Kommentar: Sprecher*innenratsmitglied Joachim Glaubitz zur derzeitigen politischen Lage

Spüren Sie das auch? Dieses Schwindelgefühl, wenn Sie die aktuellen Nachrichten verfolgen? Das Dröhnen im Kopf? Ein leichtes Gefühl von Übelkeit? Die gute Nachricht: Es ist vermutlich kein Kater. Die Schlechte: Es ist schlimmer. Die Grundfesten unserer Demokratie bröckeln und wir sind live dabei.

​​Anfang des Jahres gingen Millionen auf die Straße, als bekannt wurde, dass Rechtsextreme über Remigrationspläne sprachen. Remigration? Gemeint ist millionenfache Deportation von als „ausländisch“ markierten Personen. „Mit wohltemperierter Grausamkeit“, wie Björn Höcke es formuliert.

Die Empörung war groß und die Demokratiebewegung im Land gab mir Hoffnung. Leider machte sie mich aber auch schnell stutzig. Noch während auf den Straßen demonstriert wurde, erhoben sich die Stimmen in Politik und Medien, man brauche schärfere Abschiebungen und Restriktionen gegenüber Geflüchteten. 

Mit jeder Woche, die seither verging, wurde der Ton rauer und seit dem Anschlag in Solingen scheint es in der Debatte kein Maß mehr zu geben. Die extreme Rechte jubelt, denn wir befinden uns auf halbem Weg zu ihren, im Januar diskutierten Remigrationsplänen. Da ist er: der Schwindel, das Dröhnen in den Ohren, die Übelkeit.

Während Fachleute und Experte*innen versuchen Gehör zu finden und darauf hinweisen, dass 99,9 Prozent der Geflüchteten vor Islamismus, auf der Suche nach Schutz und Frieden geflohen sind und alles versuchen, um ein gutes Leben zu finden, ergießt sich die Politik über Parteigrenzen hinweg in einem autoritären Überbietungswettbewerb der Menschenfeindlichkeit: Abschiebungen nach Afghanistan, ein von Terroristen regierter Staat; Forderungen nach „Brot, Bett und Seife“ für Schutzsuchende im eigenen Land, Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen, verbunden mit Zurückweisungen und der Suche nach Inhaftierungsmöglichkeiten.  Es dreht sich das Karussell des Rechtsrucks. Schneller und immer schneller. Und wir sind live dabei.

Aus der Politik hört man, dass diese Maßnahmen nötig seien, um der AfD das Wasser abzugraben. Welch ein bedrohlicher Irrtum! Die extreme Rechte treibt uns vor sich her, geradewegs in die Falle. Mit jeder Gesetzesverschärfung, mit jeder repressiven Maßnahme, jeder Drohung und Aufrüstung verlieren wir ein Stück unserer Integrität, unserer Idee von Europa und dem Wesen unserer Demokratie. 

Was es noch schlimmer macht: Es wird nie genug sein. Die extreme Rechte wird nach jeder Verschärfung rufen: „das reicht nicht aus!“ Und so machen sich die Parteien zum Spielball der AfD.

Es scheint, dass sehr, sehr viele Menschen in diesem Land eine wesentliche Lektion der Geschichte nicht verstanden haben: Faschismus war immer auch eine schleichende, schrittweise Gewöhnung an das Entrechten von Menschen unter dem Deckmantel des Rechts. Bis es keines mehr gab – für keinen. 

Nicht erst seit den Wahlen in Sachsen und Thüringen sprechen Freunde mit mir darüber, wo sie hingehen können, wenn es noch schlimmer wird, wann die rote Linie endgültige überschritten ist, was sie vorbereiten müssen, um das Land schnell zu verlassen …

Der Schwindel nimmt zu, das Dröhnen wird lauter und die Übelkeit wächst. Doch noch ist es nicht so weit. Ein „weiter so“ darf es nicht geben. Niemand kann sagen, man habe es nicht kommen sehen. 

Nie wieder ist jetzt! Wir sind immer noch live dabei, es ist an der Zeit Position zu beziehen und zu handeln. 
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena​ empfiehlt in einer Kurzanalyse zur Thüringer Landtagswahl folgende Handlungsansätze: 

  1. Wir müssen dem Narrativ rechtsextremer Hegemonie vor Ort entgegentreten.
  2. Wir müssen Betroffene rechtsextremer Anfeindungen, Gewalt und Diskriminierung wirksam schützen und unterstützen.
  3. Wir müssen eigene Inhalte und Themen solidarischer, menschenrechtsorientierter Praxis weiter- bzw. neu entwickeln und setzen.
  4. Wir müssen uns gegenseitig ermutigen und das Gefühl des Alleinseins durch praktische Solidarität aufbrechen.
  5. Wir müssen deutlich machen, dass demokratische Mitbestimmung und politische Beteiligung nicht nur an der Wahlurne, sondern stärker im Alltag stattfinden kann und muss.

Ich finde, das sind fünf gute Punkte, an denen wir ansetzen können. Vielleicht nimmt der Schwindel dann ab, vielleicht wird das Dröhnen etwas leiser und vielleicht legt sich die Übelkeit wieder. Ich wünsche es mir und Ihnen, denn andernfalls werden diese Symptome erst der Anfang sein. Es liegt auch in unserer Hand.


  • Joachim Glaubitz, Mitglied des Sprecher*innenrats des Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, September 2024


Mehrsprachiges Infoblatt: Fragenkatalog Bleiberecht

Für Menschen mit Duldung stellt sich immer wieder die Frage: Wie kann ich meinen Aufenthalt in Deutschland sichern? Dafür müssen viele verschiedene Informationen eingeholt werden. Welche Fragen dabei relevant sind, haben wir in einem Dokument zusammengefasst. Dies soll dabei helfen, mögliche Bleiberechtsoptionen zu prüfen.



Infoblatt: Unterschiede zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis

Was unterscheidet eine Duldung von einer Aufenthaltserlaubnis? Welche Vor-und Nachteile gibt es dabei? Wie wirkt sich der jeweilige Status z.B. auf die Erwerbstätigkeit, den Familiennachzug und die Sozialleistungen aus?

Diese Fragen beantwortet das Infoblatt in einer tabellarischen Gegenüberstellung.



Spätsommerpause: Beratung geschlossen

Bitte beachten Sie: Vom 14.9.24 bis zum 22.9.24 ist unsere Beratung geschlossen. E-Mails und Anrufe können wir in dieser Zeit leider nicht beantworten. In dringenden Fällen können Sie sich an Pro Asyl und gegebenfalls an Migrationsberatungen und an die Jugendmigrationsdienste wenden.

Die Beratung für Hauptamtliche ist davon nicht betroffen.

Ab dem 23.9.24 sind wir wieder für Ihre Anfragen erreichbar.


Landesflüchtlingsräte entsetzt über heutige Abschiebung nach Afghanistan

Laut Pressemeldungen ist am frühen Freitagmorgen eine Sammelabschiebung von 28 Menschen, die Straftaten begangen haben sollen, mit dem Ziel Afghanistan gestartet. Die Flüchtlingsräte der Bundesländer verurteilen die Abschiebung scharf. Es ist anzunehmen, dass dieser Vollzug in Zusammenarbeit mit den Behörden in Katar, die selbst vielfältiger Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, stattfand. Aber auch eine über Bande organisierte Abschiebung ist nicht ohne Kooperation mit dem islamistischen Regime der Taliban möglich.

“Mit diesem Flug hat Deutschland die Kooperationen mit den Taliban salonfähig gemacht, einem menschenrechtsverachtenden Regime, das zuletzt Mädchen und Frauen qua Gesetz aus dem öffentlichen Raum verbannt hat und Menschen willkürlich einsperrt, foltert und tötet”, betonen die Landesflüchtlingsräte.

