Protest gegen Massenunterkünfte in Freiburg

Anlässlich der anstehenden Evaluation der LEA Freiburg im Migrationsausschuss der Stadt findet am Samstag, 24. April, um 14 Uhr auf dem Platz der alten Synagoge in Freiburg eine Kundgebung unter dem Motto „Keine Lager – keine LEA – Ja zu selbstbestimmtem Wohnen!“ statt. Auch der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg wird mit einem Redebeitrag bei der Kundgebung vertreten sein.

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Landesweiter Protesttag richtet Forderungen an neue Regierung

In insgesamt neun baden-württembergischen Städten fanden an diesem Wochenende Protestaktionen des Bündnis Sicherer Hafen Baden-Württemberg statt. Das an die Grünen gerichtete Motto: „Ans Ganze denken, heißt an ALLE denken“ wurde dabei mit einem offenen Brief vom Bündnis an die Partei unterstrichen.
Ines Fischer von der Seebrücke Baden-Württemberg: „Der heutige Aktionstag sowie der offene Brief zeigen, dass wir als Zivilgesellschaft mit den Ergebnissen, die aus den Sondierungsgesprächen zwischen CDU und Grünen bekannt wurden, nicht einverstanden sind. Die Grünen, die viele progressive Positionen im Bereich der Migration in ihrem Wahlprogramm vertreten hatten, müssen sich als stärkste Kraft deutlicher gegen die Blockadehaltung der CDU durchsetzen.“
Sean McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: „Die Politik der vergangenen 5 Jahre darf sich einfach nicht fortsetzen. Baden-Württemberg muss seiner Verantwortung für geflüchtete Menschen an den Außengrenzen, sowie der Schutzsuchenden im Land endlich gerecht werden.“
Henri Dubois von der Seebrücke Baden-Württemberg: „Wir brauchen ein Landesaufnahmeprogramm für die gestrandeten Menschen an den EU-Außengrenzen. Wir brauchen ein Umdenken darin, Menschen in einer Pandemie in Sammelunterkünften unterzubringen und wir brauchen eine Kehrtwende beim Bleiberecht.“
Das Bündnis Sicherer Hafen Baden-Württemberg hat über 180 unterstützende Initiativen im Land und hat sich zum Ziel gemacht das Land zu einem sicheren Hafen zu machen. Dazu gehören neben einem Landesaufnahmeprogramm, langfristige Bleiberechte, keine Beteiligungen an Frontex-Einsätzen und die Schließung der Pforzheimer Abschiebehaftanstalt.


Tamilen droht die Auslieferung an Genozid-Verantwortliche

Ende März sind in Baden-Württemberg fünf Menschen tamilischen Ursprungs verhaftet und in die Abschiebungshaft Pforzheim gebracht worden, um von dort aus nach Sri-Lanka abgeschoben zu werden. Einer von ihnen wurde nach eigenen Angaben beim Eintreffen an seiner Schule in Nürtingen festgenommen und an Händen und Füßen gefesselt. Angesichts der zunehmenden Kritik – beispielsweise in einem aktuellen Bericht der UN-Menschenrechtsbeauftragten – an der Repression gegen Minderheiten und Oppositionelle – hält der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg diese Abschiebungen für nicht vertretbar. In Nordrhein-Westfalen befinden sich aktuell über 30 Tamilen in Abschiebungshaft, was auf die Vorbereitung einer bundesweiten Sammelabschiebung hindeutet.

Am vergangenen Freitag hatte sich Gajendrakumar Ponnambalam, tamilischer Abgeordneter im Parlament von Sri Lanka, mit einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt. Darin warnte er, die Abschiebung werde die laufenden internationalen Bemühungen bezüglich der vergangenen und gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka behindern. Er weist auf die „ernsthafte Verschlechterung“ der Menschenrechtslage seit Amtsantritt der aktuellen Regierung hin. Auch einige andere Politiker*innen und Menschenrechtsorganisationen haben in den letzten Tagen Protestbriefe an die Bundesregierung verfasst.

Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg erklärt dazu: „Im Gegensatz zur UNO und zu einigen anderen europäischen Staaten scheint Deutschland noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben, dass die Verantwortlichen für den Genozid an der tamilischen Bevölkerung, wie der heutige Präsident und damaligen Armeechef Gotabaya Rajapaksa, wieder an der Macht sind, und nicht nur jede Aufklärung der damaligen Verbrechen verhindern, sondern dazu noch mit Repression bis hin zur Folter gegen die tamilische Bevölkerung vorgehen. Während die UN-Menschenrechtsbeauftragten internationale Sanktionen gegen die Genozid-Verantwortlichen und eine Neubewertung von Asylanträgen von Tamil*innen fordert, liefern Deutschland und Baden-Württemberg Tamilen an die Genozid-Verantwortlichen aus. Das ist absolut indiskutabel und muss umgehend gestoppt werden!“

Nachtrag: Am 30. März wurden in Rahmen einer Sammelabschiebung insgesamt 24 Personen nach Sri Lanka abgeschoben, darunter eine Person aus Baden-Württemberg. Bei vier der fünf Personen, die sich in Pforzheim in Abschiebungshaft befanden, wurde die Abschiebung kurzfristig gestoppt.


Aufruf für ein Landesantidiskriminierungsgesetz

Über 60 landesweit bedeutsame Verbände und Organisationen – darunter auch der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg – haben sich der Forderung nach einem Landesantidiskriminierungsgesetz für Baden-Württemberg angeschlossen. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Betroffenenorganisationen und Berufsverbänden erwarten mit dem gemeinsamen „Aufruf Diskriminierungsschutz gewährleisten – die Schutzlücke schließen“ (www.aufruf-ladg.de) von den Parteien im Baden-Württembergischen Landtag, im Koalitionsvertrag für die kommenden Legislaturperiode ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) zu verankern.

Der von der Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung initiierte Aufruf kritisiert die bestehenden Schutzlücken besonders in Bereichen des staatlichen Handelns. Ein Landesantidiskriminierungsgesetz würde auch im Bildungsbereich, in Behörden und Ämtern wie dem Finanzamt, dem Gesundheitsamt, dem Bürger*innenbüro oder der Ausländerbehörde, sowie der Landespolizei oder der kommunale Ordnungsbehörde den gleichen Diskriminierungsschutz gewährleisten, der bereits im Arbeits- und Zivilrecht besteht.

Die Verbände fordern darüber hinaus bei der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung eines LADG in Baden-Württemberg beteiligt zu werden. Nur ein Prozess, der die Stimmen von zivilgesellschaftlichen Akteuren einbezieht, garantiert ein LADG, das an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert ist.

Sie wünschen sich eine Landesregierung, die sich klar gegen Diskriminierung positioniert und ein Land, in dem Menschen, die Diskriminierung erfahren, auf eine starke Landesgesetzgebung vertrauen können. 

Der von der Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung initiierte Aufruf kritisiert die bestehenden Schutzlücken besonders in Bereichen des staatlichen Handelns. Ein Landesantidiskriminierungsgesetz würde auch im Bildungsbereich, in Behörden und Ämtern wie dem Finanzamt, dem Gesundheitsamt, dem Bürger*innenbüro oder der Ausländerbehörde, sowie der Landespolizei oder der kommunale Ordnungsbehörde den gleichen Diskriminierungsschutz gewährleisten, der bereits im Arbeits- und Zivilrecht besteht.

Die Verbände fordern darüber hinaus bei der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung eines LADG in Baden-Württemberg beteiligt zu werden. Nur ein Prozess, der die Stimmen von zivilgesellschaftlichen Akteuren einbezieht, garantiert ein LADG, das an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert ist.

Sie wünschen sich eine Landesregierung, die sich klar gegen Diskriminierung positioniert und ein Land, in dem Menschen, die Diskriminierung erfahren, auf eine starke Landesgesetzgebung vertrauen können. 

Der Aufruf kann von Organisationen und Einzelpersonen unterschrieben werden.

Zum Aufruf

Unterzeichnungsmöglichkeit


Netzwerk Pro Sinti & Roma gegründet

Die Anlaufstelle Pro Sinti & Roma der katholischen Seelsorgeeinheit Waldkirch besteht seit 2017 und wird von Kemal Ahmed geleitet. Über die Jahre haben sich die Arbeit und der Betreuungsradius der Anlaufstelle auf ganz Baden-Württemberg ausgeweitet, sodass nun ein Netzwerk mit lokalen Ansprechpartnern gegründet wurde.
Das Netzwerk Pro Sinti & Roma hat seinen offiziellen Start im März. Es ist ein Austausch- und Hilfsnetzwerk, in dem unter der Leitung und Koordination von Kemal Ahmed mittlerweile Haupt- und Ehrenamtliche von Lörrach über Mannheim bis Nürtingen zusammenarbeiten. Die Anlaufstellen bieten Beratung an. Neben Kemal Ahmed ist Adem Ademi für Lörrach/Rheinfelden tätig, Slavica Husseini im Raum Mannheim/Karlsruhe sowie Michaela Saliari und Manuel Werner für Nürtingen und Umgebung. Die genannten Ansprechpartner sind potentiellen Zielgruppenangehörigen vor Ort zum Teil bereits persönlich bekannt, weil sie schon bislang lokal
tätig sind. Einige davon gehören selber zur Sinti- beziehungsweise Roma-Community.
Tätigkeitsbereiche vor Ort bestehen zum Beispiel in der Verbesserung des Zugangs für Beschäftigung, der Vermittlung von Angeboten, der Verweisberatung, der Zusammenarbeit mit Bildungs- und weiteren Institutionen vor Ort, der Koordination von gemeinnütziger Arbeit in den Kommunen und des Empowerments von Sinti- und Romafrauen.
Die Anlaufstelle versteht sich als eine Vermittlungs-, Kontakt- und Beratungsstelle zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten für Sinti und Roma. Sie ist zunächst für deutsche Sinti und Roma wie auch für nichtdeutsche Sinti und Roma im Land Baden-Württemberg ein Ansprechpartner. Dies können geflohene Sinti und Roma aus Nicht-EU-Ländern sein wie auch MigrantInnen innerhalb der EU sowie in Deutschland geborene, ob mit oder ohne Migrationserbe.
Eine weitere Zielgruppe sind aber auch ehrenamtliche Bürger, die sich für Sinti und Roma auf kommunaler Ebene einsetzen wie auch Institutionen.

Kontakt kann über die E-Mail-Adresse k.ahmed@ksew.de erfolgen.

Fotohinweis: Treffen von Netzwerkinteressierten bei Pro Sinti & Roma 2019 in Waldkirch


Klage gegen Hausordnung der LEA Freiburg eingereicht

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), die Aktion Bleiberecht Freiburg, PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg haben gemeinsam mit vier Geflüchteten einen Eilantrag gegen die Hausordnung der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingereicht. „Es gibt wenige Orte in Deutschland, wo Grundrechte so wenig gelten wie in Geflüchteten-Unterkünften“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. „Die Landesregierung schränkt zentrale Rechte in den Einrichtungen unverhältnismäßig ein – und das ohne jede gesetzliche Grundlage.“

Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, müssen viele Monate, teilweise sogar jahrelang in Erstaufnahmeeinrichtungen leben. In Baden-Württemberg hat die Landesregierung für alle Einrichtungen eine einheitliche Hausordnung verabschiedet. Die Bewohner*innen dürfen keinen Besuch empfangen. Sie müssen es akzeptieren, dass der Sicherheitsdienst täglich Zimmer- und Taschenkontrollen durchführt. Selbst einfache Haushaltsgegenstände wie einen Gebetsteppich oder eine Packung Reis dürfen sie nicht mit auf ihr Zimmer nehmen. Auf dem gesamten Gelände ist es ihnen verboten, sich politisch zu betätigen oder gemeinsam zu beten. „Manche von uns leben hier seit Jahren und wir dürfen nicht mal unsere Zimmertüren abschließen. Stattdessen macht das Personal täglich Zimmerkontrollen – als wären wir Kleinkinder oder Verbrecher, die man ständig überwachen muss“, sagt Ba*, einer der vier Kläger. „Wir klagen gegen die Hausordnung, weil wir wie normale Menschen behandelt werden wollen.“

Zahlreiche Grundrechte verletzt

Die Hausordnung greift in zahlreiche Grundrechte der Bewohner*innen ein, insbesondere in die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungs- und Religionsfreiheit, in den Schutz der Familie und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese Grundrechtseingriffe sind weder zum Schutz anderer Bewohner*innen noch aus Sicherheitsgründen erforderlich.
Darüber hinaus fehlt die erforderliche Gesetzesgrundlage: Weitreichende Grundrechtseingriffe dürfen keinesfalls auf eine einfache Hausordnung gestützt werden. Mit Blick auf Schulen und Gefängnisse hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass alle Regelungen, die wesentlich in die Grundrechte von Schüler*innen und Gefangenen eingreifen, in Gesetzen getroffen werden müssen – und nicht in Schul- oder Gefängnisordnungen. Dies gilt auch für Geflüchteten-Unterkünfte.

