Eine oft genannte Behauptung ist, dass „300.000 vollziehbar ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber“ aus Deutschland ausreisen müssten. Dies stelle einen Beleg für „Asylmissbrauch“ und die die Effektivität von Abschiebungen dar. Diese pauschale Aussage hält einer tiefgehenden Betrachtung nicht Stand. Berlin hilft hat die Zahlen ausführlich analysiert, die wichtigsten Ergebnisse haben wir zusammengefasst.
Auf was bezieht sich die Zahl von 300.000 Personen?
Laut Plenarprotokoll des Bundestages 20/124 gab es Ende August 2023 261.925 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Die tatsächliche Zahl der ausreisepflichtigen Menschen ist also bereits niedriger als die angegebenen 300.000. Ausreisepflichtig sind Menschen, die keinen Aufenthaltstitel (mehr) haben.
Können alle diese 261.925 ausreisepflichtige Personen abgeschoben werden?
Nein, das ist nicht in allen Fällen möglich. Oft besteht ein Abschiebungshindernis, z.B. aufgrund einer Erkrankung oder wegen Passlosigkeit. In diesem Fall ist die Abschiebung dann vorübergehend ausgesetzt, solange das Abschiebungshindernis besteht. Die betroffenen Menschen haben dann Anspruch auf eine sog. Duldung. Von den 261.925 vollziehbar ausreisepflichtigen Personen Ende August hatten laut Plenarprotokoll des Bundestages 210.528 Menschen eine Duldung. Somit bleiben nur 51.397 Ausreisepflichtige übrig, bei denen eine Abschiebung überhaupt möglich gewesen wäre.
Haben alle der Personen, die man abschieben könnte, eine Ablehnung im Asylverfahren erhalten?
Nein. Berlin hilft verweist hier auf Zahlen von Ende Juni 2023 aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Partei Die Linke. Von insgesamt 279.098 ausreisepflichtigen Personen hatten zu diesem Stichtag nur 132.035 Personen, also knapp die Hälfte, einen abgelehnten Asylantrag. Davon waren nur 13.784 Personen ohne Duldung.
In die Betrachtung muss auch einbezogen werden, dass das Ausländerzentralregister (AZR) nicht durchgängig konsistente Daten liefert. So wird beispielsweise der Umstand, dass eine Person aus einem Asylverfahren kommt lebenslang gespeichert. Aus diesem Grund werden auch Personen als abgelehnte Asylbewerber*innen geführt, die mittlerweile aufgrund zwischenzeitlich erfolgter EU-Beitritte ihrer Herkunftsländer als EU-Bürger*innen in Deutschland leben.
Fazit: Statt von „300.000 ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerbern“ müsste man korrekterweise von „13.784 ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerbern ohne Duldung“ sprechen. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass Populist*innen Tatsachen verfälschen und Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gegenüber geflüchteten Menschen schüren.
- berlin-hilft, 02.10.2023: Fakten statt Parolen: “300.000 vollziehbar ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber” – Jahre alte oft widerlegte populistische Behauptung
- Bundestag, 27.09.2023: Plenarprotokoll Bundestag 20/124
- Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Bünger, Nicole Gohlke, Anke Domscheit-Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 20/8046), 18.08.2023: Abschiebungen und Ausreisen im ersten Halbjahr 2023
- Tagesschau, 28.09.2023: Warum sich Merz‘ Aussage nicht halten lässt
- Wissenschaftliche Dienste, 04.11.2020: Push- und Pull-Faktoren in der Migrationsforschung, WD 1 – 3000 – 027/20