Einigung der Bundesländer auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte

Nach der Einigung von 14 der 16 Bundesländern am 31.1.2024 auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten hält PRO ASYL an der grundsätzlichen Kritik an der Bezahlkarte fest: Bund und Länder planen mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument, das den schutzsuchenden Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll.

„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:

  • Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.
  • Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.
  • Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.

Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.

Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.


Stetten im Remstal: Populismus in der Flüchtlingspolitik

„Größtmögliche Abschreckung“ wird immer mehr zur Leitlinie in der aktuellen flüchtlingspolitischen Debatte. Vor sich her getrieben von der AFD liefern sich die Regierungsparteien im Bund und in den Ländern einen Wettkampf mit immer brutaleren Vorschlägen zur Abschreckung geflüchteter Menschen und zur Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten in Deutschland: Migrationsabkommen mit Diktaturen aushandeln, Menschen an den europäischen Außengrenzen einsperren, Bezahlkarten einführen, Sozialleistungen senken, Arbeitszwänge einführen – je drastischer die Mittel, desto besser. In der Debatte geht es immer mehr um die Eindämmung der wahlweise als „irregulär“ oder „illegal“ bezeichneten Migration. Im Vortrag werden aktuelle populistische Narrative und Vorschläge in der Flüchtlingspolitik dekonstruiert.

  • Referentin: Anja Bartel, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Das Austauschtreffen findet im Glockenkelter, Hindenburgstr. 43, Stetten im Remstal statt. Die Veranstaltung erfolgt in Kooperation mit der Allmende Stetten und dem AK Asyl Kernen und findet im Rahmen des Projektes „Perspektive durch Partizipation“ gefördert durch Aktion Mensch e.V. statt.


Offener Brief an die Bundesregierung

In großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen bundesweit 50 Organisationen Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Abgeordnete des Deutschen Bundestages dringend auf, sofort die geplante Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) zu stoppen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

in großer Sorge um die Gesundheit schutzsuchender Menschen in Deutschland rufen wir Sie mit aller Dringlichkeit dazu auf: Stoppen Sie sofort das Vorhaben, den Zeitraum von 18 auf 36 Monate zu verlängern, in dem Asylsuchende nur Anspruch auf abgesenkte Sozial- und Gesundheitsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten sollen!
Seit es das Asylbewerberleistungsgesetz gibt – seit über 30 Jahren – bezeugen zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände in ihrer humanitären Arbeit die ernsten Folgen, die es für die Gesundheit geflüchteter Menschen hat, sie von notwendigen Sozialleistungen und insbesondere medizinischer Versorgung auszuschließen. Aktuell noch haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten lediglich Anspruch auf medizinische Versorgung bei akuten Schmerzen, Schwangerschaft und Geburt. Oft entscheidet medizinisch nicht geschultes Personal in den Sozialämtern, ob darüber hinaus Leistungen in Anspruch genommen werden können – zum Beispiel bei chronischen und psychischen Erkrankungen. Daneben haben Geflüchtete mit massiven Barrieren wie Diskriminierungen und Verständigungsproblemen zu kämpfen.
Die Bundesregierung wurde bereits mehrfach von den Vereinten Nationen dafür gerügt, dass Deutschland Asylsuchenden das Recht auf Gesundheitsversorgung verwehrt. Sie nun noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und ignoriert die jüngste ausdrückliche Aufforderung des UN-Komitees zur Konvention gegen Rassismus (ICERD), die Ungleichbehandlung im Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen zu beenden (08.12.2023).
Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon vor über zehn Jahren entschieden, dass die „Menschenwürde…migrationspolitisch nicht zu relativieren“ ist. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist also nicht nur unwirksam (Sozial- und Gesundheitsleistungen als Pull-Faktor für Migration sind empirisch nicht belegt und wird von neuerer Migrationsforschung als unterkomplexe Theorie problematisiert) und unmenschlich, sondern auch verfassungswidrig.
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag den klaren politischen Willen geäußert, das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterzuentwickeln und den Zugang zu Gesundheitsversorgung für Asylsuchende zu vereinfachen. Das aktuelle Vorhaben läuft dieser Absicht massiv entgegen, würde sogar das Gegenteil bewirken.
Letztlich kommt eine Schlechterbehandlung bei der Gesundheitsversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen die Gemeinschaft auch teuer zu stehen. Denn wenn Krankheiten chronifizieren oder zum Notfall werden, kosten sie das Gesundheitssystem mehr, als wenn man sie präventiv oder bei den ersten Symptomen behandelt.
Anstatt die Leistungen für Asylsuchende immer weiter zu kürzen, fordern die unterzeichnenden Organisationen deshalb:

  • Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!
  • Den Anspruch auf alle Gesundheitsleistungen aus dem Leistungskatalog der
    gesetzlichen Krankenkassen für Geflüchtete gesetzlich verankern
  • Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in allen
    Bundesländern
  • Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung gesetzlich verankern
  • EU-Aufnahmerichtlinie für besonders schutzbedürftige Geflüchtete
    flächendeckend und systematisch umsetzen
    Wir bitten Sie, rechten Parolen und populistischen Hetzkampagnen gegen Migrant*innen und
    geflüchteten Menschen entschieden entgegenzustehen und unsere freiheitlich-
    demokratischen und menschen- und verfassungsrechtlichen Grundprinzipien mit Ihrer Politik
    zu verteidigen.

Gerne stehen wir für Rückfragen und zum persönlichen Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen

  1. François De Keersmaeker, Direktor, Ärzte der Welt e.V.
  2. Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband –
    Gesamtverband e. V.
  3. Gerhard Trabert, 1. Vorstandsvorsitzender, Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.
  4. Karl Kopp, Geschäftsführer, PRO ASYL e.V.
  5. Ulrike Schneck, Vorsitzende & Lukas Welz, Geschäftsführung, BAfF
  6. Nicolay Büttner, Politische Arbeit und Advocacy, Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige
    geflüchtete Menschen
  7. Dr. Claudia Tamm, MediNetz Koblenz e.V.
  8. Birgit Naujoks, Geschäftsführerin, Flüchtlingsrat NRW e.V.
  9. Katrin Bahr, Geschäftsführende Vorständin, Condrobs e.V.
  10. Ute Hausmann, Vorstand, Refugio Stuttgart e.V.
  11. Sophia Wirsching, Geschäftsführerin, Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel –
    KOK e.V.
  12. Medinetz Gießen e.V.
  13. Elisabeth Helm & Almut Leiß, Vorstand, Förderverein des Brandenburgischen Flüchtlingsrates e. V.
  14. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer Hessischer Flüchtlingsrat
  15. Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
  16. Martin Link, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
  17. Dr. med. Angelika Leist und Kollegen, Medinetz Karlsruhe
  18. Nele Wilk, Sozialarbeiterin, Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz
  19. Kai Weber, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V
  20. Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne
    Krankenversicherung (BACK)
  21. Johanna Schwarz, Medinetz Mainz e.V.
  22. Medinetz Bielefeld
  23. Christiane Bachelier, Co-Vorsitzende des Vereins demokratischer Ärzt*innen
  24. Dr. Lars Pohlmeier (Vorsitzender) für den Vorstand der IPPNW (Internationale Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärztinnen in sozialer Verantwortung) e. V.
  25. Jonah Lunnebach, Vorstand, MediNetzBonn e.V.
  26. Andrea Günther, Sozialarbeiterin, MedMobil – Ambulante Hilfe e.V. Stuttgart
  27. Lucia Braß und Bärbel Mauch für den Vorstand, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e. V.
  28. Medinetz Freiburg
  29. FRABS (Freiburger Anonymisierter Behandlungsschein) e.V.
  30. MediNetz Hannover e.V.
  31. Walter Schlecht, Kampagne für die Abschaffung des AsylbLG
  32. Elisa Cazzato, Vorstand Medinetz Marburg e.V.
  33. Community for all, Darmstadt
  34. Gesundheitskollektiv Berlin e.V
  35. Michaela Rosenbaum, Geschäftsführerin AWO Kreisverband Mülheim e. V.
  36. Dr. Maria Decker, Vorsitzende SOLWODI Deutschland e.V.
  37. Regina Begander, Bernadette Tusch, Institut für angewandte Kulturforschung, ifak. e.V. Göttingen
  38. Flüchtlingsrat Berlin e.V.
  39. Noah Peitzmann, Projektkoordinator, Anonymer Krankenschein Bonn e.V.
  40. Kölner Flüchtlingsrat e.V.
  41. Bayerischer Flüchtlingsrat
  42. Flüchtlingsrat RLP e.V.
  43. Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
  44. Torsten Jäger, Geschäftsführer, Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz.
  45. Flüchtlingshilfe Langenfeld e.V.
  46. Dr. med. Roland Fressle, erster Vorsitzender der Refudocs Freiburg e.V.
  47. Medibüro Berlin
  48. Dr. med. Gerhard Bonnekamp, MediNetz Essen
  49. Nanne Wienands, 2. Vorsitzende, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Hof e. V.
  50. Dr. Udo Puteanus, VdPP-Vorstandsmitglied, Verein demokratischer Pharmazeutinnen und
    Pharmazeuten e.V.

Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)

Die GEAS-Einigung zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem EU-Parlament ist da und sieht eine massive Entrechtung von Geflüchteten an den Außengrenzen vor. Auch vor der Inhaftierung von Kindern oder Flüchtlingsdeals mit autokratischen Staaten macht die EU keinen Halt. PRO ASYL analysiert die fatalen Beschlüsse.

Nach zwei Tagen und zwei Nächten Marathon-Verhandlungen verkündeten die Sprecher*innen der verschiedenen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten am Mittwoch, den 20. Dezember 2023, die Einigung über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wer noch auf Verbesserungen der Ergebnisse durch das EU-Parlament gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Die Mitgliedstaaten konnten sich mit ihren extremen Verschärfungen, die sie im Juni und Oktober beschlossen hatten, fast vollständig durchsetzen. Damit steht eine Einigung, die den Flüchtlingsschutz in Europa massiv untergräbt und zeigt, wie weit der Rechtsruck in Europa schon vollzogen ist.

Die dystopische Vision eines Europas der Haftlager – die PRO ASYL seit dem Beginn der Reformpläne befürchtet – wird Realität werden. Denn die Mitgliedstaaten haben erreicht, dass eine Vielzahl an Geflüchteten zukünftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen muss. Die Asylgrenzverfahren, die nach einem ersten Screening nach Ankunft erfolgen, sollen in zwölf Wochen abgeschlossen sein. Daran anschließen kann sich dann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren, was ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Während dieser Zeit sollen die Asylsuchenden als »nicht eingereist« gelten und in absehbar geschlossenen Asylzentren an den Außengrenzen festgehalten werden. Die Rede ist von der Fiktion der Nichteinreise, einem rechtlich fragwürdigem Konstrukt, das schon an deutschen Flughäfen zu de facto Inhaftierungen von Schutzsuchenden führt. Auch diese deutschen Grenzverfahren müssen dann an die neuen EU-Regeln angepasst und somit stark ausgeweitet und verlängert werden. Für drei Gruppen von schutzsuchenden Menschen ist die Anwendung dieser Grenzverfahren verpflichtend: Für Menschen aus Herkunftsländer mit einer europaweiten Schutzquote von unter 20 Prozent, für Personen – selbst unbegleiteten Minderjährigen – denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein sowie für Schutzsuchenden denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden.

Außerdem können mit der Europäischen Einigung zukünftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als sicher eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als »sicher« einstufen.

Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird unverändert bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind.


Gesundheitliche Versorgung von Frauen ohne Papiere im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt

Frauen ohne Papiere haben in Deutschland grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz, können diesen aber aufgrund der im Aufenthaltsgesetz festgeschriebenen Übermittlungspflichten de facto nicht in Anspruch nehmen, ohne eine Abschiebung zu riskieren. Der fehlende Zugang zu gesundheitlicher Versorgung in Schwangerschaft und Geburt steht in deutlichem Gegensatz zu internationalen Menschenrechtsverträgen. Mit dem Arbeitspapier stellt die Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit/Illegalität die bestehenden Zugangsbarrieren dar, zeigt verschiedene lokale Lösungen auf, diese zu reduzieren, und formuliert fachpolitische Forderungen, wie der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt für Frauen ohne Papiere zu verbessern ist.


