Nach der Einreise von Familienangehörigen, z.B. im Rahmen des Familiennachzugs, zu Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen oder subsidiär Schutzberechtigten oder auch nach Geburt eines Kindes von Schutzberechtigten stellt sich regelmäßig die Frage, ob ein Asylantrag für die neu eingereiste(n) bzw. neugeborene(n) Person(en) sinnvoll ist. Ein solcher Asylantrag führt unter bestimmten Umständen dazu, dass Familienasyl gemäß § 26 AsylG gewährt wird. Familienasyl bedeutet, dass der Schutzstatus eines Mitglieds der Kernfamilie auf die neu eingereiste(n) bzw. neugeborene(n) Familienangehörigen „übertragen“ wird. Dieser wird – und das ist das Besondere am sog. Familienasyl – unabhängig von einer eigenen Gefährdung erteilt.
Gemäß § 26 AsylG kann unter bestimmten Voraussetzungen folgenden Angehörigen einer in Deutschland schutzberechtigten Person Familienasyl gewährt werden:
- Ehegatt*innen
- eingetragenen Lebenspartner*innen (bis einschließlich September 2017 für gleichgeschlechtliche Paare wählbare Beziehungsform)
- Eltern eines minderjährigen, unverheirateten Kindes
- minderjährigen, unverheirateten Kindern und
- minderjährigen, ledigen Geschwistern einer minderjährigen schutzberechtigten Person.
Familienasyl beantragen – ja oder nein?
Es gibt keinen gesonderten Antrag auf Familienasyl. Um den Schutzstatus von einem*einer Familienangehörigen abzuleiten, muss folglich ein „normaler“ Asylantrag gestellt werden. Wenn die Voraussetzungen des § 26 AsylG vorliegen, wird ein Schutzstatus gewährt. Grundsätzlich kommt bei Angehörigen von Schutzberechtigten auch die Erteilung eines Status infrage, der besser ist als der Status des*der Familienangehörigen. Relevant ist dies insbesondere dann, wenn der*die Familienangehörige subsidiären Schutz hat. Bei Vorliegen individueller Verfolgung besteht in diesen Konstellationen ein Anspruch auf Prüfung der Flüchtlingseigenschaft in einem individuellen Asylverfahren.
Die Entscheidung, ob Angehörige von Schutzberechtigten einen Asylantrag stellen sollten, hängt von verschiedenen Faktoren ab, weshalb in der Regel die Hinzuziehung einer Beratungsstelle bzw. eines*einer Rechtsanwalts*Rechtsanwältin notwendig ist.
Zu bedenken sind ganz generell folgende Faktoren:
- Welchen Schutzstatus hat der*die Angehörige?
Diese Frage ist zum einen deshalb wichtig, weil eine Statusübertragung über das Familienasyl nur bei der Asylberechtigung, der Flüchtlingseigenschaft oder dem subsidiären Schutz in Betracht kommt. Beim nationalen Abschiebungsverbot (§ 60 Absatz 5, 7 AufenthG) ist das nicht möglich. Zum anderen gehen mit den unterschiedlichen Status unterschiedliche Rechtsfolgen einher. Beispielsweise erhalten nur Personen mit Flüchtlingseigenschaft einen Reiseausweis für Flüchtlinge (sog. blauer Pass), subsidiär Schutzberechtigte erhalten nicht standardmäßig ein Passersatzpapier von Deutschland. Aber auch bei subsidiär Schutzberechtigten darf die Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis allerdings nicht von der Passvorlage abhängig gemacht werden (§ 5 Absatz 3 Satz 1 AufenthG), wodurch sich auch bei subsidiär Schutzberechtigten durch die Schutzgewährung Vorteile gegenüber einem familiären Aufenthaltstitel ergeben. Je nach Schutzstatus des*der Stammberechtigten bietet der mit dem Familienasyl verliehene Schutzstatus gegenüber der familiären Aufenthaltserlaubnis Vorteile, bspw. in den Bereichen Aufenthaltsverfestigung und Ausweisungsschutz. - Droht bei der schutzberechtigten Person ein Widerruf des Schutzstatus?
Der Antrag auf Familienasyl kann dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Anlass geben, ein Widerrufsverfahren gemäß § 73, § 73b oder § 73c AsylG für die stammberechtigte Person einzuleiten (>> Widerruf und Rücknahme des Schutzstatus). - Ist ein Nachzug von weiteren Angehörigen der Kernfamilie erwünscht?
Diese Konstellation ist insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen mit Flüchtlingseigenschaft relevant. Diese haben gemäß § 36 Absatz 1 AufenthG einen Anspruch auf Nachzug der Eltern, der allerdings die minderjährigen Geschwister nicht miteinbezieht. Häufig wird in der Praxis deshalb ein sog. „Kaskadennachzug“ angestrebt, d.h. die Eltern oder ein Elternteil reist zum*zur unbegleiteten Minderjährigen nach, stellt dann unverzüglich (Begriffsklärung siehe unten) nach der Einreise einen Asylantrag, erhält im Wege des Familienasyls denselben Status wie der*die ehemals Unbegleitete und holt dann den Rest der Familie im Wege des Ehegatt*innen- bzw. Kindernachzugs nach Deutschland.
Voraussetzungen für Familienasyl
Eine grundlegende Voraussetzung ist, dass die Anerkennung der stammberechtigten Person unanfechtbar, also endgültig ist. Außerdem dürfen kein Widerruf und keine Rücknahme des Schutzstatus des Stammberechtigen erfolgt sein. Die weiteren Voraussetzungen unterscheiden sich je nach Verwandtschaftsverhältnis.
Familienasyl des*der Ehepartner*in (§ 26 Absatz 1 AsylG)
Um den Schutzstatus von dem*der Ehepartner*in abzuleiten, muss die Ehe schon im Herkunftsstaat bestanden haben und der*die Ehepartner*in muss vor der Anerkennung der stammberechtigten Person eingereist oder den Asylantrag unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“) nach der Einreise gestellt haben. Bei Familienmitgliedern, die mit einem Visum zum Familiennachzug einreisen, bedeutet dies laut Dienstanweisung Asyl des BAMF, dass der Antrag innerhalb von drei Monaten nach der Einreise gestellt werden muss. In anderen Fällen geht man von einer Zweiwochenfrist aus. Wird die Frist unverschuldet überschritten, kann im Einzelfall ein längerer Zeitraum auch noch als unverzüglich gelten. In jedem Fall sollte aber rasch nach der Einreise geprüft werden, ob ein Asylantrag sinnvoll ist, um – falls dies bejaht wird – die Frist noch einhalten zu können.
Familienasyl des Kindes (§ 26 Absatz 2 AsylG)
Damit ein minderjähriges lediges Kind den Status von der stammberechtigten Person ableiten kann, ist es nicht nötig, unverzüglich nach der Einreise den Asylantrag zu stellen. Zum Zeitpunkt des Asylantrags muss das Kind allerdings noch minderjährig sein.
Familienasyl der Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Kindes (§ 26 Absatz 3 AsylG)
Die Eltern einer unbegleiteten minderjährigen Person können im Rahmen des Familienasyls denselben Status wie ihr Kind erhalten, wenn die Familie schon im Herkunftsland bestanden hat, und sie vor der Anerkennung der stammberechtigten Person eingereist oder den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (siehe oben). Die Eltern müssen die Personensorge für das Kind innehaben. Dies ist meist unproblematisch, wenn die Eltern wirksam miteinander verheiratet sind. Rechtlich strittig ist aktuell, ob Familienasyl auch in Fällen möglich ist, in denen das den Schutzstatus innehabende Kind erst in Deutschland geboren wurde. Auch minderjährige ledige Geschwister des*der minderjährigen schutzberechtigten Person können Familienasyl erhalten.
Ablauf des Familienasylverfahrens
Wenn man als Familienangehörige*r einer schutzberechtigten Person einen Asylantrag stellen möchte, muss man unterschiedlich vorgehen, je nachdem welche Konstellation zutrifft:
- Wenn der*die Familienangehörige, der*die einen Asylantrag stellen möchte, einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von sechs Monaten oder weniger hat, muss der Asylantrag gemäß § 14 Absatz 1 AsylG persönlich in einer Außenstelle des Bundesamtes gestellt werden. Dann entsteht gemäß § 47 Absatz 1 AsylG für eine bestimmte Zeit die Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen.
- Wenn die Familienangehörigen, die einen Asylantrag mit dem Ziel, Familienasyl zu erhalten, stellen möchten, einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besitzen, ist der Asylantrag gemäß § 14 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 AsylG Zentrale des BAMF in Nürnberg zu stellen und zwar schriftlich. Hierfür kann ein Formular vom BAMF genutzt werden. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen.
