Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, der Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer und die Medinetze Freiburg, Karlsruhe, Rhein-Neckar, Ulm und Tübingen fordern die sofortige Implementierung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK)
Über 10 Millionen Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine, über 300.000 sind bereits in Deutschland angekommen. Es sind historische Aufgaben, die jetzt bei der Hilfe für Schutzsuchende bewältigt werden müssen. Dabei gilt es, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und Menschen, die Traumatisches erlebten, möglichst schnell eine medizinische Versorgung zu ermöglichen. Bestehende Optionen, um die ohnehin überforderten Behörden zu entlasten, werden jedoch nicht hinreichend genutzt.
Geflüchtete unterliegen den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, das ihnen lediglich eingeschränkte medizinische Leistungen gewährt. Schutzsuchende müssen für jeden Ärzt*innenbesuch beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen bzw. bekommen pro Quartal meist nur einen Behandlungsschein pauschal ausgeteilt. Die derzeit am Rande ihrer Kapazitäten arbeitenden Behörden schaffen oftmals keine rasche Bearbeitung, weshalb häufig enorme Verzögerungen von notwendigen Behandlungen entstehen.
„Eine rasche Gesundheitsversorgung von Geflüchteten muss flächendeckend durch die Aushändigung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) sichergestellt werden. Die vielen ukrainischen Geflüchteten kann die Landesregierung zum Anlass nehmen, um die elektronische Gesundheitskarte endlich einzuführen“, fordert Maren Schulz vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Denn ukrainische Geflüchtete bekommen zwar zeitnah eine Aufenthaltserlaubnis, doch damit bleiben sie im Asylbewerberleistungsbezug und Behandlungsscheinsystem, im Gegensatz zu Geflüchteten mit einem Schutzstatus aus dem Asylverfahren. Auch die Ärzt*innenschaft unterstützt seit langem die Bemühungen zur Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete und hat dies mit Resolutionen im Land und beim Deutschen Ärztetag unterstrichen. „Durch eine Gesundheitskarte wird insbesondere der Zugang zu Therapien in Praxen und Kliniken im Land deutlich einfacher und verbessert so letztlich die medizinische Versorgung“, wie der Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer, Dr. Robin Maitra, ausführt.
Die Möglichkeit zur Einführung einer eGK besteht schon seit Jahren. In Baden-Württemberg ist die Einführung jedoch seit 2016 kein Thema mehr. Zwar hatte die grün-rote Landesregierung 2015 vor, die eGK flächendeckend einzuführen. Die 2016 neu gewählte grün-schwarze Regierung setzte dieses Vorhaben jedoch nie um. Begründet wurde die Entscheidung mit organisatorischen, datenschutzrechtlichen und technischen Hindernissen sowie gesunkenen Zugangszahlen.
Lara Linderich vom Meditz Ulm sieht eine Gefahr der Überlastung von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Unterstützer*innen sowie von Behörden, die ohnehin aufgrund von Covid-19 einen aktuell hohen Krankenstand aufweisen: „Die Aushändigung von Behandlungsscheinen an Geflüchtete wird für Kommunen zur Überforderung. Die Folgen unzureichender medizinischer Versorgung wären größeres Leid und letztlich höhere Behandlungskosten. Die eGK für Geflüchtete würde ihre Versorgung sicherstellen, die Behörden entlasten und sogar Kosten einsparen. Entsprechende Gutachten liegen längst vor.“
Notwendig für die Umsetzung ist eine Rahmenvereinbarung zwischen dem Land (oder den Landkreisen bzw. den kreisfreien Städten) und den Landesverbänden der Krankenkassen. 2015 legte die AOK Baden-Württemberg bereits einen Entwurf für eine Rahmenvereinbarung vor, der wegen fehlender bundesweiter Rahmenempfehlungen in Baden-Württemberg nicht umgesetzt wurde. Andere Bundesländer ließen sich allerdings von diesen fehlenden Empfehlungen nicht abhalten und so führten mindestens sechs Bundesländer die eGK landesweit ein. Es liegen gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass die Einführung der eGK für Empfänger*innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz administrative Prozesse erleichtert und Kosten eher reduziert. Erst jüngst hat die Mercator-Stiftung im Rahmen einer Studie zur Umsetzung des AsylbLG in den einzelnen Bundesländern die sehr unterschiedlichen Leistungsstandards in den Bundesländern kritisiert und eine bundesweite Vereinheitlichung der strukturellen Rahmenbedingungen der medizinischen Versorgung Asylsuchender gefordert.
Bislang hat die Landesregierung die Einführung einer eGK für Geflüchtete nicht wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Grundsätzlich empfehlenswert wäre eine landesweite Einführung der eGK mit Übernahme der Behandlungskosten auf Landesebene, um anfallende Verwaltungskosten und entstehende Gesundheitsausgaben über alle Kreise ausgleichen zu können. Zwar ändert auch die eGK nichts an der kritikwürdigen eingeschränkten Gesundheitsversorgung im Asylbewerberleistungsgesetz, aber sie würde zu einer erheblichen Entspannung aller Beteiligten im Versorgungskontext beitragen.