Geflüchtete Frauen endlich umfassend schützen!

Zum internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen am 25. November fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die Bundesregierung und die baden-württembergische Landesregierung dazu auf, den Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen in Deutschland umfassend sicherzustellen.

Frauen, denen die Flucht aus ihrer Heimat gelingt, erleben auf den Fluchtwegen überproportional häufig weitere Gewalt. Diese Situation droht sich zu verschlimmern, sollten die Pläne zur Reform des europäischen Asylsystems (GEAS), auf die sich der Europäische Rat im Juni geeinigt hat, umgesetzt werden. Geflüchtete sollen in Grenzverfahren zukünftig an den EU-Außengrenzen wochenlang unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden, mit eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten und einem absehbar fehlenden Zugang zu Beratung und adäquater medizinischer Unterstützung. „Die Menschenrechte von Geflüchteten und insbesondere von vulnerablen Gruppen wie asylsuchenden Frauen, Müttern, Mädchen, Kindern, Menschen mit Behinderungen oder queeren Personen werden dabei massiv missachtet. Der ungehinderte Zugang Geflüchteter zu einem fairen, regulären Asylverfahren in der EU muss die oberste Priorität bleiben“, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat.

Doch auch in Deutschland sind geflüchtete Frauen Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Gemäß der Istanbul-Konvention, einer der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen, sind Vertragsstaaten dazu verpflichtete, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und die Betroffenen umfassend zu unterstützen. Deutschland hat sich 2017 zur Umsetzung der Konvention verpflichtetet. In der Praxis kommt es dennoch zu erheblichen Problemen: Das Kontrollgremium für die Istanbul Konvention GREVIO hat der Bundesregierung im Oktober 2022 bescheinigt, dass der Gewaltschutz von Frauen in Deutschland große Mängel aufweist. Dies betrifft insbesondere mehrfach diskriminierte Frauen wie Asylsuchende oder Frauen mit einer Behinderung. So weist GREVIO etwa auf die „anhaltenden Sicherheitsbedenken“ für geflüchtete Frauen und Mädchen in Sammelunterkünften hin. Diese bieten keine Bedingungen, unter denen Frauen und Mädchen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen sind, ihre Erlebnisse verarbeiten können, um sie im Rahmen des Asylverfahrens vorzubringen. Der Flüchtlingsrat fordert schon lange einen Kurswechsel in der Unterbringungspolitik: „Asylsuchende sollten von Anfang an dabei unterstützt werden, bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen unterzukommen. Die Wohnpflicht in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften muss endlich aufgehoben werden“, so Olszak.

Weitere Schutzlücken bestehen bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen für Betroffene häuslicher Gewalt. Deutschland hatte die Istanbul-Konvention unter Vorbehalt des Artikel 59 Absatz 2 und 3 unterzeichnet. Diese sehen vor, Betroffenen einen aufenthaltsrechtlichen Ausweg aus einer gewaltgeprägten Beziehung zu ermöglichen. Nachdem die Bundesregierung die Vorbehalte nicht verlängert hat, gilt die Konvention seit dem 1. Februar 2023 auch in Deutschland uneingeschränkt. Die bisherigen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen bieten jedoch bisher nicht den von der Konvention vorgesehenen Schutz. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte hierzu kürzlich umfassende Umsetzungsempfehlungen veröffentlicht. „Statt die gesetzgeberische Energie für Abschottungs- und Abwehrmaßnahmen zu verschwenden, sollte die Bundesregierung endlich die Maßnahmen umsetzen, zu denen sich Deutschland menschenrechtlich verpflichtet hat und dafür Sorge tragen, dass schutzsuchende gewaltbetroffene Frauen sicher, selbstbestimmt und in Würde hier leben können“, so Lena Schmid vom Flüchtlingsrat.

Von der Bundes- und Landesregierung erwartet der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen besseren Schutz von geflüchteten Frauen und menschenwürdige Aufnahmebedingungen, wie die Unterbringung in sicheren Wohnungen, geschlechtersensible Asylverfahren und ausreichend medizinische und psychosoziale Unterstützung.


Erdoğan-Besuch: Schluss mit menschenunwürdigen Deals auf dem Rücken schutzsuchender Menschen

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer warnen anlässlich des Treffens des türkischen Präsidenten Erdoğan mit Bundeskanzler Scholz am Freitag, den 17. November in Berlin, vor einer Neuauflage des menschenfeindlichen EU-Türkei-Deals und fordern eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik, insbesondere gegenüber der Türkei!

„Die derzeitige Politik der Abwehr und Abschottung setzt auf einen Kuschelkurs mit autoritären Regimen. Aber der Bundesregierung muss klar sein: Flüchtlingsdeals wie mit der Türkei führen zu immensem Leid von Schutzsuchenden, verletzen ihre Menschenrechte und funktionieren in der Praxis schlicht nicht. Die beschworene Partnerschaft zwischen beiden Ländern stabilisiert ein Regime in der Türkei, das selbst für immer mehr Flucht verantwortlich ist“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Der EU-Türkei-Deal war und ist rechtlich, humanitär und moralisch inakzeptabel. Die Folgen für Geflüchtete sind fatal: Menschen werden in der Türkei festgesetzt und immer wieder rechtswidrig und mit brutaler Gewalt über die Grenze zurück in die Kriegsgebiete nach Nordsyrien gezwungen oder an ihre Verfolger im Iran oder Afghanistan ausgeliefert. In Griechenland löste der Deal eine permanente humanitäre Krise aus. In den EU-finanzierten Flüchtlingslagern auf den Ägäis-Inseln werden Schutzsuchende ihrer Rechte beraubt und physisch und psychisch verletzt. In Griechenland stieg sowohl an der Landesgrenze als auch in der Ägäis die Zahl illegaler und tödlicher Zurückweisungen auf Rekordhöhen. Trotzdem wird laut Beschluss von Kanzler und Ministerpräsident*innen vom 6. November 2023 die Bundesregierung „die wirksame Fortsetzung und Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens weiterhin unterstützen“.

Das Regime von Erdoğan zwingt viele Menschen zur Flucht – außerhalb des eigenen Landes durch den Dauerbeschuss auf die Kurd*innen im Nordirak und Nordsyrien sowie aus dem eigenen Land. So ist die Türkei nach Syrien aktuell das Hauptherkunftsland von Schutzsuchenden in Deutschland, denn der türkische Staat verfolgt Kritiker*innen mit voller Härte und unterdrückt Minderheiten im eigenen Land.

Bis Oktober 2023 stellten über 45.000 türkische Staatsangehörige einen Asylerstantrag. Die sich verschärfende Menschenrechtslage in der Türkei spiegelt sich jedoch nicht in der Schutzquote von Asylantragstellenden aus der Türkei wider. Diese liegt aktuell bei nur 19 Prozent. Das bedeutet, dass nicht mal jeder fünfte Antrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgreich ist.

„Auch innenpolitisch muss sich Deutschland ehrlich machen und anerkennen, dass es sich bei der Türkei nicht länger um einen verlässlichen, demokratischen Partner handelt. Stattdessen unterstellt das BAMF weiterhin einen grundsätzlich rechtsstaatlichen Umgang mit Oppositionellen und lehnt in einer Vielzahl von Verfahren Schutzsuchende ab, die in der Türkei mit Berufsverboten belegt oder strafrechtlich verfolgt werden. Man muss sich fragen, ob hier im vorauseilenden Gehorsam gehandelt wird, um Erdoğan nicht zu verärgern“, kommentiert Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsens für die Landesflüchtlingsräte.

Es ist allseits anerkannt, dass die Türkei umfänglich auf konstruierte Terrorismusvorwürfe gegenüber unliebsamen Einzelpersonen oder Gruppierungen zurückgreift. Ihnen drohen rechtsstaatswidrige Verfahren und langjährige Haftstrafen. Erdoğan herrscht in der Türkei seit 20 Jahren und hat seither den Staat, seine Institutionen und das Justizwesen weitgehend seinem autokratischen Willen unterworfen. Nach dem Putschversuch von 2016 kam es zum weitgehenden Umbau der Justiz, um diese regierungskonform zu schalten.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer fordern, dass die Bundesregierung gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten konsequent menschenrechtliche Standards verteidigt – innenpolitisch, außenpolitisch und selbstverständlich auch flüchtlingspolitisch. Auch die umfängliche Überarbeitung der BAMF-Entscheidungspraxis zur Türkei ist längst überfällig.


Ampel-Regierung opfert Grundrechte in aufgeheizter Abschiebungsdebatte

Am heutigen Mittwoch soll im Kabinett der von Nancy Faeser vorgeschlagene Entwurf zum „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung“ beschlossen werden. Diese rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen rund um Abschiebungen sind jedoch schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte ohne jede Verhältnismäßigkeit, die dem Rechtspopulismus weiter Vorschub leisten. Zudem werden die Kommunen so nicht entlastet. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams auf 28 Tage und der Abschiebehaft auf bis zu sechs Monate vor. Außerdem sollen mit der Abschiebung beauftragte Personen quasi jedes Zimmer – auch nachts – in einer Geflüchtetenunterkunft betreten dürfen, traumatisierende nächtliche und überfallartige Abschiebungen sollen forciert werden. Zudem sollen durch neue Regelungen massenhaft und ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung Handys ausgelesen werden können.

„Die Bundesregierung opfert mit dem Abschiebungsgesetz die Grundrechte der Betroffenen dem aktuellen rechtspopulistischen Diskurs. Verschärfte Abschiebungsregeln werden kaum dazu führen, dass nennenswert mehr Menschen abgeschoben werden, aber sie führen zu noch mehr Härte und Verletzungen der Grundrechte. Schon jetzt ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig, schon jetzt werden Familien getrennt und Kinder nachts aus dem Schlaf gerissen. Dabei ist schon lange klar: Abschiebungen lösen weder die Probleme der Kommunen noch die Herausforderungen bei der Aufnahme fliehender Menschen“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Die von Nancy Faeser vorgeschlagenen Maßnahmen greifen unter anderen in das Recht auf Freiheit (Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz), das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Grundgesetz) – das auch für Zimmer in Geflüchtetenunterkünften gilt – sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) ein.

Mit diesem Abschiebungs-Verschlimmerungsgesetz wird so getan, als würden noch härtere Abschiebungen zur Entlastung von Kommunen führen. Dabei bekommen aktuell 71 Prozent der Menschen, deren Asylgründe vom BAMF geprüft werden, Schutz in Deutschland. Die Quote liegt damit auf Rekordniveau und beweist, dass der allergrößte Teil der Menschen, die nach Deutschland kommen und Schutz suchen, sehr gute Asylgründe hat. Deshalb sollte der Fokus auf ihrer Aufnahme und nicht auf Abschiebungen liegen. Auch die öffentliche Debatte über ausreisepflichtige Personen ist oft verzerrt: Ende 2022 lebten knapp 250.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland und waren ausreisepflichtig. Viele der Ausreisepflichtigen können jedoch überhaupt nicht abgeschoben werden, auch wenn unterschiedliche Politiker*innen das immer wieder suggerieren: Rund 3.000 Geduldete können wegen schwerwiegender medizinischer Gründe nicht abgeschoben werden. In 25.000 Fällen wurden Duldungen wegen familiärer Bindungen erteilt, die eine Abschiebung nicht zulassen. Auch Menschen in einer Berufsausbildung bleiben in Deutschland bislang in der Duldung, sind damit weiterhin ausreisepflichtig und Teil der Statistik: Ende 2022 waren das 6.000 Auszubildende. Zudem wird nur etwa neun Prozent der geduldeten Menschen vorgeworfen, ihre eigene Abschiebung zu verhindern, weshalb sie eine sogenannte Duldung Light haben.

PRO ASYL fordert alle demokratischen Parteien im Bundestag auf, Ziel und Mittel des Abschiebegesetzes zu hinterfragen, die flüchtlingsfeindliche Debatte zu beenden und stattdessen echte Lösungen zur Entlastung von Kommunen zu verfolgen. Rund 136.000 Geduldete könnten zum Beispiel von einer großzügigen Anwendung des Chancen-Aufenthaltsrechts profitieren, was die Zahl der Ausreisepflichtigen verringert.


Georgien und Moldau sind nicht sicher!

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder fordern die Bundesländer auf, sich am 20.10.2023 im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf zur Einstufung Georgiens und Moldaus als “sichere” Herkunftsländer auszusprechen und sich stattdessen einer rationalen, faktenbasierten und lösungsorientierten Migrationspolitik zuzuwenden.

“Die Wahlen in Hessen und Bayern haben klar gezeigt: Je mehr SPD und Grüne sich rechts anbiedern, desto weiter verschiebt sich der gesamte Diskurs nach rechts – und gewählt wird dann dennoch das rechtsradikale Original. Wir brauchen endlich eine rationale und faktenbasierte Debatte über Flucht und Migration”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte lehnen das Konzept der sicheren Herkunftsländer grundsätzlich ab. Im konkreten Fall von Moldau und Georgien gibt es zudem etliche tatsächliche Gründe, die der Einstufung als “sicher” entgegenstehen. Denn zu einer solchen Einstufung gelten klare gesetzliche Vorgaben: Staaten dürfen nur dann als “sichere Herkunftsstaaten” gelten, wenn „landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen“ Sicherheit vor Verfolgung besteht. Dies ist weder in Georgien noch in Moldau gegeben. PRO ASYL hat dazu eine ausführliche Stellungnahme verfasst.

In beiden Ländern gibt es abtrünnige Regionen, die von Russland und nicht von der jeweiligen Regierung kontrolliert werden: In Georgien die Regionen Abchasien und Südossetien und in der Republik Moldau die Region Transnistrien. Außerdem geht der Gesetzentwurf nicht auf die Gefahr des zunehmenden russischen Einflusses auf Politik und Gesellschaft auch außerhalb der abtrünnigen Gebiete ein und auch nicht auf die geänderte geopolitische Gefahrenlage seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Weiterhin sind nachweislich nicht alle Personen- und Bevölkerungsgruppen sicher. In Georgien gilt das speziell für die Gruppe der LGTBIQ*-Personen, in Moldau insbesondere für die Gruppe der Rom*nja. Beide Gruppen sind von Diskriminierung, Ausschlüssen und sogar von Angriffen betroffen. Auch Presse- und Medienvertreter*innen sowie Kunst- und Kulturschaffende geraten in jüngster Zeit zunehmend unter Druck. In Belgien wurde im Juli dieses Jahres das Land Georgien nach nicht einmal drei Monaten wieder von der Liste der sicheren Herkunftsländer genommen, insbesondere wegen der gefährlichen Situation für LGTBIQ*-Personen.

Der Gesetzentwurf wird als Maßnahme zur Entlastung von kommunalen Strukturen vermarktet. Dabei handelt es sich in Wahrheit bei diesen beiden Ländern nur um eine kleine Gruppe Asylsuchender, denen durch die Einstufung als “sicheres Herkunftsland” ihr Recht auf eine individuelle Überprüfung ihrer Asylanträge verweigert wird. Das wird nicht zu einer Entlastung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten führen. Was die Kommunen hingegen brauchen, ist eine rationale und faktenbasierte Debatte über echte Maßnahmen, die ihnen helfen – zum Beispiel eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung mit einer Pro-Kopf-Pauschale je aufgenommener Person, eine Digitalisierungsoffensive und die Aufhebung der Arbeitsverbote, von denen Tausende Geduldete betroffen sind.

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern Bund und Länder auf, eine Migrationspolitik zu verfolgen, die tatsächlich die Kommunen bei der Aufnahme sowie die Menschen beim Ankommen unterstützt, statt weiter rechte Stimmungsmache zu befördern.


Debatte über Arbeitspflicht, Abschiebungen und Bezahlkarten für Flüchtlinge stärkt rechte Diskurse

PRO ASYL und Flüchtlingsräte kommentieren Vorschläge der Ministerpräsident*innenkonferenz, das ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetz‘ von Nancy Faeser und den drohenden Schulterschluss mit rechten Positionen in einem „Deutschlandpakt“.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer kritisieren die aktuellen Vorschläge zur weiteren Entrechtung von Geflüchteten scharf. Hierzu gehört der Vorstoß auf der heute beginnenden Ministerpräsident*innenkonferenz, unter anderem die Bezahlkarte und die Arbeitspflicht für Schutzsuchende einzuführen. Begründet wird dies mit dem Ziel, die Zuzugszahlen von Geflüchteten zu senken, um die Kommunen zu entlasten.

“Worüber sprechen wir hier? Dass Menschen ihr Leben riskieren, auf der Flucht gefoltert und vergewaltigt werden, nur weil sie in Deutschland vierhundert Euro im Monat bekommen wollen? Und wenn es nun statt Bargeld eine Bezahlkarte gibt, gehen sie lieber in Baschar al-Assads Gefängnisse in Syrien oder liefern sich der Taliban in Afghanistan aus? Uns fehlen die Worte über diese unredlichen Vorschläge”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

Mit einer Arbeitspflicht wird das rassistische Narrativ von Schutzsuchenden, denen zu Unrecht unterstellt wird, nicht arbeiten zu wollen, reproduziert. Blanker Hohn, wenn man bedenkt, wie viele Geflüchtete in Deutschland mit einem Arbeitsverbot belegt werden. Wir sind entsetzt über diesen unmenschlichen Umgang mit Geflüchteten und die rein von rechts dominierte Migrationsdebatte, die allein dem Aufschwung antidemokratischer Kräfte dient und nichts mit tatsächlichen Lösungsansätzen zu tun hat.

“Gebot der Stunde ist es, schutzsuchenden Menschen eine gleichberechtige Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, das schafft zugleich Entlastung in den Kommunen“, sagt Ulrike Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Zudem ist der Vorschlag nicht mit Artikel 20 der EU-Aufnahmerichtlinie vereinbar und auch Artikel 4 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention statuiert das Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit.

Nach dem Debakel in den Landtagswahlen in Hessen und Bayern für die Ampel-Parteien legte nun Innenministerin Faeser einen Gesetzesentwurf vor, der rechtsstaatlich höchst fragwürdige Verschärfungen bei Abschiebungen vorsieht. Mehr und längere Haft, das Durchsuchen von Wohnungen und das Handyauslesen sind alles schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte, wobei auch die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird.

„Wir lehnen schon die Prämisse dieses ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetzes‘ ab, dass mehr Abschiebungen das Mittel der Wahl sind, um die Kommunen zu unterstützen. Abschiebungen sind schon heute oft brutal für die betroffenen Menschen, das wird noch schlimmer, wenn sie regelmäßig überfallartig und nachts passieren. Auch ist jede zweite Abschiebungshaft rechtswidrig – dieses Instrument jetzt noch auszubauen widerspricht jedem Verständnis von Rechtsstaat“, so Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Den Verbänden ist der Gesetzesentwurf am Mittwoch mit Veröffentlichung auf der Homepage zur Kommentierung zugeleitet worden. Die Stellungnahmefrist von zwei Tagen zeigt, dass auch diese Einbindung der Zivilgesellschaft zur Farce geworden ist.

Statt immer neuer Abschreckungsmaßnahmen, sollten sich die Ministerpräsident*innen den pragmatischen Lösungsvorschlägen von zivilgesellschaftlichen Organisationen zuwenden. Dazu gehören zum Beispiel eine Pro-Kopf-Pauschale für die Kommunen für jede aufgenommene Person und die im Koalitionsvertrag versprochene Aufhebung aller Arbeitsverbote. Auch die Aufweichung restriktiver Gesetze, die verhindern, dass Geflüchtete aus den ihnen zugewiesenen Unterkünften ausziehen können, würde Kommunen entlasten. Nötig sind zudem der zügige Ausbau von Kita- und Schulplätzen und die Digitalisierung der Behörden.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Länder appellieren an alle Politiker*innen in Bund und Ländern, sich an einem menschenrechtlichen Kompass zu orientieren: “Stoppen Sie diese irrwitzigen Debatten! Und vor allem: Hören Sie auf, den rechten Diskurs zu führen, der Geflüchtete zu Sündenböcken für verfehlte Sozialpolitik macht.”