Flüchtlingstag am 20.6.: „Asylrecht ist existenziell gefährdet“

Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni mahnt PRO ASYL die Bundesregierung, eine aktive Rolle beim Flüchtlingsschutz in Europa einzunehmen. Die systematische Entrechtung durch de facto Haftlager an den Außengrenzen muss verhindert werden. Die Bundesregierung muss den Plänen kommende Woche entgegentreten.

PRO ASYL sieht das Asylrecht existenziell in Gefahr – weltweit und in Europa. Der Vorstoß Großbritanniens, Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Ruanda abzuschieben, ist nur ein Beispiel dafür. Auch in den EU-Staaten weigern sich einige Länder, individuelles Asyl zu gewähren, andere weisen Flüchtlinge systematisch zurück, was gegen europäisches und internationales Recht verstößt, ohne dass sie Konsequenzen fürchten müssen.

Die aktuellen EU-Vorhaben lassen nun befürchten, dass auch auf EU-Ebene Rechtsakte so konstruiert werden, dass sie menschenrechtswidriges Vorgehen scheinbar legitimieren. Die Bundesregierung hat versprochen „die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen (zu) beenden“ (S. 141 Koalitionsvertrag). Deshalb muss sie die Entrechtung in De-Facto-Haftlagern an der EU-Grenze verhindern.

Haft darf nicht zum Standard für Flüchtlinge an Europas Grenzen zu werden

Die EU-Innenminister*innen haben sich am 10. Juni ohne deutschen Widerstand grundsätzlich darauf verständigt, ein Screening an den EU-Außengrenzen umzusetzen. Der strittige Punkt der fiktiven „Nicht-Einreise“ wird aber noch diskutiert.
Wie Berichten zu entnehmen ist, soll zeitnah im Rat eine endgültige Entscheidung darüber fallen, ob schutzsuchende Menschen während des Screeningverfahrens  als eingereist gelten oder nicht. Eine solche Fiktion der Nicht-Einreise trifft auf erhebliche Bedenken. Insbesondere ist zu erwarten, dass eine solche Fiktion letztlich nur durch freiheitsbeschränkende bzw. ‑entziehende Maßnahmen durchgesetzt werden kann. Dies könnte zu systematischer De-Facto- Haft an den Außengrenzen führen. In Griechenland lässt sich dieser Ansatz schon jetzt beobachten.

PRO ASYL erwartet von der Bundesregierung und insbesondere von Innenministerin Nancy Faeser in enger Abstimmung mit der Außenministerin ein klares Dagegenhalten. Andernfalls drohen die Zustände, die aus den Lagern auf den griechischen Inseln bekannt sind, in weiteren EU-Staaten Wirklichkeit zu werden.

„Von der Innenministerin und der Außenministerin hören wir bislang kein Wort der Verurteilung der Zonen der Rechtlosigkeit an Europas Grenzen. Wir erwarten, dass die Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag auf europäischer Ebene vertreten werden und sich die Bundesregierung ohne Wenn und Aber für faire Asylverfahren einsetzt.  Noch kann verhindert werden, dass systematische Inhaftierung durch die verpflichtende Fiktion der Nichteinreise verhindert werden“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

PRO ASYL appelliert eindringlich an die Bundesregierung, dass Deutschland in den Verhandlungen in der kommenden Woche seine bedeutende Rolle nutzt und eine verpflichtende Anwendung der Fiktion der Nicht-Einreise verhindert.

Langzeitgeduldete in Deutschland brauchen endlich Perspektiven

Auch in Deutschland werden vorgesehene Verbesserungen – etwa beim Bleiberecht – flankiert durch Verschärfungen. PRO ASYL begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht Kettenduldungen beenden will und seit fünf Jahren in Deutschland geduldeten Menschen endlich Sicherheit und Perspektive geben will. Dass aber gleichzeitig ausreisepflichtige Straftäter*innen länger in Abschiebungshaft genommen werden sollen, ist unverhältnismäßig. Denn es gibt keinerlei belastbare Untersuchungen, dass die Länder besondere Probleme hätten, Straftäter*innen abzuschieben und dass eine verlängerte Abschiebungshaft irgendetwas verbessern würde. Zudem ist rund die Hälfte  aller Abschiebehäftlinge zu Unrecht in Haft.

