Die Zahl (christlicher) Konvertit*innen aus islamisch geprägten Ländern ist recht hoch und hat damit auch eine Debatte zwischen den Kirchen, dem BAMF und den Verwaltungsgerichten ausgelöst: Inwieweit darf der Staat die Konversionen prüfen bzw. welche Beweismittel und Methoden sind zulässig, um zu überprüfen, ob die Hinwendung zum neuen Glauben aufgrund einer identitätsprägenden Bedeutung für den Konvertiten oder möglicherweise nur aus asyltaktischen Erwägungen erfolgte? Mit seiner Entscheidung vom 3.4.2020 (Az. 2 BvR 1838/15) hat das BVerfG den rechtlichen Maßstab nun geklärt:
Die Entscheidung betraf einen zum Christentum konvertierten Iraner, dessen 2011 gestellter Asylantrag vom BAMF abgelehnt wurde. Im anschließenden Klageverfahren erklärte er, dass er im Mai 2013 getauft worden sei und auch regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen teilnehme. Im Falle einer Abschiebung in den Iran drohe ihm deshalb eine asylrelevante Verfolgung. Das Verwaltungsgericht Stuttgart gab der Klage statt, der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wies sie ab. Der Kläger hatte den Senat „nicht von einer die religiöse Identität prägende Hinwendung zur christlichen Religion überzeugen können“, weshalb auch keine Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran bestehe.
Das Bundesverfassungsgericht hat die darauffolgende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in seiner Begründung aber wichtige Fragen geklärt, die auch für Ehrenamtliche und Rechtsanwält*innen in der Fallpraxis von Bedeutung sein können. Die Verwaltungsgerichte dürfen die Gültigkeit des Religionsübertritts nicht in Frage stellen. Irrelevant ist (hier) deshalb auch, ob der Konvertit asyltaktische Absichten verfolgt. Die folgende fachgerichtliche Prüfung, ob nach den §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund des Übertritts zur christlichen Kirche besteht, verstößt dagegen weder gegen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, noch gegen die Glaubens-, Gewissens-, und Religionsfreiheit des Einzelnen. Entscheidend für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Intensität und Bedeutung der Religion für den Betroffenen. Die Anforderungen an die Beweiserhebung sind aufgrund des „hohen Werts“ der betroffenen Grundrechte hoch. Erforderlich ist eine Art Gesamtschau – zum Beispiel anhand der religiösen Vorprägung des Betroffenen oder der Dauer und Intensität des Konversionsprozesses. Zu beachten ist aber, dass es sich dabei nur um Indizien handelt. Der Beschluss macht deutlich, dass beispielweise lückenhaftes Wissen von „Lerninhalten“ der neuen Religion alleine nicht ausreichend ist, um von einer nicht identitätsprägenden Glaubensüberzeugung auszugehen.
Der identitätsprägende Glaube ist eine sogenannte Tatsache des Innenlebens, die – genauso wie ein auf die sexuelle Orientierung gestütztes Verfolgungsrisiko – sehr schwierig zu überprüfen (und beweisen) ist. Mit seiner Entscheidung hat das BVerfG klargestellt, dass das Verwaltungsgericht diese Prüfung vornehmen darf – und muss! Diese Aufgabe fällt in Asylprozessen eigentlich einer einzigen Person zu – dem/der Einzelrichter*in. Allerdings sieht § 76 Abs. 1 AsylG unter anderem in Fällen, in denen „die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art“ aufweist, eine Entscheidung durch die – aus drei Berufsrichter*innen und zwei ehrenamtlichen Richter*innen – bestehende Kammer vor: In besonders schwierigen Fällen soll statt einer Person also eine Gruppe von 5 Personen auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung erörterten Sachverhalts beraten und entscheiden. Bei einer Kammerentscheidung kommt es im Rahmen des auf die mündliche Verhandlung folgenden Beratungsgesprächs dabei zwangsläufig zu einem Austausch, in den sich alle 5 Richter*innen gleichberechtigt mit ihren Argumenten, Perspektiven und Erfahrungen einbringen können. Dagegen macht der Einzelrichter seine Entscheidung nicht selten nur mit sich selbst aus. Gerade weil die Frage, ob die klagende Person in identitätsprägender Weise glaubt, so schwierig und im Kern gar nicht juristisch ist, erscheint es angebracht, möglicherweise sogar geboten, die im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten optimal zu nutzen, um eine möglichst gute Entscheidung zu treffen. Die Chance hierauf dürfte steigen, wenn nicht nur ein, sondern 5 Richter*innen die Frage beantworten. In der Praxis sollte deshalb eine Entscheidung durch die Kammer angeregt werden. Zu einer solchen Stellungnahme gibt das Gericht in der Regel kurz nach Klageerhebung Gelegenheit.