- Wenn allein einreisende minderjährige Kinder einer schutzberechtigten Person einen Asylantrag stellen wollen, können sie diesen gemäß § 14 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 AsylG mittels des oben erwähnten Formulars schriftlich bei der Zentrale des BAMF in Nürnberg einreichen. Wohnen dürfen sie ab Einreise bei ihren Eltern.
Insbesondere bei über den Familiennachzug eingereisten Ehepartner*innen bzw. Eltern von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die unverzüglich nach der Einreise (d.h. innerhalb von drei Monaten) einen Asylantrag stellen müssen, ist es wichtig, schnellstmöglich nach Einreise einen Antrag auf Ausstellung einer familiären Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Dies hat damit zu tun, dass die Visa zum Familiennachzug in der Regel nur für eine Dauer von drei Monaten erteilt werden. Die Verpflichtung, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann ggf. dadurch umgangen werden, dass die Ausländerbehörden vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums eine Aufenthaltserlaubnis oder Fiktionsbescheinigung mit Gültigkeitsdauer von mehr als sechs Monaten ausstellen. Dann entsteht keine Verpflichtung zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung und Familien werden nicht mehr für die Dauer des Asylverfahrens getrennt. Sollte das nicht gelingen, müssen die Familienangehörigen leider zunächst in einer Erstaufnahmestelle wohnen.
Bei Familienasylfällen kann das BAMF auf eine Anhörung verzichten, wenn es den Familienangehörigen über § 26 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen will (EU-Verfahrensrichtlinie Art. 14 Absatz 2). Auch § 24 Absatz 1 Satz 5 AsylG sieht einen Verzicht auf die Anhörung vor, wenn das BAMF einem auf internationalen Schutz beschränkten Asylantrag stattgeben möchte. In allen anderen Fällen muss eine Anhörung durchgeführt werden. Um sicherzugehen, dass der Anspruch auf Familienasyl gewahrt wird, sollte man bei der Asylantragstellung auf Familienasyl verweisen und den Anerkennungsbescheid der stammberechtigten Person vorlegen. Bei der Anhörung sollten auch stets die individuellen Fluchtgründe und befürchteten Gefahren im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgebracht werden, damit ggf. aufgrund einer individuell vorgetragenen Verfolgungsgefahr Schutz gewährt werden kann. Vor der Asylantragstellung sollte man sich bei einer Beratungsstelle bzw. einem*einer Anwalt*Anwältin beraten lassen.
Wird Familienasyl gewährt, erteilt die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 1 oder 2 AufenthG, abhängig vom Schutzstatus der stammberechtigten Person. Diese muss unabhängig von der Erfüllung der Passpflicht erteilt (und verlängert) werden (§ 5 Absatz 3 Satz 1, § 8 Absatz 1 AufenthG). Hat die stammberechtigte Person die Flüchtlingseigenschaft oder Asylberechtigung, so erhält der*die Angehörige nach Gewährung des Familienasyls ebenfalls einen Reiseausweis für Flüchtlinge.
Familienasyl bei Geburt eines Kindes im Bundesgebiet
Wird ein Kind in Deutschland geboren und die Eltern(-teile) sind anerkannte Asylberechtigte, Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte, kommt im Falle einer Asylantragstellung Familienasyl in der Form des „Kinderasyls“ in Betracht. Die Entscheidung, ob ein Asylantrag gestellt werden soll, hängt auch hier von vielen Faktoren (u.a. potenzielles Widerrufsverfahren des jeweiligen Elternteils) ab, weshalb unbedingt eine Beratung in Anspruch genommen werden sollte. Hier gibt es keine Frist für die Stellung des Asylantrags.
Unabhängig von der Frage, ob ein Asylantrag für das neugeborene Kind gestellt werden soll, besteht die Option auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG. Diese Aufenthaltserlaubnis wird von Amts wegen erteilt, wenn beide Elternteile oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis haben. Wenn nur ein Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis hat, steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde.
Weitere informationen
- Maren Schulz, in perspektive 2/2021: Geburt eines Kindes. Welches ist die beste Option: Familienasylantrag oder eine familiäre Aufenthaltserlaubnis
- Handbook Germany, August 2022: Familienasyl
- Paritätischer Gesamtverband, April 2018: Familienasyl und internationaler Schutz für Familienangehörige im Kontext des Familiennachzuges
- Informationsverbund Asyl & Migration, November 2019: Familienschutz