Prinzipiell sollten Schulen in Baden-Württemberg durch das Sofortausstattungsprogramm des Bundes in der Lage sein, allen Schüler*innen digitale Endgeräte als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Umsetzung dieser Zusatzvereinbarung des Digitalpakts noch etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Um die Teilnahme am digitalen Unterricht zeitnah zu ermöglichen könnte daher für Geflüchtete, die SGB-II-/SGB-XII-/AsylbLG-Leistungen beziehen, alternativ eine Beantragung finanzieller Zuschüsse für entsprechende Geräte bei den zuständigen Behörden sinnvoll sein. Der Flüchtlingsrats Niedersachen bietet auf seiner Internetseite Informationen und Musterschreiben zur Beantragung von Schulcomputer als sozialrechtlicher Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II. Wir ermutigen die Beantragung insbesondere für geflüchtete Kinder aus einkommensschwachen Haushalten.
Monat: August 2020
Rechtsprechung: Anspruch auf Unterbringung in Einzelzimmern oder in einer eigenen Wohnung zu Zeiten der Covid-19-Pandemie
Zwei Verwaltungsgerichte haben entschieden, dass Geflüchtete einen Anspruch auf Unterbringung außerhalb von Mehrbettzimmern in Gemeinschaftsunterkünften haben können. Laut Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt Oder besteht gemäß § 53 Abs. 1 AsylG ein genereller Anspruch auf Einzelunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Die Unterbringung in Mehrbettzimmern stelle aufgrund einer möglichen Infizierung mit dem Coronavirus für Betroffene ein Gesundheitsrisiko dar. Laut Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam haben darüber hinaus Geflüchtete mit nachweisbar erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion mit dem Virus, Anspruch auf Wohnraum mit alleiniger Nutzung von Küche und Bad außerhalb von Sammelunterkünften. Geflüchtete, welche einer Risikogruppe angehören würden durch eine Unterbringung in Sammelunterkünften einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt. Die Beschlüsse könnten im Einzelfall auch für Klagen von Geflüchteten in Baden-Württemberg relevant sein.
Globale Studie: Teilnahme von Geflüchteten gefragt
ApartTogether ist eine globale Studie mit dem Ziel, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Geflüchtete und Migrant*innen zu messen, um diese in Zukunft besser unterstützen zu können. In Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation und einem Konsortium verschiedener Forschungszentren wird die Studie von der Universität Gent und der Universität Kopenhagen geleitet. Um möglichst vielseitige Erfahrungen berücksichtigen zu können, ist die Teilnahme zahlreicher Geflüchteter erwünscht. Die Befragung ist in 37 Sprachen verfügbar.
Tipps für Termine bei Behörden
Das Projekt CoRa des Thüringer Flüchtlingsrates hat die Broschüre „Tipps für Termine bei Behörden – Cool bleiben“ verfasst. Der Handlungsleitfaden informiert zu den Rechten bei Behördenterminen und gibt niedrigschwellige Tipps, damit diese Termine erfolgreich verlaufen. Die Broschüre ist in Arabisch, Dari, Deutsch, Englisch und Französisch erhältlich.
BVerwG: Kein „Flüchtigsein“ während des Kirchenasyls
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 08.06.2020 (1 B 19.20) entschieden, dass kein „Flüchtigsein“ im Sinne von Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO vorliegt, wenn der Asylantragsteller sich in Kirchenasyl befindet. Ein „Flüchtigsein“ liege vor, wenn der Asylantragsteller „sich den für die Überstellung zuständigen nationalen Behörden entziehe, um die Überstellung zu vermeiden“. Dieser Fall liege aber gerade nicht vor, wenn den Behörden im offenen Kirchenasyl die Adresse des Asylbewerbers bekannt ist und der Staat deshalb „weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert ist, die Überstellung durchzuführen“. Die Besonderheiten der deutschen Verwaltungsorganisation ändere dabei nicht die Auslegung des unionsrechtlichen Rechtsbegriffs des „Flüchtigsein“. Damit kann das BAMF die Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren nicht von den üblichen 6 Monaten auf 18 Monate verlängern. Mit dem Beschluss schließt sich das BVerwG auch der Rechtsprechung der meisten deutschen Oberverwaltungsgerichte und des EUGH an.
