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Einblick ins syrische Eherecht

Angesichts der vielfältigen und diversen Gesellschaft in Deutschland, unter anderem auch mit Menschen aus Syrien, ist ein Überblick über einige der Regeln und Bestimmungen, welche die Rechtsverhältnisse syrischer Familien regeln, ebenso interessant wie hilfreich. Dies betrifft auch die offiziellen Dokumente, die im Zusammenhang mit einer Eheschließung in Syrien benötigt werden. Derzeit werden in Deutschland unterschiedliche Dokumente als Nachweis von Ehen, die in Syrien geschlossen wurden, geprüft. Je nachdem, ob die Eheschließungsabsicht dem Familiengericht vorab mitgeteilt wurde, ob eine außergerichtlich geschlossene Ehe nachträglich eingetragen wurde oder ob eine Feststellungsklage zum Bestehen der Ehe erhoben wurde, sind unterschiedliche Dokumente erforderlich. Der folgende Artikel wirft einen kurzen Blick ins syrische Eherecht.

von Yousef Mahfouz

Das Eherecht gehört zum syrischen Familien- und Erbrecht, das auf verschiedenen Personalstatutsgesetzen je nach Religion aufgeteilt ist. Familien- und Erbschaftsangelegenheiten für Muslim*innen, die die große Mehrheit der Gesamtbevölkerung ausmachen, sind im syrischen Personalstatutsgesetz (PSG), dem sogenannten qanun al-ahwal al-shakhsiya von 1953 geregelt. Aber auch alle syrischen Staatsangehörigen, die Glaubensgemeinschaften angehören, die nicht ausdrücklich von diesem Gesetz ausgenommen sind, wie zum Beispiel Jesiden*innen, sind an dieses Gesetz gebunden (Art. 306 PSG). Darüber hinaus haben die anderen drei großen Religionsgruppen, die nicht diesem Gesetz unterliegen – Christen, Juden und Drusen – ihre eigenen familien- und erbrechtlichen Bestimmungen.

Das syrische Personenstandsgesetz basiert zum großen Teil auf den rechtswissenschaftlichen Schulen der islamischen Scharia und die Bestimmungen zur Ehe sind in diesem Gesetz geregelt. Dies bedeutet, dass die Bestimmungen zur Ehe in Syrien denselben legalen Charakter wie andere Verträge haben. Daher ist die Eheschließung im syrischen Recht ein zivilrechtlicher Vertrag. Dieser kommt durch Angebot und Annahme dieses Angebots zustande (Art. 5 PSG). Die Ehefähigkeit setzt im syrischen Recht im Prinzip die geistige Gesundheit und das Erreichen der Pubertät voraus (Art. 15 Absatz 1 PSG). Die Gültigkeit des Ehevertrages setzt des Weiteren auch die Anwesenheit von zwei Zeug*innen und des Ehevormunds voraus (Art. 12 PSG).

Ehevormund ist nach dem PSG in der Regel der Vater oder Großvater der Person, je nach Familienkonstellation können aber auch andere Personen Vormund sein. Art. 22 PSG setzt zudem voraus, dass der Vormund zurechnungsfähig und erwachsen ist. Zudem definiert das Personalstatutsgesetz nach den neuen Änderungen durch das Gesetz Nr. 4 aus dem Jahr 2019 ein grundsätzliches Ehemündigkeitsalter: Danach können Männer und Frauen mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Ehe eingehen (Art. 16 PSG). Der Ehevertrag ist an keine bestimmte Formalität gebunden und in der Praxis ist die Beteiligung des Staates in Gestalt von Gerichten oder Behörden keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Ehe. Besteht jedoch beispielsweise die Absicht, die Ehe vor Erreichen des grundsätzlichen Ehemündigkeitsalters zu schließen, ist eine Zustimmung des Familiengerichts und des Ehevormunds erforderlich, wenn der Vormund Vater oder Großvater ist (Art. 18 PSG). Wenn ein minderjähriges Mädchen durch ihren Vormund ohne ihre Zustimmung verheiratet wird und sie davon Kenntnis erlangt, ist die rechtliche Wirksamkeit des Ehevertrags von ihrer ausdrücklichen Zustimmung abhängig (Art. 21 Absatz 2 PSG).

Der syrische Gesetzgeber erwähnt weitere Einschränkungen für Fälle, in denen das Gesetz trotz des erreichten Ehemündigkeitsalters der Eheleute dem Gericht Ermessensspielraum für die Erteilung der gerichtlichen Genehmigung lässt, beispielsweise Art. 19 PSG in Bezug auf die Altersproportionalität, also den Altersabstand, zwischen Ehegatten. Wenn das Gericht feststellt, dass zwischen den beiden Eheleuten keine Altersproportionalität besteht, liegt es in seinem Ermessen, die Erlaubnis nicht zu erteilen. Ein weiteres Beispiel liefert seit der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2019 Artikel 20 PSG: Wenn eine Frau das 18. Lebensjahr vollendet hat und heiraten möchte, fordert der Richter ihren Vormund auf, innerhalb einer Frist von höchstens fünfzehn Tagen seine Meinung zu äußern. Erhebt er keine Einwände oder ist sein Einwand nicht erwägenswert, so genehmigt der Richter die Eheschließung unter der Bedingung der Gleichwertigkeit, welche die Eheleute, in der Praxis häufig die Frau, im Falle einer Scheidung absichern soll (rechtliche Möglichkeiten/Voraussetzungen im Fall einer Scheidung) und der Bedingung der Brautgabe (ähnlich einer Mitgift, die jedoch der Mann an die Frau zahlt).

Formen einer wirksamen Eheschließung nach klassischem syrischen Recht

1. Religiöse Eheschließung

In der Praxis werden Ehen auch informell (religionsrechtlich) ohne gerichtliche Mitwirkung abgeschlossen. Solche Eheschließungen werden im Folgenden als außergerichtliche Eheschließungen bezeichnet. Schriftstücke, die bei einer außergerichtlichen Eheschließung aufgesetzt werden, sind oft nicht standardisiert. Wenn man nach einer außergerichtlichen Eheschließung allerdings eine amtliche Heiratsurkunde benötigt, um zum Beispiel Rechte und Ansprüche aus der Ehe nachzuweisen, muss man beim Familiengericht eine nachträgliche Bestätigung der Eheschließung beantragen. Ist es der Person unzumutbar, die für die Bestätigung erforderlichen Unterlagen vorzuweisen oder wurde die Bestätigung der Ehe abgelehnt, besteht weiter die Möglichkeit, eine Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben.

2. Anzeige der Eheabsicht vor Gericht

Die Ehewilligen können den Weg der staatlichen Mitwirkung an der Ehe wählen, indem sie ihre Eheschließungsabsicht vorab dem Gericht mitteilen. Somit kann man die Rechte von Ehegatten und Kindern aus der Ehe (wie Abstammung, Mitgift, Unterhalt, Erbschaft) garantieren. Problematisch zurzeit und ein Ergebnis des Krieges ist, dass es keine einheitliche Anwendung des Familienrechts auf dem syrischen Staatsgebiet gibt. Auf Grund des seit Jahren fortwährenden Kriegs hat sich das syrische Staatsgebiet aufgespalten und es haben sich zum Teil eigene Verwaltungs- und Normensysteme in einigen Regionen des Landes etabliert. Dies betrifft vor allem den Norden des Landes, der von arabischen sowie kurdischen Oppositionellen kontrolliert wird. Daher kann zurzeit nicht mehr von einer landesweiten Anwendung des staatlichen syrischen Rechts ausgegangen werden._


Dieser Artikel erschien in Ausgabe 3/2022 unseres Magazins Perspektive, das hier kostenlos bestellt und heruntergeladen werden kann.