Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat am 21. Juni stellvertretend für alle Flüchtlingshilfsnetzwerke und Asylarbeitskreise den Anerkennungspreis in der Kategorie „Zivilgesellschaft“ erhalten. Wir freuen uns über diese Auszeichnung und geben den Dank weiter an die ehrenamtlich Engagierten im Land. Auf der Veranstaltung mit rund 800 Gästen wurde zum ersten Mal der Integrationspreis in vier verschiedenen Kategorien vergeben. Weitere Informationen zur Veranstaltung und weiteren Preisträgern sind auf der Homepage des Sozialministeriums einsehbar.
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Blackbox Abschiebehaft
Die Arbeitsgruppe Abschiebehaft Pforzheim ist besorgt über die Situation in Baden-Württembergs Abschiebehafteinrichtung. Bei einem Pressegespräch am Mittwoch informierte die Gruppe aus haupt- und ehrenamtlich Tätigen über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen in Abschiebehaft, und beklagten dabei gravierende Mängel.
Weil die Abschiebehaft keine Strafhaft ist, sondern „lediglich“ der Sicherung der Abschiebung dient, müssten die Bedingungen innerhalb der Haftanstalt eigentlich weniger restriktiv sein als die für Personen, die wegen begangener Straftaten hinter Gitter sitzen. Doch in Pforzheim sei dies nicht der Fall, eher im Gegenteil – so die AG Abschiebehaft, die sich Mitte April mit einem offenen Brief an Verantwortliche in Politik und Verwaltung gewandt hat, um die festgestellten Missstände anzuprangern.
„Aus Statistiken von Anwälten und Beratungsstellen ist bekannt, dass ein erheblicher Anteil der Inhaftierungen in der Abschiebehaft – rund 50% – rechtswidrig sind“, erklärte Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Umso wichtiger ist es nach Überzeugung der Arbeitsgruppe, dass die Inhaftierten Zugang zu Unterstützung und Beratung haben. Doch dies werde in Pforzheim massiv erschwert.
„Wir würden gerne kontrollieren, ob die Inhaftierungen rechtmäßig sind. Aber ich kann nicht einfach reingehen und eine offene Beratungsstunde anbieten, sondern werde wie eine normale Besucherin behandelt und kann immer nur gezielt eine bestimmte Person besuchen, dessen Namen ich kenne. So können nur diejenigen beraten werden, die auf uns zukommen. Wer nicht von unserem Angebot weiß, kann auch keine unabhängige Beratung erhalten“, berichtete Kirsten Boller, die im Auftrag von Caritas und Diakonie als Kontakt- und Beratungsstelle in der Abschiebehaft fungiert.
„Viele der Inhaftierten verstehen die Verfahren nicht und verstehen nicht, warum sie im Gefängnis sitzen, ohne eine Straftat begangen zu haben“, betonte Anna Roß von Amnesty International. Aus ihrer Sicht müssten Inhaftierte in der Abschiebehaft Pflichtverteidiger zugeteilt bekommen – so wie es in Strafsachen vorgeschrieben ist. Die ehrenamtliche Beraterin berichtete von Fällen, in denen Väter von Patchwork-Familien oder von ungeborenen Kindern in der Abschiebehaft saßen. Auch Traumatisierte oder chronisch Kranke seien keine Seltenheit.
„Eine dringend notwendige psychologische Betreuung findet faktisch nicht statt. Ähnlich sieht es bei schweren physischen Krankheiten und Verletzungen aus“, berichtete Pfarrer Andreas Quincke, der evangelische Seelsorger in der Hafteinrichtung. Er schilderte einen Fall, in dem er einen dringend benötigen Augenarzttermin für einen Inhaftierten organisierte, die Zuständigen in der Abschiebehaft sich einfach weigerten, den Betroffen dort hinzubringen.
„Mit den Kranken ist es ähnlich wie mit den auf rechtlich fragwürdiger Grundlage Inhaftierten, die mangels Zugang zu Beratung und anwaltlicher Unterstützung nichts gegen ihre Inhaftierung unternehmen können: Der Anstaltsleitung scheint es ganz recht zu sein, dass da niemand zu genau hinschaut. Im Zweifel hat man dann eben eine Abschiebung mehr erreicht – das gilt ja heutzutage grundsätzlich als Erfolg“, so Pfarrer Quincke.
