„Wenn ich kein Corona gehabt hätte, hätte ich es wahrscheinlich auch nicht geglaubt“, sagt Hava D. Die 47-jährige Pflegerin, die in einem Seniorenheim in Bad Rappenau arbeitet, lag infolge ihrer Corona-Infektion neun Tage im künstlichen Koma. Seither hat sie große Sorge wegen dieser Erkrankung.
Umso weniger versteht sie Demonstrationen der sogenannten Coronaleugner*innen. „Also ich bin wirklich enttäuscht“, sagt Hava, „eine Maske zu tragen und damit sich und andere zu schützen muss doch für alle Menschen selbstverständlich sein.“
Hava ist mit ihrer Familie vor 6 Jahre aus Tschetschenien geflüchtet und hat jahrelang um ein Bleiberecht in Deutschland gekämpft. Von Beginn an hat sie sich ehrenamtlich in der Initiative „Gemeinsam mit und für Flüchtlinge in Bad Rappenau“ engagiert und dafür die silberne Ehrenmedaille der Stadt Bad Rappenau erhalten.
Nach ihrer Anerkennung im Frühjahr 2019 hat sie sich erfolgreich um einen Ausbildungsplatz zur Altenpflegerin bemüht und mit der Ausbildung im September 2019 begonnen.
Ende Februar treten die ersten Covid-19 Infektionen bei mehreren Bewohner*innen und Mitarbeitenden im Haus Alpenland in Bad Rappenau auf. Wenige Tage später wird das gesamte Pflegeheim von der Stadtverwaltung unter Quarantäne gestellt:
„Die mit dem heutigen Tag getroffene Entscheidung bedeutet, dass Bewohner das Heim nicht verlassen dürfen, Besucher dürfen die Bewohner nicht aufsuchen.“ Für die Mitarbeitenden des Heimes gilt eine erweiterte Quarantäneanordnung. Sie dürfen ihre Wohnung ausschließlich zu dem Zweck verlassen, ihrer Tätigkeit im Altenpflegeheim nachzugehen. „Sie dürfen also nur alleine mit dem eigenen Auto auf direktem Weg anreisen und sind verpflichtet, während ihrer Tätigkeit geeignete Schutzkleidung zu tragen.“
Das Hygienekonzept ist festgelegt, Oberbürgermeister Sebastian Frei kümmert sich persönlich darum, dass Schutzmasken vorhanden sind und tritt der BILD-Zeitung, die einen Skandal wittert „Altenheim unter Quarantäne, aber keiner hält sich daran“ entschieden entgegen. Die Mitarbeitenden wehren sich: „Man fühlt sich fast wie ein Krimineller, es macht uns arg zu schaffen, dass gefühlt jeder auf uns rumhackt.“ In der hausinternen Facebookgruppe schreibt eine Mitarbeiterin „Ich möchte gerne einmal meinen Kollegen großen Respekt aussprechen. Obwohl die Möglichkeit einer Infizierung im Raume steht, erfüllen sie ihren Job vorbildhaft.“
Hava gehört zu denen, die im Bereich der infizierten Bewohner*innen arbeitet. Völlig erschöpft kommt sie nach langen Arbeitsschichten nach Hause, es nimmt sie persönlich mit, dass mittlerweile die ersten schwer Erkrankten in stationärer Behandlung in der Lungenfachklinik Löwenstein versorgt werden. Sie schützt sich so gut wie möglich bei ihrer täglichen Pflegearbeit. Aber trotz Mundschutz und Schutzkleidung steckt sie sich wahrscheinlich beim Pflegen einer Frau an, die mittlerweile an Covid-19 verstorben ist.
„Es begann mit einem trockenen Husten, dann kamen das Fieber und die Lungenschmerzen.“ Unter Vorerkrankungen leide sie nicht.
Hava geht es zunehmend schlechter. Sie wird in die SLK-Klinik Plattenwald gebracht. Ein Arzt habe sie mit dem Stethoskop abgehört und wieder nach Hause geschickt, schildert sie. Die Patientin sei gemäß des gültigen Schemas vom Robert-Koch-Institut behandelt worden, heißt es von der Pressestelle der SLK-Kliniken. „Es lagen zu diesem Zeitpunkt nur leichte Symptome vor. Alle Laborwerte waren – bis auf eine minimale Erhöhung der Infektparameter – unauffällig. Eine stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus war daher zu diesem Zeitpunkt medizinisch nicht erforderlich.“
Am folgenden Tag habe das Gesundheitsamt bei ihr angerufen, berichtet Hava. Man habe ihr gesagt, das Ergebnis des Tests, der am Tag zuvor im Krankenhaus veranlasst wurde, sei positiv ausgefallen. Von da an, berichtet sie, sei ihr Zustand immer schlechter geworden. Das Gesundheitsamt habe täglich angerufen, dennoch habe sie zu Hause bleiben sollen. Ihr Mann habe sie gepflegt, doch es kam der Punkt, an dem er den Notarzt rufen musste. Kurz zuvor sei sie bewusstlos geworden. Im Nachhinein, so wirft sie dem Gesundheitsamt vor, sei sie viel zu spät nach Löwenstein gekommen.
In Löwenstein wird sie nach einigen Tagen ins künstliche Koma versetzt und maschinell beatmet. Sie schwebe in Lebensgefahr, so berichtet die Heilbronner Stimme. Familienangehörige stehen jeden Tag vor der Lungenfachklinik, sie beten und hoffen „Hava ist eine starke Frau“. Nach 9 Tagen im Koma haben sich die Blut- und Lungenwerte verbessert, sie lernt wieder selbständig zu atmen. Die Pflegerinnen fahren ihr Bett ans Fenster und sie wirft einen ersten Blick auf ihre Tochter und Schwägerin, die vor der Klinik stehen. An die Zeit des Komas hat sie keine Erinnerung, aber sie weiß: „Ärzte haben mein Leben gerettet“.
Nach gut 4 Wochen verlässt sie nach wiederholten negativen Testergebnissen die Klinik Löwenstein, um kurz darauf in einer Rehabilitationsklinik weiterbehandelt zu werden. Ihre Covid-19- Erkrankung ist mittlerweile als Berufserkrankung anerkannt. Seit Juli arbeitet sie wieder, doch es ist nicht mehr so wie früher: „komme ich von der Arbeit, muss ich mich erstmal hinlegen, ich bin erschöpft, Arbeit, Ausbildung und Haushalt, das ist manchmal kaum zu schaffen. An den beiden Unterrichtstagen in der Peter-Bruckmann-Schule in Heilbronn spürt sie, dass auch die Konzentrationsfähigkeit nachgelassen hat. Aber sie gibt nicht auf, sie will die Ausbildung erfolgreich zu Ende bringen. Es gibt Tage, da verlässt sie Mut und Zuversicht und die Zweifel werden stärker. Aber sie kämpft, will endgültig in diesem Land ankommen, unabhängig sein, leben.
Von: Klaus Harder, Mitglied im Sprecher*innenrat des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg