Kernen im Remstal: Einführung in das Asyl- und Aufenthaltsrecht

Wer Geflüchtete (ehrenamtlich) unterstützt, merkt schnell: das Asyl- und Aufenthaltsrecht ist ein echtes Labyrinth. Aufenthaltsgestattung, Flüchtlingseigenschaft, BAMF, Erstaufnahmeeinrichtung – was bedeutet das alles? Und welche Behörde ist eigentlich für was zuständig? An wen kann ich mich wenden, wenn ich Fragen habe?

Im Rahmen dieser zweistündigen Fortbildung bringen wir Licht ins Dunkel und erklären die Grundlagen des Asyl-und Aufenthaltsrechts. Dabei werden vor allem folgende Fragen behandelt:  

  • Wie läuft das Asylverfahren ab?
  • Was setzt eine Anerkennung als Flüchtling voraus?
  • Was passiert nach einer Ablehnung und was ist eine Duldung?

Die kostenlose Veranstaltung richtet sich an Engagierte in der Geflüchtetenarbeit, die wenig oder kein Vorwissen im Asyl- und Aufenthaltsrecht haben. Die Veranstaltung wird primär für neue ehrenamtliche Behördenlotsinnen und Behördenlotsen der Gemeinde Kernen organisiert. Andere Interessierte sind aber auch herzlich eingeladen. Zur Anmeldung senden Sie bitte in jedem Fall eine E-Mail an behordenlotsen@kernen.de.

Datum: 25. Februar 2025, 17.30-19.30 Uhr

Referentin: Lara Kühnle, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Ort: Kernen im Remstal (genaue Adresse wird mit der Anmeldebestätigung verschickt)

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für gesellschaftliche Teilhabe“ sowie im Rahmen des Projekts „Behördenlotsen Kernen“ statt. Beide Projekte werden unterstützt durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Sozialamt der Gemeinde Kernen im Remstal statt.






















Immer weniger Rechte für geflüchtete Menschen

Die menschenrechtliche Lage für geflüchtete Menschen in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr zugespitzt. Starke Verschärfungen im Migrationsrecht und eine politische Abwehr- und Abschreckungshaltung trugen hierzu bei.

Menschenrechtler*innen blicken ernüchtert auf die Situation von geflüchteten Menschen im vergangenen Jahr zurück. Zwar haben einige neue Regelungen, etwa im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts, Migration und Teilhabe bedingt erleichtert. Dennoch war das Jahr 2024 insgesamt durch deutliche migrationsrechtliche Verschärfungen geprägt, so das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in seinem jährlichen Bericht an den Bundestag. Auch PRO ASYL kritisiert die verschlechterte Lage geflüchteter Menschen in Deutschland. Mindestens 2.368 Menschen starben 2024 laut UN-Flüchtlingshochkommissariat allein bei der Flucht über das Mittelmeer oder werden vermisst. Dennoch gibt es keine Aussicht auf staatliche und europäische Rettungsprogramme. Auf vielen Fluchtwegen, wie an der polnisch-belarussischen Grenze, kam es im vergangenen Jahr zudem zu brutalen und rechtswidrigen Pushbacks. Das Grundrecht auf Asyl wird durch eine solche Politik der Abschottung und Ausgrenzung weiter untergraben.

Bezahlkarte

Neue Gesetze, die die Zahl von Migrant*innen reduzieren sollen, etwa die Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende im April 2024 bergen die Gefahr, Asylsuchende weiter auszugrenzen und ihre Autonomie zu beschränken. Das DIMR empfiehlt daher Bund und Ländern, die Wirkung und Folgen der Einführung der Bezahlkarte wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Bisherige Untersuchungen widersprechen der These, dass Bargeldleistungen einen Anreiz für Menschen darstellen, nach Deutschland zu kommen. Neben praktischen Problemen in der Nutzung stellt die Bezahlkarte zudem ein Instrument zur Diskriminierung dar, so PRO ASYL.

Senkungen von Sozialleistungen

DIMR und PRO ASYL kritisieren die Senkung von Leistungen für alleinstehende Asylbewerber*innen in Sammelunterkünften. Sie stellt Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, erneut schlechter als Empfänger*innen anderer Sozialleistungen. Der Gesetzgeber hält hieran trotz gegenteiligem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2022 weiter fest. Umso verheerender ist die vorgesehene komplette Streichung von Unterkunft und Versorgung von Menschen im Dublin-Verfahren.

Rückführung von Ausreisepflichtigen

Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rückführung von Ausreisepflichtigen hat die Bundesregierung Maßnahmen zur Identitätsklärung ausgeweitet, die zugleich Eingriffe in die Freiheitsrechte, auch von nichtausreisepflichtigen Personen mit sich bringen. Eine verhältnismäßige Abwägung mit den Grundrechten von Schutzsuchenden ist dabei laut den Forschenden des DIMR nicht eindeutig gewährleistet.

Umsetzung der GEAS-Reform

Große Sorge über die Einhaltung der Menschenrechte von geflüchteten Menschen bietet die Ende 2023 verabschiedete Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Diese wartet derzeit auf eine nationale Umsetzung.

Im Rahmen von GEAS bergen beschleunigte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, insbesondere durch die abgeschlossenen Aufnahmezentren, erhebliche Freiheitseinschränkungen. Eine menschenwürdige Unterbringung und etwa der Zugang zu rechtlicher Beratung sind dabei nicht gewährleistet. Zudem kritisiert das DIMR die politisch Verantwortlichen, entgegen der Forderung internationaler Menschenrechtsorganisationen, keine neuen legalen und sicheren Fluchtwege eröffnet zu haben. Aufnahmeprogramme laufen in vielen Bundesländern aus und auch etwa das Bundesaufnahmeprogram für Afghan*innen wurde nicht ausreichend unterstützt (hierzu ein Statement). Ein menschenrechtswidriger Umgang mit geflüchteten Menschen wird so weiter normalisiert.

Für begrüßenswert erachtet das DIMR hinsichtlich der GEAS-Umsetzung lediglich den geplanten unabhängigen Monitoring-Mechanismus. Hierbei sollen unabhängige Stellen etwa die Einhaltung des Rechts auf Zugang zum Asylverfahren überwachen. Für Deutschland kommt dabei als Träger das DIMR selbst in Frage. Für eine effektive Monitoring-Arbeit muss die Bundesregierung allerdings ausreichend Ressourcen und Zugangsrechte bereitstellen.

Eine Ausweitung von sicheren Drittstaaten droht menschenrechtliche Schutzstandards zu unterlaufen. Die Forderung, Menschen auch in Länder abzuschieben, zu denen sie keinerlei Verbindung haben, ist dabei höchst bedenklich. Auch gegen die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sprechen sich das DIMR und PRO ASYL deutlich aus. Eine solche Option wird vom Bundesinnenministerium seit Februar 2024 geprüft (offener Brief dagegen).

Menschenrechte für alle

Zur Durchsetzung von Menschenrechten haben einige gerichtliche Erfolge von PRO ASYL im vergangenen Jahr beigetragen. In Bezug auf zunehmend ausgrenzende und entmenschlichende Debatten ruft das DIMR dazu auf, schutzsuchende und zugewanderte Menschen nicht als Gefahr darzustellen. Polarisierende Debatten fördern gesellschaftliche Spannungen und Feindseligkeiten und gefährden schutzsuchende Menschen. Gerade im Lichte des 75-jähriges Bestehens des Grundgesetzes im vergangenen Jahr muss Deutschland seiner Verpflichtung, Menschenrechte zu schützen und zu garantieren, stärker nachkommen.

Anmerkung: Für den Bericht des DIMR wurden öffentliche Dokumente und Umfragen für die Landesinnenministerien ausgewertet und Expert*innen aus öffentlichen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Zeitraum Juli 2023 bis Juni 2024 befragt.



Geflüchtete Menschen mit Behinderungen

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen

Das Leben von Menschen mit Fluchterfahrung und Behinderungen in Deutschland ist von zahlreichen Barrieren und Versorgungslücken geprägt. An der Schnittstelle Flucht und Behinderung treffen zwei Rechtsbereiche aufeinander, deren Anwendung jeweils spezifische Kenntnisse erfordert. Die wichtigsten Informationen zur Unterstützung dieser Personengruppe werden im Folgenden dargestellt.  

I. Allgemeines zu geflüchteten Menschen mit Behinderungen
II. Besonderheiten in Bezug auf das Asylverfahren
III. Besonderheiten in Bezug auf das Aufenthaltsrecht
IV. Besonderheiten in Bezug auf Unterbringung
V. Zugang zu Teilhabeleistungen/Eingliederungshilfe
VI. Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen
VII. Arbeit, Bildung und Sprachförderung
VIII. Nachteilsausgleiche und Schwerbehindertenausweis
IX. Kontaktadressen
X. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Allgemeines zu geflüchteten Menschen mit Behinderungen

Was ist eine Behinderung?

§ 2 Absatz 1 Satz 1 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX) definiert Personen mit Behinderungen in Anlehnung an die UN-Behindertenrechtskonvention als „Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“.

Im Gesetz wird folglich zwischen Beeinträchtigungen (Schädigungen der Körperstrukturen und
-funktionen) und Behinderungen (Schwierigkeiten im Bereich Teilhabe, die sich aus der Wechselwirkung zwischen den Beeinträchtigungen und den umweltbezogenen Barrieren ergeben) unterschieden.

Eine Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die genannten Beeinträchtigungen angeboren oder Folgen eines Unfalls oder einer Krankheit sind.

Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit Behinderungen unter den geflüchteten Menschen?

Verlässliche Daten, wie hoch der Anteil von Menschen mit Behinderungen unter den Geflüchteten ist, liegen nicht vor, da dieses Merkmal nicht systematisch erfasst wird. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass 10-15 Prozent aller geflüchteten Menschen Behinderungen haben.

Wer stellt fest, ob eine Person Behinderungen hat?

Die EU-Aufnahmerichtlinie sieht in Artikel 21 und 22 vor, dass alle Asylsuchenden ein Verfahren zur Identifikation von besonderen Schutzbedarfen durchlaufen sollen. In Deutschland gibt es hierfür allerdings kein einheitliches Verfahren und auch die baden-württembergische Regelung (§ 5 FlüAG) ist sehr vage (>> Allgemeines zu Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf). Gerade bei Personen mit nicht sichtbaren Behinderungen wird der Schutzbedarf häufig nicht erkannt. Dann können die notwendigen Vorkehrungen zum Schutz der Personen und zur Inanspruchnahme von Rechten, z.B. in den Bereichen Asylverfahren und Unterbringung, nicht getroffen werden.

II. Besonderheiten in Bezug auf das Asylverfahren

Welche Rechte haben geflüchtete Menschen mit Behinderungen im Asylverfahren?

Asylsuchende Menschen haben gemäß § 24 AsylG das Recht, frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Asylverfahrens und über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden. Einige Menschen mit Behinderungen, so z.B. Personen mit kognitiver Behinderung oder Sehbehinderung, verstehen die üblichen Merkblätter des BAMF nicht und benötigen deshalb angepasste Informationen.

Gemäß § 12 Absatz 1 AsylG benötigen nicht handlungsfähige Personen eine rechtliche Betreuung, um im Rahmen des Asylverfahrens nötige Handlungen ausführen zu können. Dem*der rechtlichen Betreuer*in kommt dann die Pflicht zu, den Asylantrag zu begründen und in der Anhörung die Schutzgründe vorzutragen.

Hinweis: Ob eine rechtliche Betreuung nötig ist und wer diese übernimmt, ist eine komplexe Einzelfallentscheidung, die sich an den Wünschen der betroffenen Person orientieren sollte. Hier sollten frühzeitig hauptamtliche Fachkräfte eingeschaltet werden. Die rechtlichen Betreuer*innen können sich für Unterstützung u.a. an Betreuungsvereine, z.B. von Caritas oder AWO, wenden.

Wie bei allen Personen mit besonderem Schutzbedarf besteht auch bei Personen mit Behinderungen die Möglichkeit, zu beantragen, dass die Anhörung unter Beteilung eines*einer Sonderbeauftragte*n durchgeführt wird (>> Allgemeines zu Geflüchteten mit besonderem Schutzbedarf). Bedauerlicherweise gibt es keine speziell zum Thema geflüchtete Menschen mit Behinderungen geschulten Entscheider*innen.

Sind Behinderungen ein Grund für einen Schutzstatus in Deutschland?

Behinderungen begründen für sich genommen keinen Anspruch auf asylrechtlichen Schutz. Wird man allerdings wegen der Behinderungen verfolgt oder droht deswegen ein sonstiger Schaden oder eine Gefahr für das Leben, kann dies zu einem Schutzanspruch führen (>> Anerkennungsformen).

III. Besonderheiten in Bezug auf das Aufenthaltsrecht

Welche Erleichterungen gelten für Menschen mit Behinderungen bei der Aufenthaltsverfestigung?

Für die Niederlassungserlaubnis gilt: Von den Voraussetzungen Lebensunterhaltssicherung, Rentenversicherungsbeiträge, Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und Deutschkenntnisse wird in bestimmten Fällen abgesehen, wenn die Voraussetzungen aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden können.

Auch bei der Einbürgerung greifen bei Krankheit oder Behinderung Ausnahmen von einigen Voraussetzungen (B1-Sprachkenntnisse, Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung).

Für allgemeine Informationen siehe >> Aufenthaltsverfestigung.

Welche Erleichterungen gelten für geduldete Menschen mit Behinderungen bezüglich der Bleiberechtsoptionen?

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG für nachhaltig integrierte Erwachsene sieht eine Sonderregelung für Personen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung vor. Diese können von den Voraussetzungen der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung und der A2-Deutschkenntnisse ausgenommen sein.

Auch beim Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige (§ 25a AufenthG) kann auf die Voraussetzung des erfolgreichen dreijährigen Schulbesuchs bzw. des Schulabschlusses verzichtet werden, wenn diese wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden kann.

Für allgemeine Informationen siehe >> Bleiberechtsoptionen.

Wichtig: Damit die jeweiligen Ausnahmen bei der Aufenthaltsverfestigung bzw. dem Bleiberecht greifen können, muss jeweils erklärt werden, warum die Behinderungen die Fähigkeit beeinträchtigen, die jeweilige Voraussetzung zu erfüllen. So ist es z.B. einem Menschen mit einer chronischen Erkrankung, die mit regelmäßigen Krankenhausaufenthalten einhergeht, eventuell nicht möglich, die Anforderungen bezüglich der Lebensunterhaltssicherung zu erfüllen, weil die Person keiner geregelten Arbeit nachgehen kann.

IV. Besonderheiten in Bezug auf Unterbringung

Was ist Barrierefreiheit und warum ist sie so wichtig?

Der Begriff der Barrierefreiheit wird in § 4 BGG definiert: Danach besteht Barrierefreiheit, wenn „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, […] für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“.

Es gibt nur wenige (zumindest zum Teil) barrierefreie Sammelunterkünfte. In der Praxis erschöpft sich Barrierefreiheit, wenn sie überhaupt berücksichtigt wird, häufig im rollstuhlgerechten Bauen (z.B. mittels Rampen), die Bedarfe von Menschen mit anderen Beeinträchtigungen (z.B. Beschilderung über Piktogramme, Blindenleitsysteme oder Lichtklingeln) werden nur selten erfüllt. Fehlende oder unzureichende Barrierefreiheit verstärkt die Belastung und die Isolation der betroffenen Menschen und ihrer Familien.