Die fehlende Transparenz, die nach Auffassung der AG Abschiebehaft durchaus von verantwortlicher Stelle gewollt zu sein scheint, kritisiert auch Christian Schmidt vom Forum Asyl Pforzheim. Anfangs habe man Hoffnungen in den gesetzlich vorgeschriebenen Beirat gesetzt, der formal das Recht hat, unangemeldete Besuche durchzuführen und die Inhaftierten in ihren Zellen aufzusuchen. „Diese Hoffnung hat sich schnell erledigt, denn der Beirat führt lediglich nach Absprache mit der Anstaltsleitung angemeldete Besuche durch und unterbreitet den Verantwortlichen unverbindliche Anregungen, die diese folgenlos ignorieren können. Der Beirat kann eventuelle Kritik oder Missstände nicht nach außen tragen, wenn die Anstaltsleitung und das Innenministerium nichts unternehmen. Deshalb hat dieser Beirat lediglich eine Alibi-Funktion“, so Schmidt.
Kirsten Boller betonte, dass das, was die Arbeitsgruppe in Pforzheim fordert, keineswegs illusorisch sei. In anderen Bundesländern sei es absolut normal, dass es in der Haftanstalt ein eigenes Büro für eine unabhängige Beratungsstelle gibt, die regelmäßige offene Sprechstunden anbieten kann.
Woanders üblich und völlig unstrittig ist auch das Recht auf die Abhaltung religiöser Feiern. Doch in Pforzheim endet auch dieses Recht an der Gefängnispforte, wie Andreas Quincke beklagt: „Im Abschiebehaftgesetz steht zum Thema Religion leider nur ein Satz: Dass die Inhaftierten das Recht auf Kontakt zu einem Seelsorger ihrer Religion haben. Die maximal restriktive Linie der Anstaltsleitung sieht so aus, das genau dies gewährt wird, aber auch wirklich nur dies. Das heißt, dass Seelsorge nur in Einzelgesprächen stattfinden kann. Ein christlicher Gottesdienst, ein islamisches Freitagsgebet oder auch eine interreligiöse Feier, wo sich mehrere Personen versammeln – all diese Sachen sind in jeder Justizvollzugsanstalt völlig normal, doch hier werden sie ohne Begründung schlicht untersagt. Das halte ich für einen Skandal.“ Die Seelsorger werden ebenfalls wie besuchende Privatpersonen behandelt, während in anderen Abschiebehafteinrichtungen und Justizvollzugsanstalten Seelsorgende meist einen ungehinderten Zugang haben.
„Wir haben den Dialog mit der Anstaltsleitung und mit dem Beirat gesucht, wir haben auch mit Landes- und Bundestagsabgeordneten gesprochen. Aber an den Zuständen hat sich nichts geändert. Deshalb haben wir beschlossen an die Öffentlichkeit zu gehen“, erklärte Christian Schmidt. Zudem sagte er mit Blick auf die Pläne von Bundesinnenminister Seehofer nach Gesetzesverschärfungen bezüglich Abschiebehaft: „In Pforzheim braucht man diese Verschärfungen nicht. Denn restriktiver als es jetzt ist kann man es eigentlich ohnehin nicht mehr machen.“ Aus seiner Sicht besteht ein Zusammenhang zwischen den Gesetzesverschärfungen, den Missständen in der Abschiebehaft und den gesellschaftlichen Rechtsruck. Auch deshalb erfolgte der Hinweis auf die Demonstration am Samstag gegen den Aufmarsch der Partei „Die Rechte“. Die Gegendemonstration beginnt um 11 am Hauptbahnhof und wird zwischen 12 und 13 Uhr an der Abschiebehaft sein.
Hochschwangere psychisch kranke Frau von ihrem Partner getrennt
Zehn Tage vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes wurde am 23. April eine hochschwangere Frau nach Albanien abgeschoben, die an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Durch die Abschiebung wurde die Frau vom Vater des ungeborenen Kindes getrennt. Die Ausländerbehörde in Stuttgart hatte Bedenken bezüglich der Abschiebung geäußert, die vom Regierungspräsidium Karlsruhe ignoriert wurden. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg stuft diese Abschiebung als ein abschreckendes Beispiel dafür ein, wie drastische humanitäre Problemlagen gerade bei besonders schutzbedürftigen Personen zugunsten einer möglichst hohen Abschiebequote missachtet werden.
