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VG Stuttgart: Wohnsitzauflage rechtswidrig, wenn hinreichende Deutschkenntnisse vorhanden

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einer Entscheidung vom 27. Juni (Aktenzeichen 8 K 2485/19) die aufschiebende Wirkung eines Einspruches gegen eine Wohnsitzauflage nach § 12 a Absatz 3 AufenthG angeordnet. Dabei kam es darauf an, dass die betroffene Person bereits das Deutsch-Niveau B1 nachweisen konnte, so dass die im Gesetz enthaltene Begründung für die Wohnsitzauflage (Wohnraumversorgung, Erwerb von Deutschkenntnissen, Integration in den Arbeitsmarkt) in diesem Fall nicht zutreffe. Die Wohnsitzauflage sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie für alle drei der genannten „Integrationsaspekte“ notwendig sei. Da der Betroffene bereits Deutschkenntnisse über das Niveau A2 („hinreichende Deutschkenntnisse“ hinaus erworben hat, sei die Wohnsitzauflage nach Ansicht des Gerichts rechtswidrig.


Familiennachzug: Einleitung eines Widerrufsverfahrens darf keinen Einfluss auf Visumserteilung haben

Auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Bundesministerium des Innern bestätigt, dass die Einleitung eines Widerrufsverfahrens vor rechtskräftigem Abschluss keinen Einfluss auf die Visumserteilung zum Familiennachzug haben darf. Denn vor rechtskräftigem Abschluss des Widerrufverfahrens sind die Betroffenen weiterhin Inhaber*innen einer Aufenthaltserlaubnis. Das Vorgehen der Botschaften, Anträge zum Familiennachzug bei laufenden Widerrufsverfahren liegen zu lassen, ist somit nicht zulässig. Im Einzelfall sollte deshalb ein rechtliches Vorgehen gegen eine solche Praxis geprüft werden.


Tübinger Menschenrechtspreis geht an Rechtsanwalt Manfred Weidmann

Am 24. Juni wurde dem Tübinger Rechtsanwalt Manfred Weidmann, der auch seit vielen Jahren im Sprecher*innenrat des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg aktiv ist, der Tübinger Menschenrechtspreis verliehen. Die Preisverleihung bildete den Auftakt der 5. Tübinger Menschenrechtswoche.


Kritik an Gambia-Vorführungen perlt an der Bundesregierung ab

Die Vorführung von Personen die (mutmaßlich) aus Gambia stammen vor Delegationen der gambischen Regierung werfen bei vielen Betroffenen und Haupt- und Ehrenamtlichen Fragen auf. Einige dieser Fragen wurden in einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE aufgenommen und an die Bundesregierung gerichtet. Nun liegt die Antwort des Bundesinnenministeriums vor. Aus Sicht des Flüchtlingsrats werden viele problematische Phänomene, die aus der Praxis bekannt sind, entweder geleugnet oder mit einem Schulterzucken quittiert.

Die Bundesregierung informiert darüber, dass es zwischen Oktober 2017 und Mai 2019 insgesamt 82 Anhörungen gegeben habe, bei denen 1315 Personen angehört wurden. Dabei wurde bei 773 Personen festgestellt, dass sie gambische Staatsangehörige sind, bei 542 konnte dies nicht festgestellt werden. Die allermeisten Anhörungen fanden in Karlsruhe statt, es gab aber auch einzelne Anhörungen an anderen Orten.

Auf viele der Kritikpunkte, die von Betroffenen und ihren Begleitpersonen aus der Praxis gemeldet wurden, antwortet die Bundesregierung nicht oder nicht auf einer Weise, die geeignet ist, die Bedenken zu zerstreuen. So haben einige Personen, die an diesen Anhörungen teilgenommen haben, berichtet, dass in den gambischen Delegationen Angehörige des Regimes des abgewählte Diktators Yayha Jammeh sind. Hierzu verweist die Bundesregierung darauf, dass die personelle Zusammenstellung der Delegationen Sache der gambischen Behörden ist.


Befremdlich ist für viele Betroffene auch die Praxis, dass einige Delegationsmitglieder ihre Gesichter verstecken, indem sie beispielsweise Mützen, Kapuzen oder große Sonnenbrillen tragen. Hierzu stellt die Bundesregierung fest, dass es für die Delegationsmitglieder keine Uniform gibt und sie ihre Kleidung frei wählen dürfen.