„Der jüngst vorgestellte Gesetzentwurf des Innenministeriums zum Chancen-Aufenthaltsrecht erweckt den Eindruck, dass die alte, schwarz-rot-restriktive Linie fortgeführt wird. Unzureichenden Verbesserungen stehen neue Restriktionen gegenüber“, kritisiert Burkhardt. Der vorliegende Entwurf des Bundesinnenministeriums ist deutlich restriktiver als der Koalitionsvertrag und sieht u.a. weitergehende Ausschlussgründe vor. Angesichts des späten Gesetzgebungsverfahrens fordert PRO ASYL, dass die Frist vom 1. Januar 2022 – bis zu dem die Menschen bereits fünf Jahre in Deutschland sein müssen – mindestens bis zum in Krafttreten der Regelung verlängert wird. Geeignet wäre eine komplette Entfristung, um dauerhaft Kettenduldungen zu beenden.

Ausführliche Stellungnahme von PRO ASYL zum Gesetzentwurf siehe hier.

Hintergrund zur Fiktion der Nicht-Einreise

Laut den Vorschlägen der Kommission würde sich eine Fiktion der Nicht-Einreise auch durch das auf drei Monate ausgeweitete Asylgrenzverfahren ziehen. Faire Asylverfahren sind unter haftähnlichen Bedingungen an den Außengrenzen nicht möglich, da insbesondere die notwendige unabhängige rechtliche Unterstützung nicht gewährleistet ist.
Die Fiktion der Nicht-Einreise und die durch sie zu erwartende Konsequenz der Inhaftierung während Screening‑, Asylgrenz‑, und Abschiebungsgrenzverfahren (insgesamt rund sechs Monate) an den Außengrenzen hat PRO ASYL von Beginn an als eines der Kernprobleme des Entwurfes des New Pact on Migration and Asylum kritisiert (siehe Stellungnahme zum Pakt).


Factsheet FGM/C (Female Genital Mutilation/Cutting)

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat ein factsheet zum Themenkomplex „Betroffenheit von FGM/C als Schutzgrund – Was tun, wenn das BAMF einen Nachweis verlangt?“ veröffentlicht. Kurz und bündig wird auf wenigen Seiten darauf eingegangen, wann Nachweise erforderlich und empfehlenswert sind, was Nachweise oder Atteste beinhalten müssen und welche Aufenthaltsrechte sich aus der Betroffenheit von FGM/C oder der Bedrohung ergeben. Teilweise enthält das Factsheet Niedersachsen-spezifische Information, größtenteils ist es aber auch für Engagierte in Baden-Württemberg hilfreich


Seebrücken-Aktionswochen unter dem Thema „Alles ist möglich“ vom 24.06 bis 27.07.

Die aktuellen politischen Entwicklungen, das Kriegsgeschehen und die humanitäre Katastrophe, die sich in der Ukraine ereignet, sind besorgniserregend. Die Hilfsbereitschaft gegenüber geflüchteten Menschen aus der Ukraine ist überwältigend. Zahlreiche Beschränkungen bei sozialen Leistungen, beim Zugang zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt, bei Sprachkursen und Wohnsitzauflagen usw. wurden für Schutzsuchende aus der Ukraine aufgehoben. Während hier wenigstens partielle Verbesserungen eingeführt wurden, die seit Jahren überfällig sind, sieht es an den anderen europäischen Außengrenzen ganz anders aus.

Anna Mayer von der Seebrücke Baden-Württemberg sagt dazu: „An den Außengrenzen Europas geht die Abschottung ungehindert weiter. Menschen, die fliehen und auch diejenigen, die ihnen solidarisch zur Seite stehen, werden vor Gericht gestellt, verurteilt und kriminalisiert. Weiter sterben und ertrinken Menschen. Das wollen wir nicht hinnehmen!“

Die Aktionswochen der Seebrücke Baden-Württemberg, die vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg unterstützt werden, rufen zu Solidarität mit Menschen aus allen Kriegs- und Krisengebieten auf. Auf vielen verschiedenen Veranstaltungen im Ländle fordern die Engagierten in den Aktionswochen darum eine solidarische Aufnahme von geflüchteten Menschen unabhängig von Religion und Herkunft, mit gleichem Zugang zur Unterstützung beim Bleiberecht, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und Wohnraum. Die beschlossenen Besserstellungen für Schutzsuchende aus der Ukraine sind richtig, jetzt steht die diskriminierungsfreie Teilhabe für alle an.

„Bei 3.231 Toten und Vermissten auf dem Mittelmeer und im Nordatlantik allein im Jahr 2021 sind sichere Fluchtwege für alle heute nötiger den je. Die Kriminalisierung der Seenotrettung und der geflüchteten Menschen, die in rechtsstaatlich fragwürdigen Schauprozessen verurteilt werden, müssen endlich beendet werden“ so Ulrich Bamann von der Seebrücke Baden-Württemberg.

Im Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg ist seit Mai 2021 ein Landesaufnahmeprogramm für geflüchtete Menschen an den Außengrenzen festgeschrieben, das bisher nicht einmal im Ansatz umgesetzt wurde. Das Gleiche gilt für die ebenfalls dort angekündigten Verbesserungen beim Bleiberecht, der Gesundheitsversorgung und beim Antidiskriminierungsgesetz.

Der Flüchtlingsrat, die Seebrücke, der Paritätische und LAKA führen gegenwärtig eine Postkartenaktion dazu durch und fordern mit allen, die sich im Rahmen der Aktionswochen engagieren: Jetzt möglich machen!

Die Aktionen sind abrufbar unter: https://www.sichererhafen-baden-wuerttemberg.com/.


Rechtsprechungs-Überblick zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Dublin-Überstellungen

Die Versorgung Schutzsuchender aus der Ukraine stellt die angrenzenden Staaten zurzeit vor große Herausforderungen. Das hat auch Auswirkungen auf Dublin-Verfahren von Personen, die in diese Länder überstellt werden sollen. Einige osteuropäische Staaten lehnen folglich die (Rück-)Übernahme von Personen ab, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens überstellt werden sollen. Ob Dublin-Bescheide deshalb rechtswidrig sind, ist unter Verwaltungsgerichten umstritten. Die Übersicht des Informationsverbunds Asyl & Migration stellt die derzeitige Sachlage und Rechtsprechung zu den einzelnen Ländern zusammen und gibt Hinweise für die Beratungspraxis.


Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL fordern die Gleichbehandlung aller Geflüchteten aus der Ukraine

Anlässlich der Innenminister*innenkonferenz vom 1.-3. Juni 2022 in Würzburg fordern die Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL sowie viele weitere Organisationen und Initiativen eine bundesweite Regelung, die den Schutz von allen aus der Ukraine geflüchteten Menschen garantiert und einen sofortigen Stopp der Diskriminierung von Drittstaater*innen und Staatenlosen aus der Ukraine.

Seit dem militärischen Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine sind bereits über sechs Millionen Menschen von dort geflohen, größtenteils in die Anrainerstaaten, viele hunderttausend Menschen sind aber auch in die Bundesrepublik geflüchtet.

Ukrainer*innen erhalten in Deutschland gemäß der EU-Richtlinie 2001/55/EG zur Gewährung vorübergehenden Schutzes und gemäß EU-Ratsbeschluss vom 4. März 2022 unbürokratischen Zugang zu Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis und Sozialleistungen. Sie bekommen so ein wichtiges Stück Sicherheit in der ihr Leben bestimmenden Katastrophe des Krieges.

Doch andere Kriegsflüchtlinge, die in der Ukraine gelebt, studiert oder gearbeitet haben und sogar Staatenlose, die ihr gesamtes Leben dort verbracht haben, werden größtenteils schlechter gestellt, obwohl sie vor dem gleichen Krieg, vor der gleichen Gewalt geflohen sind: Nicht-ukrainische Drittstaater*innen mit befristetem Aufenthaltsrecht in der Ukraine sind einem Rundschreiben des BMI zufolge bisher von dem Recht auf temporären Schutz als Kriegsvertriebene nach § 24 AufenthG ausgenommen, wenn angenommen wird, dass eine „sichere und dauerhafte Rückkehrmöglichkeit“ ins Herkunftsland besteht.

Anstatt den Fokus auf den bisherigen Lebensmittelpunkt in der Ukraine zu legen, soll also die vermeintliche Rückkehrmöglichkeit ins ursprüngliche Herkunftsland ausschlaggebend sein – und das, obwohl nach den Leitlinien der EU-Kommission für alle EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit besteht, Menschen, die eine „sinnvollere Verbindung zur Ukraine haben als zu ihrem Herkunftsland“, ebenso den Schutz für Kriegsvertriebene zu gewähren.

