Sinsheim: Identifizierung und Begleitung von psychisch belasteten Geflüchteten

Etwa die Hälfte der geflüchteten Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen, die man auf den ersten Blick kaum erkennen kann. Erst mit der Zeit zeigt sich ihre schwere Belastung. Dies geschieht häufig gegenüber Menschen, die damit keine Erfahrung haben. Daher stellen sich folgende Fragen: Wie erkennen Begleiter*innen psychisch belastete Geflüchtete? Wie kann man mit den belasteten Geflüchteten umgehen? Wie erhalten Ehrenamtliche selbst Unterstützung? Neben kurzen Infos zu den relevanten Krankheitsbildern gibt es die Gelegenheit, Praxisbeispiele vorzustellen und diese zu diskutieren. Der kultursensible Umgang mit psychisch belasteten Menschen wird thematisiert und die Teilnehmenden erhalten Tipps und Infos dazu.

Referent: Pedram Badakhshan, Abteilungsleitung des Psychosozialen Zentrums Nordbaden, Therapiewissenschaftler M. Sc. und Musiktherapeut B.A.

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Tagung „Vielfalt öffnet Räume“ in Sinsheim statt.

Die Anmeldung ist digital möglich bis zum 24. September 2023 über: pretix.eu/Sinsheim/tagung2023

Der Workshop findet im Rahmen des Projekts „Perspektive durch Partizipation“ statt, das von der Aktion Mensch gefördert wird.


55 Organisationen warnen: Tiefpunkt bei europäischer Asylreform noch nicht erreicht!

Nachdem die Einigung der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 über massive Verschärfungen im EU-Asylrecht bereits starke Kritik hervorgerufen hat, warnen nun 55 Menschenrechts- & Kinderrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und entwicklungspolitische Organisationen davor, dass mit der aktuell zwischen den Mitgliedstaaten diskutierten Verordnung im Fall von Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung die letzten verbliebenen Standards noch untergraben werden sollen. Die Bundesregierung wird aufgerufen, sich gegen diese Verordnung zu stellen und in den Verhandlungen im Rat eine klare rote Linie zu ziehen.

„Während der Politikbetrieb kurz vor der Sommerpause steht, werden zwischen den Mitgliedstaaten Vorschläge verhandelt, die die bislang beschlossenen Verschärfungen noch übertrumpfen“, warnt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Die mit der Zustimmung der Bundesregierung bereits getroffene Einigung eröffnet unter anderem mit der Ausweitung „sicherer Drittstaaten“ die Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Flüchtlingsschutz. Die nun diskutierten Vorschläge für den Fall einer „Instrumentalisierung von Migration“ sind darüber hinausgehend ein Rezept für brutale Pushbacks, wie man sie zum Beispiel seit 2021 an der polnisch-belarussischen Grenze sieht. Wer es überhaupt schafft einen Asylantrag zu stellen, kann für bis zu fünf Monate an der Grenze inhaftiert werden. Schon im Normalfall werden in Grenzverfahren keine fairen Asylverfahren stattfinden, je mehr Menschen an den Außengrenzen festgehalten werden, desto katastrophaler wird die Situation.

„Dass die Vorschläge zur Instrumentalisierung nach ihrem zwischenzeitlichen Scheitern im letzten Dezember nun erneut diskutiert werden, ist brandgefährlich. Die Bundesregierung muss bei ihrer Position bleiben und diese Rückendeckung für massive Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen strikt ablehnen! Würde sie ihren Koalitionsvertrag und die darin enthaltene Verpflichtung für Menschenrechte und Flüchtlingsschutz in Europa ernst nehmen, so müsste sie sich aber grundsätzlich gegen die Reform stellen“, fordert Wiebke Judith.

Die schwedische EU-Präsidentschaft hatte noch auf den letzten Metern ihrer Präsidentschaft die „Verordnung für Ausnahmen im Falle von Krisen, Instrumentalisierung und höherer Gewalt“ (Stand 23. Juni 2023) auf den Weg gebracht, nun macht die spanische Präsidentschaft seit Juli unter Hochdruck mit den Vorschlägen weiter. Es sollen unter anderem die Verzögerung von Registrierungen, die Verlängerung von Grenzverfahren – dann für so gut wie alle Gruppen von Geflüchteten – sowie massive Absenkungen bei den Unterbringungs- und Aufnahmestandards möglich werden. Die von der Bundesregierung für die GEAS-Reform gewünschten Ausnahmen vom Grenzverfahren für Kinder oder andere vulnerable Personen wären dem Verordnungsentwurf nach vom Tisch. Auch droht eine Legitimierung der Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen.

Die 55 Organisationen stellen gemeinsam fest: „Die Verordnung für den Fall von Krise, Instrumentalisierung und höherer Gewalt droht an den Außengrenzen den schon bestehenden Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und ermöglicht es, das geltende Recht an den Außengrenzen zu brechen.“

Bereits im Dezember 2022 appellierten 35 Organisationen an die Bundesregierung, dem damaligen Vorstoß für eine Instrumentalisierungsverordnung nicht zuzustimmen. In ihrem Prioritätenpapier spricht sich die Bundesregierung gegen die Aufnahme der Verschärfungen im Fall einer Instrumentalisierung aus. Im Beschluss des Grünen Länderrats in Bad Vilbel zur Flüchtlingspolitik steht zudem: „Die Rechte von Menschen zu beschneiden, die durch autoritäre Staaten instrumentalisiert werden, lehnen wir ab.“


Grundrechtsschutz in Geflüchteten-Unterkünften

Am 15. Juni um 9:30 Uhr verhandelt das Bundesverwaltungsgericht zwei Revisionsverfahren zusammen, in denen es um den Schutz der Privatsphäre in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete geht. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) begleitet die Verfahren juristisch gemeinsam mit einem Bündnis, dem PRO ASYL, Aktion Bleiberecht Freiburg und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg angehören.

Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt einerseits ein Verfahren gegen die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg. Die Hausordnung regelt u.a., dass das Personal der LEA und der private Sicherheitsdienst Zimmerkontrollen durchführen können – auch nachts und gegen den Willen der Bewohner*innen – sowie Einlass- und Taschenkontrollen. Dieses Verfahren wird über den Rechtshilfefonds von PRO ASYL gefördert. Das zweite Verfahren richtet sich gegen die gängige Polizeipraxis, Bewohner*innen ohne gerichtlichen Beschluss nachts aus ihrem Zimmer zu holen, um sie abzuschieben.

Im Rahmen der Revision muss das Bundesverwaltungsgericht in beiden Verfahren entscheiden, ob die Zimmer in Erstaufnahmeeinrichtungen „Wohnungen“ im Sinne des Art. 13 GG sind und den vollen grundrechtlichen Schutz genießen. Das bevorstehende Urteil hat weitreichende Auswirkungen – z.B. für die Hausordnungen anderer Bundesländer und für die Abschiebepraxis.

Es gibt keinen Zweifel: Die Zimmer in Geflüchtetenunterkünften sind Wohnräume und damit nach dem Grundgesetz unverletzlich. Gleichzeitig werden im politischen Diskurs die Stimmen immer lauter, die für migrationspolitische Forderungen über die Rechte von Geflüchteten hinweggehen wollen. Die anstehende Entscheidung ist daher eine wichtige Gelegenheit für das Bundesverwaltungsgericht klarzustellen: Das Grundgesetz kennt keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse für geflüchtete Menschen.

In einem FAQ werden alle relevanten Fragen zu beiden Revisionsverfahren beantwortet.


Kampagne für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Am 26. Mai 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl (Grundgesetz Artikel 16) massiv eingeschränkt. Als Teil dieses sogenannten „Asylkompromisses“ wurde außerdem das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beschlossen. Anlässlich dieses Jahrestages fordert die Kampagne „30 Jahre sind genug! Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen“, die Abschaffung des ausgrenzenden Gesetzes. Derzeit finden in über 30 Städten Veranstaltungen und Aktionen gegen das AsylbLG statt. Auch 200 bundesweite Organisationen sprechen sich in einem Appell gegen das AsylbLG aus, darunter die Diakonie und AWO, der Paritätische sowie Menschenrechts- und Hilfsorganisationen wie Oxfam und medico international.

Als Kampagnenbündnis verurteilen wir die jüngste populistische Stimmungsmache gegenüber Asylsuchenden aufs Schärfste. Am 22 Mai hatte der sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmar in einem Zeitungsinterview Leistungskürzungen für Asylbewerber*innen gefordert. Weitere Stimmen aus der Union sowie der FDP sprechen sich für eine Wiedereinführung der Sachleistungsversorgung durch Gutscheine bzw. Essenspakete aus. „Es ist erschreckend, dass erneut ideologische und zu Teilen rassistische Kampagnen gefahren werden. Geflüchtete Menschen werden so, in Zeiten zunehmender rassistischer Angriffe, erneut zum Spielball politischer Kampagnen“, so Julian Staiger vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Kretschmann und Co ignorieren wissenschaftliche Fakten, indem sie verkürzte Theorien von Sozialleistungen als migrationspolitischen Pull-Faktor immer wieder aufs Neue wiederholen. Des Weiteren zeigt sich eine Missachtung menschenrechtlicher Grundsätze sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses erklärte 2012 in einem Grundsatzurteil eine pauschale Absenkung der Leistungen für Asylsuchende für verfassungswidrig: Die Menschenwürde ist aus migrationspolitischen Gründen nicht relativierbar!

Als Kampagnenbündnis fordern wir die Politiker*innen aller demokratischen Parteien auf, sich für menschrechtskonforme und pragmatische Lösungen in der Asylpolitik einzusetzen. Für uns kann da nur eine Abschaffung des ausgrenzenden AsylbLG bedeuten. 2022 wurde entschieden, ukrainischen Geflüchteten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu gewähren. Die pragmatische Entscheidung, das restriktive AsylbLG nicht anzuwenden, führte zu einer Entlastung der Kommunen. Tatsächlich konnte das AsylbLG seit seiner Einführung 1993 nur mit einem zusätzlichen Verwaltungs- und Kostenaufwand von hunderten Millionen DM/EUR durchgesetzt werden.


Aufnahme statt Abschreckung

30 Jahre nach der Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Bundestag muss die unwürdige Behandlung geflüchteter Menschen in Deutschland endlich ein Ende haben. Der Flüchtlingsrat und der Paritätische in Baden-Württemberg fordern eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik und die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Diese Spezialgesetzgebung verhindert eine menschenwürdige Aufnahme aller Geflüchteten und schränkt ihre gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten drastisch ein.

30 Jahre ist es inzwischen her, dass der deutsche Bundestag am 26. Mai 1993 das Asylbewerberleistungsgesetz im Rahmen des sogenannten „Asylkompromisses“ beschlossen hat – ein trauriger Meilenstein in der Geschichte der Entrechtung geflüchteter Menschen in Deutschland. Damit wurde das Grundrecht auf Asyl drastisch ausgehöhlt. Dieses Gesetz hat den Zugang für Geflüchtete zu gesundheitlicher Versorgung während ihrer Asylverfahren massiv verschlechtert und die staatlichen Leistungen, die sie beziehen können, unter das Existenzminimum gedrückt. Zu diesem Schluss kam auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2012. Dennoch besteht das Gesetz bis heute fort.

„Das Asylbewerberleistungsgesetz fußt auf der Annahme, dass Menschen nicht nach Deutschland fliehen, wenn Aufnahmebedingungen so schlecht wie möglich gestaltet werden. Dies wird auch in der aktuellen Debatte immer wieder suggeriert. Doch dabei handelt es sich um einen Trugschluss, dem die Politik nun offiziell seit 30 Jahren unterliegt“, so Anja Bartel, Geschäftsleiterin vom Flüchtlingsrat. „Wir fordern ein Ende der Abschreckungspolitik und eine echte Aufnahmepolitik für alle Geflüchteten“.

„Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine hat gezeigt, dass ein Rechtskreiswechsel und damit der direkte Zugang zu allgemeinen Sozialleistungen, dem Arbeitsmarkt, Integrationskursen und medizinischer Versorgung für Geflüchtete durchaus möglich ist und die Integration fördert. Deshalb ist die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes anzustreben. Das bestehende System unterteilt Geflüchtete in zwei Klassen und steht im Widerspruch zu unseren Grundrechten und einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten“, sagt Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg.

Hinweis: Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche der Kampagne zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes finden vom 16. bis zum 27. Mai 2023 verschiedene Veranstaltungen in ganz Deutschland statt.


Vergissmeinnicht – terre des hommes und PRO ASYL fordern von der Bundesregierung umgehende Verbesserungen beim Familiennachzug

Zum Internationalen Tag der Familie am 15. Mai fordern terre des hommes und PRO ASYL sowie weitere Menschenrechts- und Kinderrechtsorganisationen von der Bundesregierung, endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen, den Familiennachzug zu erleichtern. Unter dem Motto #Vergissmeinnicht machen dies bundesweit Aktivist*innen mit der Übergabe einer Vergissmeinnicht-Blume gegenüber ihren Abgeordneten stark. Mit der zentralen Aktion in Berlin wird die Bundesregierung durch ein Blumenmeer von 416 Vergissmeinnicht – eine pro Abgeordnete*n – und der Übergabe einer Blume an Fraktionsvertreter*innen vor dem Reichstag an ihr Versprechen erinnert.

Aktuell warten zehntausende Familien, die durch Flucht und Verfolgung getrennt wurden, darauf, in Deutschland wieder vereint zu werden. Vor allem rechtliche Regelungen verhindern, dass ihr Familiennachzug schnell, rechtssicher und human erfolgen kann. So ist bei Kriegsflüchtlingen, die subsidiären Schutz erhalten, der Nachzug auf 1.000 Personen im Monat beschränkt und an zusätzliche Bedingungen geknüpft. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die etwa aufgrund von drohender Zwangsrekrutierung oder Zwangsverheiratung aus Ländern wie Afghanistan oder Somalia allein fliehen mussten, haben zwar die Eltern, nicht aber die Geschwister ein Recht auf Familiennachzug. Lange Verfahrensdauern aufgrund mangelnder Digitalisierung und langsam arbeitender Behörden verzögern den Familiennachzug teils um mehrere Jahre und halten die Betroffenen in einem schier endlosen Wartezustand.

„Jeder Tag, an dem geflüchtete Kinder und Jugendliche von ihren Familien getrennt sind, ist einer zu viel“, erklärt Sophia Eckert, Referentin für Migration und Flucht bei terre des hommes. „Das gilt nicht nur für Ehepartner*innen, Eltern und Kinder, sondern auch für Geschwister. Eine von terre des hommes in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage zeigt: Die enge aufenthaltsrechtliche Definition von Familie, die Geschwister ausschließt, ist nicht mehr zeitgemäß. Über zwei Drittel der Befragten befürworten den Geschwisternachzug, 96 Prozent und damit nahezu alle Befragten gaben an, dass Geschwister für Kinder nach ihrer Meinung zur Kernfamilie gehören. Als Teil der Kernfamilie müssen auch sie endlich, genau wie die Eltern, ein Nachzugsrecht erhalten. Entsprechende Erleichterungen aus dem Koalitionsvertrag müssen unverzüglich umgesetzt werden“, so Eckert.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 2021 versprochen, die beschriebenen Missstände aufzuheben, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und den Geschwisternachzug zu erleichtern sowie Verfahren zu beschleunigen und zu digitalisieren. Doch die Umsetzung in gesetzliche Regelungen blieb bislang aus.

„Die notwendigen Verbesserungen beim Familiennachzug waren eines der zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags in Asylfragen. Es ist unsäglich, dass die Bundesregierung diese Verbesserungen weiter verzögert und stattdessen nun neue Verschärfungen bei der Abschiebungshaft plant. Dass nach Deutschland geflüchtete Menschen etwa aus Afghanistan oder Eritrea mehrere Jahre auf ihre Kinder oder Ehepartner*innen warten müssen, ist für sie persönlich und integrationspolitisch eine Katastrophe“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Der Koalitionsvertrag war für zehntausende auf der Flucht getrennte Familien ein Hoffnungsschimmer. Es ist aktuell nicht absehbar, wann dieses Vorhaben nun endlich angegangen wird. PRO ASYL und terre des hommes fordern die Bundesregierung auf, diese unhaltbare Situation zu beenden und durch entsprechende gesetzliche Veränderungen beim Familiennachzug das Recht auf Familienleben der Betroffenen und die damit verbundenen Kinderrechte endlich angemessen zu würdigen.


Soziale Gerechtigkeit für ALLE! Recht auf (Aus)-Bildung! Recht auf Arbeit!

Die Kampagne für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) verurteilt die gesetzliche Zulässigkeit der Arbeitsgelegenheiten in Sammellagern, in die geflüchtete Menschen unfreiwillig eingewiesen werden. Wir fordern die Abschaffung des AsylbLG und ein Ende dieser fragwürdigen Beschäftigung. Die Gewerkschaften fordern wir zum Handeln auf!

Ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung, nämlich geflüchtete Menschen im Asylverfahren und jene mit einer Duldung, unterliegen in Bezug auf soziale und ökonomische Rechte speziellen Gesetzen, u. a. dem ausgrenzenden AsylbLG. Nach dem AsylbLG können geflüchtete Menschen in „Aufnahmeeinrichtungen und vergleichbaren Einrichtungen“ zu Arbeitsgelegenheiten für 80 Cent die Stunde verpflichtet werden. Wer sich weigert, dem droht eine Kürzung der ohnehin schon geringen Leistungen. Laut der Begründung zum Gesetz „dienen“ die Arbeitsgelegenheiten „zudem der Reduzierung von Kosten, die durch reguläre Arbeitskräfte beim Betrieb der Einrichtungen entstehen würden.“ Bei den Einrichtungen handelt es sich um sozialpolitisch entrechtete Räume in denen intensiv in die Grundrechte, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die allgemeine Handlungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung und in die Privatsphäre der Bewohner*innen eingegriffen wird. In Erstaufnahmeeinrichtungen (EAen) existiert für die ersten 9 Monate ein generelles Arbeitsverbot, für manche Geflüchtete z. B. aus sogenannten sicheren Herkunftsländer gilt es dauerhaft. Das International Labour Office (ILO) hat bereits die Arbeitsgelegenheiten unter Androhung des Entzugs der Sozialhilfe angesichts des gleichzeitig verhängten Arbeitsverbotes als nicht vereinbar mit dem auch in der Bundesrepublik unterzeichneten „Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit“ gerügt.

Wir sprechen uns gegen Arbeitsverbote aus, weil diese dazu führen, dass Geflüchtete von
Sozialleistungen (nach dem AsylbLG) abhängig sind. Arbeitsverbote führen zu einer Abwertung und zu psychosozialen Belastungen des Menschen.

Wir sprechen uns gegen Arbeitsverbote von Personen aus, die sich bereits mehrere Monate oder Jahre in Arbeit befanden. Sie verlieren neben ihrer Arbeit auch die (finanziellen) Ansprüche beim Jobcenter und fallen in das AsylbLG zurück. Das generelle Arbeitsverbot für Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern ist sofort aufzuheben. Weiterhin rechtfertigen migrationspolitische Ziele weder eine Kürzung des Existenzminimums noch ein Arbeitsverbot. Dies gilt für die Durchsetzung von aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten oder bei Ausreisepflichten.

Der erzwungene Bezug von Fürsorgeleistungen verstößt gegen Menschen- und Persönlichkeitsrechte. Wir fordern zum 1. Mai 2023 die Abschaffung des Arbeitsverbotes für alle Menschen, die sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, entsprechende Änderungen in verschiedenen Gesetzen und die sofortige Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Bundesweite Kampagne „Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!“, Afghanischer Aufschrei Düsseldorf, Aktion Bleiberecht Freiburg, Bleiberecht für Alle – statt Chancenfalle! Berlin, AK Flüchtlinge Reutlingen, Arbeitskreis kritische Soziale Arbeit Freiburg, Arbeitskreis kritische Soziale Arbeit Hamburg, AWO Kreisverband Mülheim an der Ruhr e.V., Bayerischer Flüchtlingsrat, Bürger*innenasyl Aachen, Café Zuflucht/ Refugio e.V., Cölber Arbeitskreis Flüchtlinge (CAF) e. V, Flüchtlingshilfe Langenfeld e.V., Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V., Flüchtlingsrat Berlin e.V., Flüchtlingsrat Hamburg e.V., Flüchtlingsrat NRW e.V., Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V., Flüchtlingsrat Thüringen e.V., Freiburger Anonymisierter Behandlungsschein e.V. (FRABS), Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Hof e. V., Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz, KOK – Bundesweiter-Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., Kölner Flüchtlingsrat e.V., LEA Watch, Freiburg, Mainzer Flüchtlingsrat, MediNetz Bielefeld, MediNetz Bonn e.V., MediNetz Freiburg, Medinetz Jena e.V., Medinetz Magdeburg e.V., Medinetz Mainz, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV), Regionale Diakonie in Hessen und Nassau gGmbH, Rise Up for Justice Düsseldorf, Seebrücke Freiburg, Seebrücke Jena, Seebrücke Lüneburg, Seebrücke Stuttgart, Seebrück überregional, Seebrücke Witzenhausen, we integrate e.


Psychisch Erkrankte kommen in den „Bunker“

Der suizidgefährdete Tamile Anil* wird in der Abschiebehaft Büren (Nordrhein-Westfalen) in Isolationshaft gehalten und soll heute vom Kreis Wesel nach Sri Lanka abgeschoben werden. Der Anfang 30-jährige war vor der Folter aus Sri Lanka nach Deutschland geflohen. Nach einem abgelehnten Asylantrag wurde der Mann Mitte März zunächst in Pforzheim (Baden-Württemberg) in Abschiebehaft genommen, bevor er Anfang April nach Büren (Nordrhein-Westfalen) verlegt wurde. Unter den Bedingungen der Einzelhaft hat sich sein gesundheitlicher Zustand weiter verschlechtert. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, das Abschiebungsreporting NRW und Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. fordern den Stopp der Abschiebung und die sofortige Freilassung von Anil und kritisieren grundsätzlich, wie mit psychisch erkrankten Menschen in der Abschiebehaft umgegangen wird.


Wenn Anil nachts in der Einzelzelle liegt, tauchen vor ihm immer wieder die Szenen der Folter auf, die auf seinem Rücken lange Striemen hinterlassen hat. Aufgrund seiner tamilischen Zugehörigkeit war der Mann in Sri Lanka verfolgt und gepeinigt worden. Sein Antrag auf Asyl wurde in Deutschland jedoch abgelehnt. Um seine Abschiebung durchführen zu können, wurde er in Abschiebehaft genommen, zunächst in Baden-Württemberg und nun in Nordrhein-Westfalen. Anil leidet unter mehreren diagnostizierten psychischen Erkrankungen. Er hat Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen. Zudem wurde er als selbstmordgefährdet eingestuft. Letzteres ist der Grund, wieso er in der Abschiebehaft Pforzheim und auch Büren in eine isolierte Zelle gesteckt wurde. Unter den Insassen mancher Abschiebehaftanstalten gelten diese speziellen Hafträume auch als „Bunker“. Tag und Nacht werden die Menschen dort alle 15 Minuten vom Sicherheitspersonal kontrolliert. An Schlaf ist bei dieser „Lebendkontrolle“ nicht zu denken. Anil wurden außerdem fast alle Gegenstände zur Freizeitgestaltung entzogen. Nach seinen eigenen Aussagen wünscht er sich nichts mehr, als Kontakt zu anderen Menschen, um ein Gespräch führen zu können, allerdings hat er in Büren noch nicht einen Mithäftling kennenlernen können. Seit seiner Inhaftierung in Baden-Württemberg Mitte März hat sich sein gesundheitlicher Zustand wesentlich verschlechtert.


„Es ist menschenverachtend, wie mit psychisch Erkrankten in der Abschiebehaft umgegangen wird. Immer wieder werden Menschen, die als selbstmordgefährdet gelten, in Einzelhaft genommen – angeblich zu ihrem Schutz. De facto geht es aber nur darum zu verhindern, dass sie sich bis zur Abschiebung umbringen. Eine psychologische Betreuung, mit dem Ziel, den Gesundheitszustand zu verbessern, ist in der Haftsituation und wegen der Unsicherheit durch die drohende Abschiebung praktisch nicht möglich“, kommentiert Frank Gockel, Pressesprecher des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren. „Nach den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen der Vereinten Nationen („Nelson-Mandela-Regeln“, A/RES/70/175 vom 17. 12. 2015) ist Langzeit-Einzelhaft, die mehr als 15 Tage dauert, ausdrücklich verboten (Regel 43 und 44). Sie wird unter den Maßnahmen, die Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gleichkommen eingeordnet“, so Gockel weiter. „Wieder will eine Ausländerbehörde in NRW, hier der Kreis Wesel, einen schwer erkrankten und suizidgefährdeten Mann abschieben. Mit dieser Praxis muss endlich Schluss sein. Auch gehören die Bedingungen in der Black Box Abschiebegefängnis Büren endlich auf den Prüfstand. Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung hat im Koalitionsvertrag 2022 versprochen, dass sie eine Abschiebehaft für vulnerable Personengruppen ablehne. Wenn sie nicht gelogen hat, darf sie Menschen wie Anil nicht in Büren einsperren“, so Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW.


Im Gegensatz zu weit verbreiteten Annahmen befinden sich Menschen nicht aufgrund von Straftaten in Abschiebehaft, sondern weil sie als ausreisepflichtig gelten und der Staat ihre Abschiebung vorbereiten will. So befinden sich unter den Insassen auch viele geflüchtete Menschen, deren Asylanträge in Deutschland abgelehnt wurden, wie eben auch im Fall von Anil. Dabei ist bekannt, dass es gerade für Menschen mit schweren Gewalterfahrungen schwierig ist, den deutschen Behörden die Gründe für ihre Verfolgung im Asylverfahren überzeugend zu schildern. „Wir fordern, dass Anil aus humanitären Gründen sofort aus der Abschiebehaft entlassen wird und Zugang zu psychologischer Betreuung bekommt. Es ist ganz offensichtlich, dass Suizidgedanken nicht mit Isolationshaft auskuriert werden können. Generell gilt: Flucht und Migration sind keine Verbrechen und Menschen sollten hierfür nicht eingesperrt werden!“, so Anja Bartel vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

*Zum Schutz der betroffenen Person und ihrer Familie wurde der Name geändert.


Mit Ausbildungsvertrag in der Abschiebehaft

Obwohl ein Ausbildungsvertrag vorliegt, soll Abdul S. Ende April in die Türkei abgeschoben werden. Aktuell sitzt der 22-jährige Kurde in der Abschiebehaft Pforzheim. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert die Landesregierung dazu auf, die Abschiebung des angehenden Auszubildenden auszusetzen und kritisiert das Instrument der Abschiebungen generell als menschenfeindlich.


Mit 22 Jahren träumt Abdul S. von einer Zukunft in Deutschland, genauer gesagt in Ketsch – einem kleinen Dorf im Rhein-Neckar-Kreis: Er lernt fleißig Deutsch, macht Praktika und besucht eine Berufsschule in Mannheim. Doch Anfang April ist Schluss damit – Abdul S. soll abgeschoben werden und landet in der Abschiebehaft Pforzheim. Obwohl er inzwischen einen Ausbildungsvertrag als Verkäufer bei einem Bäckereibetrieb vorgelegt hat, wird weiter an der Abschiebung festgehalten. Zwar hat Adbul S. einen Asylfolgeantrag gestellt, allerdings ist der Ausgang dieses Verfahrens unsicher. In den nächsten Tagen ist mit der Abschiebung zu rechnen.


Abdul S. war im Sommer 2021 zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland geflohen. Wie viele Kurd*innen wurde die Familie in der Türkei verfolgt. Ihre Asylanträge waren in einem ersten Schritt abgelehnt worden. Die Eltern stellten Asylfolgeanträge, da sie neue Gründe vorlegen konnten, die für einen Schutzstatus sprechen. Während Abdul S. minderjährige Geschwister aufgrund des andauernden Verfahrens vorerst in Deutschland bleiben dürfen, gilt dies für ihn als volljährigen Sohn nicht. Das ist absurd, denn nur aufgrund seiner Volljährigkeit droht Abdul S. bei einer Rückkehr in die Türkei keine geringere Gefahr als seiner Familie.


Im Fall von Abdul S. spiegeln sich mehrere Absurditäten der aktuellen Abschiebungspraxis: So würde der junge Mann durch eine Abschiebung von seiner Familie getrennt. Außerdem erscheint es im Kontext des Arbeits- und Fachkräftemangels besonders absurd, dass ein angehender Auszubildender abgeschoben werden soll. Der Flüchtlingsrat verurteilt generell Abschiebungen als menschenfeindliche Praxis. Menschen sollten nicht gegen ihren Willen gewaltsam aus einem Staat entfernt werden. Abschiebungen zerstören Lebenswege und haben häufig langfristige traumatische Konsequenzen für die Betroffenen.


Wir appellieren an die Landesregierung: Stoppt die Abschiebung von Abdul S. und lasst ihn in Frieden sein Leben führen!


Bis heute keine Einreise

Seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 verschlimmert sich die Lage in Afghanistan dramatisch. Das Land versinkt im Chaos, während die Taliban zunehmend brutal gegen Frauen, Mädchen und Oppositionelle vorgehen. Begrüßenswert war die Entscheidung der Bundesregierung, ein Bundesaufnahmeprogramm für akut gefährdete Afghan*innen einzurichten. Doch sechs Monate nach dessen Einführung weist das Programm eine traurige Bilanz auf: Bislang ist in dessen Rahmen nicht eine einzige Einreise nach Deutschland erfolgt. Im Oktober 2022 hatte die Bundesregierung verkündet, das im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte Afghan*innen endlich umzusetzen. Zusätzlich zum Ortskräfteverfahren, dem humanitären Visa-Verfahren sowie dem Familiennachzug sollte damit eine Möglichkeit geschaffen werden, bedrohte Menschen in Deutschland aufzunehmen. Von Beginn an kritisierten Menschenrechtsorganisationen, zum Beispiel Pro Asyl, insbesondere das Verfahren der Bundesregierung zur Auswahl der Menschen nach einem automatisierten Algorithmus-Verfahren, die Intransparenz der Auswahlkriterien und die Bedingung der Antragstellung für die Betroffenen. Vor allem wurden Afghan*innen, die sich in einem Drittstaat befinden, vom Programm ausgeschlossen. Auch können sich Schutzsuchende nicht selbst für das Aufnahmeprogramm bewerben und ihre Daten eigenständig eintragen. Dies dürfen nur ausgewählte Organisationen in Deutschland tun, die sich als „meldeberechtigte Stellen“ für das Bundesaufnahmeprogramm registrieren lassen. Nicht alle „meldeberechtigten Stellen“ werden öffentlich bekannt gegeben, sodass Schutzsuchende aus Afghanistan häufig nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen.

Am 30. März kam außerdem die überraschende Ankündigung des Auswärtigen Amtes, man würde vorerst alle Visaverfahren für afghanische Menschen aussetzen. Grund wäre eine Optimierung der Sicherheitsprozesse. Sogar Menschen, die bereits ein Visum erhalten haben, sollen nicht einreisen dürfen. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kritisiert die Aussetzung des Visaverfahrens und die Verhinderung der Einreise trotz bereits erhaltenen Visa aufs Schärfste. Eine Optimierung von Prozessen kann nicht zu Lasten von Menschen gehen, die sich in Lebensgefahr befinden. PRO ASYL hält die Verhinderung der Einreise von Menschen mit Visum für rechtswidrig. Wenn ein Visum erteilt wurde, haben bereits alle erforderlichen Prüfungen stattgefunden, es darf dann nicht einfach, ohne jegliche Rechtsgrundlage, die Einreise verhindert werden.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fordert die Bundesregierung dazu auf, das Bundesaufnahmeprogramm so zu überarbeiten, dass gefährdete Afghan*innen tatsächlich aufgenommen werden können. Es ist ein Skandal, dass bis heute nicht eine Person im Rahmen des Programms nach Deutschland gelangt ist. „Bedrohte Afghaninnen und Afghanen dürfen nicht im Stich gelassen werden!“, so Sadiq Zartila vom Flüchtlingsrat.