Wer sind wir?
Wir sind eine Gruppe, die sich aus ehemaligen afghanischen Mitarbeiterinnen deutscher Organisationen, afghanischen Aktivistinnen und Verfechterinnen von Frauenrechten zusammensetzt. Wir haben für verschiedene deutsche Institutionen und andere Organisationen gearbeitet, die mit der Umsetzung von Entwicklungsprojekten betraut waren; wir haben u. a. für Menschenrechtsorganisationen und Initiativen für Frauen- und Kinderrechte gearbeitet, Demokratisierungs- und Bildungsprojekte umgesetzt, die Einhaltung des Wahlgesetzes durch unsere Arbeit gesichert, ausländische Regierungstruppen unterstützt und uns aktiv an Maßnahmen gegen den Terror der Taliban beteiligt. Wir haben den Kampf gegen Armut fortgeführt und uns für Klimaschutz eingesetzt, damit es eine bessere Zukunft für alle Menschen gibt. Vor unserer Evakuierung waren wir im direkten Kontakt mit den Medien, Institutionen der Regierung und einflussreichen Menschen. Daher sind wir bekannte Personen in unserer Gesellschaft und der Nachbarschaft.
Warum wenden wir uns an Sie?
Wir haben unser Land nur aus Sicherheitsgründen verlassen – aus keinem anderen Grund. Wir haben im selben Haushalt wie unsere Familien gelebt und jegliche Sicherheitsrisiken, die unser Leben bedrohen könnten, bedrohen auch das ihre. Die Taliban nutzen jede Gelegenheit, um die Häuser unserer Angehörigen zu durchsuchen. Unsere Familienmitglieder werden geschlagen, beleidigt, erniedrigt und mit dem Tode bedroht. Darüber hinaus gab es in letzter Zeit Entführungen und mysteriöse Morde an Aktivist:innen, Journalist:innen, internationalen Angestellten und deren Familien durch unbekannte Personen. Die Lage in Afghanistan ist für Menschen, die sich bekanntermaßen gegen die Taliban eingesetzt haben, sowie für deren Angehörige katastrophal.
Die Tatsache, dass unsere engen Angehörigen noch in Afghanistan sind, schränkt auch uns selbst in unserem Recht auf freie Meinungsäußerung und in unserer menschenrechtsaktivistischen, feministischen und politischen Arbeit ein. Wir haben Angst, uns online oder in anderen Medien zu äußern, denn damit könnten wir unsere Familien in Afghanistan in höchste Gefahr bringen. Viele von uns sind vor diesem Hintergrund in einer schlechten mentalen und physischen Verfassung. Wir sind hervorragend ausgebildet und würden uns gern aktiv in die deutsche Gesellschaft einbringen – die Angst um unsere Angehörigen macht das vielen von uns aber unmöglich.
Nachdem die Taliban am 15. August 2021 an die Macht kamen, wurden wir ohne unsere Familien nach Deutschland evakuiert. Uns wurde mitgeteilt, dass nur die Kernfamilie, also Ehefrauen, Ehemänner und minderjährige Kinder, nach Deutschland evakuiert würden. Wir konnten jedoch beobachten, dass viele andere Ortskräfte, Menschenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen zusammen mit ihrer ganzen Familie inklusive ihren Eltern und teilweise sogar mit ihren verheirateten Söhnen und Töchtern nach Deutschland gebracht wurden.
Uns ist dieser Vorgang unverständlich. Die Definition von Kernfamilie ist zu eng, um die Menschen zu schützen, die durch unsere Verbindung zu ausländischen Organisationen in Gefahr sind. Das Leben unserer Eltern, unserer volljährigen Kinder und unserer Geschwister ist bedroht, auch wenn sie nicht unter die sog. „Kernfamilie“ fallen. Sie leben ununterbrochen in der begründeten Angst, dass die Taliban an ihnen Rache üben. Zugleich haben unsere Familienmitglieder durch unsere Ausreise auch ihre Versorgungssicherheit verloren, da wir in den meisten Fällen die Hauptverdienerinnen waren. Dass nun verschiedene Maßstäbe für unsere Angehörigen gelten als für die Familienmitglieder anderer als gefährdet eingestufter Personen, ist in keiner Weise nachvollziehbar. Aus welchem Grund durfte ein Teil der Ausreisenden Angehörige mitnehmen, die nicht zur Kernfamilie gehören, während uns das verwehrt blieb?
Was erwarten wir?
Während der letzten Monate, haben wir mit großem Interesse und großer Bewunderung das politische und zivilgesellschaftliche Engagement beobachtet, mit dem ukrainischen Geflüchteten geholfen wurde. Wir halten diese Haltung den Flüchtenden gegenüber für angemessen und richtig.
Doch wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, wo diese Unterstützung für unsere Familien in Afghanistan bleibt, die immer noch um ihr Leben fürchten und deren Situation sich in absehbarer Zeit noch verschlimmern wird: Beobachter:innen sind der Überzeugung, dass die Taliban die Ablenkung der internationalen Gemeinschaft durch den Krieg in der Ukraine nutzen werden, um weitere extreme Regelungen im Land einzuführen.
Wir erinnern uns genau an die Tage nach dem 15. August 2021, als die deutsche Regierung versprochen hat, alle Ortskräfte und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Es gab damals keine erkennbare Intention, die Familien zu trennen. Das Schicksal der Menschen in Afghanistan darf nicht vergessen werden. Deutschland muss seiner Verantwortung gerecht werden. Wir mussten unser Land, unsere Karrieren, unsere Familien und viele unserer Träume zurücklassen, weil wir mit den internationalen Truppen und Organisationen zusammen gearbeitet haben.
Unsere Forderung an die deutsche Regierung ist, dass Sie ihr Versprechen unsere Familien in Sicherheit zu bringen, einhalten. Für das kommende Bundesaufnahmeprogramm sollte die deutsche Regierung uns die Möglichkeit geben, unsere Familien auf die Liste der Personen setzen zu dürfen, die beschützt und nach Deutschland evakuiert werden.
Wir sind eine starke und große Gruppe ehemaliger Ortskräfte, und wir haben uns entschieden aufzustehen, unsere Stimmen für die Sicherheit unserer Familien zu erheben und unsere Forderung auf eine friedliche Art und Weise an politische Entscheidungsträger:innen, die Medien und weitere Organisationen heranzutragen, die unsere Rechte unterstützen wollen.
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Amena Rahemy, KFW banking group
BiBi Mariam Arween, FEFA
Anisa Rahman Niazy, WHH (Welthungerhilfe)
Zala Alami, TDH (Terre des Hommes) Germany
Hosnia Eftikhari, GIZ/GFA Consulting Group
Brishna Habibi, Save the Children International
Gulbibi Juya, GIZ role of law
im Namen der Gruppe der afghanischen Aktivistinnen und weiblichen Ortskräfte
Der Brief wurde ursprünglich auf der Website des Flüchtlingsrates Niedersachsen veröffentlicht.