Haben geflüchtete Menschen mit Behinderungen auch eine Wohnsitzauflage?

Geflüchtete Menschen unterliegen häufig einer sog. Wohnsitzauflage, die vorgibt, wo sie leben müssen. Für geflüchtete Menschen mit Behinderungen gilt hier erstmal keine Ausnahme. Allerdings können für die Aufhebung/Abänderung der Wohnsitzauflage ggf. humanitäre Gründe berücksichtigt werden, wie z.B. ein Pflege- oder Betreuungsbedarf (>> Unterbringung und Wohnen).

Können auch geflüchtete Menschen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen wohnen?

Unter bestimmten Umständen können auch geflüchtete Menschen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen leben. Menschen mit einem hohen Grad an Selbstständigkeit können mithilfe von Assistenzleistungen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung bzw. in Wohngemeinschaften führen. Diese sog. Assistenzleistungen im Wohn- und Sozialraum (AWS) laufen ebenso wie das ambulant betreute Wohnen über die Eingliederungshilfe (siehe unten). Für die Unterbringung im Pflegeheim muss in der Regel ein Pflegegrad bestimmt werden (siehe unten). Zu den Wohnformen beraten die Stellen der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB).

V. Zugang zu Teilhabeleistungen/Eingliederungshilfe

Was ist eigentlich Eingliederungshilfe?

Menschen mit Behinderungen haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Teilhabeleistungen (§ 5 SGB IX). Diese Leistungen sollen ihre Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft fördern. Im Einzelnen handelt es sich um:

  • unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen (z.B. Krankengeld)
  • Leistungen zur Sozialen Teilhabe (z.B. Assistenzleistungen, Leistungen zur Mobilität)
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung (z.B. Hilfen zur Schulbildung)
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z.B. unterstützte Beschäftigung, berufliche Anpassung und Weiterbildung)
  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (z.B. Hilfsmittel, Heilmittel, Arbeitstherapie)

Diese Leistungen werden gemäß § 6 SGB IX von unterschiedlichen Trägern erbracht (z.B. gesetzliche Krankenkasse, Bundesagentur für Arbeit, Träger der Rentenversicherung). Auch die Träger der Eingliederungshilfe, in Baden-Württemberg die 44 Stadt- und Landkreise, können für die Gewährung von Teilhabeleistungen (mit Ausnahme von unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen) zuständig sein. Nur wenn dies der Fall ist, handelt es sich technisch gesehen um Eingliederungshilfe. Häufig wird der Begriff allerdings synonym zu Teilhabeleistungen verwendet, unabhängig davon, welcher Träger die Leistung erbringt.

Hinweis: Es ist kein Problem, wenn ein Antrag auf Eingliederungshilfe nicht bei der richtigen Stelle gestellt wird. Gemäß § 14 Absatz 1 SGB IX muss der Rehabilitationsträger, bei dem der Antrag eingeht, innerhalb von zwei Wochen feststellen, ob er für die Leistungsgewährung zuständig ist. Ist dies nicht der Fall, muss er den Antrag unverzüglich an den seiner Meinung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten und die antragstellende Person darüber informieren.

Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind, dass Menschen aufgrund einer gesundheitlichen Störung im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind oder eine solche Einschränkung droht. Zusätzlich dazu muss Aussicht darauf bestehen, dass die Eingliederungshilfe die gleichberechtigte Teilhabe der Person am Leben in der Gesellschaft ermöglicht (§ 99 SGB IX in Verbindung mit § 90 SGB IX).

Wann haben geflüchtete Menschen Zugang zur Eingliederungshilfe?

Geflüchtete Menschen haben laut Gesetz nicht immer Anspruch auf Eingliederungshilfe. Insbesondere Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG sind laut § 100 Absatz 2 SGB IX von Eingliederungshilfe ausgenommen. Darunter fallen unter anderem Asylsuchende und Geduldete, die seit 36 Monaten oder kürzer in Deutschland sind. Einzelne Leistungen können ggf. im Ermessen über § 6 AsylbLG gewährt werden. Analogleistungsberechtigte (>> Sozialleistungen) haben nach Ermessen Zugang zur Eingliederungshilfe.

Personen mit Aufenthaltstitel haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn sie sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten, was z.B. bei Personen mit einem Schutzstatus über das Asylverfahren angenommen wird (§ 100 Absatz 1 SGB IX).

Hinweis: Beratung und Unterstützung bezüglich der Beantragung von Eingliederungshilfe leistet u.a. die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB).

VI. Zugang zu Gesundheits- und Pflegeleistungen

Welche Besonderheiten gibt es bei der Gesundheitsversorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen?

Die Gesundheitsversorgung von geflüchteten Menschen hängt von ihrem Status und von der Aufenthaltsdauer in Deutschland ab (>> Gesundheitsversorgung).