Tag des Flüchtlings 2020
Der Tag des Flüchtlings im Rahmen der Interkulturellen Woche ist dieses Jahr am Freitag, 2. Oktober. An vielen Orten wird es an diesem Tag (oder um den Tag herum) Veranstaltungen und Aktionen geben. Organisiert werden diese meist von Asyl-Arbeitskreisen, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und sonstigen Initiativen. Vielleicht auch bei Ihnen vor Ort? Der Flüchtlingsrat möchte diese unterstützen. Auf der Website der Interkulturellen Woche finden Sie eine Übersicht der geplanten Veranstaltungen. Unter diesem Link sehen Sie die in Baden-Württemberg geplanten Aktionen und Veranstaltungen. Von Kehl bis zur Landeshauptstadt Stuttgart bietet die interkulturelle Woche ein breit gefächertes Angebot: Am Tag des Flüchtlings wird in Stuttgart zu einer Podiumsdiskussion zum Thema Bedeutung der Medien unter der Moderation des ehemaligen SWR Chef-Redakteurs Michael Zeiß und später am Tag einem TanzTheater eingeladen. In Nürtingen wird neben einem interkulturellen Mittagstisch auch eine Darstellung des Films „Styx“ angeboten, welcher von einem Seenotrettungsdrama handelt.
Die Evangelische Kirche in Baden hat einige Ideen und Tipps für Veranstaltungen im Rahmen der interkulturellen Woche (auch für den Tag des Flüchtlings) zusammengestellt. Falls Sie Interesse haben, zum Tag des Flüchtlings bzw. zur Interkulturellen Woche jemanden vom Flüchtlingsrat als Referent*in einzuladen, sprechen Sie uns gerne an. Es gibt umfangreiche Materialien, die bei Veranstaltungen dieser Art eingesetzt oder verteilt werden können. Auf der Website der Interkulturellen Woche können Materialpakete bestellt werden. Bei Pro Asyl können Plakate und Postkarten bestellt werden. Falls Sie speziell für den Tag des Flüchtlings Informationsmaterial zu flüchtlingspolitischen Themen und zum Flüchtlingsrat Baden-Württemberg möchten, melden Sie sich bitte bei uns (Email an: info@fluechtlingsrat-bw.de) und wir senden Ihnen kostenfrei ein entsprechendes Materialpaket. Sagen Sie dabei bitte, mit ungefähr wie vielen Teilnehmenden Sie rechnen, damit wir die Materialmenge abschätzen können.
Außerdem findet um 17 Uhr in Lörrach auf dem alten Marktplatz eine Kundgebung statt. 35 Organisationen, Helferkreise, Initiativen, Kirchengemeinden und Parteien rufen zum Protest für eine schnellstmögliche Auflösung des Lagers Moria und einer Beendigung der entwürdigen Abschreckungspolitik auf. Sie fordern unter anderem eine Pflicht zur Seenotrettung, faire Asylverfahren und die Ermöglichung von sicheren Häfen auch in Deutschland. Es gilt eine Maskenpflicht und die Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern!
Pro Asyl: Ein Jahr „Hau-Ab-Gesetz II“
Zum Jahrestag des Inkrafttretens der Gesetze aus dem „Migrationspaket“ hat Pro Asyl eine erste Bilanz dazu gezogen: Ein Jahr „Hau-Ab-Gesetze II“: Was hat sich getan?
