Blackbox Abschiebehaft

Die Arbeitsgruppe Abschiebehaft Pforzheim ist besorgt über die Situation in Baden-Württembergs Abschiebehafteinrichtung. Bei einem Pressegespräch am Mittwoch informierte die Gruppe aus haupt- und ehrenamtlich Tätigen über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen in Abschiebehaft, und beklagten dabei gravierende Mängel.

Weil die Abschiebehaft keine Strafhaft ist, sondern „lediglich“ der Sicherung der Abschiebung dient, müssten die Bedingungen innerhalb der Haftanstalt eigentlich weniger restriktiv sein als die für Personen, die wegen begangener Straftaten hinter Gitter sitzen. Doch in Pforzheim sei dies nicht der Fall, eher im Gegenteil – so die AG Abschiebehaft, die sich Mitte April mit einem offenen Brief an Verantwortliche in Politik und Verwaltung gewandt hat, um die festgestellten Missstände anzuprangern.

„Aus Statistiken von Anwälten und Beratungsstellen ist bekannt, dass ein erheblicher Anteil der Inhaftierungen in der Abschiebehaft – rund 50% – rechtswidrig sind“, erklärte Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Umso wichtiger ist es nach Überzeugung der Arbeitsgruppe, dass die Inhaftierten Zugang zu Unterstützung und Beratung haben. Doch dies werde in Pforzheim massiv erschwert.

„Wir würden gerne kontrollieren, ob die Inhaftierungen rechtmäßig sind. Aber ich kann nicht einfach reingehen und eine offene Beratungsstunde anbieten, sondern werde wie eine normale Besucherin behandelt und kann immer nur gezielt eine bestimmte Person besuchen, dessen Namen ich kenne. So können nur diejenigen beraten werden, die auf uns zukommen. Wer nicht von unserem Angebot weiß, kann auch keine unabhängige Beratung erhalten“, berichtete Kirsten Boller, die im Auftrag von Caritas und Diakonie als Kontakt- und Beratungsstelle in der Abschiebehaft fungiert.

„Viele der Inhaftierten verstehen die Verfahren nicht und verstehen nicht, warum sie im Gefängnis sitzen, ohne eine Straftat begangen zu haben“, betonte Anna Roß von Amnesty International. Aus ihrer Sicht müssten Inhaftierte in der Abschiebehaft Pflichtverteidiger zugeteilt bekommen – so wie es in Strafsachen vorgeschrieben ist. Die ehrenamtliche Beraterin berichtete von Fällen, in denen Väter von Patchwork-Familien oder von ungeborenen Kindern in der Abschiebehaft saßen. Auch Traumatisierte oder chronisch Kranke seien keine Seltenheit.

„Eine dringend notwendige psychologische Betreuung findet faktisch nicht statt. Ähnlich sieht es bei schweren physischen Krankheiten und Verletzungen aus“, berichtete Pfarrer Andreas Quincke, der evangelische Seelsorger in der Hafteinrichtung. Er schilderte einen Fall, in dem er einen dringend benötigen Augenarzttermin für einen Inhaftierten organisierte, die Zuständigen in der Abschiebehaft sich einfach weigerten, den Betroffen dort hinzubringen.

„Mit den Kranken ist es ähnlich wie mit den auf rechtlich fragwürdiger Grundlage Inhaftierten, die mangels Zugang zu Beratung und anwaltlicher Unterstützung nichts gegen ihre Inhaftierung unternehmen können: Der Anstaltsleitung scheint es ganz recht zu sein, dass da niemand zu genau hinschaut. Im Zweifel hat man dann eben eine Abschiebung mehr erreicht – das gilt ja heutzutage grundsätzlich als Erfolg“, so Pfarrer Quincke.

Die fehlende Transparenz, die nach Auffassung der AG Abschiebehaft durchaus von verantwortlicher Stelle gewollt zu sein scheint, kritisiert auch Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Anfangs habe man Hoffnungen in den gesetzlich vorgeschriebenen Beirat gesetzt, der formal das Recht hat, unangemeldete Besuche durchzuführen und die Inhaftierten in ihren Zellen aufzusuchen. „Diese Hoffnung hat sich schnell erledigt, denn der Beirat führt lediglich nach Absprache mit der Anstaltsleitung angemeldete Besuche durch und unterbreitet den Verantwortlichen unverbindliche Anregungen, die diese folgenlos ignorieren können. Der Beirat kann eventuelle Kritik oder Missstände nicht nach außen tragen, wenn die Anstaltsleitung und das Innenministerium nichts unternehmen. Deshalb hat dieser Beirat lediglich eine Alibi-Funktion“, so Schmidt.

Kirsten Boller betonte, dass das, was die Arbeitsgruppe in Pforzheim fordert, keineswegs illusorisch sei. In anderen Bundesländern sei es absolut normal, dass es in der Haftanstalt ein eigenes Büro für eine unabhängige Beratungsstelle gibt, die regelmäßige offene Sprechstunden anbieten kann.

Woanders üblich und völlig unstrittig ist auch das Recht auf die Abhaltung religiöser Feiern. Doch in Pforzheim endet auch dieses Recht an der Gefängnispforte, wie Andreas Quincke beklagt: „Im Abschiebehaftgesetz steht zum Thema Religion leider nur ein Satz: Dass die Inhaftierten das Recht auf Kontakt zu einem Seelsorger ihrer Religion haben. Die maximal restriktive Linie der Anstaltsleitung sieht so aus, das genau dies gewährt wird, aber auch wirklich nur dies. Das heißt, dass Seelsorge nur in Einzelgesprächen stattfinden kann. Ein christlicher Gottesdienst, ein islamisches Freitagsgebet oder auch eine interreligiöse Feier, wo sich mehrere Personen versammeln – all diese Sachen sind in jeder Justizvollzugsanstalt völlig normal, doch hier werden sie ohne Begründung schlicht untersagt. Das halte ich für einen Skandal.“ Die Seelsorger werden ebenfalls wie besuchende Privatpersonen behandelt, während in anderen Abschiebehafteinrichtungen und Justizvollzugsanstalten Seelsorgende meist einen ungehinderten Zugang haben.

