Aufgrund von bewaffneten Konflikten, Verfolgung, Folter, unzureichender medizinischer Versorgung in den Herkunftsstaaten sowie häufig jahrelanger Fluchtwege verbunden mit Aufenthalten in Sammellagern mit unzureichender Wasser-, Hygiene- und Sanitärversorgung unterliegen geflüchtete Menschen einem erhöhten Risiko, psychisch oder physisch zu erkranken.
Aber wie hoch sind die Zahlen wirklich? Welche Auswirkungen können Erkrankungen auf das Asylverfahren oder auf den aufenthaltsrechtlichen Status haben? Welche Anforderungen müssen ärztliche Atteste berücksichtigen? Das Thema Krankheit wirft im Kontext Flucht zahlreiche Fragen auf.
von Meike Olszak
Wie steht es um den Gesundheitszustand nach Deutschland geflüchteter Menschen? Es ist tatsächlich kaum möglich, substantielle Aussagen darüber zu treffen, wie hoch der Anteil verschiedener Erkrankungen innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe ist. Grund dafür ist ein Mangel an bundesweiten und über Raum und Zeit vergleichbaren Daten. Der Erhebung relevanter Daten über die Gesundheit und Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland steht eine Reihe von Hürden entgegen. Repräsentative Gesundheitsstudien würden zum Beispiel eine sprachliche, kulturelle und kontextbezogene Anpassung von Befragungsinstrumenten erfordern. Routinedaten sind nicht einfach zugänglich und wenig vergleichbar, da sie in den Ambulanzen der Erstaufnahmeeinrichtungen unterschiedlich zusammengefasst werden. Das vorhandene Wissen fußt daher fast ausschließlich auf lokalen und zeitlich begrenzten Einzelstudien. Obwohl es dadurch schwierig ist, aussagekräftige Zahlen zu finden, ist die Tendenz eindeutig:
Erhöhtes Risiko psychischer und physischer Krankheit
Aufgrund der Erfahrungen vor, während und nach der Flucht sind geflüchtete Menschen einer Vielzahl von besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Internationale Studien zeigen, dass sie eine höhere Krankheitslast aufweisen und häufiger an psychischen, Infektions- und nicht übertragbaren chronischen Erkrankungen sowie an Ernährungsstörungen leiden. Die Bundestherapeutenkammer sprach 2015 davon, dass mindestens die Hälfte der geflüchteten Menschen in Deutschland psychisch krank sei. Etwa 40 bis 50 Prozent der Erwachsenen würden unter posttraumatischen Belastungsstörungen und rund die Hälfte unter Depressionen leiden. Daher ist eine effiziente gesundheitliche Versorgung nach Ankunft in Deutschland von großer Bedeutung. Diese ist für eine Vielzahl geflüchteter Menschen jedoch stark eingeschränkt.
Zugang zur Gesundheitsversorgung
Asylsuchende, geduldete und ausreisepflichtige Personen ohne geregelten Aufenthalt, die sich seit weniger als 18 Monaten in Deutschland aufhalten, können nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur bei akuter Erkrankung und Schmerzzuständen behandelt werden (§ 4 Absatz 1 AsylbLG). Ausnahmen gelten unter anderem für Schwangere. Die Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung variiert stark zwischen den Bundesländern. Während in einigen Bundesländern Asylsuchende mittlerweile eine elektronische Gesundheitskarte erhalten, müssen die Schutzsuchenden in anderen Bundesländern, unter anderem in Baden-Württemberg, weiterhin vor einer Behandlung bei der zuständigen Behörde einen Behandlungsschein beantragen. Dadurch entstehen zusätzliche bürokratische Hürden. Mit Zuerkennung eines Schutzstatus oder nach 18-monatigem Aufenthalt erhalten Geflüchtete Zugang zu den regulären Gesundheitsleistungen. Strukturelle, sprachliche, kulturelle und geografische Barrieren beim Zugang zu Versorgungsangeboten bestehen jedoch häufig fort.
Geltendmachung einer Krankheit während des Asylverfahrens
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Asylsuchende auf bestehende psychische und physische Krankheiten im Asylverfahren hinweisen und diese nach Möglichkeit mit aussagekräftigen (!) ärztlichen Bescheinigungen nachweisen. Gelegenheit dazu besteht in erster Linie im Rahmen der persönlichen Anhörung. Diese ist ein fundamentaler Bestandteil des Asylverfahrens. Sie wird von Mitarbeitenden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt und kann bereits wenige Tage nach Asylantragstellung oder aber mehrere Monate später stattfinden. Die Anhörung beginnt in der Regel mit einem Katalog von Fragen zu den persönlichen Verhältnisse und zum Reiseweg. Anschließend können die Asylsuchenden ihre Fluchtgründe sowie besondere Umstände, wie zum Beispiel Erkrankungen, vortragen.
Da die Mitarbeitenden des BAMF in der Regel nicht explizit nachfragen werden, ist es wichtig, dass Asylsuchende eigenständig auf physische oder physische Erkrankungen hinweisen. Die anschließende Prüfung möglicher Schutzgründe basiert größtenteils auf diesen Darlegungen. Das BAMF prüft im Asylverfahren, ob die antragstellende Person die Voraussetzungen für die Asylberechtigung, die Flüchtlingsanerkennung, den subsidiären Schutz oder ein Abschiebungsverbot erfüllt. Die Geltendmachung einer Erkrankung kann unter Umständen zu einem Abschiebungsverbot führen, zum Beispiel, wenn eine Behandlung im Herkunftsstaat nicht möglich ist. Aber auch bei anderen Schutzgründen kann eine vorhandene Erkrankung eine Rolle spielen, etwa wenn es für eine inländische Fluchtalternative auf die Erwerbsfähigkeit der asylsuchenden Person ankommt.
