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Macht und Ohnmacht der Integrationskurse

Als Reaktion auf das Eingeständnis Deutschlands, ein Einwanderungsland zu sein, wurde erstmals die Notwendigkeit für staatliche Maßnahmen der Integrationsförderung anerkannt. Die in der Folge von der Bundesregierung eingeführten Integrations- und Orientierungskurse, die aus einem Sprachkurs, sowie einem wertevermittelnden Orientierungskurs bestehen, stellen seit der Einführung im Jahr 2005 das Kerninstrument deutscher Integrationspolitik dar. Doch inwiefern werden auch durch Integrationskurse Machtasymmetrien reproduziert?

von Iris Trauner

Sobald von Einwanderung die Rede ist, kann man sich fast sicher sein, dass der Begriff Integration fällt und es dabei ein vermeintlich klares Verständnis über die Bedeutung des Begriffs gibt, wie die Aussage Volker Bouffiers exemplarisch veranschaulicht: »Die, die hierbleiben, müssen gut integriert werden. Wer in unser Land kommt, muss nach den Werten und Normen dieses Landes leben. Da dürfen wir keinen Rabatt geben. Wir werden kein islamisches Land. Wir bekommen keine Verhältnisse wie in den arabischen Staaten1

Integration wird oftmals im Sinne einer Forderung nach einseitiger kultureller Anpassung der Migrant*innen – also einer Bringschuld – verwendet. Eng damit verbunden ist die implizite Forderung nach Spracherwerb. Aufgrund dieses weit verbreiteten Verständnisses von Integration ist es umso wichtiger, das Kerninstrument der deutschen Integrationspolitik, die Integrationskurse, kritisch zu hinterfragen. Hierbei spielen die machtkritischen Perspektiven des sogenannten Otherings, der soziokulturellen Hegemonie und der Umgang mit Differenzen eine Rolle.

Othering beschreibt die Aufteilung sozialer Gruppen in Zugehörige und Nicht-Zugehörige – also in ein Wir und ein Ihr. Othering beschäftigt sich also mit dem Prozess des Fremdmachens und hat zum Ziel, ein Fremdbild und dadurch auch ein Selbstbild zu erschaffen und zu erhalten.

Dabei wird häufig das Bild von Nationen als Containern verwendet: Menschen werden nach Nationalitäten und Ethnien unterschieden, wobei ihnen jeweils einheitliche Werte und Eigenschaften zugeschrieben werden. Elementar dabei ist, dass die Einteilung von Individuen basierend auf Nationalitäten nicht folgenlos bleibt, denn sie zieht reale Konsequenzen nach sich: die Annahme einer westlichen Überlegenheit durch soziokulturelle Hegemonie. Denn in Fortsetzung der Unterscheidung in Wir und Ihr wird mit dem Begriff der soziokulturellen Hegemonie die Vorstellung von höher- beziehungsweise minderwertigen Kulturen beschrieben. Im einfachen Sinne bedeutet Hegemonie Vorherrschaft und erklärt die auf der Vorstellung von homogenen Kulturen basierende Annahme der kulturellen Überlegenheit beziehungsweise Rückständigkeit. Spannend ist daher auch ein Blick darauf, wie sich der Umgang mit vermeintlicher Differenz gestaltet. Durch die Einteilung von Individuen in Gruppen und die Bewertung dieser wird eine gewisse Norm geschaffen, wobei Abweichungen und Differenzen davon oft negativ bewertet werden. Was bedeutet das mit Blick auf Integrationskurse?

Zielsetzung von Integrationskursen

Bereits in der Formulierung der Zielsetzung der Integrationskurse lässt sich eine auf Herkunft basierende Einteilung in homogene Gruppen erkennen. Dass »den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte2« Deutschlands nähergebracht werden sollen, zeigt: Aus Migrant*innen wird eine homogene Masse der Anderen gemacht, wodurch sie von der vermeintlich ebenfalls homogenen Masse der deutschen Dominanzgesellschaft unterschieden werden. Nicht zuletzt darin, wer ein Mitspracherecht bei der Bedarfsermittlung und Konzeption der Kurse hat – nämlich zumeist nicht die Teilnehmenden selbst –, zeigt sich eine klare Machtasymmetrie zwischen Migrant*innen und Dominanzgesellschaft. Zwar wird kulturelle Differenz oftmals als bereichernd dargestellt; jedoch suggeriert die Forderung nach einer einseitigen Anpassung die Annahme eines Bildungsdefizits auf Seiten der Migrant*innen. Das Ziel von Integrationskursen scheint es demnach zu sein, diesen Defiziten Herr zu werden und die zwischen Migrant*innen und Deutschen angenommene Differenz aufzuheben. So soll der Normalzustand wiederhergestellt werden.