BVerfG: Keine formale oder inhaltliche „Glaubensprüfung“ durch die Gerichte bei Asylbegehren von Konvertit*innen
Die Zahl (christlicher) Konvertit*innen aus islamisch geprägten Ländern ist recht hoch und hat damit auch eine Debatte zwischen den Kirchen, dem BAMF und den Verwaltungsgerichten ausgelöst: Inwieweit darf der Staat die Konversionen prüfen bzw. welche Beweismittel und Methoden sind zulässig, um zu überprüfen, ob die Hinwendung zum neuen Glauben aufgrund einer identitätsprägenden Bedeutung für den Konvertiten oder möglicherweise nur aus asyltaktischen Erwägungen erfolgte? Mit seiner Entscheidung vom 3.4.2020 (Az. 2 BvR 1838/15) hat das BVerfG den rechtlichen Maßstab nun geklärt:
Die Entscheidung betraf einen zum Christentum konvertierten Iraner, dessen 2011 gestellter Asylantrag vom BAMF abgelehnt wurde. Im anschließenden Klageverfahren erklärte er, dass er im Mai 2013 getauft worden sei und auch regelmäßig an kirchlichen Veranstaltungen teilnehme. Im Falle einer Abschiebung in den Iran drohe ihm deshalb eine asylrelevante Verfolgung. Das Verwaltungsgericht Stuttgart gab der Klage statt, der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wies sie ab. Der Kläger hatte den Senat „nicht von einer die religiöse Identität prägende Hinwendung zur christlichen Religion überzeugen können“, weshalb auch keine Gefahr einer Verfolgung aus religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran bestehe.
Das Bundesverfassungsgericht hat die darauffolgende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in seiner Begründung aber wichtige Fragen geklärt, die auch für Ehrenamtliche und Rechtsanwält*innen in der Fallpraxis von Bedeutung sein können. Die Verwaltungsgerichte dürfen die Gültigkeit des Religionsübertritts nicht in Frage stellen. Irrelevant ist (hier) deshalb auch, ob der Konvertit asyltaktische Absichten verfolgt. Die folgende fachgerichtliche Prüfung, ob nach den §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund des Übertritts zur christlichen Kirche besteht, verstößt dagegen weder gegen das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, noch gegen die Glaubens-, Gewissens-, und Religionsfreiheit des Einzelnen. Entscheidend für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Intensität und Bedeutung der Religion für den Betroffenen. Die Anforderungen an die Beweiserhebung sind aufgrund des „hohen Werts“ der betroffenen Grundrechte hoch. Erforderlich ist eine Art Gesamtschau – zum Beispiel anhand der religiösen Vorprägung des Betroffenen oder der Dauer und Intensität des Konversionsprozesses. Zu beachten ist aber, dass es sich dabei nur um Indizien handelt. Der Beschluss macht deutlich, dass beispielweise lückenhaftes Wissen von „Lerninhalten“ der neuen Religion alleine nicht ausreichend ist, um von einer nicht identitätsprägenden Glaubensüberzeugung auszugehen.
Der identitätsprägende Glaube ist eine sogenannte Tatsache des Innenlebens, die – genauso wie ein auf die sexuelle Orientierung gestütztes Verfolgungsrisiko – sehr schwierig zu überprüfen (und beweisen) ist. Mit seiner Entscheidung hat das BVerfG klargestellt, dass das Verwaltungsgericht diese Prüfung vornehmen darf – und muss! Diese Aufgabe fällt in Asylprozessen eigentlich einer einzigen Person zu – dem/der Einzelrichter*in. Allerdings sieht § 76 Abs. 1 AsylG unter anderem in Fällen, in denen „die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art“ aufweist, eine Entscheidung durch die – aus drei Berufsrichter*innen und zwei ehrenamtlichen Richter*innen – bestehende Kammer vor: In besonders schwierigen Fällen soll statt einer Person also eine Gruppe von 5 Personen auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung erörterten Sachverhalts beraten und entscheiden. Bei einer Kammerentscheidung kommt es im Rahmen des auf die mündliche Verhandlung folgenden Beratungsgesprächs dabei zwangsläufig zu einem Austausch, in den sich alle 5 Richter*innen gleichberechtigt mit ihren Argumenten, Perspektiven und Erfahrungen einbringen können. Dagegen macht der Einzelrichter seine Entscheidung nicht selten nur mit sich selbst aus. Gerade weil die Frage, ob die klagende Person in identitätsprägender Weise glaubt, so schwierig und im Kern gar nicht juristisch ist, erscheint es angebracht, möglicherweise sogar geboten, die im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten optimal zu nutzen, um eine möglichst gute Entscheidung zu treffen. Die Chance hierauf dürfte steigen, wenn nicht nur ein, sondern 5 Richter*innen die Frage beantworten. In der Praxis sollte deshalb eine Entscheidung durch die Kammer angeregt werden. Zu einer solchen Stellungnahme gibt das Gericht in der Regel kurz nach Klageerhebung Gelegenheit.
Tätigkeitsbericht der Härtefallkommission: Innenministerium lehnt weniger Härtefallersuchen ab
Kürzlich erschien der Tätigkeitsbericht der Härtefallkommission des Landes Baden-Württemberg für das Jahr 2019. Der Bericht beinhaltet Fallbeispiele zum Verständnis der Entscheidungspraxis sowie einen Überblick über die Entscheidungsbilanz 2019. Letztere verdeutlicht, dass die Übereinstimmungsquote der Entscheidungen des Innenministeriums mit denen der Kommission mit 82 Prozent deutlich höher lag als im Vorjahr. Insgesamt ordnete das Ministerium im Jahr 2019 in 32 Fällen (dies betraf 68 Personen) abweichend von den ausländerrechtlich festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis an.
Der aktuelle Tätigkeitsbericht der Härtefallkommission zeigt außerdem, dass die Gesamtzahl der Härtefalleingaben im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr von 171 auf 139 zurückging. Es fanden lediglich sieben anstatt zehn Sitzungen wie im Jahr 2018 statt. Der Großteil dieser Eingaben betraf alleinstehende Männer, die überwiegend in den Jahren 2014 und 2015 aus afrikanischen Ländern (vor allem aus Gambia) eingereist sind. Insgesamt traf die Härtefallkommission letztes Jahr 187 Entscheidungen, wovon sich einige auf Eingaben aus dem Jahr 2018 bezogen. 67 Eingaben befand die Kommission für missbräuchlich und lehnte sie daher als unzulässig ab. Diese Entscheidung wurden vor allem im Hinblick auf solche Fälle getroffen, in welchen der jeweilige Herkunftsstaat für sicher erklärt wurde, bereits ein Rückführungstermin feststand und keine nennenswerten Integrationsleistungen nachgewiesen werden konnten. Weitere 19 Fälle wurden wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur intensiven Beratung zugelassen. Hierbei beschränkten sich die Antragsgründe häufig auf bereits vom BAMF getroffene, rechtliche oder tatsächliche Feststellungen. Die Härtefallkommission sieht sich nicht als Supervisionsinstanz für asylrechtliche Entscheidungen, zielstaatsbezogene Umstände seien alleine vom BAMF zu prüfen.
Mit 101 Eingaben (ungefähr 30 Prozent weniger Fälle als im Vorjahr) setzte die Kommission sich im Jahr 2019 intensiv auseinander. Die Entscheidung für ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Hierbei wägt die Kommission negative Aspekte, wie Straftaten, mangelnde Mitwirkung bei der Klärung der Identität, zu erwartende Belastung öffentlicher Kassen gegen positive Gesichtspunkte, wie erbrachte Integrationsleistungen oder Lebensperspektiven von Kindern und Jugendlichen ab. Auf dieser Grundlage richtete die Kommission in lediglich 39 Fällen (33 Prozent aller Eingaben und fünf Prozent mehr als im Jahr 2018) ein Härtefallersuchen an das Innenministerium.
Online-Workshops: Kulturen und Leistungen im Studium
Im Rahmen des vom DAAD geförderten Projektes „Kulturen und Leistungen im Studium“ (KuL) veranstalten das Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover und das Hochschulbüro für Internationales eine Workshop-Reihe (8., 15. und 22. September), welche Wissenswertes über Bewerbungsprozesse, Prüfungen, wichtige Anlaufstellen und den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt vermitteln soll. Das kostenfreie Angebot richtet sich an Studierende und Studieninteressierte mit Flüchtlings- und Migrationshintergrund.
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