Die Anlaufstelle / Netzwerk Pro Sinti und Roma (ANPSR) berichtet in einer Stellungnahme von ihren Erfahrungen bei der Unterstützung geflüchteter Rom*nija aus der Ukraine. Wir dokumentieren die Stellungnahme im Wortlaut:
Durch den Krieg in der Ukraine seit Februar 2022 kommen Rom*nja aus der Ukraine mit, aber auch ohne ukrainische Staatsbürgerschaft als Geflüchtete nach Deutschland. Vielen ukrainischen Rom*nja war es durch eine jahrhundertealte diskriminierende Praxis in der Ukraine, aber auch in anderen europäischen Ländern, kaum möglich an gleichwertige Ausweis-Papiere zu kommen wie anderen Bürger*innen der entsprechenden Länder, in denen sie leben.
Nach Einschätzung der ANPSR sind ca. 3000 – 4000 Rom*nja in Baden – Württemberg angekommen. Die Zahl der geflüchteten Rom*nja endet hier nicht, sondern wird sich zukünftig womöglich noch verdoppeln, denn die Lage der Rom*nja in der Ukraine ist schon seit langem besonders prekär. Dort sind sie von erheblicher Diskriminierung betroffen, in 2018 gab es mehrere rechtsradikale Angriffe auf Rom*nja mit Todesopfern.
Auch in Deutschland ankommende Rom*nja erleben häufig rassistische Gewalt durch Polizei, Sicherheitskräfte, Behörden, Dolmetschende und Helfende, die ihnen vielfach Übernachtungsmöglichkeiten, frische Kleidung, sogar Essen oder Hygieneprodukte verweigern. Dies unter anderem mit der Begründung, sie seien seit Tagen oder schon öfter da gewesen, würden betrügen, wären gar keine Kriegsgeflüchtete, obwohl die Betreffenden nachweislich gerade erst mit dem Zug aus der Ukraine ankamen.
Hier nennen wir einige Fälle als Beispiele, die die ANPSR erreicht haben und in denen wir schnell intervenieren mussten:
Eine ukrainische alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern, wurde in einem Lebensmittelmarkt in der Nähe von Stuttgart von einer Sicherheitsfirma kontrolliert und die Polizei eingeschaltet. Eines der Kinder hatte sich ein Überraschungsei genommen. Die Polizei fuhr daraufhin die Frau mit den Kindern zur Polizeistation, das Jugendamt wurde alarmiert. Die Frau musste 24 Stunden zur „Untersuchung“ in einer Polizeizelle verbringen, die Kinder wurden dem Jugendamt übergeben und fremd untergebracht. Nachdem die Frau frei gelassen wurde, bekam sie ihre Kinder nicht zurück, dies könnte noch Wochen dauern. Erst nach Intervention der ANPSR kam die Familie wieder zusammen. Dieses Vorgehen entspricht einer jahrhundertealten rassistischen Praxis .
In anderen Fällen erreichte uns die Nachricht, dass Reisepässe von der Behörde als „verdächtig“ und gefälscht eingestuft und an das LKA Stuttgart weitergeleitet wurden.
Kolleg*innen (Sozialarbeiter*innen) informierten die ANPSR darüber, dass die Behörden immer wieder nachfragten: „Haben Sie Probleme mit Roma? … Sind die sauber?“ und dass, je nach ethnischer Herkunft, ein sehr deutlicher Unterschied gegenüber anderen- weißen ukrainischen Geflüchteten gemacht wird. So haben Rom*nja, im Gegensatz zu anderen Ukrainer*innen, meist noch keinen Aufenthaltstitel erhalten, mit der fadenscheinigen „Begründung“: „die müssen erst noch überprüft werden“. Diese abwertende und
ausgrenzende Praxis muss beendet werden.
Dolmetscher*innen übersetzen oft nicht 1/1, was die Betroffenen Rom*nja sagen und wie es ihre Pflicht wäre, sondern geben ihre eigenen „Einschätzungen“, aus einer rassistischen Perspektive an die Behörden weiter. So, dass diese Rom*nja wären und keine „Original Ukrainer*innen“, was aufgrund der deutschen Geschichte, der Ausgrenzung, der Verfolgung und systematischen Ermordung von Rom*nja im Holocaust mit der damit einhergehenden gesonderten Erfassung von Rom*nja, besonders unerträglich ist. Hier muss Deutschland seiner besonderen Verantwortung gerecht werden und solche Formen der Diskriminierung
abstellen. Doch die Lage von Rom*nja droht sich im Gegenteil aufgrund einer diskriminierenden Ausschluss-Praxis eher zu verschlechtern, als zu verbessern.
Dennoch wollen wir auch gute Beispiele der Zusammenarbeit in dieser Presseklärung erwähnen. Die Stadt Freiburg – ABH und das Amt für Migration und Integration setzten sich in einigen Fällen schnell und offen für geflüchtete Rom*nja aus dem Westbalkan ein. Die Stadt Freiburg hat das Gespräch mit der ANPSR gesucht, um gemeinsam nach Lösungen gegen Diskriminierung und anderen Problemen zu suchen und hat zum Teil bereits Verbesserungen erreicht. Als weiteres gutes Beispiel können wir das Regierungspräsidium in Karlsruhe anführen, das der ANPSR den Zugang zur LEA erteilt hat, um dort Beratungen in Romanes durchzuführen.
Wir fordern nun dazu auf, der besonderen Verantwortung Deutschlands gerecht zu werden und sich aktiv für gleiche Voraussetzungen und Chancen aller aus der Ukraine geflohenen Rom*nja, im Sinne gleichwertiger Menschenrechte für Alle, einzusetzen.
Die Anlaufstelle /Netzwerk Pro Sinti und Roma bietet dabei Aufklärung für die deutsche Öffentlichkeit und Behörden, der Polizei und der ABH aber auch Unterstützung für Betroffene, an. Die ANPSR steht euch zu Verfügung mit:
- Dolmetscher*innen in der Sprache Romanes
- Aufklärung über Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zzi /Antiziganismus
- Konflikt-Gespräche
- Erstgespräche für Neuankommende
- Workshop für MitarbeiterInnen der Behörden gegen Rassismus/ Antiziganismus
- Strategische Unterstützung für Städte und Kommunen im B.W.
Wenden Sie sich gerne an uns mit Ihren Fragen.
Geflüchtete Rom*nja und Institutionen, wendet Euch in dringenden Fällen bitte direkt an die ANPSR oder an unsere Kooperationspartner*innen:
Sprachen : Romanes, Russisch, Ukrainisch, Serbisch, Mazedonisch, Deutsch
- Roma Antidisc. Network : +491623554670 / 49 6221 9811 52 /49 176 88215091
- hotline-ukraine@sintiundroma.de .
- Zentralrat Deutscher Sinti &Roma Tel. 06621/9811-53
- Anlaufstelle/Netzwerk Pro S.R. : 07681/4930645 / Mob: 0151 63385224
- K.ahmed@ksew.de