Teilnahmeberechtigung und -verpflichtung

Abgesehen von der Art des Aufenthaltstitels entscheiden in der Praxis zumindest für die Dauer des Asylverfahrens auch das Einreisedatum sowie die Herkunft darüber, wer an einem Integrationskurs teilnehmen darf oder gar muss. Neben der Teilnahmeberechtigung gibt es unter bestimmten Voraussetzungen nämlich auch eine Teilnahmeverpflichtung. Verpflichtet wird unter anderem, wer nach Meinung der Behörden vermeintlich besonderen Integrationsbedarf aufweist. Besonders die Verpflichtung zur Teilnahme – gewissermaßen ein Zwang zur Anpassung – stellt dabei ein im Aufenthaltsgesetz verankertes Machtinstrument dar. Wer der Verpflichtung nicht nachkommt, hat durchaus mit relevanten aufenthaltsrechtlichen und finanziellen Sanktionen zu rechnen – so können beispielsweise die Sozialleistungen gekürzt werden3. Damit wird erneut suggeriert, dass Differenzen als problematisch bewertet werden und der Integrationskurs als Kontrollinstrument dazu dienen soll, diese Differenzen einseitig aufzuheben.

Inhalt von Integrationskursen

Auch bei genauerer Betrachtung des Inhalts, dessen Festlegung dem BAMF obliegt, lässt sich vielfach die Verwendung eines nationalen Narrativs beobachten: »die Deutschen«, »die Ausländer«, »unsere Regeln und Werte«– Beispiele lassen sich zuhauf in den zugelassenen Kurswerken4 finden. Auch die ausgewählten Themen des wertevermittelnden Orientierungskurses konstruieren sowohl die Deutschen als auch die Anderen als homogene Gruppen. So wird durch Zuschreibungen von positiven deutschen Eigenschaften wie Pünktlichkeit und Gleichberechtigung ein positives Selbstbild geschaffen – mit der Folge einer indirekten Abwertung Nicht-Deutscher, die etwa unpünktlich und paternalistisch erscheinen.

Durch die Annahme, dass die Behandlung von Themen wie Gleichberechtigung, Erziehung und Rollenverteilung notwendig wäre, wird Migrant*innen ein flächendeckendes Unwissen bezüglich dieser vermeintlich deutschen Werte unterstellt. Dies setzt voraus, dass Gleichberechtigung als ein westliches Monopol angesehen wird und den nicht-westlichen Teilnehmenden deshalb erklärt werden müsse. Die Behandlung dieser und ähnlicher Themen ist demnach als Zeichen der Annahme der kulturellen Überlegenheit des zivilisierten Westens zu werten. Nur so lässt sich erklären, warum sich die deutsche Integrationspolitik anmaßt, Migrant*innen – ungeachtet ihrer Heterogenität – im Sinne der Integration Themen wie Erziehungsstile, Gleichberechtigung und Familienformen beibringen zu wollen. Aufgrund der durch die Inhalte des Orientierungskurses geschaffenen Selbst- und Fremdbilder von Deutschen und Migrant*innen wird Differenz problematisiert. Die Belehrung über Verhaltensweisen zeigt eine gewisse Anspruchshaltung gegenüber Migrant*innen im Sinne einer Umerziehung und zielt auf die Angleichung an die »Norm« der Dominanzkultur ab.

Plädoyer

Die Einführung bundesweiter Sprachkurse wird gemeinhin als Bereicherung aufgefasst. Trotz der – durchaus berechtigten – positiven Stimmen zur Einführung der Integrations- und Orientierungskurse schließt dies keineswegs aus, ebendiese in Bezug auf die Reproduktion von Machtasymmetrien als problematisch zu betrachten. Denn: Sprache stellt denjenigen Bereich dar, in welchem Machtverhältnisse am wenigsten hinterfragt werden. Was wäre also eine alternative Herangehensweise? Ein dringend notwendiges Aufbrechen von Machtasymmetrien in Integrations- und Orientierungskursen lässt sich zweifelsohne nicht mithilfe einer einzigen Veränderung erreichen. Ein guter Start für eine Reform könnte jedoch die Aushandlung des gesellschaftlichen Miteinanders zum Ziel machen. Keinesfalls besteht nämlich in Anspruch auf ein Aufgeben der eigenen kulturellen Praxen, lediglich weil sie im (deutschen) Handlungsraum nicht vorherrschend sind. Vielmehr kann die Aufnahmegesellschaft durch den Orientierungskurs Angebote schaffen, zusätzliche Kenntnisse zu erlangen, um die Handlungsfähigkeit von Migrant*innen zu erhöhen. Wo Zwang ausgeübt wird, regt sich Widerstand. Sanktionen und Verpflichtungen werden nicht nur als kontraproduktiv, sondern auch als überflüssig erachtet, denn Spracherwerb und Integration lassen sich nicht erzwingen – stattdessen sollte Freiwilligkeit die Basis darstellen.

Eine intrinsische (von innen kommende) Motivation könnte dadurch erreicht werden, Teilnehmende bei der Konzeption der Kurse einzubinden. Hierzu gehört nicht nur die Einbindung in die entscheidenden Gremien, sondern auch die individuelle, flexible und der Heterogenität der Zielgruppe Rechnung tragende Anpassung der Inhalte. Dies würde beispielsweise bedeuten, nicht mehr nur diejenigen Inhalte zu thematisieren, die von Seiten der Aufnahmegesellschaft gewünscht sind. Einzig und allein die Teilnehmenden können ihre Ziele festlegen – und sie müssen endlich als Expert*innen für sich selbst und ihren individuellen Integrationsprozess verstanden werden. Denn die Frage der Zielsetzung, Konzeption und Teilnahmeregelung von Integrationskursen wirft im Kern die Frage auf: wer darf dazugehören? – Womit aus machtkritischer Perspektive gleich noch eine zweite Frage hinzukommt: Wer entscheidet darüber, wer dazugehören darf und was dazu notwendig ist?

Dazu müsste jedoch zunächst das hegemoniale Selbstverständnis der deutschen Dominanzgesellschaft aufgegeben werden. »Solange aber Integration in Deutschland vorrangig als ein Instrument zur Sicherstellung des Vorrechtes der Mehrheitsgemeinschaft begriffen wird« – so Politikwissenschaftler Ha und Schmitz – »bleibt eine Kritik notwendig, die […] eine Gegenbewegung […] unterstützt: Die Kunst nicht auf diese Weise, nicht um diesen Preis, nicht dermaßen integriert zu werden5.«_


1 Zitiert nach Kammholz, Karsten und Vitzthum, Thomas (2015): Wir werden kein islamisches Land. Online verfügbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article147745313/Wir-werden-kein-islamisches-Land.html

2 Siehe § 43 Absatz 2 Satz 2 AufenthG (Hervorhebungen durch Autorin)

3 Siehe unter anderem § 44a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AufenthG in Verbindung mit §§ 15 und 31 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b SGB II; § 9 Absatz 2 Satz 2 AufenthG; § 98 Absatz 2 Nummer 4 AufenthG; § 10 Absatz 3 StAG.

4 Beispiele zitiert nach Buchwald-Wargenau, Isabel (2018): Mein Leben in Deutschland. Der Orientierungskurs.

5 Siehe Ha, Kien Nghi und Schmitz, Markus (2006): Der nationalpädagogische Impetus der deutschen Integrations(dis)kurse im Spiegel post-/kolonialer Kritik.


Dieser Artikel erschien in Ausgabe 3/2021 unseres Magazins Perspektive, das hier kostenlos bestellt und heruntergeladen werden kann.