Menschen, die eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung haben und seit 36 Monaten oder kürzer in Deutschland sind, erhalten gemäß § 4 AsylbLG eingeschränkte Gesundheitsleistungen. Zusätzlich dazu können Leistungen nach § 6 AsylbLG gewährt werden. In Bezug auf Menschen mit Behinderungen sind folgende Regelungen relevant:

  • § 4 AsylbLG sieht vor, dass bei akuten Erkrankungen und bei Schmerzzuständen ein Anspruch auf die erforderliche ärztliche Behandlung besteht. Auch chronische Erkrankungen müssen behandelt werden, wenn sie mit Schmerzen verbunden sind bzw. bei unterlassener Behandlung eine akute Verschlechterung droht. Liegt eine akute Erkrankung oder ein Schmerzzustand vor, müssen alle zur Genesung, Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen notwendigen Leistungen gewährt werden. Nach dieser Regelung kann in bestimmten Fällen ein Anspruch auf die Gewährung von Heil- und Hilfsmitteln (z.B. Prothesen) bestehen.  
  • § 6 AsylbLG sieht vor, dass im Einzelfall unerlässliche Leistungen zur Sicherung der Gesundheit gewährt werden können. Es muss also gut erklärt werden, warum die jeweilige Gesundheitsleistung unerlässlich für die Gesundheit ist. Beispiele für Leistungen, die gemäß § 6 AsylbLG gewährt werden können, sind: eine gesundheitsbedingt besondere Ernährung, die den Verlauf einer chronischen Erkrankung positiv beeinflusst, oder die Versorgung mit Hilfsmitteln (z.B. orthopädische Schuhe), wenn ohne sie eine außerordentlich hohe Unfallgefahr besteht. Die Bewilligung von Leistungen nach § 6 AsylbLG steht dem Wortlaut nach im Ermessen der zuständigen Behörde. Es ist allerdings fraglich, ob die Behörde eine Leistung rechtmäßig verweigern kann, wenn diese zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist.
  • Gesundheitsleistungen können bei Menschen mit Behinderungen auch im Rahmen der Eingliederungshilfe gewährt werden (siehe oben). Hierbei handelt es sich gemäß § 42 SGB IX um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Darunter fallen z.B. Heil- und Hilfsmittel, Früherkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen, Psychotherapie und Arbeitstherapie. Bei Leistungsempfänger*innen nach § 3 AsylbLG können im Ermessen einzelne Leistungen der Eingliederungshilfe über § 6 AsylbLG gewährt werden.

Wichtig: Bei der Beantragung von Gesundheitsleistungen sollte immer darauf bestanden werden, dass die §§ 4 und 6 AsylbLG sowie die Eingliederungshilfe geprüft werden. Befinden sich die betroffenen Personen noch im Asylverfahren, ist außerdem Artikel 19 der EU-Aufnahmerichtlinie zu beachten, auf den ausdrücklich hingewiesen werden sollte. Diese europarechtliche Vorschrift sieht für Menschen mit besonderem Schutzbedarf, also u.a. Menschen mit Behinderungen, einen Anspruch auf die erforderliche medizinische Behandlung vor. Eine Einschränkung auf Akuterkrankungen oder Schmerzzustände besteht nicht. Das ist insbesondere bei der Anwendung von § 6 AsylbLG zu beachten, da Europarecht deutschem Recht vorgeht. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention, das Europäische Fürsorgeabkommen und das Grundgesetz können angeführt werden. Nähere Informationen dazu finden sich im Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht.

Auch bei Menschen mit Behinderungen passiert es, dass die Leistungsbehörde die beantragte Behandlung ablehnt, gerade wenn die Leistungen in den Bereich des § 6 AsylbLG fallen. Gegen die Ablehnung einer medizinischen Behandlung kann man sich wehren, indem man Widerspruch und später Klage erhebt. Muss es schnell gehen, kann außerdem bei Gericht Eilrechtsschutz beantragt werden.  

Welche Pflegeleistungen gibt es?

Die Pflegeleistungen sind im vierten Kapitel des SGB XI aufgelistet. Es gibt viele verschiedene Leistungsarten (§ 28 SGB XI), u.a. Leistungen bei häuslicher Pflege (z.B. Pflegesachleistungen, Pflegegeld), teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege und vollstationäre Pflege.

Wann haben geflüchtete Menschen Zugang zu Pflegeleistungen? Und von wem werden die Leistungen gewährt?

Grundsätzlich gilt: Bei Personen, die versicherungspflichtige Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, besteht auch Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Versicherungspflichtig sind insbesondere Personen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder familienversichert sind oder bestimmte Sozialleistungen, z.B. Arbeitslosengeld I oder SGB II-Leistungen (NICHT: AsylbLG- und SGB XII-Leistungen), beziehen (§ 20 SGB XI). Eine Person hat grundsätzlich Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung mindestens zwei Jahre pflegeversichert war sowie weiterhin versicherungspflichtiges Mitglied der Pflegeversicherung ist (§ 33 Absatz 2 AufenthG).

Erfüllen Menschen mit Aufenthaltserlaubnis die Vorversicherungszeit von zwei Jahren und sind sie weiterhin versicherungspflichtig in der Pflegeversicherung, haben sie Anspruch auf Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung. Andernfalls erhalten sie Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61-66a SGB XII über das Sozialamt.

Geduldete oder gestattete Personen können nur dann Leistungen aus der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, wenn sie die Vorversicherungszeit erfüllen und in einem Beschäftigungsverhältnis oder familienversichert sind bzw. Arbeitslosengeld I beziehen. In den ersten 24 Monaten des Aufenthalts sind Personen in Duldung oder Aufenthaltsgestattung daher grundsätzlich von Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung ausgeschlossen. In den ersten 36 Monaten des Aufenthalts können einzelne Pflegeleistungen (z.B. Sachleistungen bei häuslicher Pflege) im Wege des Ermessens über § 6 AsylbLG gewährt werden. Ab dem 37. Monat steht Geduldeten und Gestatteten, die Leistungen gemäß § 2 AsylbLG beziehen und noch keinen Anspruch auf Pflegeleistungen über die Pflegeversicherung haben, die Hilfe zur Pflege offen.