Die Betroffene, Frau S., wurde am 23. April gemeinsam mit ihrer 15-jährigen Tochter nach Albanien abgeschoben. Ungeachtet der sehr fortgeschrittenen Schwangerschaft hat die Polizei bei der Abschiebung nach Angaben des Partners der Frau unverhältnismäßige Gewalt angewendet, der Anwalt hat daraufhin Strafanzeige gestellt (siehe Artikel im Focus vom 30.04.).
Es handelt sich um eine Risikoschwangerschaft, was der Anwalt am Tag der Abschiebung gegenüber dem Gericht mit einem Eilantrag geltend gemacht hat. Aus Zeitgründen wurde über den Antrag nicht entschieden.
Es steht zu befürchten, dass durch die Abschiebung die Familieneinheit mit dem Vater des ungeborenen Kindes auf lange Sicht zerstört wird. Der Partner von Frau S. ist irakischer Staatsbürger und hat in Deutschland den subsidiären Schutz erhalten, derzeit läuft eine Klage auf die Flüchtlingseigenschaft. Das Regierungspräsidium Karlsruhe verweist darauf, dass es ihm zumutbar sei, die familiäre Lebensgemeinschaft in Albanien weiterzuführen. Wie dies praktisch möglich sein soll, ist nicht zuletzt wegen des laufenden Gerichtsverfahrens höchst fraglich.
Frau S. leidet an einer schweren Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund der Erkrankungen hatte die Ausländerbehörde Stuttgart gegenüber dem Regierungspräsidium Karlsruhe angegeben, dass sie vom Vorliegen von Abschiebungshindernissen ausgeht, dennoch hat das Regierungspräsidium an der Abschiebung festgehalten. Der Flüchtlingsrat vermutet, dass das Land gerade noch rechtzeitig vor Beginn der offiziellen Mutterschutzzeit die Abschiebung durchführen wollte. Angesichts der vulnerablen Gesamtsituation der Frau verurteilt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg diese Entscheidung aufs Schärfste.
„Der vorliegende Fall zeigt ganz deutlich, dass die Abschiebepolitik des Landes derzeit meilenweit davon entfernt ist, einen letzten Rest an Humanität zu bewahren“, stellt Melanie Skiba vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fest und fügt hinzu: „Der Fokus der Abschiebepolitik scheint darüber hinaus immer stärker auf diejenigen gelegt zu werden, die z.B. aufgrund von Krankheiten oder fortgeschrittener Schwangerschaft, besonders gut ‘dingfest‘ gemacht werden können. So wird die vulnerable Situation besonders schutzbedürftiger Geflüchteter schamlos ausgenutzt, um die Abschiebezahlen hochzuhalten.“
„Wie finde ich eine Ausbildung?“
Welche Schritte müssen gegangen werden, um eine Ausbildung zu finden? Wie ist eigentlich eine Ausbildung aufgebaut? Inwiefern stellt die Ausbildungsduldung eine Möglichkeit der Bleibeperspektive in Deutschland dar? Um auf solche Fragen möglichst niedrig schwelliege erste Antworten zu liefern, hat der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. im Projekt BLEIBdran ein Youtube-Tutorial erstellt. Das Tutorial liegt auf den Sprachen Arabisch, Dari, Deutsch, Französisch, Serbokroatisch und Tigrinya vor.
- Flüchtlingsrat Thüringen, Youtube-Tutorial: Wie finde ich eine Ausbildung?
Afghanistan: Informationen gegen die Angst
Seit Deutschland regelmäßig Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchführt, ist die Angst vor Abschiebung in der afghanischen Community groß. Viele sind unsicher und befürchten, dass sie die nächsten sein könnten, die nach Afghanistan abgeschoben werden. In den meisten Fällen ist diese Angst unbegründet! Anders als oft behauptet wird, sind die Chancen auf ein Bleiberecht für afghanische Geflüchtete in Deutschland weiterhin nicht schlecht. Trotz regelmäßiger Sammelabschiebungen ist nur ein vergleichsweise kleiner Teil der afghanischen Community von Abschiebung nach Afghanistan bedroht.