Baden-Württemberg ist nur eines von vielen Bundesländern, die die Grundrechte von geflüchteten Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen unverhältnismäßig stark einschränken. „Unsere Klage bezieht sich auf die Hausordnung der Einrichtung in Freiburg, die wortgleich in ganz Baden-Württemberg Anwendung findet. Aber sie betrifft mittelbar alle Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland“, sagt Lincoln. „Es darf in diesem Land keine Räume geben, in denen die Grundrechte nicht gelten.“

Bereits am 16. Dezember 2020 reichte das Bündnis aus GFF, Aktion Bleiberecht Freiburg, PRO ASYL und Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein, mit dem es erreichen will, dass das Gericht Teile der Hausordnung für ungültig erklärt. Heute ist dieser um einen Eilantrag ergänzt worden, um für die Kläger eine rasche Entscheidung zu erwirken. Die vier Kläger sind aus Ghana und Senegal geflohen und beantragen Asyl in Deutschland.

* Auf Wunsch des Klägers veröffentlichen wir nur seinen Vornamen.


Weitere Informationen zum Verfahren finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/hausordnung

Weitere O-Töne der Kläger finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/iv-hausordnung


Öffentliches Gedenken an Sali Krasniqi

Sali Krasniqi ist am 12. März, fünf Monate nach seiner Abschiebung, im Kosovo gestorben. Freund*innen und Unterstützer*innen wollen nun in Biberach öffentlich seiner Gedenken, gemeinsam trauern und Solidarität mit seinen Hinterbliebenen ausdrücken. Sie wollen auch die dringende Rückholung seiner Witwe Mire fordern, die – ihrerseits ebenfalls mit schweren gesundheitlichen Problemen – nun alleine in einer ihr fremden Umgebung ist.

Die Unterstützer*innen schreiben in Ihrem Aufruf:

Vor 28 Jahren dem Krieg in Jugoslawien entflohen, in Oberschwaben mit seiner Frau für seine 6 Kinder, 17 Enkelkinder ein Zuhause aufgebaut. Ende letzten Jahres – inzwischen schwer krank – mit seiner Frau in den Kosovo (einem Corona-Hochrisikogebiet) abgeschoben, von seinen Kindern und Enkelkindern getrennt, nach 5 Monaten dort gestorben. Wir trauern um ihn und sind empört, denn Sali hätte mit einer ausreichenden Gesundheitsversorgung überleben können. Sali ist das Opfer einer unmenschlichen Abschiebungspolitik. Und wir müssen uns jetzt sorgen, dass Mire, seine Frau, das nächste Opfer wird: sie ist schwer depressiv in dieser Situation – sie trauert um ihren Mann, ist getrennt von der Familie, hat kaum Hilfe, denn sie hat nicht einmal die kosovarische Staatsbürgerschaft.

Wir fordern:

Die unmenschliche Abschiebepolitik muss aufhören – Humanität muss endlich Vorrang haben!

Mire muss sofort wieder nach Hause gebracht werden – denn das ist in Oberschwaben im Kreis ihrer Familie! Vielleicht kann sie dann ihre furchtbare Erfahrung verarbeiten.

Bitte bringt zum Zeichen Eurer Anteilnahme viele Blumen mit!