Wie wird festgestellt, wer Pflegeleistungen erhält?

Pflegeleistungen werden bei der Pflegekasse oder beim Sozialamt beantragt, je nachdem welche Behörde zuständig ist. Das Sozialamt oder die Pflegekasse beauftragt dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) damit, eine Begutachtung zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit durchzuführen. In der Regel besuchen die Mitarbeitenden des MDK die Antragstellenden zuhause, die Begutachtung ist mit keinen Kosten verbunden. Nach dem Besuch erstellt der MDK ein Gutachten, das eine Empfehlung für einen Pflegegrad (1-5) enthält. Ist man mit dem Ergebnis nicht einverstanden, kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.   

Wichtig: Wenn die Deutschkenntnisse der betroffenen Person nicht für eine Verständigung ausreichen, sollte sichergestellt werden, dass während der Pflegebegutachtung eine Person anwesend ist, die dolmetschen kann.

Hinweis: Bei Fragen zu Pflegeleistungen können die Pflegestützpunkte kontaktiert werden.

VII. Arbeit, Bildung und Sprachförderung

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Arbeitsmarktzugang?

Geflüchtete Menschen haben nicht immer Zugang zum Arbeitsmarkt (>> Arbeit und Ausbildung).

Geflüchtete Menschen mit Behinderungen haben noch zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen, da sie durch die Behinderungen Nachteile bei der Arbeitssuche haben. Darüber hinaus gibt es kaum Maßnahmen zur beruflichen Bildung oder zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Fluchthintergrund und Behinderung abgestimmt sind.

Im Rahmen der Eingliederungshilfe können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden. Hierbei handelt es sich um Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes (z.B. Kraftfahrzeughilfe, Arbeitsassistenz oder bestimmte Hilfsmittel), spezielle Berufsausbildungen wie beispielsweise die sog. rehabilitationsspezifische Ausbildung und Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen. Nicht alle geflüchteten Menschen haben Zugang zu diesen Leistungen (siehe oben).

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Bildung?

Geflüchtete Kinder unterliegen in allen Bundesländern der allgemeinen Schulpflicht, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (>> Bildung). Wenn ausländische Kinder zur Schule gehen, erhalten sie von der Schule die gleiche Förderung wie Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit, z.B. nach Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs.

Das SGB IX sieht vor, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe auch Leistungen zur Teilhabe an Bildung gewährt werden können. Dazu gehören nach § 112 SGB IX Hilfen zur Schulbildung wie die Bereitstellung von Schulbegleiter*innen. Auch Hilfen bei der schulischen Berufsausbildung sowie beim Studium sind vorgesehen. Nicht alle geflüchteten Menschen haben Zugang zur Eingliederungshilfe (siehe oben).

Welche Besonderheiten gibt es für geflüchtete Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Sprachförderung?

Der Zugang von geflüchteten Menschen zu Sprachkursen richtet sich vor allem nach dem Aufenthaltsstatus (>> Sprachförderung).

Für Menschen mit Behinderungen gibt es einige weitere Hürden. Je nach Art der Behinderungen kann es schwierig sein, an einem konventionellen Sprachkurs teilzunehmen. Für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen bietet das BAMF spezielle Integrationskurse an, während es für Menschen mit kognitiven Behinderungen kein gesondertes Angebot gibt. Werden spezielle Kurse angeboten, gibt es in der Regel eine Mindestteilnehmendenzahl. Dadurch entstehen lange Wartezeiten. Zudem gibt es solche Kurse meist nur in größeren Städten, sodass für viele Teilnehmende lange Fahrzeiten anfallen.

VII. Nachteilsausgleiche und Schwerbehindertenausweis

Was sind Nachteilsausgleiche?

Menschen mit Behinderungen haben unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen, die häufig mit hohen Kosten einhergehen. Um dies auszugleichen, können die betroffenen Personen sog. Nachteilsausgleiche erhalten, z.B. kostengünstige oder kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, Zusatzurlaub oder Steuerermäßigungen.

Wann wird ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt?

Um Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen zu können, müssen die Behinderungen festgestellt werden. Der Antrag auf Feststellung der Behinderung wird beim örtlichen Versorgungsamt gestellt.

Das Versorgungsamt schätzt die Auswirkungen der Behinderungen auf die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe ein und erlässt einen sog. Feststellungsbescheid. Dabei erfolgt eine Stufung in Zehnerschritten. Eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt. Dann kann ein Schwerbehindertenausweis beim örtlich zuständigen Versorgungsamt beantragt werden. Dieser dient als Nachweis bei der Inanspruchnahme von Leistungen und anderen Hilfen.

Hinweis: In Baden-Württemberg sind die Versorgungsämter in die Landratsämter eingegliedert. Die Information, welches Landratsamt zuständig ist, findet sich im Service Portal BadenWürttemberg.

Welche Hürden gibt es hier für Menschen mit Fluchthintergrund?