Zwar ist allen Menschen aus der Ukraine laut der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung erst einmal der Aufenthalt bis zum 31. August im Bundesgebiet erlaubt. Das soll ihnen die Möglichkeit eröffnen, entweder den vorübergehenden Schutz zu beantragen oder die Voraussetzungen für andere aufenthaltsrechtliche Zwecke zu erfüllen. Letzteres ist jedoch in der Kürze der Zeit für viele Geflüchtete kaum möglich. Langfristig besteht die Gefahr, dass die Menschen dauerhaft in prekäre Lebenslagen geraten.

Drittstaatsangehörige und Staatenlose können aufgrund der unklaren Rechtslage und des damit einhergehenden restriktiven Verwaltungshandelns in Deutschland kaum Perspektiven im Hinblick auf Arbeit, Wohnung, Erwerb von Deutschkenntnissen, Ausbildung und Studium entwickeln. Sie haben kaum Möglichkeiten, hier anzukommen, sich zu orientieren, die Erlebnisse des Krieges und der Flucht zu überwinden und sich gesellschaftlich zu beteiligen – und dies, obwohl sie genauso von Krieg und Flucht betroffen und womöglich sogar traumatisiert sind, wie ukrainische Staatsangehörige“, so Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Wiebke Judith, Leiterin des Teams Recht & Advocacy bei PRO ASYL, kritisiert: „Alle Menschen, die aus der Ukraine vor Krieg und Gewalt fliehen mussten, haben ihren Lebensmittelpunkt verloren, aber nicht alle werden in Deutschland gleich behandelt. Drittstaatsangehörige und Staatenlose werden trotz vorläufig legalem Aufenthalt von Ausländerbehörden zum Teil unter Druck gesetzt auszureisen. Anträge auf den vorübergehenden Schutz werden oft nicht einmal angenommen. Das zeigt: für alle aus der Ukraine geflüchtete Menschen braucht es richtige Sicherheit und Perspektive durch einen Aufenthaltstitel.“

Wir fordern von Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine bundesweite Regelung für ein zweijähriges Aufenthaltsrecht für alle aus der Ukraine Geflüchteten, um für alle Menschen, die vor dem Angriffskrieg Russlands fliehen mussten, tatsächlichen Schutz und Perspektiven zu schaffen.

Außerdem fordern wir die Länder auf, schon jetzt alle rechtlichen Spielräume zu nutzen und auch den aus der Ukraine Geflüchteten ohne ukrainische Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.


Grenzen überwunden – auf Barrieren gestoßen: Geflüchtete Menschen mit einer Behinderung

** Die Veranstaltung fällt leider aus***

Geflüchtete Menschen mit einer Behinderung haben das Recht auf besonderen Schutz. Was heißt das genau und wie wird der Anspruch auf Schutz umgesetzt? Wer ist genau gemeint, wenn man von Geflüchteten mit einer Behinderung spricht? Und vor allem: Wie könnte eine gute Unterstützung dieser Zielgruppe aussehen? Diese und weitere Fragen werden in der Fortbildung thematisiert. Neben rechtlichen Fragestellungen spielt auch die Einstellung zum Thema Flucht und Behinderung in der Fortbildung eine wichtige Rolle. Auch Fallbeispiele und ein Film, in dem Betroffene sich zu Wort melden, sind Teil der Fortbildung.

Referentinnen: Kawther Ali (Leiterin des mehrsprachigem Treffpunkts für Frauen zum Thema Behinderung) und Maria Stehle (Arbeitskreis Behinderte an der Christuskirche)

Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit.

Die kostenlose Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“, gefördert durch die Aktion Mensch, statt.


Online-Seminar „Überblick über die rechtliche Situation von Geflüchteten aus der Ukraine“

In ihrem Vortrag geben Manfred Weidmann und Wolfgang Armbruster einen allgemeinen Überblick über die rechtlichen Fragen, die aktuell in der Beratung von geflüchteten Personen aus der Ukraine relevant sind. Im Anschluss besteht für die Teilnehmenden die Möglichkeit Fragen zu stellen.

Für die Teilnahme an kostenlosen Online-Seminaren stellen wir keine Teilnahmebestätigungen aus.

Die Anmeldung ist geschlossen.

Dieses Online-Seminar findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, in Kooperation mit Diakonischen Werk Göppingen und gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium für Justiz und Migration.

Referenten: Manfred Weidmann (RA in der Tübinger „Kanzlei in der Südstadt“ / Mitglied des Sprecher*innenrats des Flüchtlingsrats BW), Wolfgang Armbruster (Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofs Sigmaringen a.D.)


Schutz und Asyl für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine

In einem gemeinsamen Appell an den Deutschen Bundestag fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis den Bundestag und die Bundesregierung auf, sowohl russischen und belarussischen als auch ukrainischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Schutz und Asyl zu gewähren. Deutschland und alle anderen EU-Länder müssen diese Menschen, die vor dem Kriegseinsatz fliehen, unbürokratisch aufnehmen und ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglichen – und auch dafür sorgen, dass das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird.

„Unser Ziel ist es, dass Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus dem Ukraine-Krieg unkompliziert Schutz und Asyl gewährt wird“, heißt es in dem Brief an die Bundestagsabgeordneten, der von Connection e.V., der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL und rund 40 weiteren Friedens-, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen aus ganz Deutschland, unter anderem vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, unterstützt wird. Das Bündnis bittet die Bundestagsabgeordneten eindringlich, mit einem entsprechenden Antrag – möglichst überfraktionell – die Bundesregierung mit diesem Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zu beauftragen. Leider ist dieser Schutz bisher nicht garantiert.

Deserteure aus der Russischen Föderation und Belarus
Nach derzeitigem Stand müssen geflüchtete Deserteure und Verweigerer aus der Russischen Föderation und Belarus ins Asylverfahren gehen – mit ungewissem Ausgang. Denn die Verfolgung wegen Kriegsdienstverweigerung und Desertion gilt in Deutschland nach der Praxis von BAMF und Gerichten nicht ohne weiteres als Asylgrund.
Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Krieg, unterstützt durch Belarus. Und deshalb gilt für russische und belarussische Soldatinnen und Soldaten, die sich dem Einsatz im Militär und somit dem möglichen Kriegseinsatz in der Ukraine entzogen haben oder desertiert sind, Artikel 9 der Qualifikationsrichtline der Europäischen Union: Denjenigen Menschen wird flüchtlingsrechtlicher Schutz zugesagt, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und deswegen Bestrafung fürchten müssen (Artikel 9 Abs. 2e).

Doch die Erfahrung sieht anders aus: Bisherige Asylverfahren, die sich auf Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie bezogen, haben gezeigt, dass deutsche Behörden und Gerichte sehr hohe Beweisanforderungen stellen, die viele der Betroffenen nicht erfüllen können. Dann droht ihnen Ablehnung und Auslieferung an die Kriegsherren.
So fordern deutsche Behörden und Gerichte von den betroffenen Männern zum Beispiel Einsatzbefehle, die anstehende völkerrechtswidrige Handlungen belegen – was in der Praxis aber schier unmöglich ist. Und auch das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, ist in beiden Ländern eingeschränkt.

Ausreiseverbot aus Ukraine widerspricht Menschenrechtskonvention

Auch in der Ukraine wird nur ein kleiner Teil der Kriegsdienstverweigerer anerkannt – zu ihnen zählen Mitglieder von kleinen Religionsgemeinschaften wie beispielsweise den Zeugen Jehovas. Wer nicht einer solchen Religionsgemeinschaft angehört, dem wird eine Anerkennung versagt. Auch Reservisten und Soldaten haben keine Möglichkeit der Antragstellung. Zudem widerspricht das derzeit geltende Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren dem 4. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach es jeder Person “freisteht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen“.

Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 feststellte. Diesem Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss in allen Ländern, auch in denen, die sich im Krieg befinden, Geltung verschafft werden. Wer aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnt und dafür verfolgt wird, muss geschützt werden.

Zwar genießen Menschen aus der Ukraine durch den EU-Ratsbeschluss zum vorübergehenden Schutz für zunächst ein Jahr einen sicheren Aufenthalt. „Bezüglich der Kriegsdienstverweigerer ist jedoch zu bedenken, dass mit Auslaufen dieser Regelung die Frage relevant sein wird, ob und wie Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine verfolgt werden“, heißt es in dem gemeinsamen Appell der Organisationen.

Denn auch hier zeigt die Erfahrung: In den vergangenen Jahren waren bereits mehrere Hundert Verweigerer aus allen Teilen der Ukraine nach Deutschland gekommen, um hier Schutz zu finden. Die meisten wurden aber in den Asylverfahren abgelehnt.

Der Appell an den Deutschen Bundestag steht hier.


Informationen zur Rechtslage für Kriegsdienstverweigerung und Desertion in Belarus, Russische Föderation und Ukraine sind hier zu finden.

Informationen zu Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure finden Sie hier und hier.


Zum internationalen Frauentag: Geflüchtete Frauen brauchen gendersensible Asylverfahren!

Geflüchtete Frauen und Mädchen sind in vielen Regionen der Welt verfolgt, von Gewalt und geschlechtsspezifischer Diskriminierung betroffen. Ein Teil von ihnen sucht Schutz in Deutschland. Zum Internationalen Frauentag am 8. März rufen PRO ASYL und Landesflüchtlingsräte dazu auf, Asylverfahren endlich geschlechtersensibel zu gestalten und den Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen in Deutschland sicherzustellen.

Die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung ist seit 2004 gesetzlich verankert. Gemäß der Istanbul-Konvention haben zudem von Gewalt betroffene geflüchtete Frauen und Mädchen Anspruch darauf, angemessen untergebracht, medizinisch versorgt und vor weiterer Gewalt geschützt zu werden. In der Praxis kommt es dennoch zu erheblichen Problemen.

„Wenn das BAMF 2020 annähernd 60.000 Asylanträge von Frauen und Mädchen inhaltlich prüft und nur in 1.300 Fällen eine geschlechtsspezifische Verfolgung erkennt, dann stimmt etwas nicht“, sagt Andrea Kothen von PRO ASYL. „Es wird oft nicht genau genug hingeguckt, nicht nachgefragt, nicht geglaubt, oder es werden aufwändige Nachweise verlangt. So fallen viele Frauen durch das Raster.“

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung einer flächendeckenden, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung und die besondere Unterstützung vulnerabler Personen beschlossen. Die Umsetzung dieses Vorhabens ist dringend geboten und muss jetzt auch endlich in die Tat umgesetzt werden.

Ein großes Problem ist die fehlende Vorbereitung der Frauen auf die Anhörung. Sie ist nötig, damit die betroffenen Frauen sich öffnen und über sexuelle Gewalterfahrungen oder Traumata sprechen können. Durch beschleunigte Verfahren bleibt zwischen Ankunft und Anhörung kaum Zeit und oftmals keine Gelegenheit für eine Vorbereitung, Beratung oder gar eine kurze Erholungspause nach einer strapaziösen Flucht.

„Geschlechtsspezifische Verfolgung und Gewaltbetroffenheit können so weder hinreichend erkannt und gewürdigt werden noch können die Frauen adäquat unterstützt werden“, sagt Laura Müller vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Beschleunigte Verfahren dürfen nicht auf Kosten der Rechtssicherheit und des Schutzes der Frauen durchgeführt werden.“

Die Erfahrungen mit den Sonderbeauftragten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die eigens für Fälle geschlechtsspezifischer Verfolgung herangezogen werden, sind durchwachsen – zumal diese nicht immer die Anhörung selbst durchführen. Teilweise geben sie lediglich eine Entscheidung nach Akteneinsicht frei.

„Immer noch berichten Frauen von unsensiblen, entwürdigenden Befragungen oder davon, dass Dolmetscher*innen ihre Rolle überschreiten und sich mit eigenen Kommentare in die Anhörung einmischen“, sagt Lena Schmid vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Anlässlich des Frauentags 2022 fordern die Organisationen:

  • Die Bundesregierung muss die versprochene gesetzliche Regelung für eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung zügig auf den Weg bringen und langfristig finanziell absichern.
  • Bei der Terminvergabe für die Anhörung ist gegebenenfalls eine längere Pause einzuräumen, um Nachweise beschaffen oder sich emotional auf die Anhörung vorbereiten zu können.
  • Anhörungen müssen gendersensibel und ausschließlich mit geschulten Dolmetscher*innen gestaltet werden; Sonderbeauftragte müssen bei erkennbarem Bedarf frühzeitig und transparent übernehmen, außerdem auf Wunsch der Betroffenen eingesetzt und im Konfliktfall auch ausgetauscht werden.
  • Das BAMF muss bei der Anhörung durch entsprechende Fragen aktiv prüfen, ob geschlechtsspezifische Asylgründe vorliegen könnten. Die Betroffenen brauchen zuvor klare Informationen über mögliche asylrelevante Umstände.
  • Für die spezifischen medizinischen, psychologischen und sozialen Bedarfe von vulnerablen Geflüchteten muss bei der Aufnahme durch die Behörden eine Anbindung an Fachorganisationen (etwa für Opfer von Menschenhandel) und die Übernahme der notwendigen Kosten sichergestellt werden.

Abschließend weisen die Organisationen darauf hin, dass ein geschlechtersensibles Asylverfahren und gute Aufnahmebedingungen in Deutschland dringend notwendig, aber keineswegs ausreichend sind, solange Geflüchtete auf ihrem Weg nach und in Europa mit unvorstellbarer Gewalt – auch europäischer Grenzwächter – konfrontiert sind. Der ungehinderte Zugang Geflüchteter zu einem fairen, regulären Asylverfahren in der EU bleibt oberste Priorität.

PRO ASYL und Flüchtlingsräte unterstützen die europäische Initiative feministasylum, die sich im Sinne der Istanbul-Konvention mit einer europaweiten Petition für einen solchen ungehinderten Zugang und die konsequente Anerkennung spezifischer Asylgründe von Frauen und Mädchen sowie queerer Personen einsetzt.


PRO ASYL zum Krieg gegen die Ukraine: Fluchtwege öffnen!

 
PRO ASYL fordert den sofortigen Stopp aller Kampfhandlungen. Alle Beteiligten müssen zurück an den Verhandlungstisch. Die Fortsetzung des Krieges wird zu vielen Toten und vielen Tausend Flüchtlingen führen. Auch Deutschland muss sich darauf einstellen und sich aktiv an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.

PRO ASYL fordert:

1) Die leidtragende Zivilbevölkerung flieht in die direkten Nachbarstaaten.  Wir fordern deshalb alle östlichen EU-Staaten – Polen, Ungarn, Rumänien und Slowakei – auf, die Grenzen nicht weiter für Flüchtlinge zu verschließen. Das muss auch für die Tausenden Transitflüchtlinge gelten, die bereits vor anderen Konflikten in die Ukraine geflohen sind. Darunter sind Menschen aus Syrien Afghanistan, Tschetschenien und Somalia. Die Fluchtwege müssen für alle offen sein.

Polen hat in eklatanter Verletzung von Menschenrechten die Grenzen für Flüchtlinge dichtgemacht. Jetzt müssen die Grenzzäune zurückgebaut werden. Wenn es um Gefahren für Leib und Leben geht, müssen Menschen Grenzen überschreiten dürfen.

Die osteuropäischen Staaten müssen zurückkehren zur Einhaltung von Menschenrechten, Völkerrecht und Europarecht.

2) Deutschland und die anderen Staaten müssen sich auf das Ankommen einstellen. Auch Deutschland muss sich aktiv an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen.   

3) Zudem muss eine schnelle und unbürokratische Hilfe für Geflüchtete sichergestellt werden. Wo Menschen auf ihrer Flucht stranden, benötigen sie humanitäre Unterstützung: Nahrungsmittel, Unterkünfte, medizinische Versorgung.

4) Die Europäische Union muss einen europäischen Solidarmechanismus installieren, der die Interessen der Schutzsuchenden ins Zentrum rückt. Dazu gehört auch, dass die Schutzsuchenden die Möglichkeit bekommen müssen, zu Familienmitgliedern oder Mitgliedern ihrer Community zu gelangen.

5) Die visafreie Einreise für Menschen aus der Ukraine in die EU darf nicht eingeschränkt werden. Die seit 2017 bestehende Möglichkeit für ukrainische Bürger*innen, ohne Visum in die EU einzureisen, ist gerade jetzt überlebenswichtig. Allerdings besitzen nur die allerwenigsten Ukrainer*innen den dafür geforderten biometrischen Pass. Daher sollte diese formale Hürde umgehend ausgesetzt werden.

6) Der Aufenthalt für ukrainische Staatsangehörige, die bereits in Deutschland sind,  muss unbürokratisch verlängert werden. Das schließt selbstverständlich auch einen Abschiebestopp ein.