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Auslesung von digitalen Datenträgern durch das BAMF

Aktuelle Praxis und mögliche Verschärfungen

Seit 2017 darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) digitale Datenträger nach § 15a i.V.m. § 15 Asylgesetz zur Identitätsklärung im Asylverfahren auslesen.

Das BAMF kann von dieser Norm Gebrauch machen, wenn es keine milderen Mittel zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit gibt. Die asylantragsstellende Person kann also zur Aushändigung des Handys aufgefordert werden, wenn Pass, Passersatz und jegliche weiteren Hinweise, wie zum Beispiel Urkunden, die zur Identitätsfindung beitragen können, fehlen.

Wie sieht die praktische Umsetzung der Datenauswertung aus, was ist daran problematisch, wie ist die Rechtsprechung dazu und welche Veränderungen sieht der aktuelle „Diskussionsentwurf“ des Bundesinnenministeriums vor? Ein Überblick.

Handydaten werden vom BAMF aktuell in zwei Schritten ausgewertet:

Im ersten Schritt werden die Daten extrahiert, computergestützt analysiert und automatisch zu einem Ergebnisreport zusammengefasst, der in einem sogenannten „Datentresor“ gespeichert wird. Einsehen kann der*die BAMF-Mitarbeiter*in den Report zu diesem Zeitpunkt nicht. Im zweiten Schritt kann dieser Bericht durch ein*e Volljurist*in des BAMF freigegeben und im jeweiligen Asylverfahren genutzt werden. Anderweitig werden die Daten gelöscht[1].

Analysiert werden bei der Auswertung eine Vielzahl persönlicher Daten: Informationen zu den Ländervorwahlen ein- und ausgehender Anrufe, SMS-Nachrichten, Kontaktdaten und besuchte Webseiten. Zudem werden Lokationsdaten ausgewertet und auf einer Landkarte angezeigt. Auch Login-Namen für verschiedene Apps werden gelistet. Schließlich werden SMS- und Messenger-Nachrichten sowie der Browserverlauf einer Sprachanalyse unterzogen, welche die verwendete Sprache bzw. den Dialekt bestimmen soll[2].

Problematisch an dieser Praxis ist folgendes:

Es ist unklar, inwiefern die Auswertung von Handydaten überhaupt sinnvoll und zielführend ist, denn die Handydatenauslesung ist extrem fehleranfällig. 58 bis 64 % der Ergebnisse sind unbrauchbar. Beispielsweise ist der Datensatz oft zu klein, da Mobiltelefone häufig erst in Deutschland gekauft werden. Zudem unterstützt das BAMF-Programm keine alten Handymodelle, und Familie und Freund*innen mit denen kommuniziert wird, müssen sich nicht zwangsläufig im Herkunftsland der asylantragsstellenden Person befinden[3].

Zahlen des BAMF belegen diese Vermutung. So wurden 2022 insgesamt 27.334 Datenträger ausgelesen; in nur 3,1% der Fälle (117) sei die Identität durch die Auswertung „widerlegt“ worden[4].

2019 und 2020 waren es insgesamt sogar lediglich 75 Fälle[5]. Positive Resultate liegen demnach kaum vor – was in starkem Gegensatz zum finanziell extrem hohen Aufwand und einer massiven Einschränkung von Persönlichkeits- und Grundrechten steht. Die Handydatenauslesung birgt ein Missbrauchsrisiko und auch unbrauchbare Testergebnisse können Mitarbeitende des BAMF bei der Entscheidung im Asylverfahren beeinflussen.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat dazu im Dezember 2019 eine Studie veröffentlicht, die diese Problematik nochmals ausführlich aufzeigt.

Klage BVerwG

Um dieser verfassungswidrigen Praxis entgegenzuwirken hat die GFF im Jahr 2020 mit betroffenen Menschen geklagt. Damals verfolgte das BAMF noch die Praxis, Handydaten grundsätzlich auszulesen, sobald kein Pass oder Passersatz vorlagen. Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin gab der Klage im Juni 2021 statt, das BAMF legte daraufhin Sprungrevision[6] ein. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am 16. Februar 2023 abschließend entschieden, dass die regelmäßig erfolgende Auswertung digitaler Datenträger durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ohne Berücksichtigung sonstiger vorliegender Erkenntnisse und Dokumente rechtswidrig ist[7].

Was bedeutet das Urteil?

Mit dem Urteil hat sich die Praxis des BAMF verändert: Die Auslesung und Auswertung digitaler Datenträger zur Ermittlung von Identität und Staatsangehörigkeit einer asylantragstellenden Person ist erst zulässig, wenn es keine mildere Mittel zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit gibt. 

