Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert Umsetzung von Koalitionsbeschlüssen und eine Vorgriffsregelung für Baden-Württemberg
Anlässlich des Gesprächs zwischen Bundesinnenministerin Nancy Faeser und ihren Kolleg*innen aus den Ländern am 28.01.22 appelliert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg an die Bundes- und an die Landesregierung, das Thema Bleiberecht auf die Agenda zu setzen und dafür zu sorgen, dass die Bleiberechtsregeln aus dem Koalitionsvertrag zügig umgesetzt werden. Eine Vorgriffsregelung ist aus Sicht des Flüchtlingsrats nötig, damit bis dahin nicht diejenigen abgeschoben werden, die nach dem Willen des Bundes künftig bleiben dürften. Eine solche Regelung hat es in Baden-Württemberg schon einmal gegeben. Für den Flüchtlingsrat ist klar: An dieser Frage wird sich zeigen, ob die Landesregierung ihre Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag ernst meint oder nicht.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, bestimmten Gruppen wie etwa gut integrierten Jugendlichen bessere Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht einzuräumen. Zudem soll es für Menschen, die seit dem 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, unter niedrigschwelligen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht auf Probe geben. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßt dies, fordert aber die zügige Umsetzung und eine sogenannte Vorgriffsregelung. Eine solche hatte die damalige (grün-rote) Landesregierung 2015 eingeführt, als sich die Einführung der Bleiberechtsregelungen für gut integrierte Geduldete abzeichnete. Die Regelung ist immer noch Bestandteil der weiterhin gültigen Abschiebungsleitlinien des Landes Baden-Württemberg.
„In dieser Situation wird sich zeigen, ob die Landesregierung das tun wird, was sie im Koalitionsvertrag angekündigt hat, nämlich alle Möglichkeiten nutzen, um gut integrierten, geduldeten Flüchtlingen ein Bleiberecht zu ermöglichen, oder ob sie – wie teilweise in der Vergangenheit passiert – eher alle Möglichkeiten ausnutzt, um schnell noch so viele wie möglich abzuschieben, bei denen ein Bleiberecht ‚droht‘ “, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
Denn eine vorzeitige Abschiebung nimmt Betroffenen die ihnen zugedachte Chance auf einen legalisierten Aufenthalt. Dies kann bis zur tatsächlichen Gesetzesänderung durch Vorgriffsregelungen verhindert werden. Nötig ist hierfür, dass das Justizministerium das Regierungspräsidium Karlsruhe als zuständige Behörde anweist, all jenen, die potentiell von den angekündigten Bleiberechtsregelungen profitieren, Ermessensduldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen und sie so vor Abschiebung zu schützen.
In Bezug auf das angekündigte Aufenthaltsrecht auf Probe hat das Innenministerium Rheinland-Pfalz mit einem Schreiben vom 23.12.2022 reagiert und den Ausländerbehörden darin zumindest nahegelegt, Abschiebungen des begünstigten Personenkreises im Hinblick auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren auszusetzen.
„Die von einer positiven Bleiberechtsregelung Betroffenen dürfen nicht die Leidtragenden sein, wenn der Bundestag die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen nicht schnell genug beschließt“, sagt McGinley.
Hintergrund zu den im Koalitionsvertrag beschlossenen Neuerungen zum Bleiberecht
Gut integrierte Jugendliche sollen nach § 25a AufenthG künftig bereits nach drei anstatt wie bislang erst nach vier Jahren geduldeten Aufenthalts in Deutschland ein Bleiberecht erhalten können und den diesbezüglichen Antrag bis zum Abschluss des 27. anstatt wie bisher nur bis zum Abschluss des 21. Lebensjahres stellen können.
Besondere Integrationsleistungen Geduldeter sollen im Rahmen des § 25b AufenthG dadurch gewürdigt werden, dass diesen in Zukunft bereits nach sechs anstatt wie aktuell noch nach acht Jahren ein Bleiberecht zu Teil werden soll. Personen mit minderjährigen ledigen Kindern sollen das Bleiberecht nach dieser Vorschrift künftig schon nach vier statt wie bisher erst nach sechs Jahren erwerben können.
Das neu zu schaffende Chancen-Aufenthaltsrecht auf Probe soll für die Dauer eines Jahres gelten und Menschen, die nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, die Möglichkeit verschaffen, während dieser Zeit die Voraussetzungen für eine der oben genannten Bleiberechtsregelungen zu erfüllen, wie beispielsweise die Identitätsklärung oder Lebensunterhaltssicherung.