Die Nachrichten dieser Tage beschränken sich auf die Corona-Pandemie, während die miserable, erschreckende und rechtlose Situation von Flüchtenden an der griech.-türk. Grenze und auf den griechischen Inseln unverändert geblieben ist.
Auf der türkischen Seite nutzt Präsident Erdogan Flüchtenden für seine innen- und außenpolitischen Ziele und setzt die EU unter Druck, indem Flüchtende teilweise gewalttätig an die griechische Grenze geschafft werden. Flüchtende erfahren in der Türkei vielfache Ausgrenzungen, so auch vom Wohnungs- und Arbeitsmarkt, weiter haben sie einen ungewissen rechtlichen Aufentaltsstatus und werden teilweise nach Syrien und andere Länder abgeschoben. Somit ist bei vielen die Hoffnung nach Europa weiter zu fliehen groß – doch nun sind etliche an der türk.-griech. Grenze gefangen zwischen griechischen und türkischen Grenzpolizist*innen. Kommt das überraschend?
An der Grenze verweigern, zu Wasser und zu Land, griechische und andere europäische Grenzpolizist*innen, so auch deutsche, Flüchtenden den Zutritt. Damit ist gemeint, dass gegen Flüchtende anscheinend ohne ethische oder rechtliche Bedenken Gummigeschosse, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt werden. Schlauchboote mit Flüchtenden werden zurückgedrängt und teilweise zerstochen – mit Hilfe von rechtsradikalen Mobs – angereist aus ganz Europa. Diejenigen, die es geschafft haben einzureisen werden inhaftiert, völkerrechtswidrig und auf erniedrigende Weise zurückgeschoben oder gerichtlich zu hohen Strafen wegen unerlaubter Einreise verurteilt. Dabei ignorieren die Richter*innen, dass nach internationalem Recht, Flüchtlinge nicht wegen unerlaubtem Grenzübertritt belangt werden dürfen (Art. 31 GFK). Ist das Europa? Sascha Seidl stellt fest, „[d]as, was die AfD in Deutschland 2015 noch erträumt hat und wofür die Partei damals heftig kritisiert wurde, wird mit rasender Geschwindigkeit Realität an den europäischen Außengrenzen“.
Auf griechischer Seite wurde das Grundrecht aus Asyl entgegengesetzt des Art. 18 der EU-Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt. Kann man ein Grundrecht “pausieren”? Nun, die griechischen Behörden nehmen in diesem Monat einfach keine Asylanträge mehr entgegen. Zudem werden 500 Geflüchtete in einem Kriegsschiff interniert, ein Lager brennt, Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen werden angegriffen und aufgrund des Corona Virus erhalten diejenigen, die noch da sind keinen Zugang zu den Lagern mehr. Dass die Lager teilweise um das heillos überbelegt sind, Menschen in Dreck, Fäkalien und Kälte hausen, medizinische Versorgung kaum existent ist und besonders Schutzbedürftige all dem ausgesetzt sind, ist seit Jahren Normalität. Warum sollte sich da noch was ändern?
Auf der Seite der EU und den anderen europäischen Staaten hört man lobende Worte an die griechische Regierung und man schickt finanzielle und personelle Unterstützung für die weitere Abschottung der Grenze. Spricht da jemand von Rechtsbruch? Nach Maximilian Pichl, trägt “[d]ie Auslagerung des Flüchtlingsschutzes (…) dazu bei, dass sich Gesellschaften daran gewöhnen, wenn grundlegende Rechte gebrochen werden. Dass die Zustände auf den Inseln nicht schon vor Jahren beendet und die Menschen in Europa verteilt wurden, beweist diese Annahme (…).“ Auch zeigen die schleppenden Bemühungen zur Aufnahme eines minimalen Kontingents und die haarspaltende Auswahl von 1500 Kindern von den Inseln, wie wenig Interesse an einer Beendigung des Ausnahmezustands besteht. Bezüglich Edogans Vorgehen hat Angela Merkel weitere EU-Mittel zugesichert. Mit finanziellen Spritzen soll also der Status Quo wiederhergestellt werden. Ist die EU von Erdogan also erpressbar? Valeria Hänsel bewertet den EU-Türkei Deal von 2016 als Kardinalsfehler und “[a]nstatt aus den fatalen Fehlern zu lernen, spricht der Architekt des Deals Gerald Knaus nun von einer „Übereinkunft 2.0 zwischen der EU und der Türkei“. Denn die europäische Grenzpolitik basiert in ihren Grundfesten auf Erpressbarkeit – Abhängigkeiten von autoritären Regimen, die die Drecksarbeit für sie erledigen.“
In Zeiten der Corona Krisen gibt es weitaus schwerere humanitäre und menschenrechtliche Krisen an den geographischen Grenzen Europas. Hier grenzt sich momentan die öffentliche Berichterstattung ein, stößt unser Vorstellungsvermögen auf Grenzen, und wird die Einhaltung internationalen und europäischen Rechts begrenzt.
- Heimatkunde, Migrationspolitisches Portal der Heinrich Böll-Stiftung, 10.03.2020: Krise der Humanität
- Frankfurter Rundschau, 10.03.2020: Nicht ans Unrecht gewöhnen!
- Monitor-Beitrag, 13.03.2020: Brutale Gewalt: Europas Rechtsbruch an der Außengrenze
- Paul Stegemann, 2020: Europas Flucht vor seinen Außengrenzen
- Pro Asyl, 10.03.2020: Unser Einsatz in Griechenland: Die Menschenrechte verteidigen!
- Pro Asyl, 14.03.2020: Die Türkei ist kein sicheres Land für Flüchtlinge
- Pro Asyl, 28.03.2020: Humanitäre Krise in Griechenland: Flüchtlingsaufnahme jetzt!
- Valeria Hänsel, 05.03.2020: Erschießungen und Hetzjagd – Die Faschisierung des EU Grenzregimes