Antiziganismus gegen ukrainische Roma-Geflüchtete in Deutschland

Ukrainische Roma, die seit Februar 2022 vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflüchtet sind, erleben direkten, strukturellen und institutionellen Antiziganismus. Dies geht aus einem Monitoringbericht hervor, den die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus MIA am 17.04.2024 in Berlin veröffentlicht hat. „Die alltägliche Diskriminierung zeigt sich an dem fehlenden oder eingeschränkten Zugang dieser Menschen zu menschenwürdigem Wohnraum, zu Bildung, Sozialleistungen und zu weiteren Hilfs- und Dienstleistungen“ bilanziert MIA-Bundesgeschäftsführer Dr. Guillermo Ruiz Torres.

Der Monitoringbericht belegt anhand zahlreicher Vorfälle, die MIA gemeldet oder von ihr recherchiert wurden, unter anderem einen diskriminierenden Umgang der Betroffenen durch Polizeibeamte, Mitarbeitende der Deutschen Bahn, in der Verwaltung, in der Sozialen Arbeit sowie im Bildungssektor. Geflüchtete ukrainische Roma werden in Geflüchtetenunterkünften und Schulen segregiert und müssen zum Teil monatelang auf einen Schulplatz warten.



Fachtagung FGM/C – Handlungsstrategien für Baden-Württemberg

Gemeinsam mit dem EU-kofinanzierten Projekt Join our Chain von TERRE DES FEMMES e. V.,lädt Sie die Zentrale Anlaufstelle FGM/C Baden-Württemberg zur „Fachtagung FGM/C -Handlungsstrategien für Baden-Württemberg“ ein.

Die Tagung richtet sich an Fachkräfte aus sozialen Berufen, politische Vertreter:innen, Mitglieder der Zivilgesellschaft, Betroffene und alle, die sich für das Thema FGM/C engagieren möchten.



Allgemeines zu besonders schutzbedürftigen Geflüchteten

Immer wieder ist von geflüchteten Menschen mit besonderem Schutzbedarf die Rede. Doch welche Personen sind mit diesem Begriff eigentlich gemeint? Wie wird festgestellt, wer als besonders schutzbedürftig gilt? Und welche Rechte ergeben sich daraus für die betroffenen Personen?

I. Definition besonderer Schutzbedarf
II. Identifizierung von besonders schutzbedürftigen geflüchteten Menschen
III. Regelungen in Bezug auf das Asylverfahren
IV. Regelungen in Bezug auf die Unterbringung
V. Regelungen in Bezug auf Sozialleistungen und medizinische Versorgung
VI. Weiterführende Arbeitshilfen

I. Definition besonderer Schutzbedarf

Worauf basiert die Einstufung von Personen als besonders schutzbedürftig?

Der Begriff „(besonders) schutzbedürftig“ wird in der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) der Europäischen Union (EU) benutzt, die seit Juli 2015 unmittelbare Rechtswirkung in Deutschland hat.

Hinweis: Der Begriff stellt aufgrund der Nennung in der EU-Aufnahmerichtlinie eine rechtliche Kategorie dar, ist jedoch aus zwei Gründen nicht unumstritten: Die betroffenen Menschen dürfen zum einen nicht auf ihre Schutzbedürftigkeit reduziert werden. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Situation geflüchteter Menschen allgemein von Vulnerabilität gekennzeichnet ist, unabhängig davon, ob sie als schutzbedürftig im Rechtssinne kategorisiert werden oder nicht.

Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU dazu, die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen zu berücksichtigen. Ziel ist es, Betroffene vor (erneuten) Gewalterfahrungen zu schützen und ihren besonderen Bedarfen Rechnung zu tragen.  

Wer fällt unter die Kategorie besonders schutzbedürftige Personen?

Mit diesem Begriff sind Personen gemeint, die aufgrund bestimmter Merkmale oder Erfahrungen besonders verletzlich sind. Zu diesen Personen zählen laut der Richtlinie (unbegleitete) Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Betroffene von Menschenhandel, Personen mit schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen schwerer Gewalt erlitten haben. Diese Aufzählung ist abschließend. Auch andere Gruppen, z.B. LSBTI*-Geflüchtete oder allein reisende Frauen, können dazuzählen.

II. Identifizierung von besonders schutzbedürftigen geflüchteten Menschen

Welche Regelungen finden sich in der Aufnahmerichtlinie zur Identifizierung von „schutzbedürftigen“ Menschen?

Um auf die besonderen Bedarfe schutzbedürftiger Personen reagieren zu können, müssen die betreffenden Personen zunächst als solche identifiziert werden. Artikel 22 der EU-Aufnahmerichtlinie legt fest, dass dies innerhalb einer angemessenen Frist nach Eingang des Asylantrags geschehen muss.

Wie sieht die Praxis aus?

In Deutschland gibt es kein einheitliches Verfahren zur Identifikation von Schutzbedürftigen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht in seinem Konzept zur Identifizierung von besonders vulnerablen Personen davon aus, dass die Bundesländer, die für die Aufnahme und Unterbringung von asylsuchenden Menschen zuständig sind, in erster Linie für die Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Personen verantwortlich sind. Je nach Bundesland lassen sich unterschiedliche Praktiken beobachten. Nur in wenigen Bundesländern gibt es systematische Verfahren zur Identifizierung von besonders „schutzbedürftigen“ Personen. Das baden-württembergische Flüchtlingsaufnahmegesetz enthält keine Hinweise auf ein Identifizierungsverfahren.

Häufig erfolgt die Identifikation von Menschen mit besonderem Schutzbedarf in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Dabei hängt es oft vom Zufall ab, ob schutzbedürftige Personen ausfindig gemacht werden. Auch spielt es eine Rolle, wie offensichtlich der Schutzbedarf ist. So ist der Schutzbedarf von außen z.B. bei Alleinerziehenden oder Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, relativ leicht erkennbar, während sich eine Identifikation z.B. bei Menschen, die schwere Gewalt erfahren haben, oder bei Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen oft schwierig gestaltet. Damit auch in solchen Fällen Menschen mit besonderem Schutzbedarf zuverlässig identifiziert werden können, bräuchte es besonders geschultes Personal, welches allerdings vielerorts fehlt.

Hinweis: Ehrenamtlich Engagierte in den Erstaufnahmeeinrichtungen können dazu beitragen, dass Schutzbedarfe frühzeitig erkannt werden, indem sie (vermutlich) „schutzbedürftige“ Menschen an die Unabhängige Sozial- und Verfahrensberatung in der jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung verweisen.

Weitere Informationen:

III. Regelungen in Bezug auf das Asylverfahren

Wie werden asylsuchende Menschen mit besonderem Schutzbedarf im Asylverfahren identifiziert?

Im bereits erwähnten Konzept (siehe oben) geht das BAMF davon aus, dass es für den Bereich des Asylverfahrens einen Auftrag zur Identifikation von besonders schutzbedürftigen Personen hat. Das Konzept soll den Entscheider*innen dabei helfen, besondere Schutzbedarfe zu erkennen und die für den jeweiligen Personenkreis festgelegten Verfahrensgarantien zu gewährleisten. Liegen Hinweise der Länder auf einen besonderen Schutzbedarf vor, soll diesen nachgegangen werden. Grundsätzlich sollte die Sachverhaltsaufklärung, auch in Bezug auf den besonderen Schutzbedarf, nach Meinung des BAMF jedoch in der Anhörung zu den Fluchtgründen zu erfolgen.

Wichtig: Asylsuchende mit besonderem Schutzbedarf sollten sich sobald wie möglich an die Sozial- und Verfahrensberatung in der jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung wenden, damit ihr Schutzbedarf dokumentiert wird und sie sich auf die Anhörung im Asylverfahren vorbereiten können.

Welche Herausforderungen gibt es für „schutzbedürftige“ Menschen im Asylverfahren?

Für viele geflüchtete Menschen mit besonderem Schutzbedarf stellt insbesondere die Anhörung im Asylverfahren, bei der sie die Gründe für ihre Flucht darlegen müssen (>> Das Asylverfahren), eine große Herausforderung dar. So haben z.B. Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) häufig Schwierigkeiten damit, ihre Fluchtgründe häufig plausibel vorzutragen, was eine Ablehnung des Asylantrags nach sich ziehen kann.