Das BAMF erwartet, dass die Fluchtgründe der betroffenen Person möglichst detailliert und widerspruchsfrei dargelegt werden. Für traumatisierte Personen, die beispielsweise aufgrund von Verdrängung bestimmter Ereignisse Erinnerungslücken aufweisen, ist eine solche Darlegung unter Umständen unmöglich. Das BAMF schließt von mangelnder Detailliertheit und Widersprüchen in der Fluchtgeschichte regelmäßig auf die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens. In solchen Fällen kann der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Daher sollten psychische Erkrankungen, wie Traumafolgestörungen, frühzeitig diagnostiziert und durch entsprechende Atteste nachgewiesen werden. Gelingt dies nicht vor der Anhörung, sollten danach ausgestellte Atteste sofort beim BAMF oder – wenn schon ein gerichtliches Verfahren läuft – auch bei Gericht eingereicht werden. Auch nach abgeschlossenem Asylverfahren können psychische und physische Erkrankungen im Asylund Aufenthaltsrecht in ganz unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sein.
Krankheit als Abschiebungshindernis
Trotz negativem Abschluss des Asylverfahrens kann eine Abschiebung durch die Geltendmachung einer Krankheit unter Umständen verhindert werden, denn Erkrankungen können ein Abschiebungshindernis gemäß § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG darstellen. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis tatsächlich durchzusetzen ist allerdings schwierig. In der Regel wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Absatz 2c AufenthG). Die Anforderungen an die zur Entkräftung dieser Vermutung erforderlichen fachärztlichen Atteste sind hoch. Erforderlich ist eine fachärztliche Bescheinigung, die die »tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten« muss. Außerdem müssen die zur Behandlung der Erkrankung erforderlichen Medikamente mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein. Fehlt nur eine der Anforderungen, wird das Attest nicht berücksichtigt. Das Attest muss so schnell wie möglich angefertigt und dem Regierungspräsidium Karlsruhe und der örtlichen Ausländerbehörde zur Kenntnis gegeben werden.
Mit der Begründung, dass Atteste nur von Fachärzt*innen ausgestellt werden dürfen, werden Gutachten von psychologischen Psychotherapeut*innen häufig abgelehnt. Diese Anforderungen gelten (inzwischen) auch für die im Asylverfahren geprüften zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote (§ 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG). Sonderregelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht Das Aufenthaltsgesetz verzichtet teilweise auf die Erfüllung bestimmter Erteilungsvoraussetzungen, sofern diese wegen einer Krankheit nicht erfüllt werden können. Beispielsweise wird bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei nachhaltiger Integration von den Voraussetzungen der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung und des Sprachnachweises abgesehen, wenn die geflüchtete Person sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit nicht erfüllen kann (§ 25b Absatz 3 AufenthG). Mit derselben Begründung kann eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Absatz 2 AufenthG ohne Nachweis von Deutschkenntnissen, Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung, der Lebensunterhaltssicherung und einer (ausreichenden) Altersvorsorge erteilt werden (§ 9 Absatz 2 Satz 3 AufenthG). Im Rahmen des Ehegattennachzugs ist der A1-Sprachnachweis entbehrlich, wenn dieser wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erbracht werden kann (§ 30 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 AufenthG).
Ähnliche Ausnahmen existieren im Kontext der Niederlassungserlaubnis für Kinder (§ 35 Absatz 4 AufenthG) und der Einbürgerung (§ 10 Absatz 6 StAG). Auch im Rahmen des Familiennachzugs kann die Gesundheit der nachzugswilligen Person von Bedeutung sein. Ist die nachzugswillige Person (oder die Person in Deutschland) pflegebedürftig und auf familiäre Hilfe angewiesen, kann einem Familienangehörigen unter Umständen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden.
Die Geltendmachung einer Krankheit kann darüber hinaus relevant sein, wenn die geflüchtete Person zum Beispiel in die Nähe eines pflegebedürftigen Verwandten oder aufgrund von Krankheit in die Nähe eines bestimmten Behandlungsortes ziehen möchte. Solche Anliegen müssen sowohl bei der landesübergreifenden und landesinternen Verteilung (§ 51 Absatz 1 AsylG; § 50 Absatz 4 Satz 5 AsylG) als auch bei der Wohnsitzauflage für Geduldete (§ 61 Absatz 1d Satz 3 AufenthG) berücksichtigt werden.
Fazit
Insgesamt wird deutlich, dass der Forschungsbedarf hinsichtlich des Gesundheitszustands und der medizinischen Versorgung geflüchteter Menschen in Deutschland hoch ist. Existierende Studien lassen jedoch unstrittig darauf schließen, dass diese Personengruppe einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Vor allem psychische Erkrankungen treten im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung besonders häufig auf. Die Geltendmachung physischer und psychischer Erkrankungen kann sowohl während der Anhörung im Asylverfahren, als auch zu einem späteren Zeitpunkt von großer Bedeutung sein. Die Anforderungen an fachärztliche Atteste sind allerdings hoch. Um bürokratische, kulturelle und sprachliche Hürden zu verringern, ist ehrenamtliche Unterstützung bei der Geltendmachung von Erkrankungen für die Betroffenen daher häufig unentbehrlich._
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 1/2022 unseres Magazins Perspektive, das kostenlos bestellt und heruntergeladen werden kann.