Deshalb haben Unterstützer*innen die Informationsblätter „Informationen gegen die Angst“, kürzlich aktualisiert. Diese eignen sich zur Verbreitung unter afghanischen Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen.
„Informationen gegen die Angst“:
Fehlen verbindlicher Standards macht sich bemerkbar
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg hat zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 Geflüchtetenunterkünfte (vor allem Gemeinschaftsunterkünfte) im ganzen Land besucht, um sich ein Bild von der aktuellen Unterbringungssituation zu machen. Es wurden insgesamt 26 Unterkünfte in 13 Stadt- und Landkreisen besucht. Dabei wurde darauf geachtet, alle Regionen des Landes sowie Großstädte, Kleinstädte und kleine Gemeinden zu berücksichtigen. Auch wenn diese Untersuchung nicht den Anspruch erheben kann, repräsentativ zu sein, gehen aus Sicht des Flüchtlingsrats einige wichtige Erkenntnisse daraus hervor.
„Zum einen macht sich das Fehlen verbindlicher Mindeststandards in der Anschlussunterbringung bemerkbar. So sind die Geflüchteten ohne jegliche rechtliche Handhabe Verhältnissen ausgeliefert, in denen Sie in einigen Fällen nur wenige Quadratmeter zur Verfügung haben und sanitäre Anlagen mit viel zu vielen Personen teilen müssen. Es gibt keine Untergrenze dafür, was Gemeinden Menschen zumuten können“, erklärt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats. Deshalb ist der Flüchtlingsrat der Meinung, dass in der Anschlussunterbringung mindestens die gleichen Standards gelten sollten, wie sie im FlüAG für die vorläufige Unterbringung vorgesehen sind.
Allerdings zeigt der Bericht aus Sicht des Flüchtlingsrats, dass auch die gesetzlichen Standards in der vorläufigen Unterbringung in vielen Fällen wirkungslos sind, weil sie zu unkonkret sind, oder weil sie in der Praxis schlicht ignoriert werden. Der Bericht beinhaltet zahlreiche Beispiele für Unterkünfte an abgelegenen Standorten, in Industriegebieten, außerhalb von geschlossenen Ortschaften oder gar mitten in Wald – teilweise ohne regelmäßigen Anschluss an das ÖPNV. Es finden sich auch Beispiele für die scheinbar verbreitete Praxis, psychisch kranke Menschen in sogenannte „Problemunterkünfte“ unterzubringen, in denen gezielt Menschen mit komplexen Problemen oder auf irgendeine Weise auffällig Gewordene untergebracht werden. Dort herrschen besonders schlechte Standards und ein hohes Maß an Kontrolle durch Sicherheitsdienste. Dies ist nach Meinung der Flüchtlingsrats ein eklatanter Verstoß gegen die Bestimmungen der EU-Aufnahmerichtlinie und gegen das FlüAG, die beide eine angemessene Berücksichtigung der besonderen Belange der besonders Schutzbedürftigen – zu denen auch psychisch Kranke gehören – vorschreiben.
Ebenfalls zu den besonders Schutzbedürftigen gehören alleinreisende Frauen und LSBTTIQ*-Menschen. „Umso schockierter waren wir, als wir Fälle entdeckt haben, in denen alleinstehende Frauen in Unterkünften gelebt haben, in denen sonst nur Männer untergebracht waren. In diesem Zusammenhang muss noch erwähnt werden, dass die Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten die absolute Ausnahme zu sein scheint – obwohl gleich mehrere entsprechende Konzepte und Initiativen vorliegen“, berichtet Volker Kahrau, der für den Flüchtlingsrat die „Lagertour“ ehrenamtlich durchführte.
„Zweieinhalb Jahre nach dem zwischenzeitlichen Höchststand der Zuzugszahlen gibt es aus Sicht des Flüchtlingsrats keinerlei Rechtfertigung für die Fortexistenz von Provisorien wie Sporthallen, für völlig überfüllte Unterkünfte mit teilweise weniger als fünf Quadratmeter Platz pro Person oder mit keinerlei Privatsphäre oder Schutz für vulnerable Menschen“, meint Seán McGinley.
Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, ergänzt: „Auch wenn vielerorts guter Wille herrscht, viele Kreise und Gemeinden sich um eine menschenwürdige Unterbringung bemühen und es auch positive Beispiele gibt, läuft offensichtlich auch in vielen Fällen einigesschief, wenn die Behörden vor Ort vollkommen freie Hand bezüglich der Standards in den Unterbringungen haben.“
Angesichts der bereits angelaufenen Diskussion um eine Neuordnung der Unterbringung in Baden-Württemberg ist es aus Sicht des Flüchtlingsrats dringend geboten, dass verbindliche Standards festgelegt, und auch eingehalten werden. Zudem bräuchten die Geflüchteten eine unabhängige Beschwerdestelle, die allgemein bekannt und niederschwellig erreichbar ist. Der Flüchtlingsrat hofft, dass das Sozialministerium sich der in diesem Bericht verdeutlichten Missstände annimmt und sich für eine zügige Verbesserung – auch struktureller Art – einsetzen wird.
Der Bericht wurde bereits einige Wochen vor der Veröffentlichung an das Sozialministerium als zuständiges Ministerium verschickt, sowie an die Stadt- und Landkreise, die im Zuge des Projekts kontaktiert wurden.
Diskriminierungsopfer zum Umzug gezwungen
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg beobachtet mit großer Sorge, wie Flüchtlinge aus Westbalkanstaaten immer wieder zum Ziel von Diskriminierung und Antiziganismus werden. Wie die Baden-Württembergische Beratungsstelle für Betroffene von rechter Gewalt „Leuchtlinie“ in den vergangenen Tagen berichtet, wurde eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie aus Serbien systematisch aus der Anschlussunterbringung in einem Wohnhaus in Langenargen am Bodensee vertrieben.
Die Stuttgarter Beratungsstelle stellte vor Ort fest, dass Nachbarn aus dem gleichen Haus bei jeglichem Anlass Streit vom Zaun gebrochen haben. Dabei wurden auch gezielt antiziganistische Beleidigungen ausgesprochen und selbst vor Drohungen nicht Halt gemacht. Die landesweite Fach- und Koordinationsstelle von „Leuchtlinie “ nahm den Fall in ihr Monitoring rechtsmotivierter Gewalttaten in Baden-Württemberg auf.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg beklagt einen deutlichen humanitären Klimawandel für Roma-Flüchtlinge seit der Einstufung der Westbalkanstaaten als so genannte „Sichere Herkunftsstaaten“. Nicht zuletzt tragen jene Politikerinnen und Politiker Mitverantwortung, die in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge einteilen und Asylsuchende aus „Sicheren Herkunftsstaaten“ als „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder Ähnliches diffamieren.
„Jede und jeder Geflüchtete hat das Recht auf ein faires und unvoreingenommenes Asylverfahren“, betont Jürgen Weber, Sprecherratsmitglied des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. In diesem Zusammenhang kritisiert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg das Amt für Migration und Integration des Bodenseekreises. Dieses hatte mit Schreiben vom 18. Juli 2016 versucht, bei der Entscheidung über das Asylverfahren Einfluss auf das Verwaltungsgericht Sigmaringen zu nehmen. „Damit Spannungen und Probleme gelöst werden können“, zitiert Dr. Jochen Kramer von „Leuchtlinie“ aus dem Brief aus dem Landratsamt.
Seit Montag, 29. August 2016, wurden die Diskriminierungen gegen die Familie von der Gemeinde Langenargen durch Umsiedlung der Roma-Familie aus dem Wohnhaus in eine Notunterkunft für Obdachlose beendet. Unter den Gesichtspunkten der Integration stellt dieser Umzug jedoch ein deutlicher Rückschritt für die betroffene Familie dar, wie der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg findet.
„Dass die Verfolgung, Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma in den Balkan-Staaten, die ihnen jegliche Zukunftsperspektive verbauen, hierzulande nicht als Asylgründe anerkannt werden, ist an sich schon ein Skandal. Absolut beschämend ist, dass Menschen, die vor antiziganistischer Diskriminierung fliehen, auch hierzulande diskriminiert und angefeindet werden. Dieser Staat und diese Gesellschaft haben einen blinden Fleck beim Thema Antiziganismus, und darunter leiden Menschen wie diese Familie in Langenargen. Alle staatlichen Stellen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene müssen Probleme dieser Art ernst nehmen“, so Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.