Vom Willkommen zur Abschottung in Deutschland und Europa

Vor 10 Jahren, im März 2011, begannen erste Proteste im Zuge des »Arabischen Frühlings« in verschiedenen Städten Syriens. Was mit der Hoffnung auf mehr Freiheit, Würde und Demokratie begann, wurde durch die Reaktion des Regimes zu einem blutigen Bürgerkrieg und schließlich einem komplexen internationalen Stellvertreterkrieg. Die Bilanz nach 10 Jahren ist desaströs: Laut dem UNHCR sind 5,6 Millionen Menschen aus Syrien geflohen – primär in die Nachbarländer Libanon, Türkei und Jordanien -, weitere 6,6 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens vertrieben. Nachdem syrische Flüchtlinge jahrelang in den Erstaufnahmeländern im Stich gelassen wurden, kam es 2015 zu einer großen Fluchtbewegung nach Europa. Auf die Willkommenskultur folgten viele Restriktionen. Mit dem Auslaufen des Abschiebungsstopps wird jetzt die Annäherung an Assad geprobt.

Vollständige Pressemitteilung auf der Website von Pro Asyl


Nach 28 Jahren abgeschoben, fünf Monate später tot

Pressemitteilung: Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung und Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, 12.03.2021

Wir trauern um Sali Krasniqi, der fünf Monate nach seiner Abschiebung aus dem Landkreis Biberach, heute morgen im Kosovo gestorben ist.

In der Nacht vom 11. auf den 12. März ist Sali Krasniqi gestorben. Er war am 12. Oktober aus dem Kreis Biberach, gemeinsam mit seiner Frau Mire G. in den Kosovo abgeschoben worden. Zuvor hatte das Paar fast 29 Jahre in Deutschland gelebt. Die gesamte Familie lebt in Deutschland: Sechs Kinder, 17 Enkel, ein Urenkel und die Mutter von Mire G. Sali Krasniqi wurde 62 Jahre alt. Er war drei mal am Herz operiert worden und war auf regelmäßige medizinische Betreuung angewiesen. Den Behörden, der Ausländerbehörde Biberach, den Regierungspräsidien Tübingen und Karlsruhe, war der Gesundheitszustand bekannt. Trotzdem wurde das Paar abgeschoben, obwohl es viele gute Gründe für die Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts gegeben hätte. Nach der Abschiebung hatte sich der Gesundheitszustand von Sali Krasniqi massiv verschlechtert.

Gegen die Abschiebung wurde im Dezember 2020 beim Regierungspräsidium Karlsruhe ein Antrag auf sofortige Rückholung gestellt. Das RP reagierte zunächst nicht, das Innenministerium von Baden-Württemberg verteidigte das Vorgehen. Eine Klage gegen die Abschiebungen läuft derzeit noch beim zuständigen Verwaltungsgericht. In einer Onlinepetition forderten knapp 40.000 Menschen die sofortige Rückholung des Ehepaars.

Ohne die Abschiebung, das lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen, wäre Sali Krasniqi noch am Leben. Eine adäquate medizinische Behandlung war im Kosovo nicht möglich. Sali Krasniqi starb getrennt vom Großteil seiner Angehörigen. Dieser tragische Tod von Sali Krasniqi muss Konsequenzen haben. Die Grün-Schwarze Landesregierung trägt eine Mitschuld an seinem Tod. Als erste Maßnahme muss Mire G. umgehend die Wiedereinreise nach Deutschland ermöglicht werden. Die Abschiebung war auch rechtlich höchst fragwürdig. Die gesundheitliche Situation war nicht ausreichend berücksichtigt worden, auch die Verwurzelung und die Schwierigkeiten der Passbeschaffung waren ignoriert worden. Auch wenn es nichts wieder gut machen kann, braucht es eine Entschuldigung der Landesregierung bei der Familie.

Die neue Landesregierung muss ihre Abschiebepolitik nun endlich stoppen. Gerade von den Sammelabschiebungen in den Balkan sind immer wieder, schwer erkrankte Menschen betroffen. Solche tragischen Todesfälle dürfen sich nicht wiederholen. Es herrscht kein Abschiebedefizit, es herrscht ein Defizit an Menschlichkeit. Die baden-württembergischen Behörden müssen zukünftig proaktiv prüfen, ob Krankheiten vorliegen, die in den Abschiebeländern nicht adäquat behandelt werden können und diese Abschiebungen umgehend stoppen.

Ein erster Schritt wäre, eine Regelung, die allen Personen, die schon lange Teil der hiesigen Gesellschaft sind, endlich eine sichere Aufenthaltsperspektive zu bieten.

Humanität muss endlich Vorrang haben!

Abschiebungen stoppen.


