Der Heidelberger Gemeinderat sollte am 26. März über den neuen Standort des Ankunftszentrum abstimmen. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Entscheidung jedoch kurzfristig vertagt. Anders als vor einem Jahr zeichnet sich nun eine Mehrheit für den Standort „Wolfsgärten“ ab, da die Grünen in dieser Frage ihre Haltung geändert haben. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg ist – ebenso wie der Asylarbeitskreis Heidelberg, einige Gemeinderatsmitglieder (z.B. SPD und LINKE) und weitere lokale Akteure – weiterhin der Meinung, dass der Standort „Wolfsgärten“ kein geeigneter Ort für die Unterbringung von Geflüchteten ist und hält die von den Heidelberg Grünen genannten Gründe für ihren Sinneswandel für nicht überzeugend.
Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass der zwischen Autobahnkreuz und Bahnschienen gelegene Standort „Wolfsgärten“ genauso unwirtlich und ungeeignet ist wie vor einem Jahr, als es noch von einer Mehrheit des Gemeinderats abgelehnt wurde. Der Flüchtlingsrat widerspricht der Auffassung, dass aufgrund der angeblich kurzen Aufenthaltsdauer geringere Standards eher vertretbar seien und weist darauf hin, dass die durschnittliche Aufenthaltsdauer bei immerhin zwischen sechs und acht Wochen liegt – und „Durchschnitt“ natürlich bedeutet, dass die Dauer bei einigen noch länger ist.
Das Argument, ein Verbleib des Ankunftszentrums auf dem Areal „Patrick-Henry-Village“ würde die Entwicklung des geplanten neuen Stadtteils gefährden, weil diese dann weniger als 10 000 Einwohner*innen haben würde, was die Untergrenze für einen funktionierenden Stadtteil sei, hält der Flüchtlingsrat für vorgeschoben: „Erstens führt die Stadt diese Argumentation selbst ad Absurdum, weil in der letzten Sitzung des Konversionsausschusses bekanntgegeben wurde, dass die Anzahl der Bewohner*innen zu Gunsten der Anzahl der vorgesehenen Arbeitsplätze nach unten korrigiert wurde und nun von Neun- bis Zehntausend Bewohner*innen die Rede ist. Abgesehen davon funktioniert diese Argument nur unter der Prämisse, dass man die Geflüchteten bei der Berechnung der Bewohner*innen herausrechnet. Warum sollte man dies tun? Auch sie werden die Infrastruktur nutzen – beziehungsweise sie sollten die Möglichkeit haben, es zu nutzen“, so Ulrike Duchrow vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.
Am Standort Wolfsgärten wird sich die Frage der Nutzung von Infrastruktur des Stadtteils durch die Geflüchteten nicht stellen – dafür sorgt schon der abgelegene Standort.
„Es bringt nichts, einerseits das solidarische Engagement der Heidelberger Stadtgesellschaft zu loben, andererseits aber für einen Standort zu plädieren, wo es keinen Raum für Begegnungen und Austausch mit dieser Stadtgesellschaft geben wird. Wir erleben gerade den Versuch des BMI, die Beratungstätigkeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen durch das BAMF übernehmen zu lassen unter dem völlig absurden Namen ‚Unabhängige staatliche Beratung‘. Unsere Sorge ist, dass die Geflüchteten in den Erstaufnahmeeinrichtungen zunehmend ‚aus den Augen, aus dem Sinn‘ sein werden, ohne Zugang zu unabhängigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Ein abgelegener Standort für das Ankunftszentrum wird diese Tendenz sicherlich verstärken“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
Dass die Abgeschiedenheit der Einrichtung – sei es durch die Lage oder durch die Umzäunung – als Maßnahme zum Schutz der Geflüchteten vor dem „Eindringen von Externen“ gerechtfertigt wird, hält der Flüchtlingsrat für ausgesproch unehrlich. „In jeder Unterbringunsform – nicht nur in der Erstaufnahme – gibt es besonders schutzbedürftige Menschen. Personen, die in böser Absicht von außen eindringen wollen, unterscheiden nicht nach Unterbringungsform. Es stellt sich die Frage, warum Abgeschiedenheit, Umzäunung und Kontrollen nur für Erstaufnahmeeinrichtungen gelten sollen. Geflüchtete, deren Grundrecht auf Privatsphäre in solchen Einrichtungen immer wieder missachtet wird durch Kontrollen, Durchsuchungen und Besuchsverbote, werden über dieses vorgeschobene Argument nur den Kopf schütteln. Wer besonders Schutzbedürftige wirksam schützen will, muss sie schnellstens – und nicht erst nach Wochen – in dezentralen Unterkünften unterbringen, wo sie die Möglichkeit haben, die Wohnungstür hinter sich zuzuschließen“, so Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats.
Der Flüchtlingsrat erinnert in diesem Zusammenhang auf die Äußerung von Innenminister Thomas Strobl bei der Eröffnung des Ankunftszentrums Heidelberg, wonach die Einrichtung einen Vorbildcharakter habe. Der Gemeinderat müsse sich entscheiden, ob Heidelberg ein Vorbild für Abschottung and Ausgrenzung sein wolle oder ein Vorbild für menschenwürdige Unterbringung.