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Vortrag: Antiziganismus im Kontext von Migration

Auf dem Weg nach Deutschland und innerhalb der deutschen Gesellschaft begegnen Sinti*zze und Rom*nja besonderen Hürden – eine Problematik, die in der politischen Diskussion oft untergeht.

Der Verein Pro Sinti und Roma lädt zu einem Vortrag von Sean McGinley, dem früheren Leiter des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg, ein. Sean McGinley engagiert sich seit vielen Jahren aktiv für die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen und beleuchtet seinem Vortrag das Thema „Antiziganismus im Kontext von Migration aus dem Westbalkan“.

Der Eintritt ist frei und für das leibliche Wohl ist gesorgt.

Ort: Merlin Kulturzentrum Stuttgart


Kommentar: Sprecher*innenratsmitglied Joachim Glaubitz zur derzeitigen politischen Lage

Spüren Sie das auch? Dieses Schwindelgefühl, wenn Sie die aktuellen Nachrichten verfolgen? Das Dröhnen im Kopf? Ein leichtes Gefühl von Übelkeit? Die gute Nachricht: Es ist vermutlich kein Kater. Die Schlechte: Es ist schlimmer. Die Grundfesten unserer Demokratie bröckeln und wir sind live dabei.

​​Anfang des Jahres gingen Millionen auf die Straße, als bekannt wurde, dass Rechtsextreme über Remigrationspläne sprachen. Remigration? Gemeint ist millionenfache Deportation von als „ausländisch“ markierten Personen. „Mit wohltemperierter Grausamkeit“, wie Björn Höcke es formuliert.

Die Empörung war groß und die Demokratiebewegung im Land gab mir Hoffnung. Leider machte sie mich aber auch schnell stutzig. Noch während auf den Straßen demonstriert wurde, erhoben sich die Stimmen in Politik und Medien, man brauche schärfere Abschiebungen und Restriktionen gegenüber Geflüchteten. 

Mit jeder Woche, die seither verging, wurde der Ton rauer und seit dem Anschlag in Solingen scheint es in der Debatte kein Maß mehr zu geben. Die extreme Rechte jubelt, denn wir befinden uns auf halbem Weg zu ihren, im Januar diskutierten Remigrationsplänen. Da ist er: der Schwindel, das Dröhnen in den Ohren, die Übelkeit.

Während Fachleute und Experte*innen versuchen Gehör zu finden und darauf hinweisen, dass 99,9 Prozent der Geflüchteten vor Islamismus, auf der Suche nach Schutz und Frieden geflohen sind und alles versuchen, um ein gutes Leben zu finden, ergießt sich die Politik über Parteigrenzen hinweg in einem autoritären Überbietungswettbewerb der Menschenfeindlichkeit: Abschiebungen nach Afghanistan, ein von Terroristen regierter Staat; Forderungen nach „Brot, Bett und Seife“ für Schutzsuchende im eigenen Land, Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen, verbunden mit Zurückweisungen und der Suche nach Inhaftierungsmöglichkeiten.  Es dreht sich das Karussell des Rechtsrucks. Schneller und immer schneller. Und wir sind live dabei.

Aus der Politik hört man, dass diese Maßnahmen nötig seien, um der AfD das Wasser abzugraben. Welch ein bedrohlicher Irrtum! Die extreme Rechte treibt uns vor sich her, geradewegs in die Falle. Mit jeder Gesetzesverschärfung, mit jeder repressiven Maßnahme, jeder Drohung und Aufrüstung verlieren wir ein Stück unserer Integrität, unserer Idee von Europa und dem Wesen unserer Demokratie. 

Was es noch schlimmer macht: Es wird nie genug sein. Die extreme Rechte wird nach jeder Verschärfung rufen: „das reicht nicht aus!“ Und so machen sich die Parteien zum Spielball der AfD.

Es scheint, dass sehr, sehr viele Menschen in diesem Land eine wesentliche Lektion der Geschichte nicht verstanden haben: Faschismus war immer auch eine schleichende, schrittweise Gewöhnung an das Entrechten von Menschen unter dem Deckmantel des Rechts. Bis es keines mehr gab – für keinen. 

Nicht erst seit den Wahlen in Sachsen und Thüringen sprechen Freunde mit mir darüber, wo sie hingehen können, wenn es noch schlimmer wird, wann die rote Linie endgültige überschritten ist, was sie vorbereiten müssen, um das Land schnell zu verlassen …

Der Schwindel nimmt zu, das Dröhnen wird lauter und die Übelkeit wächst. Doch noch ist es nicht so weit. Ein „weiter so“ darf es nicht geben. Niemand kann sagen, man habe es nicht kommen sehen. 

Nie wieder ist jetzt! Wir sind immer noch live dabei, es ist an der Zeit Position zu beziehen und zu handeln. 
Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena​ empfiehlt in einer Kurzanalyse zur Thüringer Landtagswahl folgende Handlungsansätze: 

  1. Wir müssen dem Narrativ rechtsextremer Hegemonie vor Ort entgegentreten.
  2. Wir müssen Betroffene rechtsextremer Anfeindungen, Gewalt und Diskriminierung wirksam schützen und unterstützen.
  3. Wir müssen eigene Inhalte und Themen solidarischer, menschenrechtsorientierter Praxis weiter- bzw. neu entwickeln und setzen.
  4. Wir müssen uns gegenseitig ermutigen und das Gefühl des Alleinseins durch praktische Solidarität aufbrechen.
  5. Wir müssen deutlich machen, dass demokratische Mitbestimmung und politische Beteiligung nicht nur an der Wahlurne, sondern stärker im Alltag stattfinden kann und muss.

Ich finde, das sind fünf gute Punkte, an denen wir ansetzen können. Vielleicht nimmt der Schwindel dann ab, vielleicht wird das Dröhnen etwas leiser und vielleicht legt sich die Übelkeit wieder. Ich wünsche es mir und Ihnen, denn andernfalls werden diese Symptome erst der Anfang sein. Es liegt auch in unserer Hand.


  • Joachim Glaubitz, Mitglied des Sprecher*innenrats des Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, September 2024


Studie: Migration als Chance statt „Krise“

Die Zu- und Abwanderung von Menschen mit Migrationserfahrung eröffnet deutschen Kommunen vielfältige Möglichkeiten. Sie kann dazu beitragen, dem Fachkräftemangel zu begegnen und Verwaltungsstrukturen diversitätssensibler zu gestalten. Gleichzeitig stehen die Kommunen vor der Aufgabe, sowohl die Bedürfnisse neu ankommender Personen zu berücksichtigen als auch auf das sich wandelnde politische und gesellschaftliche Klima zu reagieren.

Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat eine Studie veröffentlicht, welche die Erfahrungen und Perspektiven von Akteur*innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft zu untersucht, die maßgeblich daran beteiligt sind, Schutzsuchende beim Ankommen und der gesellschaftlichen Teilhabe zu unterstützen. Im Rahmen einer Dialogreihe wurden diese Erfahrungen mit kommunalen Vertreter*innen besprochen, um daraus politische Handlungsempfehlungen abzuleiten, die die Teilhabe vor Ort stärken und zukunftsfähiger machen sollen.


Pro Asyl: Den Worten müssen Taten folgen

Zum zweiten Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsa Amini und angesichts der anhaltenden blutigen Unterdrückung fordert PRO ASYL einen bundesweiten Abschiebestopp in den Iran und die Anerkennung der Schutzbedürftigkeit in den Asylverfahren. 

Auf die Festnahme und Ermordung von Jina Mahsa Amini wegen dem Vorwurf  einer nicht vorschriftgemäßen Verschleierung folgte im Iran im Herbst 2022 eine große Protestwelle gegen das Mullah-Regime. Die bis heute andauernde Bewegung “Frau, Leben, Freiheit” wurde ein Symbol für den Widerstand gegen Unterdrückung. Politiker*innen weltweit, auch in Deutschland, äußerten sich solidarisch mit  der Demokratiebewegung im Iran. Doch schlägt sich das kaum in der Anerkennung der Schutzbedürftigkeit der Verfolgten des Regimes nieder.

“In den Sonntagsreden hören wir große Solidaritätsbekundungen mit den mutigen Menschen im Iran  – und schaffen es nicht einmal einen Abschiebestopp zu beschließen. Das ist eine Farce”, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL.

“Echte Solidarität mit Menschen aus dem Iran zeigt sich in ihrer Anerkennung im Asylverfahren und durch einen bundesweiten Abschiebestopp. Alle wissen, wie es um die Menschenrechtslage im Iran steht, nicht nur für Frauen. Doch der Schutz von Menschen fällt offenbar der derzeitigen manischen Abschiebedebatte zum Opfer”, so Alaows weiter.

Trotz willkürlicher Verhaftungen, grausamer Folter in den Gefängnissen und Hinrichtungen werden die Asylanträge von Iraner*Innen in Deutschland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu einem großen Teil abgelehnt: Im Jahr 2023 lag die bereinigte Gesamtschutzquote von iranischen Asylsuchenden bei 45,6 Prozent. Die Schutzquote sank im ersten Quartal 2024 sogar auf 39,1 Prozent. Aber viele der Menschen, die im Asylverfahren abgelehnt wurden, protestieren in Deutschland gegen das Regime oder leben zum Beispiel eine im Iran verfolgte Religion oder sexuelle Orientierung aus – sind also im Iran extrem gefährdet. Sie leben in ständiger Angst vor der Abschiebung.

Und auch eine Zurückweisung von iranischen Geflüchteten zum Beispiel am Flughafen oder eine Abschiebung in einen vermeintlich sicheren Drittstaat (wie die Türkei) kann zu einer lebensgefährlichen Kettenabschiebung in den Iran führen.



Nationaler Notstand?

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fordern demokratische Parteien wie CDU/CSU und FDP die Ausrufung eines „nationalen Notstands“ im Asylrecht, um sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Sie argumentieren, dass die hohe Zahl an Zuwanderern das Gemeinwesen überfordere, insbesondere im Bildungsbereich und bei der „kulturellen Integration“.

Zahlen zeigen jedoch, dass Asylsuchende nur einen kleinen Teil der Zuwanderung ausmachen: 2023 stellten nur 17 % der Zuwanderer Asylanträge. Die Mehrheit der Zuwanderung stammt aus EU-Staaten. Probleme wie der Mangel an Wohnraum und Bildungskapazitäten resultieren aus langfristigen Versäumnissen, nicht aus der Asylzuwanderung. Die politische Fokussierung auf das Asylrecht ist sachlich unbegründet, während die AfD von der aufgeheizten Debatte profitiert. Statt einer alarmistischen Rhetorik wird ein pragmatischer Umgang mit der Situation gefordert, der auf Fakten basiert und Zuwanderung zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs als Chance begreift. Eine genauere Aufschlüsselung der Zuzugszahlen und Abwanderungszahlen finden Sie beim Flüchtlingsrat Niedersachsen.


Flüchtlingsrat Niedersachsen, 10.09.24: Deutschland im Notstand? Verirrungen und Verwirrungen in der Asyldebatte


Gutachten: Zur Lage der Justiz in der Türkei

Folgt die türkische Justiz in Strafverfahren mit politischem Bezug rechtsstaatlichen Kriterien? Diese Frage steht oft im Zentrum von Asylverfahren türkischer Staatsbürger*innen.

Um eine Antwort zu erhalten, hat PRO ASYL ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag
gegeben.

Es befasst sich mit dem Zustand der türkischen Strafjustiz im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit sowie die Wahrung von Verfahrensrechten, insbesondere im Hinblick auf Verfahren mit Terrorismusvorwürfen. Die Untersuchung beruht auf der Auswertung unter anderem von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Berichten des Europarats und der Europäischen Kommission, Urteilen türkischer Gerichte sowie auf Befragungen von in der Türkei praktizierenden Anwält*innen.


Pro Asyl, 12.09.24: Gutachten: Zur Lage der Justiz in der Türkei – Rechtsunsicherheit in Strafverfahren mit politischem Bezug


Mehrsprachiges Infoblatt: Fragenkatalog Bleiberecht

Für Menschen mit Duldung stellt sich immer wieder die Frage: Wie kann ich meinen Aufenthalt in Deutschland sichern? Dafür müssen viele verschiedene Informationen eingeholt werden. Welche Fragen dabei relevant sind, haben wir in einem Dokument zusammengefasst. Dies soll dabei helfen, mögliche Bleiberechtsoptionen zu prüfen.



Infoblatt: Unterschiede zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis

Was unterscheidet eine Duldung von einer Aufenthaltserlaubnis? Welche Vor-und Nachteile gibt es dabei? Wie wirkt sich der jeweilige Status z.B. auf die Erwerbstätigkeit, den Familiennachzug und die Sozialleistungen aus?

Diese Fragen beantwortet das Infoblatt in einer tabellarischen Gegenüberstellung.



Backnang: Inklusives Ehrenamt

Im Rahmen des Projekts „ganz barrierefrei ganz freiwillig ganz engagiert“ lädt die Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e.V. herzlich zum Workshop “Inklusives Ehrenamt – Erfahrungen im Ehrenamt mit Behinderung und Fluchterfahrung“ ein.

Die Veranstaltung richtet sich an Vereine und Organisationen, welche ihre Möglichkeiten ehrenamtlichen Engagements inklusiver gestalten möchten, um so mehr Menschen mit Behinderungen und Migrations-/Fluchterfahrungen in ihre Vereins- und Organisationsarbeit zu inkludieren.

Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist bis zum 27.09.2024 möglich.

Ansprechperson: nina.geldmache@tgbw.de


Mehrsprachige Arbeitshilfe: LSBTIQ*-Geflüchtete im Asylverfahren

Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung ist in Deutschland ein Asylgrund. Wer in Deutschland Asyl sucht, muss bei einer persönlichen Anhörung die Asylgründe ausführlich darlegen können. Dies ist oft sehr herausfordern – vor allem für queere Geflüchtete. Daher ist eine sorgfältige Vorbereitung auf die Anhörung besonders wichtig.

Um LSBTIQ*-Geflüchtete im Asylverfahren zu unterstützen, hat der Flüchtlingsrat Köln einen mehrsprachigen Leitfaden erstellt. Dieser hilft bei der Vorbereitung und bietet einen umfassenden Überblick darüber, wie eine Anhörung in Deutschland abläuft und welche besonderen Aspekte queere Menschen dabei berücksichtigen sollten.


Flüchtlingsrat Köln, Juli 2024: LSBTIQ*-Geflüchtete im Asylverfahren: Ein Leitfaden zur Anhörung