EuGH: Geburt in Deutschland begründet Recht auf deutsches Asylverfahren

Mit Urteil vom 01.08.2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass ein Kind, das im Bundesgebiet auf die Welt kommt, Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland hat. Der Antrag auf internationalen Schutz des Kindes darf nicht mit der Begründung als unzulässig abgelehnt werden, dass dessen Eltern bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist (Az: C-720/20).

Im konkreten Fall ging es um eine in Deutschland geborene russische Minderjährige. Deren Eltern und Geschwister wurden in Polen als Flüchtlinge anerkannt, reisten dann aber im Dezember 2012 nach Deutschland weiter. Hier lehnte das BAMF ihren Asylantrag aufgrund der Anerkennung in Polen als unzulässig ab und drohten ihnen die Abschiebung an. Das Paar bekam dann ein weiteres Kind, für das ein Asylantrag in Deutschland gestellt wurde. Das BAMF lehnte den Asylantrag ab, da es Art. 20 Abs. 3 Dublin-III Verordnung analog für auf nachgeborene Kinder von in einem anderen Mitgliedstaat Anerkannten anwendbar hielt und verwies auf Polen. Das Verwaltungsgericht Cottbus legte den Streit dem EuGH zur Klärung vor. Dieser entschied nun, dass Art. 20 Abs. 3 Dublin-III Verordnung nur für Dublin-Fälle gilt und nicht analog auf Anerkannte übertragbar sei. Das Kind sei weder über Polen nach Deutschland eingereist noch habe es dort einen Asylantrag gestellt. Deutschland ist deshalb für das Asylverfahren des in Deutschland geborenen Kindes zuständig und muss darüber auch inhaltlich entscheiden.

Das bedeutet in der Praxis, dass nachgeborene Kinder von in anderen Mitgliedstaaten anerkannten Geflüchteten im Asylverfahren in Deutschland entweder einen Schutzstatus bekommen oder eine Ablehnung mit einer Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland. Familien mit nachgeborenen Kindern sind zukünftig nicht mehr von einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat bedroht, da das nachgeborene Kind dorthin nicht abgeschoben und eine Trennung der Familie nicht hingenommen werden darf. Welche aufenthaltsrechtlichen Perspektiven die Familie in Deutschland hat, sollte sie am besten mit einer Beratungsstelle und/oder Anwält*in besprechen.

Weitere Informationen sind der Pressemitteilung des EuGH und einem Artikel auf migazin.de zu entnehmen.