„Wir haben den Dialog mit der Anstaltsleitung und mit dem Beirat gesucht, wir haben auch mit Landes- und Bundestagsabgeordneten gesprochen. Aber an den Zuständen hat sich nichts geändert. Deshalb haben wir beschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen“, erklärte Christian Schmidt. Zudem sagte er mit Blick auf die Pläne von Bundesinnenminister Seehofer nach Gesetzesverschärfungen bezüglich Abschiebehaft: „In Pforzheim braucht man diese Verschärfungen nicht. Denn restriktiver als es jetzt ist kann man es eigentlich ohnehin nicht mehr machen.“ Aus seiner Sicht besteht ein Zusammenhang zwischen den Gesetzesverschärfungen, den Missständen in der Abschiebehaft und den gesellschaftlichen Rechtsruck. Auch deshalb erfolgte der Hinweis auf die Demonstration am Samstag gegen den Aufmarsch der Partei „Die Rechte“. Die Gegendemonstration beginnt um 11 am Hauptbahnhof und wird zwischen 12 und 13 Uhr an der Abschiebehaft sein.


Hochschwangere psychisch kranke Frau von ihrem Partner getrennt

Zehn Tage vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes wurde am 23. April eine hochschwangere Frau nach Albanien abgeschoben, die an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Durch die Abschiebung wurde die Frau vom Vater des ungeborenen Kindes getrennt. Die Ausländerbehörde in Stuttgart hatte Bedenken bezüglich der Abschiebung geäußert, die vom Regierungspräsidium Karlsruhe ignoriert wurden. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg stuft diese Abschiebung als ein abschreckendes Beispiel dafür ein, wie drastische humanitäre Problemlagen gerade bei besonders schutzbedürftigen Personen zugunsten einer möglichst hohen Abschiebequote missachtet werden.

Die Betroffene, Frau S., wurde am 23. April gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Tochter nach Albanien abgeschoben. Ungeachtet der sehr fortgeschrittenen Schwangerschaft hat die Polizei bei der Abschiebung nach Angaben des Partners der Frau unverhältnismäßige Gewalt angewendet, der Anwalt hat daraufhin Strafanzeige gestellt (siehe Artikel im Focus vom 30.04.).

Es handelt sich um eine Risikoschwangerschaft, was der Anwalt am Tag der Abschiebung gegenüber dem Gericht mit einem Eilantrag geltend gemacht hat. Aus Zeitgründen wurde über den Antrag nicht entschieden.

Es steht zu befürchten, dass durch die Abschiebung die Familieneinheit mit dem Vater des ungeborenen Kindes auf lange Sicht zerstört wird. Der Partner von Frau S. ist irakischer Staatsbürger und hat in Deutschland den subsidiären Schutz erhalten, derzeit läuft eine Klage auf die Flüchtlingseigenschaft. Das Regierungspräsidium Karlsruhe verweist darauf, dass es ihm zumutbar sei, die familiäre Lebensgemeinschaft in Albanien weiterzuführen. Wie dies praktisch möglich sein soll, ist nicht zuletzt wegen des laufenden Gerichtsverfahrens höchst fraglich.

Frau S. leidet an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund der Erkrankungen hatte die Ausländerbehörde Stuttgart gegenüber dem Regierungspräsidium Karlsruhe angegeben, dass sie vom Vorliegen von Abschiebungshindernissen ausgeht, dennoch hat das Regierungspräsidium an der Abschiebung festgehalten. Der Flüchtlingsrat vermutet, dass das Land gerade noch rechtzeitig vor Beginn der offiziellen Mutterschutzzeit die Abschiebung durchführen wollte. Angesichts der vulnerablen Gesamtsituation der Frau verurteilt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg diese Entscheidung aufs Schärfste.

„Der vorliegende Fall zeigt ganz deutlich, dass die Abschiebepolitik des Landes derzeit meilenweit davon entfernt ist, einen letzten Rest an Humanität zu bewahren“, stellt Melanie Skiba vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fest und fügt hinzu: „Der Fokus der Abschiebepolitik scheint darüber hinaus immer stärker auf diejenigen gelegt zu werden, die z.B. aufgrund von Krankheiten oder fortgeschrittener Schwangerschaft, besonders gut ‘dingfest‘ gemacht werden können. So wird die vulnerable Situation besonders schutzbedürftiger Geflüchteter schamlos ausgenutzt, um die Abschiebezahlen hochzuhalten.“


„Wie finde ich eine Ausbildung?“

Welche Schritte müssen gegangen werden, um eine Ausbildung zu finden? Wie ist eigentlich eine Ausbildung aufgebaut? Inwiefern stellt die Ausbildungsduldung eine Möglichkeit der Bleibeperspektive in Deutschland dar? Um auf solche Fragen möglichst niedrig schwelliege erste Antworten zu liefern, hat der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. im Projekt BLEIBdran ein Youtube-Tutorial erstellt. Das Tutorial liegt auf den Sprachen Arabisch, Dari, Deutsch, Französisch, Serbokroatisch und Tigrinya vor.