Zu der Nicht-Zulassung von Beiständen bei den Anhörungen gibt die Bundesregierung an, dass ihr keine entsprechenden Fälle bekannt sind. Allerdings haben sich mehrere Personen beim Flüchtlingsrat gemeldet, die angeben, genau diese Erfahrung gemacht zu haben.


Zwar werden die Ergebnisse der Anhörungen nachher zwischen der gambischen Delegation und den deutschen Behörden besprochen, so dass die deutsche Seite nachvollziehen kann, auf welcher Grundlage entscheiden worden ist, ob die gambische Staatsangehörigkeit nachgewiesen ist oder nicht. Allerdings wird nicht vor den Anhörungen abgesprochen, welche Fragen gestellt werden (dürfen). Dies ist problematisch, weil einige Personen berichten, die gambische Delegation habe sie nach den Fluchtgründen gefragt, die sie im Asylverfahren geltend gemacht haben. Die Bundesregierung entzieht sich einer klaren Antwort auf die Fragen, ob dies zulässig sei und inwiefern diese Frage dem Zweck der Anhörung – Überprüfung der Identität und der Staatsangehörigkeit – dienen. Stattdessen sagt sie, dass es Fragen gibt, die dem Zweck der Anhörung dienen, auch wenn sie im Rahmen des Asylverfahrens gefragt wurden. In der Aufzählung von Beispielen für solche Fragen wird die Frage nach Fluchtgründen nicht erwähnt. Fast schon unfreiwillig komisch ist, dass die Bundesregierung in der Antwort auf diese Frage abschließend erwähnt, dass die Befragung ja in Anwesenheit der zuständigen Ausländerbehörde erfolgt. Wie viele Vertreter*innen der Ausländerbehörden über die notwendigen Sprachkenntnisse in Mandinka, Fula oder Wolof verfügen, um dem Gespräch zu folgen und auf nicht-zulässige Fragen hinzuweisen, wäre möglicherweise eine Thema für eine zukünftige Kleine Anfrage.


Sehr unbefriedigend ist aus Sicht der Flüchtlingsrats auch die Antwort auf die Frage, wie sichergestellt wird, dass die Angehörten und die gambische Delegation sprachlich verständigen können. Die Antwort lautet, dass die gambischen Delegationsmitglieder – soweit der Bundesregierung bekannt – neben der Amtssprache (Englisch) auch weitere in Gambia gesprochene Regionalsprachen beherrschen. Eine individuelle Prüfung und Sicherstellung, dass zu jedem Gespräch gewährleistet ist, dass die anzuhörende Person und die Delegation sich verständigen können, findet augenscheinlich nicht statt – stattdessen verlässt man sich darauf, dass es in den allermeisten Fällen wahrscheinlich klappen wird. Sicherlich klappt dies in den allermeisten Fällen, allerdings ist dies ein schwacher Trost für eine Person, die tatsächlich Verständigungsprobleme hatte. Ein solcher Fall ist dem Flüchtlingsrat bekannt.
Einige der Fragen beziehen sich auf die Abschiebungspraxis nach Gambia. Eine wichtige Erkenntnis, die sich daraus ergibt, ist dass es keine Vereinbarung gibt, bestimmte Geldbeträge an Abgeschobene auszuzahlen. Die Geldsummen, die die gambische Regierung von der Europäischen Union erhalten hat – dabei ist von 20 Millionen Euro die Rede – sind also offenbar für andere Zwecke bestimmt.


Laut Berichten von Betroffenen und Zeug*innen waren bei den Sammelabschiebungen im Januar und Februar alle Abgeschobenen an Händen und Füßen gefesselt. Die Bundesregierung sagt, dass diese Maßnahmen nicht pauschal erfolgten, sondern ausgehend von einer individuellen Gefahrenprognose. Das heißt, dass bei allen Personen – insgesamt 50 bis 60 – die individueller Prüfung ausnahmslos ergeben hätte, dass jeder einzelne von ihnen eine Gefahr darstellt. Dies wäre, auch angesichts der Erfahrungswerte zahlreicher anderer Sammelabschiebungen – eine sehr ungewöhnliche Situation.


