Pro Asyl: Schlimmer geht immer? Ampel-Regierung legt Gesetz zum Asyl- und Asylprozessrecht vor

Am 10. November 2022 wurde im Bundestag ein neues und noch wenig beachtetes Gesetz diskutiert. Vordergründig soll es Asylverfahren und Klageverfahren beschleunigen – tatsächlich wird es dazu führen, dass es Geflüchtete noch schwerer haben, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen. PRO ASYL fordert, das benachteiligende Sonderasylprozessrecht abzuschaffen.

In dem Gesetz (am 10. November nach Mitternacht auf der Tagesordnung im Bundestag) geht es um die Ausgestaltung der Asylverfahren und um die Regeln, die beachtet werden müssen, um gegen eine Ablehnung im Asylverfahren klagen zu können. Das Gesetz und der Regelungsinhalt sind komplex und betreffen den Kern des Asylrechts: die Verfahrensrechte, die garantieren sollen, dass verfolgte und bedrohte Menschen den Schutz bekommen, der ihnen rechtlich zusteht.

Dass die Schutzanerkennung oft erst gerichtlich erstritten werden muss, zeigt sich an der weiterhin hohen Erfolgsquote vor Gericht: im ersten Halbjahr 2022 wurde in 40% der Asylklageverfahren den Geflüchteten vor Gericht Recht gegeben und die negative Entscheidung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgehoben. Für PRO ASYL ist damit der erste logische Ansatzpunkt für eine Entlastung der Gerichte die Qualität der Asylverfahren beim BAMF zu verbessern. Denn weniger falsche Ablehnungen bedeuten auch weniger Klagen und weniger Arbeit für die Verwaltungsgerichte – und vor allem schnellere Gewissheit für die Betroffenen. Doch diesen Weg nimmt die Ampel-Regierung nicht.

Gesetzgebungsverfahren ohne notwendige Sorgfalt

Da es bei den Regeln im Gesetzentwurf letztlich auch um die Frage des Zugangs zu Schutz in Deutschland geht, müssten solche Regeln mit entsprechender Sorgfalt erarbeitet werden. Tatsächlich gibt es aber mal wieder im Asylbereich ein gesetzgeberisches Hauruck-Verfahren. Denn in der Regierung wurde dieser Gesetzesentwurf an den schon viel weitergehend verhandelten Gesetzesentwurf über die Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts gekoppelt. Einen sachlichen Zusammenhang gibt es dafür nicht, ganz offensichtlich dient dies nur der politischen Verhandlungsmasse.

Was an dem neuen Gesetzesvorschlag auch wieder deutlich wird: viele der restriktiven Vorschläge sind nicht neu (siehe hier den Referentenentwurf), sondern sie wurden vom Bundesinnenministerium auch schon unter Regie der Union gemacht. Das ist leicht zu erklären, werden die Gesetzesentwürfe doch weiterhin vom gleichen Personal geschrieben. Es entsteht zunehmend der Eindruck, dass im BMI nicht genug durchgegriffen wird, um ein »weiter so« im Stile Seehofers zu verhindern – oder, was noch fataler wäre, dass die Hausspitze genau dieses Vorgehen billigt und wünscht.

Bei diesem Gesetz handelt es sich um ein Paket mit über 30 Neuregelungen. Darunter sind mit der Einführung einer tatsächlich unabhängigen Asylverfahrensberatung und der Abschaffung der anlasslosen Widerrufsprüfung auch notwendige und von PRO ASYL schon lange geforderte Maßnahmen vorgesehen. Gerade letztere kann tatsächlich eine Beschleunigung bei den Asylverfahren bewirken, da bislang lahm gelegte Kapazitäten im BAMF wieder frei werden.

Folgend werden  die Reformen zusammengefasst, die aus Sicht von PRO ASYL die größten Einschränkungen der Rechte von  Geflüchtete mit sich bringen werden. PRO ASYL hat den zunächst vorliegenden Referentenentwurf des Bundesinnenministerium in einer Stellungnahme ausführlich kommentiert (zum aktuellen Gesetzesentwurf gibt es ein paar Änderungen).