Über die Frage, ob es generell rechtmäßig ist, die Handys von Geflüchteten auszuwerten (also z.B. eine Auswertung zu einem späteren Zeitpunkt), hat das BVerwG nicht entschieden. Das Urteil bezieht sich lediglich auf die Praxis des BAMF, die Handydaten gleich zu Beginn des Asylverfahrens auszulesen. Trotzdem kann angenommen werden, dass aus dem Urteil eine generelle Hinterfragung der Auswertung von Handydaten hervorgeht. Außerdem wird aktuell noch geprüft, inwiefern das Auslesen von Handys mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar ist.

Der Diskussionsentwurf des BMI

Der aktuelle „Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung“ des Bundesinnenministeriums (BMI) schlägt dahingegen einen ganz anderen Weg ein: Die Auslesung von Datenträgern soll nicht etwa eingeschränkt, sondern erweitert werden.

Der Entwurf sieht vor, § 15a Asylgesetz neu zu formulieren. Zunächst soll die Datenauswertung in zwei Teile aufgeteilt werden: Das Auslesen und die Auswertung der Daten[8].

Bislang erfolgt dies mit der automatischen Zusammenfassung zu einem Ergebnisreport in einem Schritt. Ausgewertet werden darf aktuell aber nur, wenn keine milderen Mittel zur Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit vorliegen. Die Gesetzesänderung sieht im Gegensatz dazu vor, dass Datenträger generell ausgelesen werden dürfen, wenn kein Pass oder Passersatz vorliegen. Das Erfordernis der Prüfung auf mildere Mittel soll nur noch im zweiten Schritt – der Datenauswertung – greifen. Das BAMF müsste also statt einem zusammengefassten Bericht über den Datenträger nun die gesamten Daten aufheben, die für die Datenauswertung notwendig sind[9].

Außerdem sieht der Entwurf vor, dass auch Cloud-Dienste in die Datenauswertung mit einbezogen werden dürfen, was sich laut des Entwurfs aus der „zunehmenden Bedeutung dieser Form der Datenspeicherung bei Personen aus vielen Herkunftsländern“ ergebe[10] .

Was passiert jetzt?

Bislang ist noch unklar, inwiefern der „Diskussionsentwurf“ des BMIs umgesetzt wird. Sollte die Gesetzesänderung kommen, ist mit weiteren Klagen zu rechnen. Dies ist aber aufwändig und dauert entsprechend lange. Denn mit der Neuformulierung des § 15a AsylG würde das BMI das Urteil des BVerGs unterlaufen und noch tiefer als bisher in die Privatsphäre geflüchteter Menschen eingreifen.


Weitere Infos zur Handydatenauslesung und dem Diskussionsentwurf finden sich u.a. hier:

Podcast: Ausführlich: Auslesen von Handydaten durch das BAMF: Gespräch mit RA Matthias Lehnert zur aktuellen Praxis, einem Urteil und der Zukunft (https://open.spotify.com/episode/7hyoDKvHu5wA1Jd1B10khn?si=kVoe1IktS_ygmBQy6Ewd1w&nd=1 )

Berlin Hilft, 04.08.2023: https://berlin-hilft.com/2023/08/04/diskussionsentwurf-bmi-deutliche-asylrechtsverschaerfungen/


[1] Gesellschaft für Freiheitsrechte: BAMF-Handydaten­auswertungen (Stand: 21.08.2023).

[2] Ibid.

[3] Ibid.

[4] Antwort der Bundesregierung (Staatssekretär Mahmut Özdemir, BMI) vom 17. Februar 2023 auf eine Kleine Anfrage der LINKEN (Clara Bünger u.a.) zur ergänzenden Asylstatistik für das Jahr 2022 (Anfrage: BT-Drs. 20/5186), S. 29f.).

[5] Gesellschaft für Freiheitsrechte: BAMF-Handydaten­auswertungen (Stand: 21.08.2023).

[6] Die Revision wird hierbei direkt gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt und bringt das Verfahren unter Übergehung der Berufungsinstanz unmittelbar an das BVerwG.

[7] Urt. v. 16.02.2023, Az. 1 C 19.21

[8] BMI, 2023: Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung, S. 9

[9] Anna Biselli, 04.08.2023: BAMF soll Cloud-Speicher von Asylsuchenden auslesen (Stand: 21.08.2023)

[10] BMI, 2023: Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung, S.15