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Offener Brief an baden-württembergische Landesregierung

"Niemand darf aufgrund seiner Herkunft als Sicherheitsrisiko abgestempelt werden."

Es muss endlich Schluss damit sein, Sicherheitspolitik auf dem Rücken geflüchteter Menschen zu machen. Das fordern der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, die Seebrücke Baden-Württemberg, die AWO Württemberg, der Internationale Bund Süd und der Paritätische Baden-Württemberg in einem offenen Brief an die Landesregierung. Damit beziehen die Organisationen gemeinsam Stellung zur aktuellen Debatte, in der Flucht und Migration permanent als Sicherheitsrisiko dargestellt werden. Hiervon zeugen auch die im Bund und in Baden-Württemberg geschnürten „Sicherheitspakete“ sowie der jüngste baden-württembergische Bundesratsantrag vom 17. Oktober, mit dem sich die Landesregierung für eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sowie weitere Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien einsetzt.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann, sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung,

wir wenden uns an Sie im Zustand großer Besorgnis. Unter dem Eindruck der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie des Anschlags von Solingen wurden übereilt „Sicherheitspakete“ auf Bundesebene und auch hier in Baden-Württemberg geschnürt. Hierbei liefert sich die Politik einen Überbietungswettkampf um die vermeintlich effizientesten Maßnahmen zur Abwehr geflüchteter Menschen. Statt den Fokus auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Islamismus zu legen, setzen Sie sich für Kürzungen von Sozialleistungen Geflüchteter, mehr Abschiebungen und Grenzkontrollen ein. Dadurch werden Flucht und Migration ausschließlich als Problem, sogar als Sicherheitsrisiko, dargestellt.

Besorgt beobachten wir außerdem, wie die harte Gangart in der Migrationspolitik rechtliche Grundsätze ignoriert. Fakt ist, dass die Verstetigung von Grenzkontrollen europarechtswidrig ist und die Europäische Menschenrechtskonvention Abschiebungen verbietet, wenn Betroffene dadurch in Lebensgefahr geraten. Es ist beschämend, dass seitens der politischen Entscheidungsträger*innen rechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden, nur, weil dies gerade politisch opportun erscheint.

Die aktuelle Diskussion gefährdet die Solidarität in der Gesellschaft massiv und führt zu Spaltung. Geflüchtete werden stigmatisiert und auch länger in Deutschland lebende Migrant*innen fühlen sich nicht mehr sicher. Sie erleben im Alltag stetig mehr Rassismus und machen sich zunehmend existentielle Sorgen um Ihre Zukunft in Deutschland. Manche Menschen überlegen sogar, auszuwandern. Ihre Sicherheit und die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen dieser Entwicklung werden in der aktuellen Debatte völlig ausgeblendet.

Es darf nicht länger der Anschein erweckt werden, dass sicherheitspolitische Interessen durch eine restriktivere Migrationspolitik gewahrt werden könnten. Stattdessen sollte der Fokus auf der Stärkung demokratischer Strukturen, der Teilhabemöglichkeiten aller Menschen sowie der Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts liegen. Wir möchten in einer Gesellschaft leben, in der rechtstaatliche Grundsätze hochgehalten werden – insbesondere in Zeiten, in denen unsere Demokratie gefährdet ist. Niemand darf aufgrund seiner Herkunft als Sicherheitsrisiko abgestempelt werden. Die Würde eines jeden Menschen muss im Mittelpunkt des politischen Diskurses stehen.

Für einen persönlichen Austausch stehen wir gerne zur Verfügung.

Im Einsatz für ein solidarisches Miteinander

der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, die Seebrücke Baden-Württemberg, die AWO Württemberg, der Internationale Bund Süd und der Paritätische Baden-Württemberg