Das Herzstück des Asylverfahrens: Die Anhörung

Im Asylverfahren wird vom BAMF geprüft, ob eine schutzsuchende Person in Deutschland Schutz bekommt. Um dies zu beurteilen, wird eine Anhörung durchgeführt, in der die geflüchtete Person von ihrer erlebten Verfolgung oder ihrer Situation im Herkunftsland erzählt. Die wenigsten Flüchtlinge haben Dokumente oder andere Beweise, die »ohne Wenn und Aber« ihre Verfolgung belegen. Stattdessen geht es meistens darum, ob ein Iraner glaubwürdig erklären kann, dass er zum Christentum konvertiert ist und damit im Iran nicht mehr sicher wäre oder ob einem türkischen Oppositionellen geglaubt wird, dass eine Verhaftung kurz bevorsteht.

Deswegen gilt die Anhörung auch als Herzstück des Asylverfahrens. In der Anhörung müssen die Betroffenen damit auch oft über belastende und schambehaftete Erlebnisse reden, zum Beispiel, wenn sie vergewaltigt wurden. Und das gegenüber Personen – dem/der Anhörer*in des BAMFs und einer Person, die übersetzt – die sie noch nie vorher gesehen haben. Alles was nicht direkt in der Anhörung erzählt wird, kann nur schwer später noch ins Asylverfahren eingebracht werden oder kann sogar dazu führen, dass die Person wegen »gesteigertem Vortrag« als unglaubwürdig gilt und der Asylantrag abgelehnt wird.

Entsprechend wichtig ist es, das während der Anhörung eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen allen an der Anhörung beteiligten Personen besteht. Mit dem neuen Gesetzesentwurf würde die Ampel-Regierung aber diese so wichtige Anhörung für die Betroffenen verschlechtern.

Vertrauensaufbau in einer Videokonferenz? Unwahrscheinlich!

So ist geplant, Anhörungen künftig mittels unpersönlicher Videokonferenzen durchzuführen. Entweder wird der/die Sprachmittler*in online zugeschaltet oder sogar die ganze Anhörung wird online abgehalten. Dabei würden viele Menschen aus eigener Erfahrung mit Zoom-Konferenzen bestätigen: wenig ist so ungeeignet dafür, eine vertrauensvolle und angenehme Atmosphäre zu schaffen, wie eine Videokonferenz. Direkter Augenkontakt ist unmöglich, wenn die Internetverbindung instabil ist, ebenso leidet die Gesprächsqualität, wenn das Mikrofon nicht einwandfrei funktioniert. Auch für die anhörende Person hat eine Videokonferenz Nachteile, denn nonverbale Ausdrucksformen wie etwa Mimik sowie Körperhaltung und ‑reaktionen wie etwa Schwitzen und Zittern können so kaum wahrgenommen werden – sie können aber wichtig sein, um die Glaubwürdigkeit des Vortrags zu beurteilen.

Zwar sieht der Gesetzestext vor, dass nur ausnahmsweise und nur für »geeignete Fälle« eine solche Videoanhörung möglich sein soll. Doch wer genau auf jeden Fall eine persönliche Anhörung kriegen muss, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige, Menschen, die geschlechtsspezifische Verfolgung oder Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung geltend machen, steht eben nicht im Gesetzestext, sondern wird nur in der Gesetzesbegründung genannt. Die Gefahr bleibt, dass Menschen bei zu großer Verunsicherung ihre Erlebnisse gar nicht mehr vortragen und sie so auch nicht als »besonders vulnerabel« erkannt werden.

PRO ASYL lehnt sowohl die Hinzuziehung von Dolmetscher*innen als auch vor allem die Durchführung der gesamten Anhörung mittels Videotechnik generell ab.

Die ökonomischen und administrativen Argumente, die im Gesetzesentwurf für die Einführung der Anhörung mittels Videotechnik genannt werden, sind zudem nicht überzeugend. Da es überall im Bundesgebiet bereits Außenstellen des Bundesamtes gibt, besteht für die Durchführung der Anhörung mittels Bild- und Tonübertragung kein echtes Bedürfnis. Bezüglich des Arguments der flexibleren Nutzung von Dolmetscher*innen-Kapazitäten ist zu befürchten, dass die Schaffung der Möglichkeit der Hinzuziehung von Sprachmittler*innen mittels Videotechnik lediglich der Einsparung von für unmittelbare Anhörungen erforderlichen Dolmetscher*innen führt.

Tatsächlich können solche Verschlechterungen der Qualität der Anhörungen letztlich zu einer Verzögerung der Asylverfahren führen – wenn nämlich die Betroffenen erst später im Verfahren mit dem tatsächlich Erlebten herausrücken und dies dann neu geprüft werden muss.

Ein Absehen von der Anhörung ist gefährlich!

Weiter ist vorgesehen, dass das Bundesamt künftig auf die Anhörung verzichten können soll, wenn es der Auffassung ist, dass Geflüchtete nicht zu einer Anhörung in der Lage sind. Hierbei soll das Bundesamt nicht etwa medizinisch oder psychiatrisch geschultes Personal zu Rate ziehen müssen. Die ungeschulten Mitarbeiter*innen sollen sich vielmehr in der Regel auf ihre eigene Einschätzung verlassen dürfen und sollen nur für nicht näher bestimmte Zweifelsfälle medizinisches Personal zu Rate ziehen.

Aufgrund der zentralen Bedeutung der Anhörung im Asylverfahren kann es für die betroffene Person aber erhebliche Nachteile haben, nicht angehört zu werden. Im schlimmsten Fall kriegt sie nicht den ihr zustehenden Schutzstatus und könnte zu einem späteren Zeitpunkt abgeschoben werden. Im Gesetzesentwurf selbst wird davon ausgegangen, dass nur 0,5% der Erstanhörungen betroffen wären. Da das BAMF aber auch schon so nach Aktenlage entscheiden kann, wenn es eine Verfolgungssituation als gegeben sieht, ist dies ausreichend, um mit entsprechenden Fällen umzugehen.

Asylsuchenden wird es besonders schwer gemacht, zu klagen

Immer wieder müssen Schutzbedürftige ihr Recht vor Gericht einklagen, weil das BAMF ihren Asylantrag fälschlicherweise im Asylverfahren abgelehnt hat. Im ersten Halbjahr 2022 haben 40% der Asylsuchenden, die gegen ihre Ablehnung geklagt haben, vor Gericht Recht bekommen. Erst das Gerichtsverfahren hat sie also vor einer Abschiebung in ihr Herkunftsland, in dem ihr Leben vielleicht bedroht ist oder sie verhaftet werden würden, gerettet. Bis zum positiven Urteil werden ihnen Rechte vorenthalten, die mit einem (höheren) Schutzstatus einhergehen, wie zum Beispiel das Recht auf Familiennachzug. Das Asylprozessrecht ist also elementar um sicherzustellen, dass Verfolgte Schutz erhalten. Doch schon jetzt sind Asylsuchende in Deutschland massiv benachteiligt wenn es darum geht, ihre Rechte einzuklagen.

Das Asylrecht ist eine Form des Verwaltungsrechts, das generell die Beziehung zwischen dem Staat und den in Deutschland lebenden Menschen regelt. Doch im Vergleich zum normalen Verwaltungsprozessrecht gibt es für Klagen im Asylrecht ein Sonderprozessrecht, mit dem die Verfahrensrechte von Kläger*innen eingeschränkt werden. Konkret heißt das, dass jemand, der gegen eine Halteverbotszone vor seinem Haus klagt, vor Gericht besser gestellt ist als jemand, der sich gegen seine Abschiebung nach Afghanistan wehren will.