Keine Straftat rechtfertigt in Deutschland das Abschieben von Menschen in Folter und unmenschliche Behandlung. Hierbei handelt es sich um einen klaren Völker- und EU-Rechtsbruch sowie um eine unzulässige Doppelbestrafung. “Auch Straftäter*innen müssen in Deutschland nach rechtsstaatlichen Prinzipien behandelt werden. Das gehört zu den Grundfesten unseres demokratischen Systems”, mahnen die Landesflüchtlingsräte. Dieser Flug ist ein Dammbruch in der deutschen Außenpolitik, trägt zur Legitimation des Kabuler Unrechtsregimes bei und macht alle Beteuerungen der Bundesaußenministerin, nicht mit den Taliban zu kooperieren, zur Farce.

Die Landesflüchtlingsräte fordern: Keine Abschiebungen nach Afghanistan!


Online-Fortbildung: Einbürgerung und Staatsangehörigkeit

In der Fortbildung werden die Reformen des Staatsangehörigkeitsgesetzes umfassend behandelt. Wir beginnen mit einer kurzen historischen und theoretischen Einordnung des Gesetzes, um ein tieferes Verständnis für seine Entwicklung und die vorgenommenen Änderungen zu ermöglichen. Anschließend beleuchten wir die aktuellen rechtlichen Grundlagen des Staatsangehörigkeitsrechts, wobei ein besonderer Fokus auf die Voraussetzungen für eine Einbürgerung gelegt wird. Ein weiterer zentraler Bestandteil der Fortbildung ist der Austausch von Erfahrungen aus der Beratungspraxis.

Veranstalter: Flüchtlingsrat Berlin

Referentin: Magdalena Benavente, Juristische Referentin für Migrationsrecht

Die Anmeldung erfolgt über den Flüchtlingsrat Berlin.


Aktualisierte Handreichung: Kirchenasyl

Was ist Kirchenasyl? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen? Wer organisiert die Unterbringung und was muss dabei beachtet werden? Die aktualisierte Broschüre des Flüchtlingsrat Niedersachsens antwortet auf diese Fragen und bietet praktische Hinweise zum Thema. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Situation in Niedersachsen. Viele der Informationen sind aber auch für Personen aus anderen Bundesländern relevant.



Zahlen zu Abschiebungen aus BW

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fragt immer wieder diverse Zahlen zu Abschiebungen aus BW beim Regierungspräsidium Karlsruhe, beim Justizministerium und ggf. beim Innenministerium ab. Die Zahlen sollen öffentlich verfügbar sein, um die Abschiebepraxis besser verstehen zu können. Auf dieser Überblicksseite finden Sie die uns bis dato vorliegenden Zahlen zum Themenbereich Abschiebung. Bundesweite Zahlen finden Sie bei Pro Asyl.

Abschiebungen aus Baden-Württemberg

Die Excel-Tabellen unterscheiden zwischen Ziel- und Herkunftsland. Anhand der Zahlen zu den Zielländern wird ersichtlich wie viele Personen in ein bestimmtes Land abgeschoben worden sind (unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit). Die Zahlen zu Herkunftsländern geben die Anzahl der Personen mit der jeweiligen Staatsangehörigkeit an, die abgeschoben worden sind (unabhängig davon in welches Zielland). Die Differenz zwischen dieser beiden Zahlen erklärt sich oft damit, dass die verbliebenen Personen in andere Länder, vermutlich im Rahmen des Dublin-Verfahrens, abgeschoben wurden. In europäische Länder werden hauptsächlich Drittstaatsangehörige im Rahmen des Dublin-Verfahrens abgeschoben.

Sammelabschiebungen organisiert von Baden-Württemberg

Das Regierungspräsidium Karlsruhe stellt dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg standardisiert Daten zu Sammelabschiebungen zur Verfügung, die unter der Federführung Baden-Württembergs vollzogen wurden. Die meisten werden vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden (FKB) durchgeführt. Manchmal erhalten wir Zahlen zu Frontex-Maßnahmen, diese finden i.d.R. vom Frankfurter Flughafen statt. Wir erfragen unter anderem Zahlen zu den abgeschobenen Personen, den Zielländern, dem Alter und der Zugehörigkeit zu einer Minderheit (auch wenn die Zugehörigkeit zu Rom*nja erfragt wurde, bezieht sich die Antwort des Regierungspräsidiums immer allgemein auf der Zugehörigkeit zu einer Minderheit, nicht zu welcher Gruppe). Wurden Abschiebungen durch Frontex organisiert, wird die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht statistisch erfasst. Nicht immer werden alle Fragen beantwortet. Es wird unterschieden zwischen bundesweiten und landesweiten Zahlen.

