Bei jeder Person, die in Deutschland einen Asylantrag stellt, wird zunächst geprüft, ob Deutschland überhaupt für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Hintergrund dafür ist, dass es eine europäische Verordnung gibt, die regelt, welcher Mitgliedstaat des sog. Dublin-Raums für einen Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist: die sog. Dublin III-Verordnung (VO).
I. Grundsätzliches
II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland
III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid
IV. Weiterführende Arbeitshilfen
I. Grundsätzliches
Die Dublin-III-VO gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zusätzlich haben Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und Island die Verordnung unterzeichnet. Insgesamt gibt es also 31 Länder, in denen die Dublin III-Verordnung angewendet wird. Diese Länder bezeichnet man auch als sog. Dublin-Staaten.
Die wichtigste Zielsetzung der Dublin III-VO ist, dass jeder Asylantrag im Gebiet der Dublin-Staaten geprüft wird, die Betroffenen also nicht von Staat zu Staat weiterverwiesen werden („no refugees in orbit“). Der Asylantrag einer Person soll dabei nur einmal inhaltlich geprüft werden, selbst wenn in mehreren Ländern des Dublin-Raums Asylanträge gestellt werden („one chance only“).
Die Dublin III-VO ist anwendbar, sobald in irgendeinem Dublin-Staat ein Asylantrag gestellt wurde. Das muss kein förmlicher Asylantrag gewesen sein; auch ein nicht-förmliches Asylgesuch aktiviert die Dublin-III-VO. Um einen Dublin-Fall handelt es sich auch, wenn ein Asylantrag in einem anderen Land abgelehnt oder zurückgenommen wurde und die Personen dann in einem anderen Dublin-Staat einen weiteren Asylantrag stellen.
Wichtig: Die Dublin III-VO gilt aber nicht für Personen, die in einem anderen Staat bereits internationalen Schutz, also die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz, erhalten haben und dann in einen anderen „Dublin-Staat“ weitergewandert sind und dort einen Asylantrag gestellt haben. Die beiden Konstellationen sind gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Asylantrag in beiden Fällen grundsätzlich als „unzulässig“ ablehnt. Hier muss man den Bescheid genau lesen, um zu verstehen, ob es sich um einen „Dublin-Fall“ oder einen sog. Anerkannten-Fall handelt.
II. Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland
Wie wird bestimmt, welcher Staat für eine asylsuchende Person zuständig ist?
Stellt eine Person in Deutschland einen Asylantrag, prüft das BAMF zunächst im Rahmen eines Dublin-Verfahrens, ob Deutschland für den Asylantrag zuständig ist. Hierbei wird zunächst anhand der Zuständigkeitskriterien geprüft, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Das Verfahren zur Prüfung der Zuständigkeit für den Asylantrag ist sehr komplex, es soll daher im Folgenden nur in Grundzügen dargestellt werden.
Die Artikel 8 bis 15 Dublin-III-VO regeln die Zuständigkeit. Die Kriterien sind streng der Reihe nach zu prüfen. Dies bedeutet, dass Artikel 8 als erstes geprüft wird; ist dieser nicht einschlägig, wird Artikel 9 geprüft usw.
Artikel 8 bis 11 Dublin-III-VO enthalten familienbezogene Zuständigkeitskriterien:
- Artikel 8: Unbegleitete Minderjährige werden mit ihren Angehörigen und Verwandten zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
- Artikel 9: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die bereits internationalen Schutz erhalten haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
- Artikel 10: Asylsuchende werden mit ihren Angehörigen, die internationalen Schutz beantragt haben, zusammengeführt, wenn sie dies wünschen.
- Artikel 11: Die Verfahren mehrerer Angehöriger werden in einem Staat durchgeführt, wenn sonst eine Trennung der Familie drohen würde.
Besteht ein Wunsch auf Familienzusammenführung, sollte dieser so früh wie möglich, d.h. idealerweise schon bei der Asylantragstellung, geäußert werden. Soweit vorhanden, sollten auch Nachweise über das Verwandtschaftsverhältnis bei der Behörde eingereicht werden.
Artikel 12 bis 15 Dublin III-VO enthalten einreisebezogene Zuständigkeitskriterien:
- Artikel 12: Der Staat ist zuständig, der einen Aufenthaltstitel oder ein Visum ausgestellt hat.
- Artikel 13: Der Staat ist zuständig, dessen Grenze eine asylsuchende Person illegal übertreten hat.
- Artikel 14: Reist eine Person visumsfrei in einen Mitgliedstaat ein, weil für sie kein Visumszwang besteht, ist dieser Staat zuständig.
- Artikel 15: Stellt eine Person im internationalen Transferbereich eines Flughafens eines Mitgliedstaates einen Antrag auf internationalen Schutz, ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig.
Die Frage, auf welchem Weg man nach Deutschland gekommen ist, ist also nur maßgeblich, wenn kein familienbezogenes Zuständigkeitskriterium greift. Es ist also nicht immer der Dublin-Staat zuständig, dessen Territorium zuerst betreten wurde.
Abweichend von den hierarchisch durchzuprüfenden Zuständigkeitskriterien gibt es zwei Möglichkeiten, die Zuständigkeit anderweitig zu bestimmen:
- So kann gemäß Artikel 16 bei besonderer Hilfebedürftigkeit (z.B. Schwangerschaft, Krankheit oder Behinderung) eine Familienzusammenführung außerhalb der Kernfamilie durchgeführt werden.
- Jeder Staat hat das Recht gemäß Artikel 17 Dublin-III-VO das sog. Selbsteintrittsrecht auszuüben, also sich abweichend von den Zuständigkeitskriterien für zuständig zu erklären.
Welche Fristen laufen im Dublin-Verfahren?
Steht die Zuständigkeit eines anderen Staates fest, wird der für zuständig befundene Staat angefragt, ob dieser die asylsuchende Person (wieder) aufnimmt. Bei dieser Anfrage handelt es sich entweder um ein Wiederaufnahmeersuchen, wenn die betreffende Person bereits in dem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, oder um ein Aufnahmeersuchen, wenn dies nicht der Fall ist. Für diese Anfrage gilt eine Frist, deren Länge u.a. davon abhängig ist, ob ein sog. Eurodac-Treffer vorliegt oder nicht (weil die Fingerabdrücke der Person in der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken erfasst sind). Hält das BAMF die jeweils geltende Frist nicht ein, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über.
Für den um (Wieder-)Aufnahme ersuchten Staat gilt ebenfalls eine bestimmte Frist, auf die Anfrage zu antworten. Reagiert der ersuchte Staat innerhalb dieser Frist nicht, gilt die Zustimmung zur (Wieder-)Aufnahme als erteilt (Zustimmungsfiktion).
Liegt die Zustimmung bzw. Zustimmungsfiktion eines anderen Dublin-Staates vor, wird der Asylantrag der jeweiligen Person wegen Unzuständigkeit Deutschlands als „unzulässig“ abgelehnt (>> Ablehnungsformen). Es ergeht dann ein sog. Dublin-Bescheid, der häufig so oder so ähnlich formuliert ist:
- Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt.
- Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor
- Die Abschiebung nach [= zuständiger Staat] wird angeordnet.
Manchmal, wenn die Abschiebung derzeit noch nicht durchgeführt werden kann, wird die Abschiebung nicht angeordnet, sondern angedroht. Dass es sich um einen Dublin-Bescheid handelt, erkennt man verlässlich nur aus dem Inhalt der Begründung. Wird ein anderer europäischer Staat in der Abschiebungsanordnung (oder Androhung) genannt, der nicht Herkunftsland des Antragstellers ist, spricht viel für einen Dublin-Bescheid es sei denn, der Antragsteller hat bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz erhalten.
Sobald die Zustimmung bzw. die Zustimmungsfiktion des anderen Mitgliedstaats vorliegt, hat Deutschland in der Regel sechs Monate Zeit für die Überstellung der Person in den anderen Staat. Ist die Person „flüchtig“, verlängert das BAMF die Frist in der Regel auf 18 Monate, bei Haft beträgt sie zwölf Monate. Personen, die sich im Kirchenasyl befinden, sind nicht „flüchtig“, solange der Aufenthaltsort der Person den Behörden mitgeteilt wurde (offenes Kirchenasyl).
Erfolgt innerhalb der jeweils geltenden Frist keine Überstellung in den zuständigen Staat, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über. In der Folge wird das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt, der Asylantrag also inhaltlich geprüft.
Quelle: Informationsverbund Asyl & Migration
Welche Rechte haben Personen im Dublin-Verfahren?
Die Dublin-VO räumt Asylsuchenden bestimmte Verfahrensrechte und -garantien ein.
Artikel 4 Dublin-III-VO enthält das Recht, über das Dublin-Verfahren und die eigenen Rechte informiert zu werden (Recht auf Information). Diese Information muss bei der Asylantragstellung schriftlich in der Muttersprache oder einer Sprache, deren Verständnis vorausgesetzt werden kann, ergehen. Hierfür wird in der Regel ein Merkblatt verwendet. Wenn nötig, müssen die Informationen auch mündlich übermittelt werden, z.B. im persönlichen Gespräch gemäß Artikel 5 Dublin III-VO.
In Artikel 5 Dublin-III-VO ist das Recht auf ein persönliches Gespräch in einer Sprache, die die Person ausreichend versteht, festgehalten. Dieses Gespräch soll die Bestimmung des zuständigen Staates erleichtern und das Verständnis der antragstellenden Person über die Inhalte des in Artikel 4 Dublin-III-VO beschriebenen Merkblattes sichern. Dieses Gespräch soll möglichst früh im Verfahren geführt werden, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung der asylsuchenden Person entschieden wird. Der*die Asylsuchende sollte das persönliche Gespräch auch dazu nutzen, alle Gründe geltend zu machen, die gegen eine Überstellung in den anderen Staat sprechen. In bestimmten Fällen kann auf das persönliche Gespräch verzichtet werden, z.B. wenn bereits zuvor alle wesentlichen Angaben zur Bestimmung des zuständigen Staates gemacht wurden. In Deutschland ist die Praxis laut Dienstanweisung des BAMF folgendermaßen: Bereits bei der erkennungsdienstlichen Behandlung (z.B. Erfassung von Personendaten, Anfertigung von Fingerabdrücken und Lichtbildern) erfolgt die Erstbefragung zur Zulässigkeit (umgangssprachlich auch Reisewegsbefragung genannt). Danach findet die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags statt. Vorsorglich findet häufig im Anschluss eine Befragung zu den Fluchtgründen (sog. Anhörung zur Begründetheit) statt.
Dem Kindeswohl soll im Dublin-Verfahren besonders Rechnung getragen werden. Für Minderjährige formuliert Artikel 6 Dublin-III-VO folglich besondere Garantien. Unbegleiteten Minderjährigen müssen die Mitgliedstaaten demnach eine qualifizierte gesetzliche Vertretung zur Seite stellen.
Wie wird die Person in den zuständigen Staat überstellt?
Das deutsche Recht sieht bei Dublin-Fällen grundsätzlich die Überstellung in Form von Abschiebung vor (§ 34a AsylG). Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.9.2015 (1 C 27.14) sieht jedoch vor, dass auf Initiative der asylsuchenden Person die für den Vollzug von Dublin-Überstellungen zuständigen Behörden aus Gründen der Verhältnismäßigkeit prüfen müssen, ob der Person ausnahmsweise anstelle einer Abschiebung die Möglichkeit der selbstorganisierten Überstellung eingeräumt werden kann. Diese wird allerdings nur in absoluten Ausnahmefällen genehmigt. Personen, die dies versuchen möchten, sind auf intensive Kommunikation mit dem BAMF und dem Regierungspräsidium Karlsruhe angewiesen.
Weitere Informationen:
- Diakonie Deutschland, Dezember 2022: Familienzusammenführungen nach Deutschland im Rahmen der Dublin-III-Verordnung
III. Rechtsmittel gegen den Dublin-Bescheid
Dem Dublin-Bescheid ist in aller Regel eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Darin ist bestimmt, bei welchem Gericht und in welcher Frist Rechtsmittel gegen den Bescheid eingelegt werden können.
In aller Regel ergeht im Dublin-Bescheid eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylG. Dann muss innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids Klage erhoben werden. Allerdings hindert eine fristgerecht eingereichte Klage die deutschen Behörden nicht an einer Abschiebung der antragstellenden Person, da die Klage keine aufschiebende Wirkung hat.
Einen (zumindest vorläufigen) Abschiebungsschutz kann man nur durch einen zusätzlichen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (sog. Eilantrag) erzielen. Auch für den Eilantrag gilt eine Frist von einer Woche (§ 34a Absatz 2 Satz 1 AsylG).
Wichtig: Die Entscheidung, ob ein Eilantrag gestellt wird oder nicht, sollte unbedingt von bzw. in Abstimmung mit einer Rechtsanwältin*einem Rechtsanwalt getroffen werden. Der Eilantrag führt nämlich immer dazu, dass die Überstellungsfrist wieder „auf Null“ gesetzt wird.
Hat der Eilantrag Erfolg, ordnet das Verwaltungsgericht also die aufschiebende Wirkung der Klage an, ist die betroffene Person jedenfalls bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Klage vor einer Abschiebung sicher. In der Praxis führt ein erfolgreicher Eilantrag häufig dazu, dass das BAMF den Dublin-Bescheid aufhebt und die Person somit ein inhaltliches Asylverfahren durchläuft. Wird der Dublin-Bescheid nicht aufgehoben und die Klage scheitert im Hauptsacheverfahren, bleibt der Dublin-Bescheid in Kraft und die Überstellungsfrist beginnt ab Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung neu zu laufen.
Wird der Eilantrag abgelehnt, beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist am Tag der Ablehnung durch das Gericht neu zu laufen.
In sehr seltenen Fällen enthält der Dublin-Bescheid eine Abschiebungsandrohung. Dann beträgt die Klagefrist zwei Wochen und die Klage hat aufschiebende Wirkung, schützt also vor Abschiebung.
IV. Weiterführende Arbeitshilfen
- Informationsverbund Asyl & Migration, Mai 2021: Basisinformationen Dublin-Verfahren. Die Zulässigkeitskeitsprüfung im Asylverfahren bei „Dublin-Fällen“ und „Anerkannten“
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf einer Arbeitshilfe, die im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ erarbeitet wurde. Die Erstellung der Arbeitshilfe wurde gefördert durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat, erarbeitet.