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Mangel an Gerechtigkeit bei obligatorischer Anschlussversicherung für Menschen im AsylbLG

Schutzsuchende, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten und nach Ende einer Beschäftigung in die obligatorische Anschlussversicherung rutschen, kämpfen mit unzumutbar hohen Krankenkassenbeiträgen und gegen eine Ungleichbehandlung je nach Bundesland, die auch von den Sozialgerichten in Baden-Württemberg angefochten wird.

Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen, haben keinen Anspruch auf eine reguläre Krankenversicherung, sondern werden nur bei akuten Krankheiten oder Unfällen behandelt. Nach einem 36-monatigen Aufenthalt in Deutschland wechseln Betroffene den Leistungsbezug und erhalten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII). Damit einher geht die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Hat eine Person, die Leistungen nach dem AsylbLG erhält, eine Beschäftigung, welche sozialversicherungspflichtig ist, muss sich diese Person gesetzlich krankenversichern. Endet die Beschäftigung bereits vor Ablauf der 36 Monate, fällt die Person zurück in die Leistungen nach dem AsylbLG. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, die aufgrund der Beschäftigung eingegangen wurde, lässt sich nur unter Vorlage einer anderen (privaten) Krankenversicherung kündigen – die eingeschränkte gesundheitliche Versorgung nach dem AsylbLG ist dafür nicht ausreichend (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. März 2022, B 1 KR 30/20 R). Deswegen rutscht die ehemals beschäftigte Person, die nur noch Leistungen nach dem AsylbLG bezieht, in die obligatorische Anschlussversicherung (OAV). Die Kosten für die OAV sind im Vergleich zu den sehr geringen Leistungen nach dem AsylbLG besonders hoch und für Betroffene nur schwer bis gar nicht tragbar.

Unterschiedliche Regelungen je nach Bundesland

Das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg hat sich in einem Schreiben vom 26. August 2024 auf den Standpunkt gestellt, dass es für die Übernahme der Beiträge durch die Sozialämter keine Rechtsgrundlage gebe. Es handle sich um eine Gesetzeslücke, die auf Bundesebene geschlossen werden müsse. Kommunen in Baden-Württemberg, welche die OAV-Beiträge bisher übernommen hätten, würden für 2025 keine finanziellen Mittel mehr diesbezüglich erhalten. Dieses Vorgehen verteidigt die baden-württembergische Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges in einem Antwortschreiben vom 17. November 2025 erneut. Auswirkungen hat dies auf Tausende Menschen in Baden-Württemberg. Betroffene müssen ungefähr 250€ monatlich für die OAV zahlen – bei einer monatlichen Leistung von 460€ nach AsylbLG für alleinstehende Personen.

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfahlen erklärt in einem Erlass vom 7. August 2025, die Beiträge der OAV sollen für Personen im AsylbLG übernommen werden. Auch in Rheinland-Pfalz ordnete das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration an, die Übernahme der OAV-Beiträge muss durch die Sozialämter gewährt werden.

Gerichte in Baden-Württemberg geben Betroffenen recht

Das Sozialgericht Freiburg entschied nach der Klage eines Betroffenen, dass die Übernahme der Beiträge durch die Behörden gerechtfertigt ist. Die Rechtsgrundlage hierfür sei § 6 AsylbLG, nach dem „sonstige Leistungen“, die nicht in den AsylbLG-Grundleistungen vorgesehen sind, übernommen werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind. Dies sei bei den OAV-Beitragskosten der Fall, da diese sonst eine zu große finanzielle Belastung des Einkommens bedeuteten. Auch die Sozialgerichte Heilbronn (S 15 AY 1361/25 ER), Karlsruhe (S 12 AY 1381/25 ER) und Stuttgart (S 9 AY 300/25 ER) folgen dieser Begründung. Hinzu kommt der explizite Hinweis bei der Korrektur des AsylbLG im Jahr 2014, welcher besagt, dass Personen im AsylbLG, die zudem gesetzlich krankenversichert sind, einen Anspruch auf „eine ergänzende Bedarfsdeckung über den § 6“ haben.

Alle bisher veröffentlichten baden-württembergischen Gerichtsurteile bestätigen, dass die Beiträge der OAV von den Behörden übernommen werden müssen. Sogar das Landessozialgericht Baden-Württemberg gab in einer Entscheidung vom 4. August 2025 (L 7 AY 1344/25 ER-B) einer betroffenen Person recht. Trotz dieser Gerichtsurteile hält das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg an der Praxis fest, die Entscheidungen der Sozialgerichte seien Einzelfälle.

Geplante Gesetzesänderung auf Bundesebene

Die Bundesregierung will das Problem mittels einer gesetzlichen Änderung lösen. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass die OAV für Menschen mit Leistungen nach dem AsylbLG nicht mehr greift und diese stattdessen in die eingeschränkte gesundheitliche Versorgung zurückgestuft werden.

Der Flüchtlingsrat kritisiert die geplante Gesetzesänderung: Statt sich damit zu befassen, wie Betroffene ihren gesetzlichen Versicherungsschutz tatsächlich in Anspruch nehmen können, ohne sich hoch zu verschulden, sollen diese wieder unter das extrem einschränkende, menschenunwürdige und verwaltungsaufwendige System der eingeschränkten Gesundheitsversorgung nach dem AsylbLG fallen. Die Pressestelle des Ortenaukreises schätzt, dass eine Kostenübernahme der OAV-Beiträge durch die Behörden sogar weniger Aufwand für die Kommunen wäre als der Wechsel zurück in die Gesundheitsversorgung nach dem AsylbLG.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert rückwirkend und für die Zukunft eine Übernahme der Beitragskosten der obligatorischen Anschlussversicherungen für Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Eine Rückstufung in die eingeschränkte Notfallversorgung sollte nicht als Lösung des vorliegenden Problems betrachtet werden.