2025

  1. 13.01.2025 Serbien und Nordmazedonien
  2. 21.01.2025 Albanien und Kosovo
  3. 10.03.2025 Serbien und Nordmazedonien

2024

  1. 10.06.2024 Serbien und Nordmazedonien
  2. 11.09.2024 Serbien und Nordmazedonien
  3. 30.09.2024 Kosovo
  4. 28.10.2024 Kosovo und Albanien

2023

  1. 12.01.2023: Bosnien und Serbien
  2. 15.03.2023: Kosovo und Albanien
  3. 13.04.2023: Serbien und Nordmazedonien
  4. 01.06.2023: Albanien und Kosovo
  5. 19.06.2023: Nordmazedonien
  6. 18.07.2023: Nordmazedonien
  7. 07.08.2023: Bosnien und Herzegowina und Serbien
  8. 11.09.2023: Kosovo und Nordmazedonien
  9. 05.10.2023: Albanien und Serbien
  10. 23.10.2023: Nordmazedonien und Bosnien und Herzegowina
  11. 11.12.2023: Kosovo und Nordmazedonien

Detaillierte Zahlen zu Abschiebungen und Abschiebehaft in BW

Für die Jahre 2022 und 2023 haben wir eine große Abfrage zu Abschiebungen und Abschiebehaft beim Regierungsräsidium Karlsruhe gemacht. Wir haben die Zahlen für Sie eingeordnet und zusammengefasst.


Stuttgart: Yezid*innen im Irak und in Baden-Württemberg

Am 11. Juli lädt die Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg zu einer spannenden Podiumsdiskussion ein:

Im August 2014 überfiel der sogenannte Islamische Staat die nordirakische Stadt Shingal und das Umland, dem Hauptsiedlungsgebiet der Yezid*innen. Seine Gräueltaten zielten darauf ab, yezidisches Leben gänzlich auszulöschen. Es folgten Massenmord, Versklavung, systematische Vergewaltigung von Frauen und Mädchen und die Flucht hunderttausender Menschen. Etwa 80.000 von ihnen suchten Schutz in Deutschland, viele auch in Baden-Württemberg. 2015 und 2016 nahm die Landesregierung Baden-Württemberg rund 1.000 Yezid*innen im Rahmen eines Sonderkontingents auf.

Yildiz Deniz wird in die Thematik des Abends einführen und dabei auf die Ereignisse im Jahr 2014 zurückblicken. Gemeinsam mit Prof. Jan Ilhan Kizilhan, Staatssekretär Florian Hassler und Meike Olszak wollen wir anschließend den Hinweisen nachgehen, dass der sogenannte stille Genozid weiter anhält. Wir wollen über die Konsequenzen sprechen und Möglichkeiten der Unterstützung für Yezid*innen vor Ort und in Baden-Württemberg diskutieren. 

Ort: Gewerkschaftshaus Stuttgart, Bambus-Salon (Erdgeschoss), Willi-Bleicher-Str. 20, 70174 Stuttgart


Heinrich-Böll-Stiftung: Yesid*innen im Irak und in Baden-Württemberg: 10 Jahre nach Beginn des Genozids


Aktualisierung Arbeitshilfe Aufenthaltsverfestigung

Für Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, stellt sich oft irgendwann die Frage, wie sie ihren Aufenthalt verfestigen können. Diese Arbeitshilfe erklärt, unter welchen Umständen man einen unbefristeten Aufenthaltstitel wie z.B. eine Niederlassungserlaubnis erhalten kann. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium der Justiz und für Migration, die Arbeitshilfe „Aufenthaltsverfestigung“ entsprechend der aktuellen Rechtslage aktualisiert.


Flüchtlingsrat BW, 2024: Aufenthaltsverfestigung für Geflüchtete