VG Freiburg zum Familienasyl: Unverzüglich heißt nicht immer zwei Wochen

Mit Urteil vom 16.4.2019 (Aktenzeichen: A 5 K 2488/18) hat das VG Freiburg entschieden, dass auch ein mehr als vier Wochen nach Einreise gestellter (förmlicher) Asylantrag ausnahmsweise noch unverzüglich im Sinne der Vorschriften über das Familienasyl (§ 26 AsylG) sein kann. Was war passiert:

Der am 7.12.2017 nach Deutschland eingereiste Vater hatte mit Hilfe des Flüchtlingssozialdienstes am 12.12.2017 ein an das „BAMF Freiburg“ adressiertes und unterschriebenes Schreiben verfasst und unter Berufung auf die Flüchtlingseigenschaft seines Sohnes und unter Angabe des betreffenden Aktenzeichens des Bundesamts Familienasyl nach § 26 AsylG beantragt. Außerdem war für denselben Tag ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Außenstelle des Bundesamts in Freiburg belegt, um einen Termin für die persönliche Vorsprache des Vaters beim Bundesamt zum Zweck der Asylantragstellung zu vereinbaren. Mit E-Mail-Schreiben vom 13.12.2017 teilte die Mitarbeiterin des Bundesamts dem Flüchtlingssozialdienst Folgendes mit: „… bitte teilen Sie dem Antragsteller mit, dass er seine Originalunterlagen mitbringen soll. Einen kurzfristigen Termin kann ich Ihnen momentan nicht anbieten. Ab dem 08. Januar 2018 nehmen wir wieder Anträge entgegen.“ In seinem Bemühen, dennoch vorher einen formwirksamen Asylantrag zu stellen, gab sich der Vater mit dieser Auskunft nicht zufrieden, sondern begab sich am 14.12.2017 zusammen mit seinem als Flüchtling anerkannten Sohn nach Karlsruhe zur dortigen Außenstelle des Bundesamts, um unter Vorlage eines vorformulierten, mit „Eingangsbestätigung Asylantrag“ überschriebenen Schreibens mit Datum vom 13.12.2017 persönlich einen Asylantrag zu stellen. In einem Schreiben einer Flüchtlingssozialarbeiterin war anschaulich beschrieben, welcher Odyssee der Vater dort sowie bei einer zweiten, dann sogar mehrtätigen Reise zur Bundesamtsaußenstelle in Karlsruhe am 18.12.2017 u.a. wegen eines Umzugs der zuständigen Abteilung des Bundesamts, wegen der Verweisung an die Flüchtlingsaufnahmestelle in Heidelberg usw., ausgesetzt wurde. An all diesen Stellen wurde der Vater vertröstet und weiterverwiesen mit der Folge, dass er unverrichteter Dinge nach Freiburg zurückkehren musste und es ihm vor dem 16.01.2018 nicht gelang, einen förmlichen Asylantrag zu stellen.

Streitentscheidend war die Frage, ob der Vater seinen Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hatte. Häufig liest man, dass eine Asylantragstellung später als zwei Wochen nach der Einreise nicht mehr unverzüglich sei. Blickt man ins Gesetz findet man eine solch starre Frist nicht. Vielmehr bedeutet unverzüglich gem. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Dieser unbestimmte Begriff muss in jedem Einzelfall konkretisiert werden. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 (Aktenzeichen 9 C 35/96) hatte das BVerwG für den Regelfall eine Frist von zwei Wochen für angemessen und ausreichend gehalten, schon damals aber darauf hingewiesen, dass auch ein späterer Antrag noch rechtzeitig sein könne, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte.

Letztlich geht es um die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, dass der Asylantrag nicht innerhalb von zwei Wochen gestellt wurde. An diese wichtige Einschränkung, die das Bundesamt, aber bisweilen auch die Beratungspraxis übersieht, hat das VG Freiburg mit seinem Urteil gewissermaßen „erinnert“. Angesichts der selten intensiven und außergewöhnlichen Bemühungen des Vaters um eine zeitnahe Asylantragstellung war es aus Sicht des Gerichts bedenklich und nicht nachvollziehbar, wie das Bundesamt auf die Idee kommen und diese aufrechterhalten konnte, dass es der Vater war, den hier ein Verschuldensvorwurf an der späten Asylantragstellung treffe. Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Wenn das Bundesamt einen Asylbewerber ausdrücklich darauf verweist, er solle seinen Asylantrag zu einem Zeitpunkt stellen, der mehr als vier Wochen nach seiner Einreise liegt, und ihm dann später vorhält, er habe seinen Asylantrag zu spät, nämlich nicht binnen zweier Wochen, gestellt, so ist das nicht nur rechtlich unhaltbar, sondern sogar menschlich unanständig.“

In der Asylpraxis spielt das Familienasyl eine immer wichtigere Rolle; knapp zwei Drittel der Flüchtlingsanerkennungen beruhten im Jahr 2018 auf dieser Vorschrift. Es verwundert deshalb nicht, dass sich auch die Fälle mehren, in denen vor Gericht über die „richtige“ Auslegung einzelner Voraussetzungen des Familienasyls gestritten wird. Der Fall steht dabei symptomatisch für die immer restriktivere Linie, welche die asylrechtliche Behörden- und Gesetzgebungspraxis seit geraumer Zeit prägt. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie wichtig es ist, als Asylantragsteller und Berater die eigenen „Hausaufgaben“ so gut es geht zu erledigen und zu dokumentieren, um in einem späteren Gerichtsverfahren eine möglichst gute Ausgangsposition zu haben. In diesem Fall ist das mustergültig geschehen.


