Mit Urteil vom 16.4.2019 (Aktenzeichen: A 5 K 2488/18) hat das VG Freiburg entschieden, dass auch ein mehr als vier Wochen nach Einreise gestellter (förmlicher) Asylantrag ausnahmsweise noch unverzüglich im Sinne der Vorschriften über das Familienasyl (§ 26 AsylG) sein kann. Was war passiert:
Der am 7.12.2017 nach Deutschland eingereiste Vater hatte mit Hilfe des Flüchtlingssozialdienstes am 12.12.2017 ein an das „BAMF Freiburg“ adressiertes und unterschriebenes Schreiben verfasst und unter Berufung auf die Flüchtlingseigenschaft seines Sohnes und unter Angabe des betreffenden Aktenzeichens des Bundesamts Familienasyl nach § 26 AsylG beantragt. Außerdem war für denselben Tag ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Außenstelle des Bundesamts in Freiburg belegt, um einen Termin für die persönliche Vorsprache des Vaters beim Bundesamt zum Zweck der Asylantragstellung zu vereinbaren. Mit E-Mail-Schreiben vom 13.12.2017 teilte die Mitarbeiterin des Bundesamts dem Flüchtlingssozialdienst Folgendes mit: „… bitte teilen Sie dem Antragsteller mit, dass er seine Originalunterlagen mitbringen soll. Einen kurzfristigen Termin kann ich Ihnen momentan nicht anbieten. Ab dem 08. Januar 2018 nehmen wir wieder Anträge entgegen.“ In seinem Bemühen, dennoch vorher einen formwirksamen Asylantrag zu stellen, gab sich der Vater mit dieser Auskunft nicht zufrieden, sondern begab sich am 14.12.2017 zusammen mit seinem als Flüchtling anerkannten Sohn nach Karlsruhe zur dortigen Außenstelle des Bundesamts, um unter Vorlage eines vorformulierten, mit „Eingangsbestätigung Asylantrag“ überschriebenen Schreibens mit Datum vom 13.12.2017 persönlich einen Asylantrag zu stellen. In einem Schreiben einer Flüchtlingssozialarbeiterin war anschaulich beschrieben, welcher Odyssee der Vater dort sowie bei einer zweiten, dann sogar mehrtätigen Reise zur Bundesamtsaußenstelle in Karlsruhe am 18.12.2017 u.a. wegen eines Umzugs der zuständigen Abteilung des Bundesamts, wegen der Verweisung an die Flüchtlingsaufnahmestelle in Heidelberg usw., ausgesetzt wurde. An all diesen Stellen wurde der Vater vertröstet und weiterverwiesen mit der Folge, dass er unverrichteter Dinge nach Freiburg zurückkehren musste und es ihm vor dem 16.01.2018 nicht gelang, einen förmlichen Asylantrag zu stellen.
Streitentscheidend war die Frage, ob der Vater seinen Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hatte. Häufig liest man, dass eine Asylantragstellung später als zwei Wochen nach der Einreise nicht mehr unverzüglich sei. Blickt man ins Gesetz findet man eine solch starre Frist nicht. Vielmehr bedeutet unverzüglich gem. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Dieser unbestimmte Begriff muss in jedem Einzelfall konkretisiert werden. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 (Aktenzeichen 9 C 35/96) hatte das BVerwG für den Regelfall eine Frist von zwei Wochen für angemessen und ausreichend gehalten, schon damals aber darauf hingewiesen, dass auch ein späterer Antrag noch rechtzeitig sein könne, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte.
Letztlich geht es um die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, dass der Asylantrag nicht innerhalb von zwei Wochen gestellt wurde. An diese wichtige Einschränkung, die das Bundesamt, aber bisweilen auch die Beratungspraxis übersieht, hat das VG Freiburg mit seinem Urteil gewissermaßen „erinnert“. Angesichts der selten intensiven und außergewöhnlichen Bemühungen des Vaters um eine zeitnahe Asylantragstellung war es aus Sicht des Gerichts bedenklich und nicht nachvollziehbar, wie das Bundesamt auf die Idee kommen und diese aufrechterhalten konnte, dass es der Vater war, den hier ein Verschuldensvorwurf an der späten Asylantragstellung treffe. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Wenn das Bundesamt einen Asylbewerber ausdrücklich darauf verweist, er solle seinen Asylantrag zu einem Zeitpunkt stellen, der mehr als vier Wochen nach seiner Einreise liegt, und ihm dann später vorhält, er habe seinen Asylantrag zu spät, nämlich nicht binnen zweier Wochen, gestellt, so ist das nicht nur rechtlich unhaltbar, sondern sogar menschlich unanständig.“
In der Asylpraxis spielt das Familienasyl eine immer wichtigere Rolle; knapp zwei Drittel der Flüchtlingsanerkennungen beruhten im Jahr 2018 auf dieser Vorschrift. Es verwundert deshalb nicht, dass sich auch die Fälle mehren, in denen vor Gericht über die „richtige“ Auslegung einzelner Voraussetzungen des Familienasyls gestritten wird. Der Fall steht dabei symptomatisch für die immer restriktivere Linie, welche die asylrechtliche Behörden- und Gesetzgebungspraxis seit geraumer Zeit prägt. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie wichtig es ist, als Asylantragsteller und Berater die eigenen „Hausaufgaben“ so gut es geht zu erledigen und zu dokumentieren, um in einem späteren Gerichtsverfahren eine möglichst gute Ausgangsposition zu haben. In diesem Fall ist das mustergültig geschehen.