„Äußerst zweifelhaft“, dass Abschiebung unbegleiteter Kinder rechtmäßig war

Das Verwaltungsgericht Stuttgart sieht es als „äußerst zweifelhaft“ an, dass die Abschiebung zweier unbegleiteter Minderjähriger aus einer Jugendhilfeeinrichtung der Waldhaus gGmbH nach Albanien am 14. Dezember letzten Jahres rechtmäßig war. Dennoch lehnt das Gericht den Eilantrag auf Rückholung der Kinder ab. Die Entscheidung fällt nun im Hauptsacheverfahren, das sich noch lange hinziehen kann.

Die Unterstützer*innen der 16-jährigen Dana und ihres zwölfjährigen Bruders Edi (Namen geändert) begrüßen, dass aus Sicht des Gerichts Vieles dafür spricht, dass die Behörden ihre gesetzlichen Verpflichtungen bezüglich der Sicherstellung einer Übergabe der Kinder in Albanien nicht erfüllt haben. Sie bedauern allerdings, dass die Gefährdung des Kindeswohls, die durch die wahrscheinlich rechtswidrige Abschiebung entstanden ist, aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend glaubhaft gemacht wurde, um eine Rückholung zu rechtfertigen.
„Rechtlich gesehen reicht die Feststellung, dass eine Abschiebung rechtswidrig war, für sich genommen noch nicht aus, um einen Anspruch auf Rückholung zu begründen. Es muss darüber hinaus ein andauernder rechtswidriger Zustand entstanden sein, der durch die Rückholung beseitigt werden könnte“, erklärt Rechtsanwalt Ruben Hoffmann, der die Kinder vertritt. „Das ist aus unserer Sicht – basierend auf die Schilderungen der Kinder – der Fall, doch leider hat sich das Gericht zumindest im Eilverfahren, wo die Hürden besonders hoch sind, nicht überzeugen lassen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht im Hauptsacheverfahren Erfolg haben werden, und wir bleiben diesbezüglich optimistisch.“  Angesichts der langen Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten, wird es bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch lange dauern – es ist eher unwahrscheinlich, dass eine solche überhaupt noch in diesem Jahr fallen wird. Angesichts der aktuellen Situation der Kinder bereitet dies ihren Unterstützer*innen große Sorgen. „Je länger sich die derzeitige Situation hinzieht, desto gravierender schätzen wir die Auswirkungen ein, die durch die Brüche in der Biographie der Kinder entstehen“, so Cordula Breining, Koordinatorin für unbegleitete Minderjährige im Waldhaus, die nach wie vor im direkten Kontakt mit den Kindern steht und berichtet,  dass sie quasi sich selbst überlassen sind.  „Sie sind nicht mehr bei den Großeltern, sondern beim 21-jährigen Halbbruder. Es ist unklar, wie sie sich finanzieren und versorgen. Wer die Personensorge ausübt, ist unserem Kenntnisstand nach nicht geklärt.“
Aus diesem Grund ist für Michael Weinmann, Bereichsleiter stationärer Bereich beim Waldhaus, die Entscheidung des Gerichts nicht nachvollziehbar: „Es ist für uns unverständlich, dass das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt hat. Wir schätzen die aktuelle Betreuungssituation der Kinder als Kindeswohlgefährdung ein. Durch die Ablehnung des Eilantrags werden die Kinder voraussichtlich noch lange in dieser für sie ungewissen Lage sein, ohne klare Perspektive.“
Diese Einschätzung teilt auch Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: „In gewisser Weise ist es ein Freibrief für staatlichen Rechtsbruch, wenn die zuständige Behörde unter Missachtung des Kindeswohls unbegleitete Minderjährige abschiebt, und damit auch noch durchkommt, wenn die betroffenen Kinder nicht in der Lage sind, die genauen Umstände der eingetretenen Gefährdung gerichtsfest zu dokumentieren.“
Der Fall, der in den vergangenen Wochen eine beachtliche Medienresonanz hervorgerufen hat, bewegt in der Schlussphase des Landtagswahlkampfes viele Menschen im Land und wirft ein Schlaglicht auf die Abschiebungspraxis in Baden-Württemberg. Eine Privatperson, die aus der Zeitung von dem Fall erfahren hat, hat eine Petition gestartet, die binnen einer Woche von über 2500 Personen unterzeichnet wurde.