Flüchtlingsrat Baden-Württemberg erhält einen Integrationspreis des Landes Baden-Württemberg

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat am 21. Juni stellvertretend für alle Flüchtlingshilfsnetzwerke und Asylarbeitskreise den Anerkennungspreis in der Kategorie „Zivilgesellschaft“ erhalten. Wir freuen uns über diese Auszeichnung und geben den Dank weiter an die ehrenamtlich Engagierten im Land. Auf der Veranstaltung mit rund 800 Gästen wurde zum ersten Mal der Integrationspreis in vier verschiedenen Kategorien vergeben. Weitere Informationen zur Veranstaltung und weiteren Preisträgern sind auf der Homepage des Sozialministeriums einsehbar.


Blackbox Abschiebehaft

Die Arbeitsgruppe Abschiebehaft Pforzheim ist besorgt über die Situation in Baden-Württembergs Abschiebehafteinrichtung. Bei einem Pressegespräch am Mittwoch informierte die Gruppe aus haupt- und ehrenamtlich Tätigen über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen in Abschiebehaft, und beklagten dabei gravierende Mängel.

Weil die Abschiebehaft keine Strafhaft ist, sondern „lediglich“ der Sicherung der Abschiebung dient, müssten die Bedingungen innerhalb der Haftanstalt eigentlich weniger restriktiv sein als die für Personen, die wegen begangener Straftaten hinter Gitter sitzen. Doch in Pforzheim sei dies nicht der Fall, eher im Gegenteil – so die AG Abschiebehaft, die sich Mitte April mit einem offenen Brief an Verantwortliche in Politik und Verwaltung gewandt hat, um die festgestellten Missstände anzuprangern.

„Aus Statistiken von Anwälten und Beratungsstellen ist bekannt, dass ein erheblicher Anteil der Inhaftierungen in der Abschiebehaft – rund 50% – rechtswidrig sind“, erklärte Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Umso wichtiger ist es nach Überzeugung der Arbeitsgruppe, dass die Inhaftierten Zugang zu Unterstützung und Beratung haben. Doch dies werde in Pforzheim massiv erschwert.

„Wir würden gerne kontrollieren, ob die Inhaftierungen rechtmäßig sind. Aber ich kann nicht einfach reingehen und eine offene Beratungsstunde anbieten, sondern werde wie eine normale Besucherin behandelt und kann immer nur gezielt eine bestimmte Person besuchen, dessen Namen ich kenne. So können nur diejenigen beraten werden, die auf uns zukommen. Wer nicht von unserem Angebot weiß, kann auch keine unabhängige Beratung erhalten“, berichtete Kirsten Boller, die im Auftrag von Caritas und Diakonie als Kontakt- und Beratungsstelle in der Abschiebehaft fungiert.

„Viele der Inhaftierten verstehen die Verfahren nicht und verstehen nicht, warum sie im Gefängnis sitzen, ohne eine Straftat begangen zu haben“, betonte Anna Roß von Amnesty International. Aus ihrer Sicht müssten Inhaftierte in der Abschiebehaft Pflichtverteidiger zugeteilt bekommen – so wie es in Strafsachen vorgeschrieben ist. Die ehrenamtliche Beraterin berichtete von Fällen, in denen Väter von Patchwork-Familien oder von ungeborenen Kindern in der Abschiebehaft saßen. Auch Traumatisierte oder chronisch Kranke seien keine Seltenheit.

„Eine dringend notwendige psychologische Betreuung findet faktisch nicht statt. Ähnlich sieht es bei schweren physischen Krankheiten und Verletzungen aus“, berichtete Pfarrer Andreas Quincke, der evangelische Seelsorger in der Hafteinrichtung. Er schilderte einen Fall, in dem er einen dringend benötigen Augenarzttermin für einen Inhaftierten organisierte, die Zuständigen in der Abschiebehaft sich einfach weigerten, den Betroffen dort hinzubringen.