Volle Verfahrensrechte statt eingeschränktes Sonderprozessrecht notwendig!

So gibt es beispielsweise nur im Bereich des Asylrechts für Verwaltungsgerichte keine Möglichkeit, eine Berufung zuzulassen. Mit der Berufung kann man sich gegen ein negatives Urteil der ersten Instanz, also dem Verwaltungsgericht, wehren. Nur die Oberverwaltungsgerichte sind hierzu befugt – und auch dies nur im Rahmen von ebenfalls nur für das Asylrecht eingeschränkten Berufungszulassungsgründen. Es ist also deutlich schwerer für Schutzsuchende, gegen ein erstes falsches Urteil vorzugehen.

Darüber hinaus beträgt die Klagefrist nach dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht einen Monat, in Asylsachen hingegen nur eine oder zwei Wochen. So müssen sich Menschen, die unter Umständen erst sehr kurz in Deutschland leben und über keine oder wenige Deutschkenntnisse verfügen, in sehr kurzer Zeit um einen Rechtsbeistand kümmern. Darüber hinaus fehlt gegebenenfalls auch das Wissen über die Möglichkeit eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt einschalten zu können. Manchmal ist die kurze Klagefrist dann bereits schon abgelaufen und die Beauftragung eines Anwalts/einer Anwältin zu spät. Zwar gibt es in den erstinstanzlichen Verfahren keine Anwält*innenpflicht und es können Klagen mit Unterstützung der Mitarbeitenden der Rechtsantragstellen der Verwaltungsgerichte eingereicht werden, dennoch wünschen sich viele geflüchtete Menschen unmittelbar einen Rechtsbeistand auf Grund der komplexen Gesetze und Sachverhalte. Auch müssen bei Dublin-Verfahren die Eilanträge und Klagen direkt begründet werden.

Diese strukturelle Benachteiligung von Asylsuchenden in Deutschland muss endlich ein Ende haben! PRO ASYL unterstützt durch den Rechtshilfefonds jedes Jahr Hunderte Schutzsuchende in ihren Gerichtsverfahren. PRO ASYL und die Anwaltschaft machen sich seit langem dafür stark, dieses Sonderprozessrecht aufzuheben und so auch im Bereich des Asylrechts dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht uneingeschränkt Geltung zu verschaffen Doch anstatt Sonderprozessrechte zu beseitigen, sieht der Gesetzesentwurf der Ampel-Regierung weitere Verschärfungen des Asylprozessrechts vor.

Problematisch: Schriftliches Gerichtsverfahren als Regelfall bei anwaltlicher Vertretung 

Bei Klagen gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz ist vorgesehen, dass die Gerichte in eigenem Ermessen entscheiden können, ob bei anwaltlich vertretenen Kläger*innen eine mündliche Verhandlung stattfindet. Auf Antrag einer beteiligten Partei muss mündlich verhandelt werden, worauf die Beteiligten vom Gericht hinzuweisen sind. Dies soll laut der Gesetzesbegründung der Verfahrenserleichterung und ‑beschleunigung dienen.

Erneut soll so ein vom allgemeinen Verwaltungsprozessrecht abweichendes Sonderprozessrecht geschaffen werden. Denn normalerweise gilt, dass regelmäßig auf Grund mündlicher Verhandlung zu entscheiden ist und das Gericht nur ausnahmsweise nach vorheriger Einholung des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann.

Die Verwaltungsgerichtsordnung geht aus guten Gründen von dem Grundsatz der Mündlichkeit und dem damit verbundenen Grundsatz der Unmittelbarkeit aus. Die Mitglieder von Verwaltungsgerichten sollen im Klageverfahren im Regelfall auf der Grundlage ihres unmittelbaren und persönlichen Eindrucks entscheiden. Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück des Gerichtsprozesses und wird von Seiten des Bundesverwaltungsgerichts als  »Rechtswert in sich« bezeichnet. Sie ist deshalb von so zentraler Bedeutung, weil sie einen Diskurs zwischen den Beteiligten ermöglicht und so richtige gerichtliche Entscheidungen fördert. Sie dient dem Vertrauen in die Gerichte sowie in gerichtliche Entscheidungen und einem fairen Verfahren.

Wie schon beim Asylverfahren erklärt wurde: gerade bei der Frage der Glaubhaftigkeit einer vorgetragenen Verfolgungsgeschichte ist der persönliche Eindruck der schutzsuchenden Person zentral – das ist vor Gericht nicht anders als beim BAMF. Oft müssen Geflüchtete die Richter*innen überzeugen, dass der Vorwurf des BAMF falsch ist, ihre Geschichte sei »konstruiert« oder unglaubhaft, weil sie erst später im Verfahren bestimmte – vielleicht schambehaftete Details – preisgegeben haben. Das gilt im Übrigen auch für Fälle, wo es um Abschiebungen in andere EU-Länder geht. Hier müssen die Betroffenen darlegen, warum sie zum Beispiel nicht nach Griechenland oder Italien zurück können und wie ihre Lebenssituation vor Ort konkret war. Diese Schilderungen waren immer wieder entscheidend dafür, dass Richter*innen angeordnet haben, dass eine Person in Deutschland bleiben und hier ihr Asylverfahren durchlaufen darf.

Bundesverwaltungsgericht als Tatsacheninstanz ist eine schlechte Idee

Der Gesetzesentwurf sieht zudem vor, dem Bundesverwaltungsgericht in Asylverfahren eine neue Rolle zuzuweisen: die einer Tatsacheninstanz. Das Bundesverwaltungsgericht sitzt in Leipzig und ist einer der fünf obersten Gerichtshöfe in Deutschland. Wie der Name schon verrät, ist es das höchste Gericht für verwaltungsrechtliche Fragen. Nach einer Berufung beim Oberverwaltungsgericht kann man noch versuchen, mit einer Revision die rechtliche Bewertung des Falls beim Bundesverwaltungsgericht zu klären. Kürzlich hat das Bundesverwaltungsgericht zum Beispiel entschieden, dass es Eritreer*innen nicht zumutbar ist, eine Reueerklärung zu unterschreiben, um einen Pass zu beschaffen. Es ging hier nicht mehr um die Tatsachen des Falls, die wurden vorher ermittelt, sondern nur um die rechtliche Würdigung. Das Besondere an einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem, dass alle Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in Deutschland sich an diese rechtliche Auslegung halten müssen.

Die Überlegung die dahinter steht, das Bundesverwaltungsgericht zu einer Tatsacheninstanz zu machen, die also Entscheidungen nicht nur über eine rechtliche Frage, sondern auch über die Lage in einem Herkunftsland vornimmt, hat mit der zum Teil sehr unterschiedlichen Rechtsprechung von Gerichten zu tun. Das ist natürlich oft eine frustrierende Situation, denn die Erfolgschancen im Gerichtsverfahren sollten nichts mit dem zuständigen Gericht zu tun haben sondern einzig und allein mit den tatsächlichen Umständen des Falls. Dennoch ist für eine solche Vereinheitlichung der Rechtsprechung das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) als Tatsacheninstanz keine gute Idee und würde die Rechtsschutzmöglichkeiten für Asylsuchende weiter verkürzen. Der Vorschlag wird auch von Wissenschaftlern und juristischen Verbänden wie dem RAV kritisiert.

Pauschale und veraltete Einschätzungen zu Herkunftsländern nützen nichts

Zum einen verkennt dieser Vorschlag, dass bei der Prüfung asylrechtlicher Schutzgewährung der Blick auf die besondere Situation jedes individuellen Einzelfalles unerlässlich ist. Entweder wäre die Entscheidung des BVerwG so einzelfallbezogen, dass sich nur wenig Erkenntnisse für etwas anders gelagerte Fälle daraus ziehen lassen würden oder so pauschal, dass auch wiederrum nur wenig Erkenntnisgewinn für die Beurteilung eines anderen Falls besteht.

Zum anderen wird mit der Vorstellung derartiger Leitentscheidungen die von Seiten des Bundesverfassungsgerichts betonte Pflicht zur Beachtung der tagesaktuellen Tatsachenlage in den Herkunftsländern missachtet. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte könnten sich an Entscheidungen des BVerwGs ohne weitere eigene Sachaufklärung gebunden sehen, obwohl sich die Lage zwischenzeitlich längst wieder maßgeblich verändert hat.

Es ist vorprogrammiert, dass es – auch unter den Verwaltungsgerichten – fortwährend zu Streit über die Bindungswirkung jeder einzelnen Entscheidung des BVerwGs über Tatsachenfragen kommen wird und so das BVerwG immer wieder aufs Neue zur Klärung angerufen werden muss. Der Vorschlag wird also nicht zu einer Entlastung, sondern im Gegenteil zu einer weiteren Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und gerade auch des BVerwGs führen. Auch ist in jenen Phasen, in denen Leitentscheidungen des BVerwGs erwartet werden, mit »Entscheidungsstaus« bei den unteren Instanzen und beim BAMF zu rechnen. Denn schon jetzt dauert es durchschnittlich fast ein Jahr, bis das BVerwG in Revisionsverfahren entscheidet. Damit dürften sich dann generell die Gerichtsverfahren eher verlängern als, wie vom Gesetzesentwurf generell angestrebt, verkürzen.

Absurd mutet an dem Vorschlag außerdem an, dass das BVerwG zwar zur höchsten Tatsacheninstanz gemacht werden soll, ihm aber zugleich die Möglichkeit weiterer Tatsachenermittlung oder Sachaufklärung abweichend vom normalerweise geltenden Untersuchungsgrundsatz verwehrt werden soll. Damit wären die Richter*innen des BVerwG daran gebunden, welche – möglicherweise schon veralteten Erkenntnisse – zuvor von den Richter*innen am Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht zusammengestellt wurden. Dabei sind die Entwicklungen in Herkunftsländern oft schnelllebig, man denke nur an die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 oder an die jüngsten Entwicklungen durch die Proteste und der gewaltsamen Unterdrückung im Iran. Entsprechend gibt es eigentlich eine Pflicht der Gerichte zur tagesaktuellen Beachtung der Lage in den Herkunftsländern – wenn ausgerechnet das BVerwG daran nicht gebunden ist, wäre das absurd. Eine solche Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes ist auch als verfassungswidrig zu werten, denn der Untersuchungsgrundsatz folgt aus dem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG.

Grundsätzliches Misstrauen gegen Asylrechtsanwält*innen im Gesetzesentwurf sichtbar

Dem Gesetzentwurf scheint ein generelles Misstrauen gegen Asylrechtsanwält*innen zugrunde zu liegen. Dies wird besonders an einer vorgeschlagenen Sonderregelung für Befangenheitsanträge deutlich. Durch einen Befangenheitsantrag soll meist verhindert werden, dass ein*e Richter*in über ein Verfahren entscheidet, dem er*sie gegenüber nicht neutral – sondern negativ – gegenüber steht. Bekannt sind solche Anträge besonders aus dem Strafrecht, wenn zum Beispiel ein*e Richter*in vor Urteilsspruch Vermutungen über die Schuld eines Angeklagten geäußert hat. Tatsächlich sind solche Befangenheitsanträge im Asylrecht der Erfahrung von PRO ASYL nach äußerst selten. Umso überraschender ist es, dass von der Ampel-Regierung eine Sonderregelung für notwendig erachtet wird.