Welche Rechte haben besonders „schutzbedürftige“ Personen in Bezug auf das Asylverfahren?  

Die EU-Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32) enthält besondere Verfahrensgarantien für besonders schutzbedürftige Asylsuchende. Sie sollen den Schutzsuchenden die vollumfängliche Darstellung ihrer Fluchtgründe ermöglichen. Es gibt u.a. die folgenden Verfahrensgarantien:  

  • Artikel 31 Absatz 7 der Verfahrensrichtlinie sieht vor, dass die Prüfung des Asylantrags bei „schutzbedürftigen“ Personen vorgezogen werden kann.
  • Auf Wunsch kann die Anhörung durch eine weibliche Anhörerin durchgeführt werden.
  • Für unbegleitete minderjährige Geflüchtete gibt es gemäß Artikel 25 der Verfahrensrichtlinie spezielle Verfahrensgarantien. Es soll u.a. sobald wie möglich ein*e Vormund*in bestellt werden.
  • Artikel 15 der EU-Verfahrensrichtlinie sieht vor, dass der*die Anhörer*in befähigt sein soll, die Schutzbedürftigkeit der Person zu berücksichtigen. Für schutzbedürftige Personen sollte dementsprechend beantragt werden, dass ein*e Sonderbeauftragte*r des BAMF im Asylverfahren hinzugezogen wird. Das sind speziell geschulte Entscheider*innen, die bei Anhörungen von besonders schutzbedürftigen Personen eingesetzt werden. Im Einzelnen gibt es Sonderbeauftragte für unbegleitete Minderjährige, Folteropfer, traumatisierte Personen und geschlechtsspezifisch Verfolgte sowie Betroffene von Menschenhandel. Einen Rechtsanspruch auf die Beteiligung von Sonderbeauftragten gibt es nur bei unbegleiteten Minderjährigen.

Wichtig: Wenn es Hinweise darauf gibt, dass eine asylsuchende Person einen besonderen Schutzbedarf hat, sollte so früh wie möglich ein*e Sonderbeauftragte*r für die Anhörung beantragt werden. Wenn man weitere Verfahrensgarantien (siehe oben) in Anspruch nehmen möchte, sollte man dies ebenfalls so früh wie möglich angeben. Falls vorhanden, sollten ärztliche Atteste oder Stellungnahmen, z.B. zum Nachweis einer PTBS, oder sonstige Belege für die besondere Vulnerabilität unter Angabe des Aktenzeichens (sofern schon vorhanden) vorgelegt werden. Das BAMF ist unter service@bamf.bund.de zu erreichen.

IV. Regelungen in Bezug auf die Unterbringung

Welche Handlungsmöglichkeiten haben schutzbedürftige geflüchtete Menschen in den unterschiedlichen Unterbringungsphasen?

Für die Aufnahme und Unterbringung von asylsuchenden Menschen sind die Bundesländer zuständig. § 44 Absatz 2a AsylG sieht vor, dass die Bundesländer geeignete Maßnahmen ergreifen sollen, um den Schutz von schutzbedürftigen Personen bei der Unterbringung zu gewährleisten.

In Baden-Württemberg gibt es ein dreigliedriges Unterbringungssystem (>> Unterbringung und Wohnen).

Während der ersten Phase des Aufenthalts in Deutschland werden Asylsuchende in Erstaufnahmestellen untergebracht. Es gilt eine Wohnverpflichtung bis zu 18 Monate, Familien mit minderjährigen Kindern müssen allerdings nach spätestens sechs Monaten verteilt werden.

Wird in der Erstaufnahmeeinrichtung die besondere Schutzbedürftigkeit einer Person festgestellt, kann es sinnvoll sein, darauf hinzuwirken, dass der Mensch möglichst schnell einem Land- oder Stadtkreis zugewiesen wird. Zu diesem Zweck können Fachkräfte der Unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung beim Regierungspräsidium Karlsruhe einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Erstaufnahmeeinrichtung stellen (§ 49 Absatz 2 AsylG). Dies ist u.a. aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsversorgung oder aus anderen zwingenden Gründen (z.B. eine Gefährdung des Kindeswohls) möglich.

Für die vorläufige Unterbringung sieht § 8 Absatz 1 FlüAG BW vor, dass besonders schutzbedürftige Personen vorrangig in Wohnungen statt in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen, wenn solche zur Verfügung stehen. Entsprechende Anträge können bei der zuständigen Aufnahmebehörde, d.h. in der Regel beim Sozialamt, gestellt werden. Leider gibt es nur in wenigen Land- und Stadtkreisen ausreichend Wohnungen. Teilweise gibt es spezielle Unterkünfte für besonders „schutzbedürftige“ Personen, hierzu können die Sozialarbeiter*innen vor Ort in der Regel Auskunft geben.

Hinweis: Auf Initiative von Bundesfamilienministerium und UNICEF wurden „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ erarbeitet, die in Bezug auf LSBTI*-Geflüchtete und Menschen mit Behinderungen ausdifferenziert wurden. Bei Problemsituationen im Bereich der Unterbringung können ehrenamtlich Engagierte auf diese Mindeststandards verweisen.

Welche Vorgaben gibt es im Hinblick auf Gewaltschutz?

Artikel 18 Absatz 4 der EU-Aufnahmerichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen sollen, um Übergriffe und geschlechtsspezifische Gewalt in den Unterkünften zu verhindern. Einige Bundesländer haben in Anlehnung daran Gewaltschutzkonzepte erlassen, Baden-Württemberg verfügt über kein eigenes Konzept.

Kann ein besonderer Schutzbedarf zur Aufhebung einer Wohnsitzauflage führen?

Geflüchtete Menschen haben häufig eine Wohnsitzauflage (>> Unterbringung und Wohnen). Ein besonderer Schutzbedarf kann einen Umzug an einen anderen Ort notwendig machen, z.B. wenn am gewünschten Wohnort Unterstützung durch Familienangehörige möglich wäre oder dort Netzwerke bestehen, die wichtig für die Personen sind (z.B. bei Menschen mit LSBTI*-Hintergrund). In solchen Fällen kann die Aufhebung/Änderung der Wohnsitzauflage bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragt werden.

Weitere Informationen:

V. Regelungen in Bezug auf Sozialleistungen und medizinische Versorgung

Artikel 17 und 19 der EU-Aufnahmerichtlinie sehen vor, dass besonders schutzbedürftigen Personen die notwendigen materiellen und medizinischen Leistungen gewährt werden müssen.

Welche Sozialleistungen stehen besonders schutzbedürftigen Personen zur Verfügung?

Während der ersten 36 Monate des Aufenthalts erhalten Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) – das sind u.a. Asylsuchende und Geduldete – Leistungen auf abgesenktem Leistungsniveau (§ 3 AsylbLG); erst nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland werden die Leistungen auf das Niveau das Niveau von SGB II/SGB XII angehoben (>> Sozialleistungen).

Wichtig: Auf Grundlage von § 1a AsylbLG können die Leistungen weiter eingeschränkt werden. In vielen Fällen sind diese Kürzungen, gerade bei schutzbedürftigen Personen verfassungswidrig. Daher ist es häufig sinnvoll, gegen Leistungseinschränkungen Rechtsmittel einzulegen. Ehrenamtlich Engagierte können hier zu Rechtsanwält*innen vermitteln. Einige Anwält*innen übernehmen solche Fälle kostenlos (Zusammenland – Mit Recht zum Recht).

Für bestimmte Gruppen schutzbedürftiger Geflüchteter gibt es die Möglichkeit, Mehrbedarfe geltend zu machen:

  • Schwangeren und Wöchnerinnen ist gemäß § 4 Absatz 2 AsylbLG eine uneingeschränkte medizinische Versorgung zu gewähren. Zudem besteht ab der 13. Schwangerschaftswoche gemäß § 30 Absatz 2 SGB XII für Analogleistungsempfänger*innen ein Mehrbedarf in Höhe von 17 Prozent der jeweiligen Regelbedarfsstufe. Bei Schwangeren, die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beziehen, kann dieser Mehrbedarf nach Ermessen gemäß § 6 Absatz 1 AsylbLG gewährt werden.
  • Für Kinder unter 18 Jahren können besondere Bedarfe nach § 6 Absatz 1 AsylbLG bewilligt werden. Außerdem kann für bestimmte Leistungen Unterstützung nach dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragt werden (§ 3 Absatz 4 AsylbLG) (>> Bildung).

Welche Regelungen gibt es in Bezug auf die medizinische und psychotherapeutische Versorgung von besonders schutzbedürftigen Personen?

Viele geflüchtete Menschen mit besonderem Schutzbedarf sind auf eine angemessene medizinische und psychotherapeutische Versorgung angewiesen, u.a. um eine Chronifizierung von Erkrankungen zu vermeiden.

Während des Grundleistungsbezugs in den ersten 36 Monaten des Aufenthalts ist auch die Gesundheitsversorgung eingeschränkt (§ 4 AsylbLG). Darüber hinaus gehende Bedarfe können über § 6 AsylbLG (sonstige Leistungen) nach Ermessen gewährt (>> Gesundheitsversorgung).  Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass die Behörde eine Leistung rechtmäßig verweigern kann, wenn diese zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist.

Befinden sich die betroffenen Personen noch im Asylverfahren, ist außerdem Artikel 19 der EU-Aufnahmerichtlinie zu beachten. Diese europarechtliche Vorschrift sieht für Menschen mit besonderem Schutzbedarf einen Anspruch auf die erforderliche medizinische Behandlung einschließlich psychologischer Behandlung vor. Eine Einschränkung auf Akuterkrankungen oder Schmerzzustände besteht nicht.

Wichtig: Bei Anträgen auf Gesundheitsleistungen sollte insbesondere bei schutzbedürftigen Personen, die Leistungen gemäß § 3 AsylbLG erhalten, eine sehr sorgfältige Begründung verfasst werden, die auch auf § 6 AsylbLG und die Aufnahmerichtlinie verweist. Gegen die Ablehnung einer medizinischen Behandlung kann man sich wehren, indem man Widerspruch und später Klage erhebt. Muss es schnell gehen, kann außerdem bei Gericht Eilrechtsschutz beantragt werden. 

Selbst wenn die besondere Schutzbedürftigkeit einer Person festgestellt wird, gestaltet sich in der Praxis die konkrete Inanspruchnahme der damit verbundenen Rechte häufig als äußerst schwierig. Dies liegt unter anderem an fehlende Kapazitäten, z.B. in Bezug auf Therapieangebote für Menschen mit einer PTBS.

VI. Weiterführende Arbeitshilfen


Wissenschaftliche Einschätzung der Bezahlkarte

Die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundesregierung haben sich auf die flächendeckende Einführung einer Bezahlkarte für Bezieher*innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verständigt. Prof. Herbert Brücker vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat für die DeZIM-Forschungsgemeinschaft eine Stellungnahme zur Bezahlkarte geschrieben.

Die Stellungnahme diskutiert, wie die Vorschläge aus wissenschaftlicher Perspektive zu bewerten sind. Demnach kann die Einführung der Bezahlkarte negative Auswirkungen auf Integration und Teilhabe der Geflüchteten haben, nicht zu vernachlässigende direkte und indirekte Kosten aufwerfen und ihr eigentliches Ziel, die Reduzierung der Fluchtmigration, verfehlen. Zu erwarten ist auch, dass die Bezahlkarte den Nutzen der existenzsichernden Leistungen für die Betroffenen mindert und, je nach Grad der Beschränkung der sächlichen und räumlichen Verwendung der Mittel, die Chancen auf Mobilität, Kommunikation und soziokulturelle Teilhabe reduziert. Auch drohen negative Wirkungen für die Integration in den Arbeitsmarkt. Als besonders kritisch sind in diesem Zusammenhang lokale und regionale Beschränkungen des Einsatzes von Bezahlkarten zu bewerten. Die Wirkungen werden aber wesentlich von der Ausgestaltung der Bezahlkarte abhängen.



Online-Seminar: Was ändert sich bei der Einbürgerung?

Das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts ist am 26. März 2024 im Bundesgesetzblatt erschienen. Es wird somit in seinen wesentlichen Teilen am 27. Juni 2024 in Kraft treten. Das Gesetz sieht u.a. kürzere Fristen für die Einbürgerung und die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft vor. Es gibt allerdings auch Verschärfungen, u.a. bei der Lebensunterhaltssicherung. Das Online-Seminar gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen für Menschen mit Fluchtgeschichte.

Referentin: Melanie Skiba, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Die Veranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte. Sie ist kostenfrei und findet online als Videokonferenz über Zoom statt. Hinweise zum Datenschutz finden Sie hier. Die Teilnahme am Online-Seminar erfolgt am PC. Sie benötigen dazu einen gängigen Internetbrowser, eine stabile Internetverbindung und einen Kopfhörer bzw. Lautsprecher.

Sie erhalten die Zugangsdaten spätestens am Tag vor der Veranstaltung. Bitte beachten Sie: Für die Teilnahme an kostenlosen Online-Seminaren stellen wir keine Teilnahmebestätigungen aus. Von entsprechenden Anfragen bitten wir abzusehen.

Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, unterstützt durch das Ministerium der Justiz und für Migration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat.


Podiumsdiskussion „Ungesehen zwischen Integration und Abschiebung“

Im Rahmen des Roma Festival Tags findet am 9.4. im Stuttgarter Theater am Olgaeck eine Podiumsdiskussion statt. Roma und Sinti sind seit Jahrhunderten in Deutschland beheimatet, dennoch werden sie von vielen Mitbürger*innen abgelehnt. Verschärft wird ihre Situation durch die neue Zuwanderung und den Status ihrer Herkunftsstaaten als „sicher“. Vorurteile gegenüber Roma und Sinti sind vielfältig und haben eine lange Tradition. Der Eintritt ist frei. Im Rahmen des Roma Festival Tags finden weitere Veranstaltungen statt.


Neues Staatsangehörigkeitsgesetz tritt am 27.6. in Kraft

Das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts ist am 26. März 2024 im Bundesgesetzblatt erschienen. Es wird somit in seinen wesentlichen Teilen am 27. Juni 2024 in Kraft treten. Hier sind die wichtigsten Neuerungen aufgelistet:

Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG:

  • Der geforderte rechtmäßige Voraufenthalt wird von acht auf fünf Jahre verkürzt. Die Frist kann bei Vorliegen aller folgender Voraussetzungen auf bis zu drei Jahre verkürzt werden:
    • Die Person weist besondere Integrationsleistungen, insbesondere besonders gute schulische, berufsqualifizierende oder berufliche Leistungen oder bürgerschaftliches Engagement, nach.
    • Sie kann ihren Lebensunterhalt und den ihrer Angehörigen sichern.
    • Sie hat Sprachkenntnisse auf C1-Niveau.
  • Der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit wird aufgegeben. Der Besitz mehrerer Staatsangehörigkeiten wird damit künftig möglich sein, eine bzw. mehrere weitere Staatsangehörigkeit(en) muss/müssen also bei der Einbürgerung nicht mehr aufgegeben werden.
  • Eine Einbürgerung setzt grundsätzlich weiterhin Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 voraus. Bei Personen, die als Gast- und Vertragsarbeiter*innen in die BRD bzw. DDR eingereist sind, ist es ausreichend, wenn sie sich im Alltag ohne größere Probleme auf Deutsch verständigen können. Sie müssen künftig auch nicht mehr nachweisen, dass sie Grundkenntnisse über Deutschland haben, die normalerweise durch eine erfolgreiche Teilnahme an einem schriftlichen Einbürgerungstest nachgewiesen werden. Auch in anderen Fällen kann eine Einbürgerung zur Vermeidung einer Härte auch dann erfolgen, wenn die Person keine B1-Sprachkenntnisse hat, sich aber ohne nennenswerte Probleme auf Deutsch verständigen kann. In diesen Fällen muss auch kein Nachweis über Grundkenntnisse über Deutschland erbracht werden.
  • Für die Einbürgerung muss der Lebensunterhalt grundsätzlich ohne Inanspruchnahme von SGB I/XII-Leistungen gesichert sein. Bislang war die Inanspruchnahme von SGB II/XII-Leistungen unschädlich, wenn die Person sie nicht zu vertreten hatte. Diese Ausnahme wird gestrichen. Künftig wird vom Vorliegen dieser Voraussetzungen nur noch in folgenden Konstellationen abgesehen:
    • Bis 30.6.1974 eingereiste Gastarbeiter*innen oder bis 13.6.1990 eingereiste DDR-Vertragsarbeiter *innen und deren in zeitlichem Zusammenhang nachgezogene Ehepartner*in, wenn sie die Inanspruchnahme von SGB II/XII-Leistungen nicht zu vertreten haben
    • Personen, die in den letzten zwei Jahren 20 Monate Vollzeit gearbeitet haben und ihre Ehepartner*innen oder eingetragenen Lebenspartner*innen, wenn sie mit mindestens einem minderjährigen Kind in familiärer Gemeinschaft mit der Vollzeit arbeitenden Person leben
  • Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird ergänzt um die besondere historische Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie um das friedliche Zusammenleben der Völker und das Verbot der Führung eines Angriffskrieges. Es stellt einen Ausschlussgrund dar, wenn die Person antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen vorgenommen hat.
  • Neben den bisher geltenden Ausschlussgründen greift der Ausschluss nun auch, wenn:
    • tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis der Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung inhaltlich unrichtig ist
    • die Person gleichzeitig mit mehreren Ehepartner*innen verheiratet ist oder durch ihr Verhalten zeigt, dass sie die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet.

Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt

  • In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern erwerben künftig automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn mindestens ein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes seit mindestens fünf Jahren (anstatt wie bisher mindestens acht Jahren) rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt.

Einbürgerungsverfahren und Rücknahme

  • Die Einbürgerungsurkunde soll bei einer öffentlichen Einbürgerungsfeier ausgehändigt werden.
  • Die Einbürgerung kann wie bisher innerhalb von zehn Jahren zurückgenommen werden, zum Beispiel bei falschen Angaben über die Identität. Künftig können auch falsche Bekenntniserklärungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu einem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit führen.


PRO ASYL: Bundesamt legt Asylverfahren palästinensischer Flüchtlinge aus Gaza auf Eis

Seit dem brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas auf israelische Zivilist*innen tobt in Gaza ein blutiger Krieg, dem bereits über 30.000 Zivilist*innen zum Opfer fielen. Obwohl Gerichte Betroffenen subsidiären Schutz zuerkennen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylverfahren palästinensischer Geflüchteter ausgesetzt. PRO ASYL berichtet dazu auf der Homepage



Schulungsvideo zum Sozialrecht

In ihrer Reihe von Schulungsvideos haben das Deutsche Rote Kreuz und die Universität Halle-Wittenberg eine weitere Folge veröffentlicht. Sie befasst sich mit dem Sozialrecht und ist auf dem Youtube-Kanal von asyl.net abrufbar.

Das Video befasst sich mit existenzsichernden Leistungen, auf die in Deutschland lebende Ausländer*innen im Bedarfsfall Anspruch haben. Im Einzelnen werden erläutert:

  • Personengruppen, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) fallen,
  • Die Unterscheidung nach Grundleistungen (§ 3 AsylbLG) und Analogleistungen (§ 2 AsylbLG) im AsylLG;
  • Geld- und Sachleistungen im AsylbLG (§ 3 AsylbLG),
  • Mögliche Sanktionen im Rahmen von § 1a AsylbLG (Reduzierung auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft),
  • Leistungen nach SGB II und SGB XII für schutzberechtigte Personen, für Menschen, die eine Aufenthaltserlaubnis zu anderen Zwecken erhalten haben sowie für Unionsbürger*innen,
  • Gesundheitsversorgung (bzw. deren Einschränkungen im Rahmen von § 4 und § 6 AsylbLG)