„Mit den Kranken ist es ähnlich wie mit den auf rechtlich fragwürdiger Grundlage Inhaftierten, die mangels Zugang zu Beratung und anwaltlicher Unterstützung nichts gegen ihre Inhaftierung unternehmen können: Der Anstaltsleitung scheint es ganz recht zu sein, dass da niemand zu genau hinschaut. Im Zweifel hat man dann eben eine Abschiebung mehr erreicht – das gilt ja heutzutage grundsätzlich als Erfolg“, so Pfarrer Quincke.

Die fehlende Transparenz, die nach Auffassung der AG Abschiebehaft durchaus von verantwortlicher Stelle gewollt zu sein scheint, kritisiert auch Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Anfangs habe man Hoffnungen in den gesetzlich vorgeschriebenen Beirat gesetzt, der formal das Recht hat, unangemeldete Besuche durchzuführen und die Inhaftierten in ihren Zellen aufzusuchen. „Diese Hoffnung hat sich schnell erledigt, denn der Beirat führt lediglich nach Absprache mit der Anstaltsleitung angemeldete Besuche durch und unterbreitet den Verantwortlichen unverbindliche Anregungen, die diese folgenlos ignorieren können. Der Beirat kann eventuelle Kritik oder Missstände nicht nach außen tragen, wenn die Anstaltsleitung und das Innenministerium nichts unternehmen. Deshalb hat dieser Beirat lediglich eine Alibi-Funktion“, so Schmidt.

Kirsten Boller betonte, dass das, was die Arbeitsgruppe in Pforzheim fordert, keineswegs illusorisch sei. In anderen Bundesländern sei es absolut normal, dass es in der Haftanstalt ein eigenes Büro für eine unabhängige Beratungsstelle gibt, die regelmäßige offene Sprechstunden anbieten kann.

Woanders üblich und völlig unstrittig ist auch das Recht auf die Abhaltung religiöser Feiern. Doch in Pforzheim endet auch dieses Recht an der Gefängnispforte, wie Andreas Quincke beklagt: „Im Abschiebehaftgesetz steht zum Thema Religion leider nur ein Satz: Dass die Inhaftierten das Recht auf Kontakt zu einem Seelsorger ihrer Religion haben. Die maximal restriktive Linie der Anstaltsleitung sieht so aus, das genau dies gewährt wird, aber auch wirklich nur dies. Das heißt, dass Seelsorge nur in Einzelgesprächen stattfinden kann. Ein christlicher Gottesdienst, ein islamisches Freitagsgebet oder auch eine interreligiöse Feier, wo sich mehrere Personen versammeln – all diese Sachen sind in jeder Justizvollzugsanstalt völlig normal, doch hier werden sie ohne Begründung schlicht untersagt. Das halte ich für einen Skandal.“ Die Seelsorger werden ebenfalls wie besuchende Privatpersonen behandelt, während in anderen Abschiebehafteinrichtungen und Justizvollzugsanstalten Seelsorgende meist einen ungehinderten Zugang haben.

„Wir haben den Dialog mit der Anstaltsleitung und mit dem Beirat gesucht, wir haben auch mit Landes- und Bundestagsabgeordneten gesprochen. Aber an den Zuständen hat sich nichts geändert. Deshalb haben wir beschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen“, erklärte Christian Schmidt. Zudem sagte er mit Blick auf die Pläne von Bundesinnenminister Seehofer nach Gesetzesverschärfungen bezüglich Abschiebehaft: „In Pforzheim braucht man diese Verschärfungen nicht. Denn restriktiver als es jetzt ist kann man es eigentlich ohnehin nicht mehr machen.“ Aus seiner Sicht besteht ein Zusammenhang zwischen den Gesetzesverschärfungen, den Missständen in der Abschiebehaft und den gesellschaftlichen Rechtsruck. Auch deshalb erfolgte der Hinweis auf die Demonstration am Samstag gegen den Aufmarsch der Partei „Die Rechte“. Die Gegendemonstration beginnt um 11 am Hauptbahnhof und wird zwischen 12 und 13 Uhr an der Abschiebehaft sein.


Hochschwangere psychisch kranke Frau von ihrem Partner getrennt

Zehn Tage vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes wurde am 23. April eine hochschwangere Frau nach Albanien abgeschoben, die an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Durch die Abschiebung wurde die Frau vom Vater des ungeborenen Kindes getrennt. Die Ausländerbehörde in Stuttgart hatte Bedenken bezüglich der Abschiebung geäußert, die vom Regierungspräsidium Karlsruhe ignoriert wurden. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg stuft diese Abschiebung als ein abschreckendes Beispiel dafür ein, wie drastische humanitäre Problemlagen gerade bei besonders schutzbedürftigen Personen zugunsten einer möglichst hohen Abschiebequote missachtet werden.

