstige Leistungen […], die im Einzelfall zur Sicherung […] der Gesundheit unerlässlich […]“ sind, können über § 6 AsylbLG bewilligt werden, der eine Auffangfunktion hat. Umfasst sind u.a. folgende Leistungen: Behandlung chronischer Erkrankungen (ohne damit einhergehende Schmerzen), Psychotherapiekosten, Hilfsmittel zur Vermeidung von Krankheitsfolgekosten oder einer erhöhten Unfallgefahr, Pflegesachleistungen sowie Frauenhausaufenthalte.

Wie können medizinischen Versorgungsleistungen in Anspruch genommen werden?

In den ersten 36 Monaten des Aufenthalts muss eine angestrebte Behandlung bei der zuständigen Leistungsbehörde beantragt werden. In Baden-Württemberg sind dies die unteren Aufnahmebehörden. Das sind die Landratsämter und Stadtverwaltungen kreisfreier Städte. Umgangssprachlich werden die Leistungsbehörden meist „Sozialämter“ genannt. Bei der Leistungsgewährung gibt es zwei Vorgehensweisen, die in den Stadt-/Landkreisen zur Anwendung kommen:

  • Die Geflüchteten beantragen im Krankheitsfall einen Einzelkrankenschein beim Sozialamt. Dieses entscheidet über die Bewilligung der Behandlung. Für jede weitere Behandlung wird ein neuer Krankenschein benötigt.
  • Die Geflüchteten erhalten vom Sozialamt alle drei Monate einen oder mehrere Krankenscheine, um damit ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

Für eine fachärztliche Behandlung muss ein neuer Krankenschein beim Sozialamt beantragt werden, häufig ist zusätzlich eine Begutachtung durch das Gesundheitsamt nötig.

Das System der Krankenscheine weist erhebliche Nachteile gegenüber der „normalen“ Gesundheitsversorgung auf: Durch den „Umweg“ über das Sozialamt (und in einigen Fällen sogar über das Gesundheitsamt) kommt es zu einer Verzögerung der Behandlung. Außerdem entscheiden Sachbearbeiter*innen der Sozialämter, die in der Regel keine medizinische Ausbildung durchlaufen haben, über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung. Dies führt nicht selten zu Fehlentscheidungen. Erforderliche Behandlungen werden vielfach verweigert, wodurch es zu einer Verschleppung und Verschlimmerung von Erkrankungen kommen kann. Zudem bewerten wir das System der Krankenscheine stigmatisierend, da für Personal sowie Außenstehende der Sonderstatus der geflüchteten Patient*innen offensichtlich ist. Darüber hinaus geht die Vergabepraxis der Krankenscheine mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand und hohen Kosten einher, weshalb mittlerweile auch einige Bundesländer (z.B. Bremen und Hamburg) dazu übergegangen sind, die Gesundheitskarte für alle geflüchteten Menschen unabhängig von der Aufenthaltsdauer in Deutschland einzuführen. Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich deutlich gegen die Einführung der Gesundheitskarte positioniert, sodass nicht damit zu rechnen ist, dass dieses System in absehbarer Zeit auch in Baden-Württemberg eingeführt wird.

Hinweis: Zuzahlungen (z.B. zu Medikamenten) dürfen von AsylbLG-Leistungsberechtigten, die noch nicht 36 Monate in Deutschland sind, nicht verlangt werden, da die Apotheke bzw. das Krankenhaus sämtliche Kosten beim Sozialamt in Rechnung stellen kann.

Was kann man tun, wenn das Sozialamt die Leistungen nicht gewährt?

Es kommt nicht selten vor, dass das Sozialamt ärztliche Hilfe, Medikamente oder Hilfsmittel verweigert. Es lohnt sich in solchen Fällen das Sozialamt zur Prüfung eines möglichen Behandlungsanspruchs nach § 6 AsylbLG aufzufordern. Hierzu sollte ein gut begründeter einzelfallbezogener Antrag verfasst werden, der auch Stellungnahmen von behandelnden Ärzt*innen und ggf. auch Bezugspersonen enthalten kann. Sollte die Leistung auch auf diesem Wege nicht gewährt werden, kann beim Sozialamt Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung eingelegt werden. Hierzu hat man grundsätzlich einen Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung Zeit, bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung ein Jahr. Unterstützung bei der Formulierung eines Widerspruchs bieten Sozialarbeiter*innen vor Ort. Wird der Widerspruch zurückgewiesen, ist eine Klage vor dem Sozialgericht möglich. In dringenden Fällen kann zusätzlich zu Widerspruch bzw. Klage ein „Eilantrag“ beim zuständigen Sozialgericht gestellt werden, in dem ausführlich erklärt wird, weshalb die Behandlung eilbedürftig ist (z.B. bei drohenden bleibenden Folgeschäden wegen ausbleibender Behandlung). Für die Einreichung von Klage und Eilantrag empfiehlt es sich, juristischen Rat hinzuziehen.

Weitere Informationen:

II. Gesundheitsversorgung von Personen, die länger als 36 Monate da sind

Geflüchtete, die bereits länger als 36 Monate in Deutschland sind, können in der Regel die höheren Sozialleistungen nach § 2 AsylbLG beanspruchen. Auf Personen, die Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehen, wird das SGB XII entsprechend (= analog) angewandt, weshalb die Leistungen auch als Analogleistungen bezeichnet werden. Der Bezug von Analogleistungen hat auch eine umfassendere medizinische Versorgung zur Folge. Von den Analogleistungen ausgenommen sind Personen, die die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (§ 2 Absatz 1 AsylbLG).

Das Spektrum medizinischer Versorgung von Analogleistungsbezieher*innen entspricht zu weiten Teilen dem der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 264 Absatz 2 SGB V). Leistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG sind zwar keine gesetzlich Krankenversicherten im Sinne des SGB V, sind aber dieser Gruppe weitgehend gleichgestellt.

Die Abrechnung der Behandlungskosten erfolgt wie bei gesetzlich Versicherten über die Krankenkassen. Kostenträger ist jedoch nach wie vor das Sozialamt, von dem sich die Krankenkasse dann nach der Behandlung das Geld zurückholt.

Wie können medizinischen Versorgungsleistungen in Anspruch genommen werden?

Wenn AsylbLG-Leistungsberechtigte bereits länger als 36 Monate in Deutschland sind, werden sie zur Ausübung ihres Krankenkassenwahlrechts aufgefordert und erhalten in der Folge eine Gesundheitskarte. Geschieht dies nicht automatisch, sollte beim Sozialamt die Ausstellung der Gesundheitskarte mit Verweis auf die über 36-monatige Aufenthaltsdauer in Deutschland beantragt werden. Mit der Gesundheitskarte kann ohne Umweg über das Sozialamt eine Arztpraxis aufgesucht werden. Alle Leistungen, die direkt über die Gesundheitskarte abgerechnet werden, werden analog zur gesetzlichen Krankenversicherung erbracht, sonstige Leistungen (z.B. Kuren oder Heil- und Hilfsmittel) müssen separat beantragt werden.

Weitere Informationen:

III. Gesundheitsversorgung von Personen mit Leistungseinschränkungen

Personen können mit Leistungseinschränkungen (nach § 1a AsylbLG) „bestraft“ werden, wenn sie beispielsweise bestimmte Mitwirkungspflichten nicht erfüllen (>> Sozialleistungen). Erhält eine Person gekürzte Leistungen, hat sie keinen Zugang zu den Leistungen nach § 6 AsylbLG, was in der Praxis dazu führen kann, dass wichtige Gesundheitsleistungen nicht gewährt werden.

Personen, die schon länger als 36 Monate in Deutschland sind, erhalten keine Analogleistungen und damit keine Gesundheitskarte, wenn davon ausgegangen wird, dass sie ihre Aufenthaltsdauer rechtsmissbräuchlich verlängern, weil sie z.B. nicht ausreichend an der Beschaffung eines Passes mitwirken. Die medizinische Versorgung richtet sich in diesen Fällen wie bei Personen mit einer Aufenthaltsdauer von bis zu 36 Monaten in Deutschland nach § 4 und § 6 AsylbLG (siehe oben).

IV. Psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung

Viele geflüchtete Menschen haben traumatisierende Erfahrungen gemacht. Bei einem Teil von ihnen resultiert daraus eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Symptome dieser Störung können z.B. sein: Albträume, Flashbacks (d.h. Wiedererleben des traumatischen Ereignisses), Lethargie, Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten. In Baden-Württemberg wird die Versorgung traumatisierter Geflüchteter durch neun Psychosoziale Zentren geleistet. Für die Beratungs- und Therapieangebote ist die Beteiligung von Dolmetscher*innen meist unumgänglich. Solange die Person noch nicht länger als 36 Monate in Deutschland ist, können die entstehenden Kosten meist über das Sozialamt abgerechnet werden. Bei Personen mit einer Aufenthaltsdauer von länger als 36 Monaten werden die Kosten für einen Dolmetscher*inneneinsatz dagegen grundsätzlich nicht erstattet. Solche Kosten werden in der Praxis meist von den Psychosozialen Zentren querfinanziert.

Weitere Informationen:

V. Notfälle

Bei Notfällen, d.h. bei einer Erkrankung, deren Entwicklung eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit oder den Tod verursachen kann, sind Ärzt*innen unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Patient*innen zur Vornahme der Behandlung verpflichtet. Die Unterlassung kann strafbar sein. Die Behandlung ist in solchen Notfällen ohne vorherige Beantragung und Kostenklärung beim Sozialamt möglich. Die Kosten werden der ärztlichen Praxis oder dem Krankenhaus, das die Nothilfe geleistet hat, dann im Nachhinein vom Sozialamt erstattet. Die gesetzliche Grundlage hierfür findet sich in § 6a AsylblG. Voraussetzung für die Kostenerstattung ist, dass das Sozialamt von der behandelnden Einrichtung unverzüglich in Kenntnis gesetzt wird.

VI. Medizinische Versorgung von Personen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität

Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität sind nicht bei den Behörden gemeldet und haben keinen legalen Aufenthaltsstatus. Juristisch gesehen fallen sie unter das AsylblG und haben damit denselben Leistungsanspruch wie andere Leistungsberechtigte auch. Um diese Leistungen in Anspruch nehmen zu können, müssen sich Menschen in der Illegalität jedoch an das Sozialamt wenden. Dieses ist gemäß § 87 AufenthG als öffentliche Stelle zur Meldung der antragstellenden Person an die Ausländerbehörde verpflichtet, die in der Folge aufenthaltsbeendende Maßnahmen einleiten kann. Die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung ist deshalb oft nur zum „Preis“ eines Abschiebungsrisikos zu haben. Nur in Notfällen greift der sog. „verlängerte Geheimnisschutz“. Demnach dürfen öffentliche Stellen (also auch das Sozialamt) Patient*innendaten, die sie von Schweigepflichtigen (z.B. dem Personal der Krankenhäuser) erhalten haben, grundsätzlich nicht an die Ausländerbehörde übermitteln (Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, Nr. 88.0 ff). Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität können sich an ein Medibüro/Medinetz wenden. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen dieser Stellen vermitteln die Patient*innen an ärztliche Praxen, Psychotherapeut*innen, Hebammen und Physiotherapeut*innen – bei Bedarf in Einzelfällen auch an Kliniken.

Weitere Informationen: