Familientrennung durch Abschiebung

Ende Oktober 2022 kam es in Baden-Württemberg bei einer Abschiebung nach Georgien zur Trennung einer Familie. Während die Polizei Mutter und Kinder im Alter von drei, fünf und sechs Jahren am frühen Morgen aus ihrer Unterkunft abgeholt hatte, wurde der Vater der Familie in Deutschland zurückgelassen.
Gegen fünf Uhr morgens drang die Polizei am 17.10.2022 in die Unterkunft der fünfköpfigen georgischen Familie in Baden-Württemberg ein, deren Asylantrag zu Beginn des Jahres endgültig abgelehnt worden war. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Mutter und Kinder allein in der Unterkunft. Laut Berichten der Familie flehte die Mutter die Polizist*innen an, sie mögen mit der Abschiebung warten, bis ihr Ehemann zurückgekehrt sei. Die Beamten hätten ihr allerdings ihr Mobiltelefon abgenommen, so dass sie über keine Möglichkeit verfügte, diesen zu kontaktieren. Die Abschiebung der Mutter und Kinder sei in großer Hektik durchgeführt worden. In Georgien angekommen seien sie völlig mittellos sich selbst überlassen worden. Der Ehemann, der die gemeinsame Unterkunft bei seiner Rückkehr leer vorgefunden hatte, ist inzwischen „freiwillig“ nach Georgien ausgereist. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg verurteilt diese Abschiebepraxis aufs Schärfste. „Offensichtlich sind der Landesregierung Abschiebungen wichtiger als der Schutz der betroffenen Familien und Kinder. Ich bin immer wieder schockiert davon, welche menschlichen Tragödien in Kauf genommen werden, um die Abschiebezahlen zu steigern“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat. Dass es im Vorfeld von Abschiebungen zur Beschlagnahmung von Handys kommt, hat der Flüchtlingsrat schon häufiger beobachtet. Dies sabotiert nicht nur die Möglichkeit der Betroffenen, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren, sondern erschwert ihnen auch nach der Ankunft im Herkunftsland die Kontaktaufnahme zu Unterstützer*innen.
Grundsätzlich sind durch Abschiebung herbeigeführte Familientrennungen in Baden-Württemberg legal. Laut der baden-württembergischen Leitlinien zur Abschiebepraxis im Land sollen bei drohenden Familientrennungen allerdings die Grundsätze des Artikels 6 des Grundgesetzes zum besonderen Schutz der Familie sowie des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens berücksichtigt werden. „Dabei ist grundsätzlich fragwürdig, inwiefern sich diese Grundsätze überhaupt mit Familientrennungen vereinbaren lassen“, kommentiert Meike Olszak vom Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat fordert eine
grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem migrationspolitischen Instrument der Abschiebungen. Zahlreiche Studien haben die drastischen Auswirkungen, die Abschiebungen für Betroffene haben, zur Genüge untersucht. Insbesondere bei Kindern und Jugendliche hinterlässt diese menschenfeindliche Praxis langfristig Spuren.


Pforzheim: Theaterprojekt Lampedusa Trilogie

Auf Initiative des Lore Perls Hauses (für seelische Gesundheit) Pforzheim und Unterstützung durch das Kulturhaus Osterfeld versammeln sich Künstler, Autoren, Schauspieler*innen, Bürger*innen der Stadt für dieses Theaterprojekt.
Zehn Jahre sind seit dem berühmten Brief der Bürgermeisterin Lampedusas Giusi Nicolini an die europäischen Staatschefs vergangen und ihre Worte: „Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint. Ich bin entrüstet über das Schweigen Europas, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl hier die Zahl der Toten daran glauben lässt, es wäre Krieg.“ sind aktueller denn je und Anlass für diese Inszenierung.
Sein 2014 geschriebenes und 2016 uraufgeführtes Stück „Die Bürgermeisterin Lampedusas“ erweiterte der Neuenbürger Autor und Psychologe Dietrich Wagner um zwei weitere dramatische Texte. „Napoleon der Fünfte“ liefert die Innenansicht eines Staatsdieners, der sich an der Erkenntnis abarbeitet, dass die „Geschichte mit toten Gäulen ins Ziel reitet“. Er stellt, beunruhigt durch zu viele Siege, den Sinn politischen Handelns in Frage. Im letzten Teil der Trilogie mit dem Titel „Die Revolutionäre“ lässt Wagner die beiden Spieler*innen aus Teil 1 und Teil 2 aufeinandertreffen und nach politischen Alternativen ringen. Durch alle drei Teile zieht sich wie ein roter Faden die Frage nach der persönlichen Verantwortung des Einzelnen. In der Regie von Hannes Hametner wird dieses Triptychon zu einem Spiel mit den Möglichkeiten des Theaters. Neben der Arbeit mit den Schauspieler*innen führte er in einem wochenlangen Workshop für diese Arbeit einen Chor von Bürger*innen aus Pforzheim und des Enzkreises zusammen und entwickelte mit Ihnen ihren Ausdruck für die Inszenierung.
Im Anschluss an die jeweilige Vorstellung (gegen 21 Uhr) findet ein Publikumsgespräch mit Autor, Regisseur, Schauspieler*innen und Vertreter*innen aus Politik, Kultur und der Zivilgesellschaft statt.

Mit: Friederike Pöschel, Lutz Wessel und Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Pforzheim und des Enzkreises. Text: Dietrich Wagner, Regie/Raum: Hannes Hametner, Regieassistenz: Selda Falke, Kostüme: Mareile von Stritzky

Premiere am 14.12.2022 19 Uhr
zweite Vorstellung am 15.12. 2022 19 Uhr
im Kulturhaus Osterfeld, Pforzheim


Ministerin Gentges gegen Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan

In einem an Bundesinnenministerin Nancy Faeser versandten Brief spricht sich Marion Gentges gegen die Aufnahme afghanischer Geflüchteter im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms aus. Damit revidiert die Ministerin die bisherige Position der Landesregierung und nimmt offen in Kauf, dass auch besonders schutzbedürftige Afghan*innen der Schreckensherrschaft der Taliban ausgesetzt bleiben.

Nach langem Zögern hatte die Bundesregierung diesen Oktober den Start des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan angekündigt, in dessen Rahmen 1000 Afghan*innen pro Monat aufgenommen werden sollen. Im Programm angelegte Hürden für Betroffene, sowie dessen intransparenter Auswahlmechanismus stehen aktuell stark in Kritik. In einem diesen November an Bundesinnenministerin Faeser adressierten Brief hat die baden-württembergische Justizministerin Gentges nun selbst diesem Bundesaufnahmeprogramm ihre Unterstützung entzogen. Eine Aufnahme afghanischer Geflüchteter sei aktuell „unverantwortlich“, verkündet sie wohl in dem Schreiben. „Die Aussagen, die Gentges in ihrem Brief getroffen hat, haben mich zutiefst bestürzt“, berichtet Lucia Braß, erste Vorsitzende des Flüchtlingsrats. „Sie zeugen von einer erschreckenden Gleichgültigkeit dem Schicksal unzähliger Afghan*innen gegenüber, die weiterhin unter Lebensgefahr im Taliban-Regime ausharren.“

Aus der Perspektive des Flüchtlingsrats ist Gentges Position umso schockierender, als dass das Justizministerium dem Verein gegenüber noch zu Beginn des Jahres versprochen hatte, in Kooperation mit dem Bund „schnelle und zufriedenstellende Lösungen für die Personen in Afghanistan“ finden zu wollen. Vorausgegangen war eine Petition, in der der Flüchtlingsrat zusammen mit 10 000 Unterzeichner*innen sichere Fluchtwege aus Afghanistan, aufenthaltsrechtliche Sicherheit für hier lebende Afghan*innen, sowie die Auflage eines Landesaufnahmeprogramms Afghanistan gefordert hatte. Diese Petition war dem für Migrationsfragen zuständigem Justizministerium im Dezember 2021 überreicht worden. Insbesondere die Forderung nach einem Landesaufnahmeprogramm Afghanistan hatte das Justizministerium allerdings mit Verweis auf das sich anbahnende Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan vehement zurückgewiesen.

Wie lässt sich die plötzliche Kehrtwende erklären? In ihrem Brief an die Bundesinnenministerin argumentiert Gentges wohl mit den hohen Zugangszahlen ukrainischer Geflüchteter, die zu einer Überbelastung der Aufnahmestruktur geführt hätten. Mit dieser Aussage bekräftigt Gentges nicht nur, dass es in ihren Augen Geflüchtete erster und zweiter Klasse gibt. Ihre Notstandsrhetorik schürt darüber hinaus eine flüchtlingspolitische Abwehrhaltung in der Bevölkerung. „Die Schutzbedürftigkeit von Afghan*innen wird faktisch durch die Aufnahme von Ukrainer*innen jedoch nicht relativiert“, kommentiert Anja Bartel vom Flüchtlingsrat.