Die Betroffene, Frau S., wurde am 23. April gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Tochter nach Albanien abgeschoben. Ungeachtet der sehr fortgeschrittenen Schwangerschaft hat die Polizei bei der Abschiebung nach Angaben des Partners der Frau unverhältnismäßige Gewalt angewendet, der Anwalt hat daraufhin Strafanzeige gestellt (siehe Artikel im Focus vom 30.04.).

Es handelt sich um eine Risikoschwangerschaft, was der Anwalt am Tag der Abschiebung gegenüber dem Gericht mit einem Eilantrag geltend gemacht hat. Aus Zeitgründen wurde über den Antrag nicht entschieden.

Es steht zu befürchten, dass durch die Abschiebung die Familieneinheit mit dem Vater des ungeborenen Kindes auf lange Sicht zerstört wird. Der Partner von Frau S. ist irakischer Staatsbürger und hat in Deutschland den subsidiären Schutz erhalten, derzeit läuft eine Klage auf die Flüchtlingseigenschaft. Das Regierungspräsidium Karlsruhe verweist darauf, dass es ihm zumutbar sei, die familiäre Lebensgemeinschaft in Albanien weiterzuführen. Wie dies praktisch möglich sein soll, ist nicht zuletzt wegen des laufenden Gerichtsverfahrens höchst fraglich.

Frau S. leidet an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund der Erkrankungen hatte die Ausländerbehörde Stuttgart gegenüber dem Regierungspräsidium Karlsruhe angegeben, dass sie vom Vorliegen von Abschiebungshindernissen ausgeht, dennoch hat das Regierungspräsidium an der Abschiebung festgehalten. Der Flüchtlingsrat vermutet, dass das Land gerade noch rechtzeitig vor Beginn der offiziellen Mutterschutzzeit die Abschiebung durchführen wollte. Angesichts der vulnerablen Gesamtsituation der Frau verurteilt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg diese Entscheidung aufs Schärfste.

„Der vorliegende Fall zeigt ganz deutlich, dass die Abschiebepolitik des Landes derzeit meilenweit davon entfernt ist, einen letzten Rest an Humanität zu bewahren“, stellt Melanie Skiba vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fest und fügt hinzu: „Der Fokus der Abschiebepolitik scheint darüber hinaus immer stärker auf diejenigen gelegt zu werden, die z.B. aufgrund von Krankheiten oder fortgeschrittener Schwangerschaft, besonders gut ‘dingfest‘ gemacht werden können. So wird die vulnerable Situation besonders schutzbedürftiger Geflüchteter schamlos ausgenutzt, um die Abschiebezahlen hochzuhalten.“


„Wie finde ich eine Ausbildung?“

Welche Schritte müssen gegangen werden, um eine Ausbildung zu finden? Wie ist eigentlich eine Ausbildung aufgebaut? Inwiefern stellt die Ausbildungsduldung eine Möglichkeit der Bleibeperspektive in Deutschland dar? Um auf solche Fragen möglichst niedrig schwelliege erste Antworten zu liefern, hat der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. im Projekt BLEIBdran ein Youtube-Tutorial erstellt. Das Tutorial liegt auf den Sprachen Arabisch, Dari, Deutsch, Französisch, Serbokroatisch und Tigrinya vor.


Afghanistan: Informationen gegen die Angst

Seit Deutschland regelmäßig Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchführt, ist die Angst vor Abschiebung in der afghanischen Community groß. Viele sind unsicher und befürchten, dass sie die nächsten sein könnten, die nach Afghanistan abgeschoben werden. In den meisten Fällen ist diese Angst unbegründet! Anders als oft behauptet wird, sind die Chancen auf ein Bleiberecht für afghanische Geflüchtete in Deutschland weiterhin nicht schlecht. Trotz regelmäßiger Sammelabschiebungen ist nur ein vergleichsweise kleiner Teil der afghanischen Community von Abschiebung nach Afghanistan bedroht.

Deshalb haben Unterstützer*innen die Informationsblätter „Informationen gegen die Angst“, kürzlich aktualisiert. Diese eignen sich zur Verbreitung unter afghanischen Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen.

„Informationen gegen die Angst“: