Die EU-Kommission stützt Pro Asyls Position, dass die vom BAMF eingeführte Aussetzung der Dublin-Überstellungsfrist während der Corona-Pandemie rechtswidrig ist. Pro Asyl fordert das Bundesinnenministerium nun dazu auf, dafür zu sorgen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese neue Praxis einstellt.
Am 18. März 2020 beschloss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), aufgrund der Corona-Pandemie keine Dublin-Überstellungen mehr durchzuführen. Um einen Verantwortungsübergang auf Deutschland aufgrund von Fristablauf während der Corona-Krise zu verhindern, hat das BAMF zudem eine Aussetzung der Überstellungsfristen veranlasst.
Dieses Vorgehen wurde in einem Schreiben des BAMF an alle Personen im Dublin-Verfahren angekündigt. Für die Betroffenen hätte eine Aussetzung harsche Konsequenzen: Die reguläre Überstellungsfrist von sechs Monaten sollte erneut anfangen zu laufen – selbst, wenn sie eigentlich schon mehrere Monate der Frist hinter sich hatten. Während dieser Zeit haben sie noch keinen Zugang zu einem inhaltlichen Asylverfahren und befinden sich in einem zermürbenden Schwebezustand.
PRO ASYL hat dieses Vorgehen deshalb schon vergangene Woche kritisiert und eine Klagewelle prognostiziert (siehe Pro Asyl News vom 8. April). In einer juristischen Analyse hat PRO ASYL gemeinsam mit Equal Rights Beyond Borders zudem die Rechtmäßigkeit der Aussetzung der Fristen angezweifelt, insbesondere weil die Dublin-III-Verordnung eine solche Aussetzung nicht vorsieht und sie dem der Verordnung zugrundliegende Beschleunigungsgebot widersprechen würde.
Diese Rechtsauffassung wurde nun von der EU-Kommission in ihrer Kommunikation zu Covid-19 und der Asylpolitik bestätigt. Die Kommission legt in dem Dokument dar, dass eine Aussetzung der Überstellungsfristen aufgrund einer Pandemie keine Rechtsgrundlage in der Dublin-Verordnung hat. Entsprechend müssen die Fristen weiterlaufen und die Verantwortung nach Fristablauf auf den Mitgliedstaat übergehen, in dem sich die Person aktuell aufhält:
Where a transfer to the responsible Member State is not carried out within the applicable time limit, responsibility shifts to the Member State that requested the transfer pursuant to Article 29(2) of the Dublin Regulation. No provision of the Regulation allows to derogate from this rule in a situation such as the one resulting from the COVID-19 pandemic (S. 9 der Kommunikation).
Im Falle der Verfristung bei Familienzusammenführung kann die humanitäre Klausel der Dublin-Verordnung genutzt werden, um eine dauerhafte Familientrennung zu verhindern.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss seine aktuelle Praxis der Aussetzung der Dublin-Fristen sofort unterbinden! Alles andere wäre eine klare Missachtung europäischen Rechts und widerspräche zudem einem gemeinsamen Vorgehen der EU-Staaten während der Corona-Krise. Das Vorgehen des Bundesamtes hat bereits Schaden angerichtet, indem es betroffenen Menschen – die kurz vor Ablauf ihrer Frist standen – die ihnen zustehende Rechtssicherheit nehmen wollte und sie sowie ihre Unterstützer*innen stark verunsicherte. Dieser Kurs muss jetzt revidiert werden und die Betroffenen darüber auch informiert werden.