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BVerfG: AsylbLG-Leistungskürzungen verfassungswidrig

"Zwangsverpartnerung" rechtfertigt keine Leistungen nach Regelbedarfstufe 2

Die Einstufung in Regelbedarf 2 für alleinstehende und alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar. Zu diesem Ergebnis kam das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 19. Oktober 2022, 1 BvL 3/21.

Im April 2021 wurde dem BVerfG von einem Sozialgericht die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG vorgelegt. Auf dieser Grundlage erhalten seit 2019 alleinstehende/alleinerziehende Gestattete und Geduldete in Sammelunterkünften gekürzte Leistungen (Regelbedarf 2) in Höhe von 10%. Begründet wird dies mit einem Leben in einer eheähnlichen Lebenssituation in Gemeinschaftsunterkünften. Diese Annahme ist verfassungswidrig wie das BVerfG – mit Hilfe von Stellungnahmen durch Pro Asyl und anderen – urteilte.

Denn es gibt keine empirischen Befunde dafür, dass „in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können“. Die Begründung für die Kürzung der Leistungen ist daher nicht mehr tragfähig. Eine Absenkung von Leistungen sei nur möglich, wenn Betroffene „tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten“ ergreifen können, „die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern“.

Das bedeutet in der Praxis:

Ab dem 24.11.2022 müssen alle alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften im Analogleistungsbezug nach § 2 AsylbLG wieder Leistungen nach Regelbedarfsstufe 1 erhalten. Dies gilt auch rückwirkend, soweit gegen entsprechende Kürzungen noch fristgemäß Widerspruch oder Klage eingelegt wird oder wurde. Bei manchen Personen lohnt es sich noch, in ein Widerspruchsverfahren einzusteigen. Dies hängt von den Bescheiden bzw. Auszahlungen ohne Bescheide ab. Widerspruchsverfahren können ohne rechtliche (siehe auch Arbeitshilfe der GGUA) oder mit rechtlicher Unterstützung eingeleitet werden.  

Alleinstehenden/alleinerziehenden Personen in Gemeinschaftsunterkünften in Grundleistungen nach §§ 3/3a AsylbLG erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Regelbedarfsstufe 2. Pro Asyl und das Bundesministerium für Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) halten die Entscheidung des BVerfG aber übertragbar. Wie Baden-Württemberg dies umsetzt, ist noch unklar.

Gibt es Zweifel, ob höhere Leistungen gewährt werden, gilt: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig klagen.