Offener Brief an den Gemeinderat Schlaitdorf und den Bürgermeister Sascha Richter

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Richter,

sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates Schlaitdorf,

mit großer Bestürzung haben wir die Aussagen gelesen, mit denen Sie, Sascha Richter, in der Nürtinger Zeitung zitiert werden. Sie bezichtigen darin Personen, die in Ihrer Gemeinde Schutz suchen, des illegalen Aufenthaltes und des „Erschleichens“ von Sozialleistungen. Diese Annahme begründen Sie auf Basis des Aussehens und der Sprachkenntnisse der betreffenden Personen. Uns besorgen solche Aussagen, da Sie damit Menschen allein aufgrund äußerlicher Merkmale öffentlich diskreditieren und ihr Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung in Frage stellen.

Kurz nach dem 75-jährigen Jubiläum des deutschen Grundgesetzes möchten wir Ihnen daher Artikel 3 desselben in Erinnerung rufen: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Das gilt auch für Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Wenn Sie also das Recht auf Schutz aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes oder der Sprachkenntnisse von Personen in Frage stellen, müssen wir hinterfragen, inwiefern dies in Einklang mit unserer Verfassung steht.

Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes einen illegalen Aufenthalt oder kriminelle Aktivitäten zu unterstellen, ist aus unserer Perspektive rassistisch. Es werden an diesen Stellen tradierte Vorstellungen und Bildern davon bedient, wie Rom*nja scheinbar lebten oder seien, welche schon in der NS-Zeit gezielt als Grundlage für gesellschaftlichen Ausschluss genutzt wurden und in einem Völkermord gipfelten. Auch an Rom*nja in der Ukraine haben die Nationalsozialisten schreckliche Gräueltaten verübt, beispielsweise beim Massaker von Babyn Jar nahe Kiew. Vor diesem Hintergrund erschrecken uns Ihre Äußerungen besonders.

Sie – ob als Bürgermeister oder als Mitglied des Gemeinderates – stehen in der Öffentlichkeit und Ihre Äußerungen haben Gewicht. Damit geht auch eine besondere Verantwortung einher. In Sorge um alle Menschen, die in Ihrer Gemeinde Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, fordern wir daher ein entschiedenes Bekenntnis gegen Antiziganismus.

Wir hoffen, sensibilisieren zu können und stehen für ein Gespräch gerne zur Verfügung.

Flüchtlingsrat Baden-Württemberg


Stuttgart: Basis-Schulung von Arrival Aid für Trauma-Helfer*innen

Flucht und Migration bringen Menschen in schwer traumatisierende Situationen – teils mit erheblichen psychischen Folgen. Ein Großteil der traumatisierten Geflüchteten erhält jedoch keine professionelle therapeutische Hilfe.

Im Rahmen einer zweitägigen Schulung können sich Ehrenamtliche zu Trauma-Helfenden ausbilden lassen. Es werden Grundlagen der Trauma- und Stressbewältigung vermittelt und Übungen aufgezeigt, die bei akuten Belastungssituationen Linderung verschaffen können. Nach der Fortbildung können Trauma-Helfende bei ArrivalAid Einsätze für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte durchführen.

Referent*innen: Alena Schäberle & Tobias Töpfer von ArrivalAid München



EuGH: Keine Übertragung des Schutzstatus von Anerkannten

Geflüchtete, die bspw. in Griechenland, Italien oder Bulgarien angekommen sind, sehen sich oftmals gezwungen, innerhalb Europas weiter zu fliehen, da sie in diesen Ländern ihre elementarsten Bedürfnisse (Bett, Brot, Seife) – mangels staatlicher Unterstützung – in der Regel nicht decken können und sich selbst überlassen sind. Regelmäßig, wenn auch aus unserer Sicht zu selten, lehnen daher auch das BAMF bzw. deutsche Verwaltungsgerichte die Asylanträge dieser Personen nicht als „unzulässig“ ab, sondern entscheiden, dass Geflüchtete nicht in diese Länder abgeschoben werden dürfen, da ihnen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Sofern Personen in einem Mitgliedstaat der EU bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde ihre Abschiebung aus Deutschland in diesen Mitgliedstaat (vom BAMF oder dem Verwaltungsgericht) untersagt wurde, stellt sich die Frage, ob die Betroffenen einen Anspruch darauf haben, die Flüchtlingseigenschaft auch in Deutschland zuerkannt zu bekommen. Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage nun verneint und entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, die in einem anderen Mitgliedstaat zuerkannte Flüchtlingseigenschaft automatisch anzuerkennen (Urteil vom 18. Juni 2024, Az.: C-753/22).

Vielmehr müssen nach Auffassung des EuGH „die zuständigen Behörden“, d.h. in erster Linie das BAMF und im Klageverfahren die Verwaltungsgerichte, eine neue individuelle, vollständige und aktualisierte Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vornehmen. Im Rahmen dieser Prüfung müssen jedoch die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigt werden. Zu diesem Zweck muss das BAMF unverzüglich einen Informationsaustausch mit der Behörde des Mitgliedstaats einleiten, die diese Entscheidung erlassen hat.


Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern

In einem gemeinsamen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz und die Ministerpräsident*innen bekräftigen 309 Organisationen – von lokalen Initiativen der Flüchtlingshilfe bis hin zu bundesweiten Organisationen –, dass sie zu einer Gesellschaft gehören wollen, die fliehende Menschen menschenwürdig aufnimmt. Kurz vor deren Treffen fordert das Bündnis den Bundeskanzler und die Ministerpräsident*innen auf, die Auslagerung von Asylverfahren klar abzulehnen und sich stattdessen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft für eine zukunftsfähige Aufnahme von Schutzsuchenden in Deutschland stark zu machen. Am 20. Juni, dem Weltflüchtlingstag, werden Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident*innen während ihrer gemeinsamen Tagung über eine mögliche Auslagerung von Asylverfahren diskutieren. Das Bundesinnenministerium wird einen Sachstandsbericht zu einem Prüfauftrag vorlegen, der bei Bund-Länder-Beratungen im November 2023 beschlossen wurde. Die Organisationen warnen vor der Auslagerung von Asylverfahren. Bisherige Versuche zeigen, dass sie zu mehr Leid bei den Betroffenen und Menschenrechtsverletzungen führen, nicht funktionieren und extrem teuer sind. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für die Menschenrechte für alle, so das Bündnis. Das Bündnis wurde initiiert von PRO ASYL, dem Paritätischen Gesamtverband, Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Diakonie Deutschland und Amnesty International.

Der offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, 

sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten,

Menschlichkeit ist sowohl in Deutschland als auch in Europa die Basis unseres Zusammenlebens. Sie zu schützen ist unsere gesellschaftliche Pflicht. Dazu gehört auch: Die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Sie steht aus gutem Grund seit 75 Jahren in unserem Grundgesetz und gilt für alle Menschen, egal woher sie kommen.

Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag beraten Sie die Idee der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes aus Deutschland und Europa in Drittstaaten. Wir, 309 Organisationen und Initiativen, möchten Teil einer Gesellschaft sein, die geflüchtete Menschen menschenwürdig aufnimmt. Wer Schutz bei uns in Deutschland sucht, soll ihn auch hier bekommen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht.

Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von Asylverfahren eine klare Absage.

Als im Flüchtlingsschutz aktive Organisationen und Initiativen wissen wir: Aufnahme und Teilhabe funktionieren, wenn alle an einem Strang ziehen und der politische Wille vorhanden ist. Vor den derzeitigen Herausforderungen verschließen wir dabei nicht die Augen. Wir begegnen ihnen vielmehr mit konstruktiven, praxisnahen und somit tatsächlich realistischen Vorschlägen für eine zukunftsfähige Aufnahme. Dafür setzen wir uns jetzt und auch zukünftig mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften ein – gerade auch auf kommunaler Ebene.

Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen, funktionieren hingegen in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar. Sie würden absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, wie pauschale Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohen. Bei Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft große Angst aus und erhöhen die Gefahr von Selbstverletzungen und Suiziden. Dies gilt gerade für besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Menschen mit Behinderung, Kinder, queere Menschen, Überlebende von Folter oder sexualisierter Gewalt. Das zeigen uns die Erfahrungen der letzten Jahre, etwa das Elend auf den griechischen Inseln als Folge der EU-Türkei-Erklärung.

Aktuell leben drei Viertel der geflüchteten Menschen weltweit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Setzen Sie sich deswegen für eine glaubhafte, nachhaltige und gerechte globale Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz ein. 

Wir sind uns sicher: Realistische und menschenrechtsbasierte Politik stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dass Anfang des Jahres so viele Menschen wie noch nie in Deutschland auf die Straße gegangen sind, um ein Zeichen für eine offene und diverse Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus zu setzen, macht uns Mut. Eine zukunftsfähige Gesellschaft braucht Vielfalt, Offenheit und ein konsequentes Einstehen für Menschenrechte – für alle.


Bad Herrenalb: Flüchtlingsschutztagung

Das Flüchtlingsthema ist ein wichtiger Indikator dafür, wie wir in den westlichen europäischen Ländern unsere Demokratie verstehen und wie wir demokratische Werte gegenüber rechten Kräften verteidigen „Gemeinsam für Demokratie!“ – Dieses Motto verbindet Initiativen in der Flüchtlingsarbeit auch mit ande-ren zivilgesellschaftlich engagierten Gruppen. Die Tagung zielt darauf, verschiedene Akteure in der Flüchtlings- und Menschenrechtsarbeit, Umweltschutz- und Entwicklungszusammenarbeit sowie in der Demokratieförderung miteinander zu vernetzen. Es gibt Raum zum Kennenlernen, zum Austausch und für die Entwicklung von innovativen Aktivitäten. Demokratie leben, Menschenrechte schützen und gemeinsame Strategien entwickeln, um wehrhaft gegenüber rechtspopulistischen und rechtsextremen Entwicklungen zu sein, dazu möchte die Tagung einen Beitrag leisten.

Informationen zum Tagungsprogramm und zur Anmeldung

Die Tagung wird organisiert bzw. unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Caritas, Pro Asyl, der evangelischen Landeskirche Baden, der Diakonie Württemberg, der Evangelischen Akademie Baden, der Evangelischen Akademie Bad Boll und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.


Gerade jetzt: Rechtsstaat stärken!

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Neue Richter*innenvereinigung (NRV), die Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht des Deutschen Anwaltverein (DAV), PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer stehen und streiten für den Rechtsstaat als Grundlage unserer Demokratie. Dazu gehört die Wahrung völkerrechtlicher Grundsätze. Bundeskanzler Scholz forderte in seiner Regierungserklärung, dass Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden sollen. In beiden Ländern drohen jedoch Folter und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die Abschiebungen völkerrechtlich verbieten. Wir sind erschüttert von der Tat in Mannheim und sprechen unser tiefes Mitgefühl aus. Zugleich sind wir alarmiert von den aktuell stattfindenden Debatten. Nach einer schweren Straftat muss die Justiz für Gerechtigkeit sorgen. Hierfür haben wir in Deutschland einen funktionierenden Rechtsstaat. Dieser darf nicht untergraben werden, indem völkerrechtliche Errungenschaften in Frage gestellt werden.

Das absolute Folterverbot verbietet Abschiebungen

Aus dem Folterverbot folgt: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Dieses absolute Folterverbot ist in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta normiert. Es gilt uneingeschränkt für alle Menschen – auch für Personen, die in Deutschland Straftaten begangen haben. Denn die Garantie der Menschenwürde gilt für alle Menschen, unabhängig von der Schwere der von ihnen begangenen Verbrechen. Ihre Strafen müssen sie in Deutschland verbüßen. Etwaige „Sicherheitszusagen“ für die abzuschiebenden Straftäter sind weder von Seiten der terroristischen Taliban noch von Seiten des Assad-Regimes vertrauenswürdig und zuverlässig und können damit eine menschenrechtswidrige Abschiebung nicht legitimieren. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]“.

Katastrophale menschenrechtliche Lage unter den Taliban

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ist die menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afghanistan katastrophal. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen berichten von außergerichtlichen Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und weiteren Misshandlungen durch die Taliban. Besonders Frauen und Mädchen sind von weitreichenden Einschränkungen ihrer Rechte betroffen. UNHCR betont, dass die meisten Menschenrechtsverletzungen undokumentiert bleiben und die Verfolgungsgefahr unvorhersehbar ist. UNHCR fordert deswegen von allen Staaten, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen. Hinzu kommt eine humanitäre Krise, die durch Erdbeben und Sturzfluten weiter verschärft wurde. Die Europäische Asylagentur bestätigt in ihrer Country Guidance zu Afghanistan vom Mai 2024, dass es im Land keine internen Schutzalternativen gibt. Deutschland hat seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan. Eine Wiederaufnahme von Abschiebungen würde eine Kooperation mit den Taliban erfordern, die die Bundesregierung nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt. Eine solche Kooperation wäre ein Schritt zur Normalisierung der Beziehungen, was außen- und menschenrechtspolitisch katastrophal wäre.

Syrien ist weiterhin ein Folterstaat

Unter Machthaber Assad wird in Syrien seit Jahren systematisch gefoltert, Menschen verschwinden und werden rechtswidrig inhaftiert oder getötet. Internationale Organisationen wie UNHCR, OHCHR und Amnesty International bestätigen dies. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach entschieden, dass Abschiebungen nach Syrien eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK bedeuten. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass eine sichere Rückkehr nach Syrien derzeit nicht gewährleistet werden kann. Rückkehrende werden pauschal als Verräter behandelt und sind systematischer Willkür ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind in Syrien an der Tagesordnung. Mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai 2024, dass die Bedingungen für sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind. Abschiebungen nach Syrien würden eine Kooperation mit dem Assad-Regime erfordern, die die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, das eigentlich für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Der Rechtsstaat beweist sich durch angemessene Strafverfahren

Islamistischer Terror, Rechtsextremismus und Antisemitismus stellen eine Bedrohung für die offene Gesellschaft in Deutschland dar. Solchen menschenverachtenden Taten muss mit dem deutschen Strafrecht begegnet werden. Das geschieht ausnahmslos. Für die Strafgerichte ist es dabei nicht entscheidend, welche Staatsangehörigkeit Täter haben. Wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben, können sie nach einer Verurteilung und nach Verbüßung eines Teils ihrer Freiheitsstrafe außerdem abgeschoben werden, siehe § 456a StPO, sofern die Abschiebung zulässig ist. Abschiebungen in Länder, in denen Folter, Misshandlungen und weitere Menschenrechtsverletzungen drohen, sind mit dem Rechtsstaat und dem Völkerrecht indes unvereinbar und dürfen nicht stattfinden. Gerade in schwierigen Zeiten muss der Rechtsstaat Stärke durch die Einhaltung wichtiger Grundsätze zeigen. Politischen Akteuren kommt hier eine wichtige Rolle zu, ihn zu verteidigen und wichtige Grundsätze zu vertreten. Dies stärkt unsere Demokratie langfristig gegen die, die sie untergraben wollen.


Ukraine: Wichtige Änderungen

Durch das Vierte Länderschreiben des BMI vom 30. Mai 2024 hat sich für ukrainische Geflüchtete einiges geändert. Entsprechend erging auch ein Hinweisschreiben des baden-württembergischen Justizministeriums. Die daraus entnommenen wichtigsten Änderungen sind:

