#StimmenAusKabul

Hilferufe der Verzweiflung aus Afghanistan

Innerhalben weniger Wochen ist die Situation in Afghanistan weitgehend aus den Nachrichten verschwunden. Während die Taliban weiter ihre Macht ausbauen, sind seit dem Abzug der NATO Truppen, ausländischer Diplomat*innen und Journalist*innen die Menschen vor Ort den Taliban ausgeliefert. Menschen die das Land verlassen wollen, sind darauf angewiesen, in Nachbarstaaten wie beispielsweise in den Iran zu fliehen. Doch diese Flucht ist oft lebensgefährlich, die Grenzen werden für viele verschlossen und in den Nachbarstaaten sind afghanische Geflüchtete oftmals massiver Ausbeutung und Willkür ausgesetzt. Um (legal) nach Europa reisen zu können, müssen Afghan*innen in den Nachbarstaaten europäische Vertretungen aufsuchen und dort ihre Schutzbedürftigkeit vorweisen. Es ist also faktisch kaum machbar.

Nach 20 Jahren Besetzung und Krieg ist Afghanistan ein zerstörtes Land. Während die Bundeswehr schon den nächsten Zapfenstreich plant, sind es die Menschen in Afghanistan die unter der jahrzehntelangen Besatzung und jetzt den Taliban leiden.

Auch wenn das mediale Interesse nachgelassen hat, erreichen uns seit Wochen viele, viele Mails und Anrufe von Menschen die uns ihr oder das Schicksal ihrer Familien und Bekannten mitteilen und um Hilfe bitten. Gerade weil seit Wochen das Schicksal der Menschen ignoriert wird und Europa sich weiter abschottet, wollen wir zumindest den Menschen die sich an uns wenden eine Stimme geben und ihre ganz persönlichen Schicksale bekannt machen.

Originale, anonymisierte Anfragen, die wir bekommen haben:

„Meine Geschwister sind in Afghanistan in Gefahr

sie brauchen Hilfe bitte helfen Sie

Freiheit, das ist ein Fremdwort für die Menschen dort. (…) Ich lebe heute in einem der sichersten Länder der Welt. (Deutschland) Dafür bin ich auch sehr dankbar. 

Aber trotz dieser Sicherheit, lebe ich und meine Familie in totaler Angst. Angst davor meine Kinder in Afghanistan umzubringen.

Ja, meine 3 Kinder  sind noch mit ihren Familien in Afghanistan. 

Alle drei waren aktiv und haben gearbeitet und waren eine Bereicherung für die Menschen in Afghanistan.

Die haben ihr Hab und Gut in Bildung investiert, doch heute wird ihr Wissen zu ihrem Feind.

Seit Tagen befinden sich meine Kinder und ihre Kinder in der schlimmsten Zeit ihres Lebens. Sie stehen kurz vor ihrem Tod.

Die waren in Kunduz und jetzt sind sie in Kabul und können weder raus noch zurück.

Als die deutsche Bundeswehr in Afghanistan war, hatten die deutschen Soldaten in Kunduz einen sehr engen Kontakt zu unserer Familie.

Und auch  das ist der Grund, warum sich heute meine Kinder vor den Taliban verstecken müssen.

Wir bitten Sie darum, dass Sie meine Kinder in Sicherheit bringen, damit sie nicht sterben.

Diese Zeilen hier, schreib ich Ihnen aus Hilflosigkeit,  Verzweiflung, weinenden Augen, gebrochenem Herz und mit meiner letzten Hoffnung.

Der unendliche Krieg in Afghanistan hat uns geographisch getrennt.

Sie werden uns ein Leben Schenken und andere Leben retten, wenn Sie meinen Kindern das Leben retten.“ 


„Sie finden sie und ihre Familie und ich weiß, dass sie ihre drei Kinder töten werden.“

„Derzeit arbeitet Asal* seit mehr als vier Jahren mit WOW (women for afghan women) zusammen. Die Taliban haben das ganze Land unter ihre Kontrolle gebracht, das Leben und das Leben aller ihrer Familienmitglieder sind in Gefahr, weil sie für eine Frauenrechtsorganisation arbeitet.

Eine der Aktivitäten ihres Büros bestand darin, Frauen zu betreuen und zu schützen, die gewalttätig wurden, und sie hat mehrere Fälle von Frauen, die von ihren Männern schwerer Gewalt ausgesetzt waren, persönlich zum Women’s Advocacy Center, Follow-ups gebracht und ihre Verwaltungsarbeit abgeschlossen, um lassen sich scheiden und bestrafen ihren Ehemann.