Im Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums stand zur Begründung ursprünglich, dass so »der Verzögerungseffekt rechtsmissbräuchlich gestellter Befangenheitsanträge beseitigt« werden würde. Derartige Anträge würden angeblich »lediglich mit dem Ziel gestellt werden, Zeit zu gewinnen und eine Aufenthaltsverfestigung zu erreichen«. Das erinnert an Aussagen von CSU-Politikern, die Asylrechtsanwält*innen als »Anti-Abschiebungsindustrie« verunglimpfen wollten. Auch wenn die Gesetzesbegründung leicht geändert wurde, so schwingt doch das gleiche Misstrauen mit.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass bei Befangenheitsanträgen als befangen abgelehnte  Richter*innen an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können sollen, wenn der Antrag innerhalb von drei Werktagen vor oder während der mündlichen Verhandlung gestellt wurde und die Entscheidung über die Ablehnung eine Verlegung des Termins oder Vertagung der Verhandlung erfordern würde. Wird dem Befangenheitsantrag stattgegeben, muss der zeitlich nach Anbringung des Antrags liegende Teil der Verhandlung wiederholt werden.

Tatsächlich sind es im Gegenteil oft die Anwält*innen, die auf eine schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und der diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen drängen. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Befangenheitsanträge in aller Regel dann auch aus guten Gründen gestellt werden. In Erinnerung bleibt beispielsweise der Fall eines Verwaltungsrichters aus Gießen, der in einem Verfahren zu einem NPD-Plakat die Aussage »Migration tötet« als Tatsache bewertet hatte. Um die Entscheidung dieses Richters in einem Asylverfahren zu verhindern, musste der Anwalt bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen – wo er Recht bekam. In Bezug auf die Kurzfristigkeit von Befangenheitsanträgen ist auch zu bedenken, dass den Prozessbeteiligten häufig bis kurz vor der mündlichen Verhandlung nicht bekannt ist, welche*r Richter*in die Verhandlung leiten wird.

Den Menschen darf kein ungewünschtes Klageverfahren aufgedrückt werden!

Im Asylverfahren gibt es drei unterschiedliche Gründe, warum ein Asylantrag abgelehnt werden kann. Die Ablehnung als »unzulässig«,  die Ablehnung als »unbegründet« oder die Ablehnung als »offensichtlich unbegründet«. Ein Asylantrag ist zum Beispiel unzulässig, wenn nicht Deutschland sondern ein anderer EU-Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Es geht dann also nicht um die Fluchtgründe, sondern einzig um eine formelle Frage der Zuständigkeit. Auch gegen Unzulässigkeitsentscheidungen wird häufig geklagt, denn in Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Griechenland oder Italien sind die Zustände für Asylsuchende so miserabel, dass die meisten dorthin nicht zurückwollen und ‑sollten. Es kann vorkommen, dass während des Klageverfahrens das BAMF ein Einsehen hat und die Unzulässigkeitsentscheidung aufhebt und eine inhaltliche Entscheidung über das Asylverfahren trifft.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass, wenn dies der Fall ist, eine etwaige Ablehnung als »unbegründet« automatisch Gegenstand des schon laufenden Gerichtsverfahrens wird. Doch das macht nicht in allen Fällen Sinn, wenn zum Beispiel eine Klage gegen die inhaltliche Ablehnung nicht vielversprechend ist. Mit der geplanten Gesetzesänderung wird den Kläger*innen unter Umständen ein gar nicht gewünschtes Klageverfahren über die Begründetheit ihres Asylantrags aufgedrängt.

Dabei gibt es schon jetzt die Möglichkeit, mit dem Einverständnis der Beteiligten oder wenn das Gericht die Änderung für sachdienlich erklärt, den Klagegegenstand des Verfahrens zu ändern. Eine Sonderreglung ist also nicht notwendig und wird auch nicht durch die Möglichkeit ausgeglichen, zumindest die Kosten des Verfahrens durch »unverzügliche Rücknahme« nicht den Kläger*innen anzulasten. Stattdessen ist zu befürchten, dass es zu übereilten und unüberlegten Klagerücknahmen kommt, weil verständlicherweise die Kosten gescheut werden. In der bisherigen Situation besteht demgegenüber regelmäßig eine Klage- und damit Bedenkfrist von zwei Wochen.