Am 3. August jährt sich der Völkermord an den Jesid*innen im Nordirak zum elften Mal. Zu diesem Anlass fordert der Flüchtlingsrat die baden-württembergische Landesregierung auf, die Abschiebungen von Jesid*innen auszusetzen. Den Überlebenden des vom Bundestag anerkannten Völkermordes muss Schutz geboten werden.
Ein Bericht der Vereinten Nationen zeigt, dass die Lage der Jesid*innen im Irak düster ist. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht davon aus, dass die Versorgungslage und die Lebensbedingungen für die rund 200.000 Jesid*innen in den Flüchtlingslagern im Nordirak prekär sind. Die Lage für Binnenvertriebene außerhalb der Lager sei teilweise noch schlechter. Ungeachtet dessen schiebt Baden-Württemberg Jesid*innen in diese prekäre Lebenslage ab und überlässt sie dort ihrem perspektivlosen Schicksal.
Die baden-württembergische Landesregierung hat 2021 im Koalitionsvertrag angekündigt, ein weiteres Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Personen, insbesondere Frauen und Kinder, die Opfer traumatisierender Gewalt durch den IS geworden sind, ins Leben zu rufen. Doch das versprochene Sonderkontingent wird nicht mehr kommen. Mindestens das Versprechen der Landesregierung, Familien aus dem ersten Sonderkontingent zu vereinen, muss dringend erfüllt werden. Während mehrere Bundesländer in der Vergangenheit Abschiebestopps in den Irak für jesidische Frauen und Minderjährige erlassen haben, schiebt die baden-württembergische Landesregierung trotz eigener Handlungsspielräume die Verantwortung auf den Bund und bleibt untätig.
„Wir sehen einen klaren Widerspruch zwischen den Schutzversprechen auf Landes- und Bundesebene und der aktuellen Anerkennungs- und Abschiebepraxis. Den Überlebenden des Genozids sollte eine Bleibeperspektive geboten werden. Stattdessen werden sie trotz des kollektiven Traumas zurück an den Ort des Völkermords geschickt, wo sie ehemaligen Tätern begegnen, sich ständig bedroht fühlen müssen und keine Zukunft haben. Das ist grausam und unmenschlich”, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.
Die Sicherheitslage in Sinjar, der Hauptheimat der Jesid*innen, ist noch immer instabil. Dies hindert viele Jesid*innen daran, die Flüchtlingslager zu verlassen. Ein weiteres Problem sind die vom IS zerstörten Häuser. Gleichzeitig haben die Kürzungen der US-Hilfsprogramme 2025 die Jesid*innen im Stich gelassen. Im vergangenen Jahr endete außerdem auf Ersuchen des irakischen Parlaments die UN-Mission UNITAD. Sie wurde gegründet, um wichtige Beweise für die Verbrechen des IS, insbesondere gegen Minderheiten wie Jesid*innen, zu sammeln. Trotz vereinzelter erfolgreicher Strafverfahren bleibt ein Großteil der Überlebenden des Völkermordes nun ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit und eine baldige Verbesserung ihrer Lebenslage zurück.
„Es ist und bleibt unverantwortlich, jesidische Männer, Frauen und Kinder in ein Land abzuschieben, in dem sie keine Lebensgrundlage haben und ihre Sicherheit fundamental bedroht ist. Daher fordern wir, dass die baden-württembergische Landesregierung Abschiebungen aussetzt und sich für einen bundesweiten Abschiebestopp für Jesid*innen einsetzt“, so Naser Atu Qasim, Mitglied im Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.
Unsere Gedanken gehören den Opfern des Völkermords, den Tausenden Männern, Frauen und Kindern, die vor elf Jahren vom IS systematisch ermordet, verschleppt und vergewaltigt wurden. Wir möchten an sie erinnern und den überlebenden Familienangehörigen, Freund*innen und Bekannten unser tiefstes Mitgefühl ausdrücken.