  • Nicht-ukrainischen Drittstaatsangehörigen mit befristeten ukrainischen Aufenthaltstiteln wird nicht länger vorübergehender Schutz gewährt, soweit diese noch keine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) haben. Selbst wenn diese Personen eine Aufenthalts-erlaubnis nach § 24 AufenthG haben, werden diese dann aber von einer weiteren möglichen Verlängerung über den 4. März 2025 hinaus durch das BMI nicht erfasst (vgl. Seite 9 Viertes Länderschreiben). Nach ausdrücklichem Hinweis des BMI sollen diesem Personenkreis daher ab dem 5. Juni 2024 keine neuen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG mehr erteilt oder verlängert werden.
  • Sekundärmigration aus Drittstaaten: Geflüchteten aus der Ukraine, die sich mit befristetem oder unbefristetem Aufenthaltsrecht in einem Drittstaat aufgehalten haben und dann in die Bundesrepublik weiterwandern, ist kein vorübergehender Schutz zu gewähren. Nach Auffassung des BMI sind die betreffenden Personen nicht mehr vom Wortlaut des Durchführungsbeschlusses des EU-Rats vom 4. März 2022 ((EU) 2022/382) erfasst, da diese nicht als „vertrieben“ gelten können (vgl. Seite 23).

Zudem soll der vorübergehende Schutz für ukrainische Geflüchtete bis zum 6. März 2026 verlängert werden. Dies lies der Europäische Rat in einer politischen Erklärung verlauten. Ein Rechtsakt dazu liegt aber noch nicht vor.



EuGH: Flüchtlingsschutz für UNRWA-Palästinaflüchtlinge aus dem Gazastreifen möglich

In seinem Urteil vom 13. Juni 2024 (Rs. C-563/22) klärt der Europäische Gerichtshof zwei Dinge: Zum einen, dass bei der Prüfung der Begründetheit eines Folgeantrags nicht nur neue Umstände zu berücksichtigen sind, sondern auch bereits in einem früheren Asylverfahren vorgebrachte Umstände, wenn nur die Zulässigkeit des Folgeantrags festgestellt wurde. Zum anderen, dass ein von der UNRWA betreuter Flüchtling Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes in der EU hat, wenn die UNRWA aus „irgendeinem Grund“ nicht länger in der Lage ist, diesem Flüchtling am Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts, etwa im Gazastreifen, gemäß ihrem Auftrag menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewährleisten. Der Flüchtling muss nicht nachweisen können, dass er spezifisch betroffen ist, sondern nur, dass er überhaupt betroffen ist, nämlich dass er sich im Falle einer Rückkehr in einer „sehr unsicheren persönlichen Lage“ befinden würde.

(Zusammenfassung des HRRF-Newsletters)


VG Hamburg: Asylsuchende aus dem Gazastreifen erfüllen Voraussetzungen für internationalen Schutz

Das Verwaltungsgericht Hamburg geht in seinem Gerichtsbescheid vom 3. Juni 2024 (Az. 14 A 789/24) davon aus, dass im Gazastreifen derzeit keine vorübergehend ungewisse Lage im Sinne von § 24 Abs. 5 AsylG besteht. Aufgrund der anhaltenden Dauer der Kampfhandlungen, ihrer Schwere und mangels Absehbarkeit einer Beendigung sowie aufgrund des hohen Zerstörungsgrades der relevanten Infrastruktur lägen für Asylsuchende aus dem Gazastreifen gegenwärtig regelmäßig die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes vor. Selbst wenn die Kampfhandlungen enden sollten, dürfte eine Rückkehr aufgrund des hohen Zerstörungsgrades des Gazastreifens für längere Zeit nicht in Betracht kommen, insofern dürften jedenfalls auch Abschiebungsverbote in Betracht kommen. Ohnehin könne das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Aussetzung einer Entscheidung über einen Asylantrag nicht auf § 24 Abs. 5 Satz 1 AsylG stützen, wenn es entgegen den Vorgaben des § 24 Abs. 5 Satz 2 AsylG keine regelmäßigen Überprüfungen der Lage in dem Herkunftsstaat aktenkundig mache.

(Zusammenfassung des HRRF-Newsletters)


Sommertagung 2024

Ort: Bürgerräume Stuttgart-West in der Bebelstraße 22, 70193 Stuttgart (barrierefrei)

البرنامج الكامل باللغة العربية / Information in English

Herzliche Einladung zur Sommertag am Samstag, den 13. Juli 2024, in Stuttgart. Wir haben ein äußerst spannendes und vielfältiges Programm auf die Beine gestellt. Im Hauptvortrag geht es um die lebensrettende Arbeit von Alarm Phone. In zwei Themenphasen können Sie wählen zwischen Familiennachzug, Abschiebungen in den Irak, familiäre Rollen und Umgang mit Hate Speech. Dazwischen wird es ausreichend Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch geben.

Die Tagung ist kostenlos und richtet sich in erster Linie an Ehrenamtliche in der Geflüchtetenarbeit.

Unsere Tagung soll einen möglichst geschützten Raum für alle Beteiligten darstellen. Deshalb bitten wir alle Teilnehmenden, die Vereinbarung zum Umgang miteinander bei der Anmeldung zur Kenntnis und sich bei der Tagung zu Herzen zu nehmen.

PROGRAMM

09:45 Uhr: Anmeldung und Ankommen

10:00 Uhr: Begrüßung

10:15 11:30 Uhr: Ehrenamtliches Engagement – Projekte & Vernetzung

Drei befreundete Initiativen des Flüchtlingsrats stellen ihre Projekte und Themen vor, in denen sie ehrenamtlich aktiv sind. Im Anschluss daran gibt es Zeit, sich zu vernetzen und auszutauschen.

  • Dilnaz Alhan stellt die letztes Jahr gegründete Initiative Pena.ger vor, die kostenlose Online-Beratung für Geflüchtete auf Deutsch, Kurdisch, Türkisch und Englisch anbietet (Pena.ger Stuttgart)
  • Björn Stoltze erzählt vom Kampf gegen erhöhte Nutzungsgebühren in Gemeinschaftsunterkünften (Verein Zuflucht, Müllheim)
  • Gabi Ayivi und Chibuzo Orame berichten über die Lage in Nigeria, insbesondere über die politischen Verhältnisse, die Menschen zur Flucht zwingen und die Situation von Rückkehrenden (Olileanya e.V.)

11:30 – 13:00 Uhr: Themenphase I

Wählen Sie ein Thema aus den vier folgenden aus.

1. Vortrag: „Kann ich meine Familie nach Deutschland bringen?“ – Basiswissen Familiennachzug

Die erste Antwort auf diese Frage ist: „Das kommt auf Ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland an.“ Erst dann weiß man, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Familiennachzug nach Deutschland gelingen kann. Doch dann stehen noch jede Menge praktischer Hürden an, die zur Familienvereinigung gemeistert werden müssen. Im Vortrag wird Maria Kalin die rechtlichen Grundlagen von Familiennachzug erklären, insbesondere im Hinblick auf Personen, die im Asylverfahren eine Ablehnung erhalten haben und über verschiedene Bleiberechtsoptionen Aufenthaltstitel erhalten konnten.

Referentin: Maria Kalin (Rechtsanwältin, Ulm)

Seit Mitte 2023 sind die jahrzehntelangen Beschränkungen bei Abschiebungen in den Irak gefallen und es finden monatliche Sammelabschiebeflüge statt. Dies bringt große Unsicherheiten für viele geduldete Iraker*innen mit sich, die nun unmittelbar von Abschiebung bedroht sein könnten. Was sich politisch geändert hat, welche Voraussetzungen für eine Abschiebung vorliegen müssen und was es für aufenthaltsrechtliche Bleibeoptionen für Geduldete gibt, wird Anwältin Geraldine Trotzier erklären. Oliver M. Piecha wird einen Einblick in die aktuelle Lage im Irak, die Lebensrealitäten vor Ort allgemein und das Problem der „umstrittenen Gebiete“ im Hinblick auf die Jesid*innen und andere Minderheiten geben.

Referent*in: Geraldine Trotzier (Rechtsanwältin, Heidelberg), Dr. Oliver M. Piecha (Wadi e.V.)

3. Arbeitsgruppe: Psychosoziale Dynamiken in Familien mit Fluchterfahrung

Nicht nur die Fluchterfahrung, sondern auch das Ankommen in Deutschland stellt Familien und die Beziehungen innerhalb von Familien vor Herausforderungen. Bislang bewährte Zuständigkeiten und Selbstverständlichkeiten werden in Frage gestellt. Kompetenzen und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit müssen neu gefunden werden. Sibel Koray wird die sich verändernden familiären Geschlechter- und Generationenbeziehungen beleuchten, die sich in dieser besonderen Situation ergeben, und auf Schwierigkeiten und Chancen eingehen. Nach einem kurzen Input der Referentin stehen Reflexion der Thematik und der eigenen Rolle (Selbsterfahrungsanteile) sowie der Erfahrungsaustausch im Fokus des interaktiv angelegten Workshops. Konkrete Fälle können zusammen betrachtet werden, um ein besseres Verständnis für die Situation der Betroffenen zu entwickeln und um mehr Handlungssicherheit zu erlangen.

Referentin: Sibel Koray (Diplom-Psychologin, systemische Familientherapeutin und Supervisorin)

4. Arbeitsgruppe: Gemeinsam gegen Hate Speech und Fake News

Hate Speech und Fake News haben sich in den letzten Jahren zunehmend im digitalen Raum ausgebreitet. Insbesondere in sozialen Netzwerken begegnen uns Diskriminierung, Hasskommentare, Desinformationen und Verschwörungserzählungen, von denen sowohl Geflüchtete als auch ihre Unterstützer*innen betroffen sind. Wie können wir damit angemessen umgehen? Und was können wir dem an demokratischen Handlungsmöglichkeiten entgegensetzen? Joachim Glaubitz gibt in der Arbeitsgruppe zunächst einen Einblick in rechte Medienstrategien. Anhand konkreter Beispiele werden dann gemeinsam Formen digitaler Zivilcourage entwickelt und besprochen.

Referent: Joachim Glaubitz (Trainer im Projekt Firewall der Amadeu Antonio Stiftung und Flüchtlingsrat BW)

13.00 Uhr: Mittagessen

14:00 15:15 Uhr: Hauptvortrag: Ein Telefon unterstützt in Seenot – die Arbeit von Watch the Med Alarm Phone

Seit fast 10 Jahren gibt es das Alarm Phone – ein transnationales Netzwerk von Aktivist*innen, das über eine Notrufnummer Hilfe für in Seenot geratene Flüchtende auf dem Mittelmeer und an den Außengrenzen mobilisiert. Zusammen mit zivilen Rettungsschiffen konnten damit schon tausende Menschenleben gerettet und Menschenrechtsverletzungen denunziert und im besten Fall verhindert werden. Doch das Sterben auf dem Mittelmeer kann nur durch eine andere europäische Politik beendet werden.
Über die Entstehung und Strukturen des Alarm Phone, die Koordinierung von Rettungseinsätzen, die involvierten Akteur*innen, den Kontakt mit den Betroffenen, die persönlichen Belastungen, die Kriminalisierung von Flüchtenden und Aktivist*innen sowie die politischen Herausforderungen und aktuellen Entwicklungen berichtet Conni Gunßer. Es wird ausreichend Zeit für Fragen und Austausch geben.

Referentin: Conni Gunßer (Watch the Med Alarm Phone)

15:15 Uhr: Pause

15:30 17:00 Uhr Themenphase II

Wählen Sie ein Thema aus den vier folgenden aus. Es handelt sich um eine Wiederholung der Themenphase am Vormittag.

1. Vortrag: „Kann ich meine Familie nach Deutschland bringen?“ – Basiswissen Familiennachzug

3. Arbeitsgruppe: Psychosoziale Dynamiken in Familien mit Fluchterfahrung

4. Arbeitsgruppe: Gemeinsam gegen Hate Speech und Fake News

Die Tagung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Integration“ statt, unterstützt durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat. Eine Koförderung besteht durch die UNO-Flüchtlingshilfe und die Deutsche Postcode Lotterie.

Die Anmeldung ist geschlossen. Kommen Sie spontan vorbei!