Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert angesichts der jüngsten Fälle von Coronavirus-Infektionen in Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete ein sofortiges Ende der Massenunterbringung sowie eine transparente Informationspolitik und Schutzvorkehrungen für geflüchtete Menschen.
„Es ist zwar begrüßenswert, dass das Land früh angefangen hat, die Belegungsdichte in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu reduzieren, aber wir sehen an der erheblichen Anzahl von Infektionen in der Landeserstaufnahme in Ellwangen, dass das hohe Infektionsrisiko weiterhin besteht, so lange Menschen in den Lagern leben müssen, wo sie zum Beispiel Badezimmer, Toiletten und Kantine mit vielen anderen teilen müssen. Außerdem nützt es dem Infektionsschutz nur wenig, wenn die Menschen nach dem Transfer aus der Erstaufnahme in großen Gemeinschaftsunterkünften landen, wo sie ebenfalls Räume und Sanitäranlagen mit vielen anderen teilen müssen, und wo teilweise Ausgangssperren für alle verhängt werden, sobald einzelne Bewohner*innen positiv getestet werden“, erklärt Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
Zudem ist der Flüchtlingsrat besorgt über die Berichte von in Ellwangen untergebrachten Geflüchteten, wonach ihnen keine Desinfektionsmittel oder Schutzmasken zur Verfügung stehen und der WLAN-Zugang abgeschaltet worden ist. „Wenn die Behörden durch Quarantänemaßnahmen den Menschen die Möglichkeit nehmen, sich selbst Desinfektionsmittel und Masken zu besorgen, dann stehen sie in der Verantwortung, diese Menschen entsprechend auszustatten. Ebenso gilt, dass flächendeckender WLAN-Zugang in Unterkünften kein Luxus, sondern absolute Notwendigkeit ist, gerade in diesen Zeiten“, betont Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
Notwendig ist aus Sicht des Flüchtlingsrats, dass die Geflüchteten in den jeweiligen Einrichtungen über die aktuellen Entwicklungen und Maßnahmen proaktiv informiert und in die Entscheidungen eingebunden werden. In Ellwangen berichten Geflüchtete davon, dass sie über die Einrichtung von Quarantänebereichen, über die Beschränkung des Zugangs zur Kantine und über Testergebnisse nicht informiert worden seien und dass die Lokalpresse über die aktuelle Situation in der Einrichtung besser informiert gewesen sei als die Menschen, die dort leben.
Trotz der aktuell vorherrschenden Rhetorik, wonach alle im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung an einem Strang ziehen, um die Pandemie um jeden Preis einzudämmen, erkennt der Flüchtlingsrat in den Äußerungen und dem Verhalten einiger Behörden eine Denkweise, die Geflüchtete aus diesem gedachten Kollektiv ausgrenzt. So stellt der Ostalbkreis in einer Pressemitteilung fest, die hohe Anzahl der Infektionen in der LEA Ellwangen habe die Richtigkeit der frühzeitigen Einführung von Ausgangs- und Kontaktsperren bestätigt – um die Bevölkerung zu schützen und Gesundheitsgefahren abzuwehren. „Diese Aussage verschweigt, dass das Festhalten am Lagersystem überhaupt erst die Voraussetzungen für die schnelle Ausbreitung des Virus unter den Bewohner*innen geschaffen hat. Wenn es wirklich darum gehen soll, die Verbreitung des Virus schnellstmöglich einzudämmen, dann muss die Massenunterbringung sofort beendet werden und es muss eine dezentrale Unterbringung zum Beispiel in leerstehenden Hotels erfolgen. Hier ist die Stadt Freiburg zumindest im kleinen Rahmen mit gutem Beispiel vorangegangen, indem sie 30 Personen aus der LEA in einer Jugendherberge untergebracht hat. Zudem müssen die Behörden die gedankliche Umstellung schaffen, Geflüchtete nicht als Gefahr für die Allgemeinheit zu sehen, die es mit Repression und Abschottung unter Kontrolle zu halten gilt, sondern als Teil der Bevölkerung, die in die gesamtgesellschaftliche Anstrengung zur Bewältigung dieser Krise einbezogen werden muss, und die dabei nicht weniger Rechte und nicht mehr Pflichten haben soll als der Rest der Bevölkerung“, so Bärbel Mauch, Zweite Vorsitzende des Flüchtlingsrats.