Der Zugang geflüchteter Menschen mit Behinderungen zur amtlichen Feststellung der Schwerbehinderung ist erschwert. Dies ist teilweise sprachlichen Barrieren und fehlenden Informationen über das System der Behindertenhilfe geschuldet.

Es gibt aber auch Hürden, die mit dem aufenthaltsrechtlichen Status in Verbindung stehen. So ist gemäß § 2 Absatz 2 SGB IX Voraussetzung für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, dass die Menschen ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder hier eine Beschäftigung ausüben. Laut der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.04.2010 (9 SB 2/09 R) ist diese Voraussetzung dann erfüllt, wenn der Aufenthalt in Deutschland voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Auch ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) kommt zu dem Schluss, dass es bei der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, entscheidend ist, dass eine (vorausschauende) Gesamtschau die Vermutung zulässt, dass die Beendigung des tatsächlichen Aufenthalts der ausländischen Person in absehbarer Zeit nicht überwiegend wahrscheinlich ist bzw. dass die Person eine hinreichende Beziehung zum Inland aufweist. Anknüpfungspunkte hierfür sind laut dem Schreiben die Dauer des bisherigen Aufenthalts, das Vorhandensein einer eigenen Wohnung, ein Arbeitsplatz sowie persönliche, familiäre, wirtschaftliche, soziale und sonstige Bindungen zum Bundesgebiet und der Grad der Schutzbedürftigkeit. Gemäß dem Rundschreiben liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob sie bei dieser Prüfung andere Behörden, z.B. das BAMF oder die Ausländerbehörde, beteiligt, sie ist hierzu nicht verpflichtet. Demnach können auch Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung einen Schwerbehindertenausweis erhalten.

Wie lange ist ein Schwerbehindertenausweis gültig?

Die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises soll befristet werden. Der Schwerbehindertenausweis für volljährige Antragstellende wird gemäß § 6 Absatz 2 SchwbAwV in der Regel für eine Dauer von längstens fünf Jahren ausgestellt. Ist eine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse nicht zu erwarten, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.

Für Personen mit befristeten Aufenthaltstiteln oder einer Aufenthaltsgestattung gilt, dass der Schwerbehindertenausweis längstens bis zum Ablauf des Monats gültig ist, in dem das Aufenthaltspapier abläuft. Für Geduldete, deren Aufenthaltsdokumente meist nur sehr kurz gültig sind, hat das BMAS in einem Rundschreiben von September 2021 festgestellt, dass die Befristung auf die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsdokuments entfällt. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Behörde Kenntnis von einer bevorstehenden Abschiebung hat. In der Praxis ist es auch in anderen Fällen schwierig, eine Aufhebung der Befristung zu erreichen. Es kann helfen, die Behörden auf das BMAS-Rundschreiben hinzuweisen.

IX. Kontaktadressen

In Baden-Württemberg gibt es aktuell zwei Organisationen, die an der Schnittstelle Flucht/Migration und Behinderung tätig sind:

Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche (ABC)

Maienstr. 2, 79102 Freiburg

Tel.: 0761 / 767 727 7

E-Mail: abc@diakonie-freiburg.de

Lebenshilfe Tübingen e.V.

Handwerkerpark 7
72070 Tübingen

Bereich Migration

Tel.: 07071 / 9440-79

Mobil: 0176 / 11197589

E-Mail: migration@lebenshilfe-tuebingen.de

Kenntnisse im Behindertenrecht haben u.a. folgende Stellen:

X. Weiterführende Arbeitshilfen


Banner-Aktion: #du entscheidest

„Menschenrechte gelten für alle Menschen. Wir wollen ein Land, das niemanden im Stich lässt.“ – mit solchen Slogans könnt ihr am 10.2.25 um 10 Uhr ein Zeichen setzen. Zeigt welche Werte euch wichtig sind! Die Materialien und Banner können teilweise kostenlos im Shop bestellt und heruntergeladen werden.

Die Banner sollen am besten öffentlichkeitswirksam im Außenbereich angebracht werden. Zum Beispiel an Kirchen, Gewerkschaftshäusern, Vereinssitzen und sozialen Einrichtungen. Lasst sie gerne bis zur Bundestagswahl hängen.

Weitere Sharepics und Plaktvorlagen können heruntergeladen werden.

Das Bündnis „Zusammen für Demokratie“ ruft zu der Banner-Aktion auf.


Leitfaden zur Beratung von Geflüchteten mit Behinderung

Die Bedarfe von Geflüchteten mit Behinderung werden noch immer nur sehr unzureichend berücksichtigt. Daher ist der aktualisierte „Leitfaden zur Beratung von Menschen mit einer Behinderung im Kontext von Migration und Flucht“ ein wertvoller Ratgeber für die praktische Beratung. Der Leitfaden wurde von Dr. Barbara Weiser (Caritas Osnabrück) und Maren Gag (passage gGmbH) erstellt und gibt wertvolle Hinweise, zu welchen Leistungen, die für Menschen mit einer Behinderung von Bedeutung sein können, Geflüchtete Zugang haben.



Arbeitshilfe: Verzahnung des Strafrechts mit dem Aufenthalts-und Asylrecht

Deutsche Staatsangehörige müssen im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nicht um ihren Aufenthalt in Deutschland fürchten. Bei nichtdeutschen Menschen kann dies anders sein: Hier kann eine strafrechtliche Verurteilung das Aufenthaltsrecht oder die Aufenthaltsverfestigung gefährden. Die Arbeitshilfe behandelt die praxisrelevanten Fallkonstellationen und stellt die Zusammenhänge zwischen Straf- und Migrationsrecht in (hoffentlich) auch für Nichtjurist:innen verständlicher Sprache dar.



Gemeinsamer Appell zum Parteitag der CDU

In einem eindringlichen Appell wenden sich 145 Bundes- und Landesorganisationen an die Teilnehmer*innen des heute in Berlin tagenden CDU-Parteitags. Die Unterzeichnenden fordern sie auf, sich zu ihren christlichen und demokratischen Werten zu bekennen sowie den Rechtsstaat und die Menschenrechte zu verteidigen.

Uns alle eint der Wunsch nach einem Leben in einer Gesellschaft, die uns schützt und unterstützt, in der wir beteiligt und respektiert werden. Diese grundlegenden Werte – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – sind das Fundament unserer Gemeinschaft. Sie geben uns Stabilität, Sicherheit und Halt. Sie garantieren, dass unsere grundlegende Würde und unsere Freiheit gewahrt werden. Es ist die Aufgabe von uns allen, diese Werte zu bewahren und zu verteidigen.

Die Stärke unserer Gesellschaft liegt in der Vielfalt: Unterschiedliche Ideen, Herkunftsgeschichten, Religionen, Weltanschauungen und Identitäten bereichern uns. Geflüchtete Menschen aus zahlreichen Regionen der Welt sind längst Teil unserer Gesellschaft geworden. Sie arbeiten hier, engagieren sich und ziehen ihre Kinder groß. Taten einzelner Personen, die uns fassungslos machen und in Entsetzen zurücklassen, wie der schreckliche Angriff von Aschaffenburg, dürfen niemals dazu führen, dass ganze Gruppen stigmatisiert, rassifiziert oder entrechtet werden.

Wir gehören zusammen: Ob geflüchtet, eingewandert oder hier geboren, wir sind alle Teil dieser Gesellschaft. Grund- und Menschenrechte gelten entweder für uns alle oder sie gelten gar nicht. Die Diskussionen über Verschärfungen des Staatsangehörigkeits-, Aufenthalts- und Asylrechts, die aktuell auch von der CDU maßgeblich vorangetrieben werden, bedrohen dieses Selbstverständnis. Polarisierende und grob rechtswidrige Forderungen nach Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Binnengrenzen, der Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, nach Rückführungen in Kriegs- und Krisengebiete und nach pauschalen Inhaftierungen aller vollziehbar ausreisepflichtigen Personen sind nicht dafür geeignet, aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Sie sorgen weder für mehr Sicherheit noch für zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum, Kitaplätze oder gleiche Bildungschancen, geschweige denn für ein funktionierendes Gesundheitssystem, in dem auch psychische Erkrankungen angemessen versorgt werden. Was noch schlimmer ist: Durch ihre offensichtliche Rechtswidrigkeit schwächen sie unsere Verfassung und den Wert von europäischem und internationalem Recht.

Wir appellieren deswegen an die Vertreter*innen der CDU: Bekennen Sie sich zur menschenrechtlichen Brandmauer und stehen Sie mit uns ein für gesellschaftliches Miteinander, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte.

Bitte nehmen Sie auch im Wahlkampf Abstand von Rhetorik und Forderungen, die unsere Gesellschaft weiter spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen. In verschiedenen EU Ländern sind die Folgen einer autoritären Politik zu beobachten. Dort wird ein „Wir gegen die Anderen“ Denken geschürt und Politik gegen queere Menschen, Migrant*innen, Arbeitslose und andere Minderheiten betrieben. Gewalt an den Grenzen – selbst gegen Kinder – ist bereits Normalität.

Gleichzeitig werden die Institutionen des Rechtsstaats untergraben, die Unabhängigkeit der Justiz angegriffen und die Arbeit von Anwält*innen und Journalist*innen behindert oder eingeschränkt. Als konservative, christlich-demokratische Partei muss die CDU hier gegenhalten und sich klar abgrenzen.

Wir haben die Wahl: Wollen wir ein offenes, vielfältiges und demokratisches Land bleiben, das die Rechte und Grundfreiheiten aller wahrt und das die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit respektiert und schützt? Oder gehen wir zurück in eine düstere Zeit, in der Grund- und Menschenrechte nur noch für einige gelten und ganze Bevölkerungsteile zu Schuldigen für gesamtgesellschaftliche Missstände gemacht werden?

Politische Handlungsfähigkeit zeigt sich durch Gesetze und Maßnahmen, die realistisch, wertebasiert und rechtskonform sind. Das ist unsere Erwartung an die CDU – aktuell im Wahlkampf und besonders bei einer möglichen Regierungsverantwortung. Die unterzeichnenden Verbände und Organisationen fordern die Parteispitze der CDU sowie alle Teilnehmenden des Parteitags auf: Stehen Sie zu Ihren christlichen und demokratischen Werten und bewahren Sie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zum Wohle aller Menschen in Deutschland. Stehen Sie für die menschenrechtliche Brandmauer ein – mit Worten und mit Taten.