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Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze im Schreiben des Justizministeriums

Flüchtlingsrat fordert unbedingten Schutz für alle Geflüchteten aus der Ukraine

Nach zahlreichen antiziganistischen* Vorfällen im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine in Baden-Württemberg bedient sich nun auch das Justizministerium in seinem Hinweisschreiben vom 25. Mai 2023 offenkundig rassistischer Formulierungen. Damit fördert das Ministerium eine Politik des offenen Misstrauens und des Rassismus gegenüber besonders schutzbedürftigen Personen. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg verurteilt dieses Vorgehen aufs Schärfste und fordert den unbedingten Schutz für alle Geflüchteten aus der Ukraine.

In dem Schreiben vom 25. Mai warnt das Ministerium davor, dass sich Personen aus dem ukrainisch-ungarischen Grenzgebiet bei Aufnahmebehörden im Land melden würden, welche eigentlich keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz hätten. Denn, so die Erklärung, diese Personen seien im Besitz eines ungarischen Passes und daher nicht schutzbedürftig – eine Fiktionsbescheinigung müsse entsprechend verweigert werden. Explizit wird an dieser Stelle auf Personen hingewiesen, welche „oft im Familienverbund vorstellig“ würden und angeben, sich in einer schlechten finanziellen Situation zu befinden. Zudem seien insbesondere Personen verdächtig, die sich „zur Verständigung oft fast ausschließlich der ungarischen Sprache bedienen“ oder mit denen „keine Verständigung auf Ukrainisch oder Russisch“ möglich sei.

Ohne die Zielgruppe eindeutig zu benennen, wird klar, dass das Ministerium mit dem Schreiben wohl auf geflüchtete Rom*nja abzielt, indem es einschlägige rassistische Vorurteile bedient. Hierzu zählt der Verweis auf die Flucht „im Familienverbund“, der angesichts der Tatsache, dass viele der Ukrainer*innen gemeinsam mit Familienmitgliedern flüchten, eigentlich jeglicher Logik entbehrt. Der Verweis auf die finanzielle Lage der vorstelligen Personen zielt auf die verbreitete Fehlannahme, Rom*nja würden insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen fliehen und seien nicht „wirklich“ schutzbedürftig. „Diese rassistischen Ressentiments transportieren die immer gleichen, jahrhundertealten Bilder gegen Rom*nja und Sinti*zze und grenzen massiv aus: Selbst jetzt – in Anbetracht des Krieges – sind unsere Menschen aus der Ukraine von gleichwertiger Hilfe auf der Flucht ausgeschlossen,“ erklärt Sonja Kosche, Roma-Aktivistin. Das Schreiben macht auch deutlich, dass es im Ministerium an Wissen zur sprachlichen Vielfalt in der Ukraine fehlt. Der Hinweis auf die Sprachkenntnisse der Personen verkennt die Situation von Minderheiten vor Ort. Denn in der Ukraine leben faktisch ungarisch-sprechende Minderheiten, auch ist es nicht ungewöhnlich, dass manche Rom*nja aus der Ukraine hauptsächlich auf Romanes kommunizieren.

„Baden-Württemberg wird seiner Verantwortung aus der NS-Zeit noch immer nicht gerecht, das beweisen auch diese rassistischen Auslassungen. Ganz im Gegenteil: Ausgrenzung und Kriminalisierung sind, wie die andauernde Verfolgung nach 1945, auch heute noch gängige Praxis gegen Rom*nja und Sinti*zze in Deutschland,“ macht Kosche deutlich. Denn mit seinem Schreiben ebnet das Ministerium den Weg zu kollektiven Vorverurteilungen und verstärkt das Misstrauen von Behörden. „Diese Kultur des Misstrauens hat fatale Folgen für die Betroffenen, denn ohne Fiktionsbescheinigung ist auch kein Zugang zu Sozialleistungen möglich“, sagt Elisa Söll vom Flüchtlingsrat BW. Im Extremfall müssen die Geflüchteten ungarische Auslandsvertretungen kontaktieren, um eine Bescheinigung vorlegen zu können, dass sie keine ungarische Staatsangehörigkeit haben – und das dauert. „Wir fordern daher, dass alle Personen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, im Land Schutz bekommen. Der Zugang zu einem fairen Verfahren und einem entsprechenden Schutz in Baden-Württemberg darf für flüchtende Rom*nja – aber eben auch Angehörige anderer Minderheiten – nicht eingeschränkt werden“, so Söll weiter.

Nachfragen des Flüchtlingsrats zum entsprechenden Schreiben waren vom Justizministerium nicht beantwortet worden.

*Der Begriff „antiziganistisch“ wird u.a. von Vertreter*innen der Community z.T. sehr kritisch gesehen, weil er durch seinen Bestandteil „zigan“ abwertende Fremdbezeichnungen reproduziert. Aus diesem Grund wird „zigan“ in diesem Text durchgestrichen.