Die Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts, über die das ARD-Hauptstadtstudio berichtet, liegen den zuständigen Behörden auf Bundes- und Landesebene seit Wochen vor. Sie decken sich in weiten Teilen mit den Forderungen von Pro Asyl und von den Flüchtlingsräten. Ausdrücklich formuliert das RKI: „Zudem müssen die gesetzlichen Kontaktbeschränkungen des Bundes und der Landesregierungen, die als Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der COVID-19-Pandemie in Deutschland gelten, für Menschen in GU umsetzbar sein.“ Dagegen wird nicht nur in den Erstaufnahmeeinrichtungen verstoßen, in denen nach wie vor hunderte von Menschen in Mehrbettzimmern untergebracht werden und sich teilweise mit einem ganzen Stockwerk die Sanitärräume teilen, sondern auch in etlichen kommunalen Gemeinschaftsunterkünften.
Auch die pauschale Quarantäne für alle Bewohner*innen, wie sie zum Beispiel in der Landeserstaufnahmestelle Ellwangen und auch in einer Gemeinschaftsunterkunft in Heidenheim verhängt wurde, widerspricht lange bekannten Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes. In dem bisher unveröffentlichten Papier gibt das Robert-Koch-Institut den Behörden wichtige Handlungsempfehlungen für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. Das Papier zeigt deutlich, dass der Umgang von Landes- und Kommunalbehörden mit Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, vielfach untragbar ist und dem Gesundheits- und Infektionsschutz in eklatanter Weise widerspricht.
Die RKI-Empfehlungen werden aber offenbar bewusst zurückgehalten. Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg: „Es ist typisch für Politik und Behörden, dass sie der wichtigsten ratgebenden Instanz im Umgang mit der Corona-Pandemie zwar in allen Bereichen folgen, aber die Empfehlungen genau dann ignorieren und unter Verschluss halten, wenn es um Geflüchtete geht.“
Das ARD-Hauptstadtstudio schreibt: „Die RKI-Experten raten etwa zu umfassender Information und Aufklärung in sämtlichen Sprachen – schriftlich und mündlich. Allen in den Unterkünften müssten die Übertragungswege des Virus und mögliche Krankheitsverläufe klar sein. Risikopatienten in den Einrichtungen müssten frühzeitig erkannt und in gesonderte Unterkünfte gebracht werden. Separate Wohneinheiten müssten vorsorglich vorgehalten werden. Im Falle eines Ausbruchs müsste es Möglichkeiten zur Isolation und medizinischen Versorgung geben. Um Ängsten und Missverständnissen vorzubeugen, müssten Ansprechpartner da sein. Einerseits müssten Kontaktpersonen von Corona-Patienten identifiziert werden. Zugleich soll aber eine gewisse Vertraulichkeit gewahrt bleiben.“
In den Handlungsempfehlungen warnt das Robert-Koch-Institut nachdrücklich vor pauschalen Quarantänen und der Abschottung ganzer Unterkünfte: „Eine Quarantäne der gesamten GU sowie das Errichten von physischen Barrieren (Zäunen) sind zu vermeiden. Durch eine Massenquarantäne wird eine vermeidbar hohe Exposition mit daraus resultierenden Risiken für alle BewohnerInnen in Kauf genommen, die den RKI-Empfehlungen zu Infektionsschutzmaßnahmen widerspricht.“
Der Epidemiologe Oliver Razum, einer der Autoren dieser Studie, kritisierte deutlich und explizit den Umgang der Baden-Württembergischen Behörden mit dem Coronavirus-Ausbruch in Ellwangen, bei dem über 400 Geflüchtete und 30 Mitarbeiter*innen nachweislich infiziert wurden. Man hätte es dort besser machen können, indem man von vornherein vermieden hätte, so viele Menschen auf engem Raum unterzubringen, so der Experte. Oder man hätte, nachdem klar war, dass eine Pandemiesituation entsteht, die Einrichtung auflösen und die Menschen dezentral in kleinen Wohneinheiten unterbringen müssen. Solche Maßnahmen hatte der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg am 19. März – also zwei Wochen vor dem ersten bestätigen Coronavirus-Fall in Ellwangen – gefordert.