Deshalb machen ihre Ehemänner sie für den Verlust ihrer Frauen und andere Unglücke verantwortlich. Diese Leute beschwerten sich beim Taliban-Gericht über Asal. Die Taliban betraten die Einrichtung, in der sie arbeitete, und sammelten alle Informationen über ihre Identität.

Sie haben sogar ein Bild von Asal dabei. Sie hat mehrere Drohungen und telefonische Warnungen von den Taliban und diesen Leuten erhalten. Sie griffen sogar ihr Haus in Kunduz an und griffen es an und plünderten ihr gesamtes Eigentum. Die Taliban gingen sogar zum Haus unserer Verwandten und nahmen sie mit. Asal kann also nicht in diesem Land bleiben und derzeit gibt es selbst in Kabul keinen sicheren Ort für sie. Sie finden sie und ihre Familie und ich weiß, dass sie ihre drei Kinder töten werden.“

*Name geändert


Mein Vater wurde trotz seines hohen Alters sehr geschlagen und verletzt von der Taliban Polizei.“

„Meine Familie lebt in Herat in Afghanistan. Ich habe jetzt erfahren, dass es meiner Familie sehr  schlecht geht, sie werden schwerst Bedroht und mein Vater wurde trotz seines hohen Alters sehr  geschlagen und verletzt von der Taliban Polizei. Dieser Übergriff war am Tag und ganz öffentlich.  Meine 2 Schwestern (12 Jahre und 9 Jahre alt) sind noch minderjährig und durften die Schule  besuchen. Das ist für diese Gegend nicht selbstverständlich Ich mache mir große Sorgen, was mit  ihnen und meinem 16 Jahre alten Bruder geschieht, wenn die Taliban sie zuhause aufsuchen. Alle  können das Haus nicht mehr verlassen, weil der Volksstamm Hassara besonders auffällig ist  ( Optisch Erkennbar), nur mein Vater ging zur Arbeit. Das kann er jetzt auch nicht mehr. ?  Es ist mir schon bewußt, dass Sie diese Tage viele solche Nachrichten erhalten. Aber nicht doch  noch ein bißchen Hoffnung zu haben, heißt den Glauben zu verlieren und jeder einzelne Fall ist ein  persönliches Schicksal.  

Ich bitte Sie dringend mir zu helfen“


Dies sind nur wenige Beispiele für die Zuschriften, die uns seit fast zwei Monaten mehrmals am Tag erreichen. Hinter jedem Politikum, hinter jedem Krieg und jeder Abschottung stehen Schicksale und ganze Existenzen von Menschen und ihren Geschichten. Pro Asyl hat ebenfalls beispielhafte einige #StimmenAusKabul veröffentlicht. Im Gespräch mit der Kontext-Wochenzeitung hat Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg davon berichtet, wie es ist, täglich mit diesen Anfragen verzweifelter Menschen zu tun zu haben. Leider müssen wir diesen Menschen in der Regel sagen, dass es keine realistische Chance gibt, sie in Sicherheit zu bringen. Denn die Bundesregierung und alle anderen westlichen Staaten haben ihre Evakuierungsflüge beendet. Bundesinnenminister Seehofer hat sein Veto gegen das von Thüringen geplante Landesaufnahmeprogramm für Afghan*innen eingelegt. Wenigstens hat die Thüringische Landesregierung es versucht – das ist mehr, als man für unsere Landesregierung in Baden-Württemberg sagen kann.

Diese politische Blockade kann nur durch Druck aus der Bevölkerung aufgebrochen werden. Der neu zu bildenden Bundesregierung muss klar werden, wie viele Menschen in diesem Land von ihr erwarten, alles dafür zu tun um gefährdete Menschen aus Afghanistan in Sicherheit zu bringen – und dass die Hauptsorge eben nicht – wie etwa der gescheiterte Kanzlerkandidat Armin Laschet behauptete – darin besteht, dass sich „2015 sich nicht wiederholen“ dürfe. Deshalb ruft der Flüchtlingsrat für Samstag, den 2. Oktober gemeinsam mit der afghanischen Community, dem AK Asyl und dem Offenen Treffen gegen Krieg und Militarisierung zu einer Kundgebung um 14 Uhr auf dem Marienplatz in Stuttgart auf. Eine zahlreiche Beteiligung wäre ein starkes Signal der Solidarität an die afghanische Community und auch ein deutliches Zeichen in Richtung der politisch Verantwortlichen, dass entschlossenes Handeln zu Gunsten der gefährdeten Afghan*innen längst überfällig ist!