Keine Sicherheit für Abgeschobene in Afghanistan

Eine aktuelle Studie der Ethnologin Friederike Stahlmann zeigt, dass so gut wie alle nach Afghanistan abgeschobene Personen das Land wieder verlassen oder zumindest konkrete Pläne dazu haben. Für die Studie hat die Forscherin mit rund zehn Prozent der aus Deutschland abgeschobenen Person Interviews geführt. Die Abgeschobenen berichten auch, dass sie zur Zielscheibe von Gewalt werden, und dass selbst die, die Angehörige im Land haben, den Kontakt zu diesen meiden, um sie nicht zu gefährden. Das Vorliegen familiärer Netzwerke, denen eine Fähigkeit zur Unterstützung unterstellt wird, ist nach der aktuellen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg ein Grund, um die Rückkehr nach Afghanistan für alleinstehende, gesunde junge Männer als zumutbar zu erachten.

Studie „Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen“

Pressemitteilung von Pro Asyl: Eskalierende Lage in Afghanistan – neue Studie bestätigt: Rückkehrer gefährdet

Bericht der Tagesschau: Die meisten Abgeschobenen flüchten wieder


Baden-Württemberg muss bevorstehende Abschiebung nach Sri Lanka stoppen!

In Baden-Württemberg sind in den vergangenen Tagen (seit dem 31. Mai) mehrere tamilische Menschen in Abschiebungshaft genommen worden. Auch aus Nordrhein-Westfalen wurden Inhaftierungen gemeldet. Alles deutet darauf hin, dass eine erneute Sammelabschiebung vorbereitet wird.

Ende März wurden 24 Tamil*innen abgeschoben, darunter einer aus Baden-Württemberg. Vier weitere Tamilen aus Baden-Württemberg waren in Abschiebungshaft, ihre Abschiebungen konnten allerdings nach Protesten aus der tamilischen Community, der Politik und der Zivilgesellschaft kurzfristig gestoppt werden.

Nach Informationen, die dem Flüchtlingsrat vorliegen, hat sich ein Tamile bei seiner Verhaftung selbst Verletzungen zugefügt und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg erklärt dazu: „Wir hatten gehofft, dass die neue Landesregierung nach den Protesten und den abgesagten Abschiebungen im März eine Neubewertung der Menschenrechtslage der Tamil*innen in Sri Lanka vornimmt. Eine solche hat die UN-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet empfohlen, nachdem ihr Bericht im Januar dieses Jahres festgestellt hatte, dass eine massive Militarisierung des Landes stattgefunden hat, dass es zu Todesfällen in Polizeihaft gekommen ist, und dass es glaubwürdige Berichte über erneute Entführungen, Folter und sexualisierte Gewalt durch  Sicherheitskräfte gibt. Doch eine solche Neubewertung hat offensichtlich nicht stattgefunden. Unter diesen Umständen sind Verunsicherung und die Angst in der tamilischen Community verständlicherweise sehr groß. Wir fordern deshalb die Landesregierung von Baden-Württemberg und die Innenminister*innen, die sich in zwei Wochen im baden-württembergischen Rust treffen, dazu auf, einen Abschiebestopp für Tamil*innen aus Sri Lanka zu erlassen.“

Von Montag, 7. Juni bis Mittwoch, 9. Juni findet im Oststadtpark in Pforzheim ein Protestcamp statt. In diesem Rahmen wird am Montag. 7. Juni um 19 Uhr vor dem Abschiebungsgefängnis Pforzheim, Rohrstraße 17, eine Kundgebung statt, die sich auch gegen die drohende Sammelabschiebung nach Afghanistan richtet. Darüber hinaus rufen tamilischen Organisationen zu Kundgebungen am Montag, 7. Juni um 10 Uhr in Karlsruhe (Marktplatz) und Dienstag, 8. Juni um 11 Uhr in Bruchsal (Marktplatz vor dem Rathaus) auf.

Ein Kurzfilm des Internationalen Menschenrechtsvereins Bremen gibt Hintergründe über die Kritik an den Abschiebungen nach Sri Lanka.


Schreiben ohne Grenzen

DaMigra e.V. lädt im Rahmen des MUT-Macherinnen* Projekts herzlich zur Kursreihe „Schreibwerkstatt: Schreiben ohne Grenzen“ für Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte ein. Jeden zweiten Dienstagvormittag (am 8. und 22. Juni, am 6. und 20. Juli und am 3. August, jeweils von 10 bis 13 Uhr), treffen sich Nicht-Deutschmuttersprachlerinnen* virtuell und entdecken zusammen das Schreiben als eine sichere Ressource, um über Erfahrungswelten und Träume zu schreiben.

Die Teilnehmerinnen* bearbeiten die schönen und die schmerzlichen Momente und bringen zusammen ihre Gefühle, Gedanken und Geschichte in der eigenen Muttersprache oder auf Deutsch zu Papier.

Es sind keine Vorkenntnisse oder Sprachkenntnisse notwendig. Es geht um das Schreiben ohne Druck, aber mit viel Freude! Die Materialien für die Schreibwerkstatt werden den Teilnehmerinnen* vorab postalisch zugesendet.

Geleitet wird die Schreibwerkstatt von der Autorin Sara Ehsan, die mehrsprachig ist und Deutsch, Persisch, Dari, Englisch und Französisch spricht. Für Sprachmittlung weiterer Sprachen wird um rechtzeitige Anmeldung gebeten.

Um Anmeldung via E-Mail (bw@damigra.de) oder Telefon (0176 73218746) wird gebeten. Link und Zugangscode werden ein Tag vor der Veranstaltung zugeschickt. Für die Teilnahme werden ein Laptop, PC, Tablet oder Smartphone und eine stabile Internetverbindung benötigt. Hilfreich sind außerdem Headsets oder Kopfhörer/Mikrophon.


Handreichung „Gesundheitsförderung bei Geflüchteten“

Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention müssen Geflüchtete vermehrt berücksichtigen. Wie das in Praxis gelingen kann, hat eine Arbeitsgruppe des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit in den vergangenen Monaten diskutiert. Ergebnis dieses Prozesses ist eine Handreichung, die sich in mehreren Kapiteln damit auseinandersetzt, wie eine soziokulturell sensible und der Vielfalt der Geflüchteten angemessene, „zielgruppengerechte“ Gesundheitsförderung mit Geflüchteten geplant und umgesetzt werden kann.

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit (Mai 2021): „Handreichung Gesundheitsförderung bei Geflüchteten“


Eine unheilige Allianz

Kürzlich hat die Regierung von Oberfranken in Bayern die Zusammenarbeit mit dem Arzt Dr. Richard Barabasch beendet. Geflüchtetensolidarische Organisationen hatten herausgefunden, dass der Arzt, der im Auftrag von Behörden Atteste zur Reisefähigkeit im Kontext von Abschiebungen erstellt hatte, flüchtlingsfeindliche und verschwörungstheoretische Aussagen getätigt hatte und Vorstandmitglied eines Vereins gewesen war, der Berührungspunkte zur AFD hat.

Aus baden-württembergischer Sicht ist dies bedeutsam, weil Barabasch lange Zeit in Baden-Württemberg tätig war, und die gleiche Arbeit im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe geleistet hat. Zudem hatte er 2018 gegenüber den Badischen Neuesten Nachrichten behauptet, es würden im großen Stil – konkret „in vier von fünf Fällen“ – „Scheinatteste“ ausgestellt werden, um Abschiebungen zu verhindern. In dem von Dominic Körner verfassten Artikel wurden Barabaschs Aussagen unhinterfragt und unwidersprochen wiedergegeben. Die naheliegenden Fragen, wie es angesichts der mittlerweile sehr hohen und spezifischen Anforderungen an Atteste so einfach möglich sein soll, Scheinatteste auszustellen und warum die Behörden solche Atteste akzeptieren, wenn sie doch die Möglichkeit haben, eigene Gutachten – beispielsweise von Dr. Barabasch – in Auftrag zu geben, hat Körner nicht gestellt. Die journalistische Sorgfaltspflicht hätte es geboten, anderen Organisationen oder Akteur*innen – beispielsweise den Psychosozialen Zentren oder dem Flüchtlingsrat – Gelegenheit zu geben, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Obwohl Körner für diesen Artikel auch mit dem Flüchtlingsrat Kontakt hatte, waren die Vorwürfe von Barabasch dabei kein Thema. Das ist schlechter und verantwortungsloser Journalismus.

Barabaschs Vorwürfe haben nach Erscheinen des Artikels starke Reaktionen hervorgerufen. Die AfD stellte im Landtag eine Anfrage zum Thema und erstattete öffentlichkeitswirksam Strafanzeige gegen den Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten. Weit weniger öffentlichkeitswirksam erfolgte mittlerweile die Einstellung der Ermittlungen wegen des Fehlens eines hinreichenden Verdachts einer Straftat. Doch nicht nur die AfD griff die Steilvorlage auf. Der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Wald wiederholte die Anschuldigungen von Barabasch in einem Brief an Innenminister Strobl und richtete Vorwürfe an den Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, der angeblich „vor bevorstehenden Abschiebungen warnen“ würde. In einem Artikel im „Focus“ im Mai 2018 formulierte Barabasch seine verschwörungstheoretischen Ansichten noch deutlicher aus: es gebe „eine gut organisierte Anti-Abschiebe-Industrie“, in dem „unter dem Deckmantel der Menschlichkeit“ „getrickst, gelogen und verzögert“ werde – „alles mit dem Ziel, sich die Taschen vollzustopfen.“

Die Empörungsspirale drehte sich weiter. Als nächster griff Rainer Wehaus in der Stuttgarter Zeitung die Vorlage auf und mutmaßte darüber, dass die Kürzung der Landesförderung für den Flüchtlingsrat damit zusammenhängen würde, dass dieser als Teil eben jener „Anti-Abschiebe-Industrie“ wahrgenommen werde. So würde es zumindest „hinter vorgehaltener Hand“ heißen. Die gleichen gute Verbindungen ins Innenministerium, die es Wehaus ermöglichten, zu wissen, was dort „hinter vorgehaltener Hand“ gesagt wurde, haben offenbar mehr als einmal zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und dem ihm nahestehenden Journalisten geführt: Nachdem die GEW und der Flüchtlingsrat 2017 einen Leitfaden für Lehrkräfte zum Thema Abschiebungen aus Schulen herausgebrachten hatten, erhielten die Vorsitzenden der beiden Organisationen einen Brief vom damaligen Staatssekretär im Innenministerium, Martin Jäger, der unter anderem den Vorwurf erhob, man würde die Lehrkräfte „zum Rechtsbruch anstiften“. Am gleichen Tag, als der Brief beim Flüchtlingsrat im Briefkasten lag, stand in den Stuttgarter Nachrichten ein Artikel, der in einem aufgeregten Ton über den Streit berichtete und ausführlich aus dem Brief zitierte – obwohl der Brief nicht als öffentlich oder als an andere Personen als die beiden Vorsitzenden verschickt gekennzeichnet war. Autor des Artikels: Rainer Wehaus.

Übrigens: Auf ihre Nachfrage, welche Inhalte der Broschüre konkret als Anstiftung zum Rechtsbruch betrachtet werden, hat die GEW-Vorsitzende nie eine Antwort bekommen. Möglicherweise steckte hinter dem Brief weniger der Wunsch, mit der GEW und dem Flüchtlingsrat über den Inhalt des Leitfadens zu kommunizieren, als eher der Wunsch, einen Anlass zu haben, um mit Unterstützung eines politisch nahestehenden Journalisten einen Skandal öffentlichkeitswirksam herbeizuschreiben. Dass dieser vermeintliche Skandal in Wahrheit keiner ist, muss ja niemand erfahren. Die Wirkung entfaltet sich bereits durch die Behauptung.

Das ist der gleiche Effekt, der sich auf Bundesebene beispielsweise beim vermeintlichen Bremer BAMF-Skandal gezeigt hat. Nach all den Vorwürfen, Diffamierungen und verbalen Eskalationen („hochkriminell und bandenmäßig“) und nachdem sowohl die Leiterin der BAMF-Außenstelle Bremen als auch die BAMF-Präsidentin in Zusammenhang mit den Vorwürfen ihre Stellen verloren haben, wissen wir, dass von den Vorwürfen so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist – außer der von ihnen erzielten Wirkung durch ihre Rezeption und Weiterverbreitung in Politik und Medien. Die weniger spannende Information, wie sich die Vorwürfe in den letzten Jahren nach und nach immer mehr in Luft aufgelöst haben, stehen weder auf der Titelseite der BILD noch werden sie von profilierungssüchtigen Abgeordneten von CDU und AfD als Anlass genommen, um markige Pressemitteilungen rauszuhauen und Konsequenzen zu fordern. Und auch sonst so skandalfreudige Lokaljournalisten wie Dominic Körner und Rainer Wehaus packt bei diesem Skandal die Schreibwut nicht.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen, das Muster ist im Grund gleich: Zweifelhafte Anschuldigungen werden von zweifelhaften Akteuren erhoben, durch schlechten Journalismus unhinterfragt in der Öffentlichkeit kolportiert und von politisch interessierter Seite rezipiert, um Skandale herbeizureden und Konsequenzen zu fordern. Diese unheilige Allianz zwischen bestimmten Akteuren in Medien, Politik und Gesellschaft weiß, dass die Vorwürfe nicht stimmen müssen – es reicht, wenn sie bestimmte Narrative bedienen, dann werden sie von genügend Leuten geglaubt. Genau diese Leute erzeugen die gesellschaftliche Stimmung, die die Politik „zum Handeln zwingt“. Sie erzeugen sie mit wütenden Äußerungen, z.B. in sozialen Medien oder in Briefen an die beteiligten Akteure. Jedes Mal, wenn es eine auffällige Häufung der wütenden Zuschriften an den Flüchtlingsrat gibt, schauen wir nach, ob die BNN mal wieder was über uns geschrieben haben – eine gewisse Korrelation scheint nicht unplausibel.

Nach diesem Schema wurde in den vergangenen Jahren ein ums andere Mal die entsprechende gesellschaftliche Stimmung erzeugt, um Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts eiligst durchs Parlament zu peitschen – mit realen Auswirkungen für reale Menschen. Beispielsweise für schwer kranke Menschen, denen es aufgrund der realitätsfremden Anforderungen an ärztliche Atteste kaum möglich ist, Abschiebungshindernisse geltend zu machen. Diese Menschen leben in ständiger Angst vor einer Abschiebung oder werden gar abgeschoben in eine lebensbedrohliche Situation. Es sei an der Stelle an Sali Krasniqi erinnert, der wenige Monate nach seiner Abschiebung verstarb, an den Parkinson-erkrankten und pflegebedürftigen Rentner Slave Stojanovski, der 2018 aus Stuttgart abgeschoben wurde, oder auch an die schwer kranke Jesidin in Nürnberg, die Richard Barabasch entgegen einer fachärztlichen Beurteilung zur Abschiebung freigegeben hat – mit einem fragwürdigen Gutachten, das letztlich die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt hat, die zur Beendigung der Zusammenarbeit mit Barabasch seitens der bayerischen Behörden geführt hat. Sämtliche genannten Akteure der aggressiven Empörungsindustrie tragen eine Mitschuld am Schicksal dieser Menschen.

Übrigens ist der Artikel in der BNN vom 23. Januar 2018 mit den Vorwürfen von Dr. Richard Barabasch zu vermeintlichen „Scheinattesten“ seit einiger Zeit von der Website der Zeitung verschwunden.

Rainer Wehaus, der als Redakteur der Stuttgarter Nachrichten neben den bereits erwähnten Beiträgen unter anderem auch Kommentare mit Überschriften wie „Abschieben!“ oder „Merkels Flüchtlingspolitik ist gescheitert“ geschrieben hat, hat mittlerweile eine neue Position gefunden, von der aus er seine politische Agenda verfolgen kann – als Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bittet alle (z.B. Anwält*innen, Beratungsstellen, Haupt- und Ehrenamtliche), die in Fällen involviert waren, in denen Atteste von Dr. Richard Barabasch eine Rolle gespielt haben, sich zu melden, am besten per Email an info@fluechtlingsrat-bw.de.

Mehrere Medien haben bereits über den Fall berichtet:

https://rdl.de/beitrag/abschiebearzt-hatte-auch-baden-w-rttemberg-gegen-fl-chtlingssolidarit-t-gewettert

https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-heute.1665.de.html

https://www.infranken.de/lk/bamberg/bamberg-nach-schweren-vorwuerfen-regierung-stoppt-zusammenarbeit-mit-arzt-art-5211345

https://www.br.de/nachrichten/bayern/arzt-darf-nicht-mehr-fuer-auslaenderbehoerde-begutachten,SXt8FzH

https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/abschiebung-fluchtlingshelfer-in-nurnberg-erheben-schwere-vorwurfe-1.11082597


Vielversprechende Ansätze im neuen Koalitionsvertrag

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg begrüßt die zahlreichen positiven Ansätze in der Flüchtlingspolitik im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung. „Viele der Punkte, die wir in den vergangenen Jahren – auch zusammen mit unseren Bündnispartner*innen im Rahmen der Kampagne ‚Sicherer Hafen Baden-Württemberg‘ – angesprochen haben, finden sich im Koalitionsvertrag wieder“, stellt Lucia Braß, 1. Vorsitzende des Flüchtlingsrats, fest.

Dass die Ankündigung eines Landesaufnahmeprogrammes für Menschen an den Außengrenzen Europas es in den Koalitionsvertrag geschafft hat, ist nach Überzeugung des Flüchtlingsrats vor allem der Verdienst der Initiativen an der Basis – wie etwa die Seebrücken und die Kommunen, die sich zu „Sicheren Häfen“ erklärt haben. Mit der Formulierung, dass ein solches Programm „im Einvernehmen mit dem Bund“ durchgeführt werden soll, zeichnet sich allerdings bereits ein Knackpunkt ab, denn der Bund blockiert aktuell alle Bemühungen aufnahmebereiter Länder. „Wir werden sehen, mit wie viel Nachdruck die Landesregierung sich gegenüber dem Bund für die Aufnahme einsetzen wird. Hierzu wird es nötig sein, den Druck von der Basis aufrecht zu erhalten – gerade angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl“, sagt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats.

Positiv bewertet der Flüchtlingsrat, dass die Notwendigkeit einer konsequenteren Anwendung von Bleiberechtsoptionen erkannt worden ist. „Wir haben immer gesagt, dass es bereits jetzt viele Handlungs- und Ermessensspielräume gibt, um Abschiebungen gerade von Personen, die seit vielen Jahren hier sind, zu vermeiden. Eine Ankündigung von Verbesserungen gab es bereits mit dem wirkungslos gebliebenen Beschluss der Landesregierung von 2017, deshalb muss hier die praktische Umsetzung der guten Ansätze abgewartet werden. Wirkliche Veränderung wird teilweise auch einen Kulturwandel in einigen Behörden voraussetzen, die bisher auf ‚Abschiebung um jeden Preis‘ gepolt waren – hier muss die Landesregierung zeigen, dass sie ihre Vorhaben gegenüber solchen Kräften durchzusetzen bereit ist“, so Lucia Braß. Dass die Landesregierung Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen jetzt ablehnt, lässt erahnen, dass die breite öffentliche Kritik an der rechtswidrigen Abschiebung von Dana und Edi Ende letzten Jahres Wirkung gezeigt hat.

Die Landesregierung möchte an der aktuellen Konzeption für die Erstaufnahme festhalten, was der Flüchtlingsrat angesichts der zahlreichen strukturellen Probleme mit dieser Form der Massenunterbringung bedauerlich findet. Die Ankündigung, die Hausordnungen zu überarbeiten, wertet der Flüchtlingsrat als Erfolg derjenigen, die mit großem Engagement die Grundrechtsverletzungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen dokumentiert und thematisiert haben. Erleichtert nimmt der Flüchtlingsrat zur Kenntnis, dass die bisherige rechtswidrige Praxis, Familien mit minderjährigen Kindern länger als sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen zu behalten, beendet werden soll. Auch das Bekenntnis zur Fortführung der unabhängigen Sozial- und Verfahrensberatung durch die Wohlfahrtsverbände wird begrüßt. Mit der Ankündigung eines freien Zugangs zu WLAN in Unterkünften greift die Landesregierung eine aktuelle Forderung des Flüchtlingsrats auf. Hier sieht der Flüchtlingsrat gerade aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation mit Online-Unterricht für viele Schüler*innen akuten Handlungsbedarf und hofft auf eine schnelle Umsetzung, die angesichts des Unwillens vieler Kommunen und Landkreise schwierig werden könnte.

Bedauerlich ist aus Sicht des Flüchtlingsrates, dass das Land weiterhin am Instrument der Abschiebungshaft festhalten will, und dass das Problem der häufigen rechtswidrigen Inhaftierungen nicht angesprochen wird. „Das fehlende Problembewusstsein an dieser Stelle nimmt den Bekenntnissen zur Rechtsstaatlichkeit und Verfassung, die im Koalitionsvertrag wiederholt auftauchen, ihre Glaubwürdigkeit. Unglaubwürdig ist auch die Aussage, dass Abschiebungshaft ‚ausschließlich ultima ratio‘ sei, denn dies wurde schon in der Vergangenheit behauptet. Wenigstens bieten die angekündigten Verbesserungen beim Besuchsrecht und die Einführung einer unabhängigen Beratung bessere Voraussetzungen, um gegen die zahlreichen Rechtsverstöße in der Abschiebungshaft vorgehen zu können. Dass sich hier überhaupt etwas getan hat, ist der engagierten und hartnäckigen Arbeit der Arbeitsgruppe Abschiebungshaft Pforzheim mit den dortigen Seelsorgern und unabhängigen Berater*innen zu verdanken, die seit Jahren auf Probleme und Missstände aufmerksam machen“, so Bärbel Mauch, 2. Vorsitzende des Flüchtlingsrats.

Es ist vor allem auf das vielfältige Engagement der Menschen und Initiativen an der Basis zurückzuführen, dass Verbesserungen und Lösungen für einige der Probleme angekündigt werden, die von den Engagierten hier im Land seit längerem immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Diese engagierte Zivilgesellschaft steht bereit, um sich bei der Umsetzung dieser Vorhaben einzubringen und sie wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die angekündigten Verbesserungen auch tatsächlich umgesetzt und mit Leben gefüllt werden“, so Seán McGinley abschließend.


Dänemarks Asylpolitik ist kein Vorbild: Syrien ist nicht sicher!

Dänemarks Migrationsbehörde hat mittlerweile über 100 syrischen Geflüchteten den Schutztitel entzogen. Grundlage ist die falsche Behauptung, die Region Damaskus sei sicher. Dänische Recherchen offenbaren jetzt, dass die dänischen Lageberichte, die diese Behauptung stützen sollten, auf Manipulationen oder Fehlinterpretationen beruhen. Zeitgleich zeigen Berichte der ZEIT und der WELT, dass auch die Bundesregierung auf dubiosen Wegen Abschiebungen syrischer Staatsangehöriger vorbereitet.

Vor dem Hintergrund warnen die Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL, medico international, die Kampagne #SyriaNotSafe und Adopt a Revolution eindringlich vor Abschiebungen nach Syrien. Wie alle Lageberichte des Auswärtigen Amtes der letzten Jahre betonen, gibt es keine sicheren Gebiete in Syrien: Landesweit kommt es zu willkürlichen Inhaftierungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen. Ob Dänemark oder Deutschland: Es gilt die Europäische Menschenrechtskonvention. Sie verbietet Abschiebungen in Staaten, in denen Folter oder entwürdigende Behandlung droht.

Dänemark: Manipulierte oder fehlinterpretierte Lageberichte
Dänemarks Regierung begründet den Entzug der Schutztitel mit zwei Syrien-Lageberichten von Februar 2019 und Oktober 2020. Mittlerweile haben sich alle der darin namentlich als Quellen angeführten unabhängigen Syrien-Analyst*innen von den Schlussfolgerungen distanziert, die die Behörden aus den Berichten ziehen. Acht der Analyst*innen haben sich mit einer öffentlichen Erklärung an die dänischen Behörden gewandt und fordern die Regierung auf, ihre Entscheidung zu revidieren. Auch der Dänische Flüchtlingsrat, der einen der Berichte mitverantwortet, kritisiert die Entscheidung der Regierung.
Nach Angaben des dänischen Flüchtlingsrats droht aktuell 250 syrischen Geflüchteten der Entzug ihres Aufenthaltstitels. Die Betroffenen sollen durch die Unterbringung in Ausreisezentren sowie Arbeits- und Ausbildungsverbote zur Ausreise genötigt werden. Die Maßnahme trennt Familien und zwingt bereits integrierte Geflüchtete, ihre Arbeit, ihr Studium oder ihre Schulausbildung aufzugeben. Von Abschiebungen sehen die dänischen Behörden ab, da Dänemark davor zurückschreckt, die nötigen Kontakte zum Assad-Regime aufzunehmen.

Deutschland: Dubiose Abschiebepläne des Innenministeriums

Nach Berichten der ZEIT und der WELT prüft das Bundesinnenministerium aktuell Möglichkeiten, syrische Staatsangehörige abzuschieben oder zur Ausreise zu drängen. Auch wenn bislang nur von Abschiebungen von Straftätern oder sogenannten „Gefährdern“ die Rede ist, drohen schwere Menschenrechtsverletzungen sowie ein intendierter Tabubruch: Nach Abschiebungen von Straftätern oder „Gefährdern“ drohen mittel- oder langfristig auch Abschiebungen anderer Gruppen.

Nach Recherchen der ZEIT plant die Bundesregierung derzeit keine Abschiebungen in vom Assad-Regime kontrollierte Regionen oder in den von dschihadistischen Milizen dominierten Nordwesten. Es gebe jedoch Sondierungen von Abschiebungen in den kurdisch geprägten Nordosten. Auch die „kurdischen Gebiete im Nordirak und in der Türkei“ würden in Betracht gezogen.

Die Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL, medico international, die Kampagne #SyriaNotSafe und Adopt a Revolution kritisieren das Vorgehen scharf. Offensichtlich drohen weitere, dem Wahlkampf geschuldete dubiose Deals mit Akteuren wie der Türkei, die in Syrien völkerrechtswidrig agiert  – und möglicherweise auch mit der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien, die jedoch bislang von der Bundesregierung überhaupt nicht anerkannt wird. Bei Abschiebungen in von ihr kontrollierte Gebiete müsste die Bundesregierung mit ihr zusammenarbeiten. Statt solcher rechtlich und außenpolitisch fragwürdigen Bemühungen müssen die  Behörden mit syrischen Straftätern und „Gefährdern“ in Deutschland auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien verfahren.
Wie sehr das populistische Ziel, unbedingt nach Syrien abzuschieben, zu Lasten rechtsstaatlicher Prinzipien geht, zeigt auch der Sachverhalt, dass das Bundesinnenministerium laut dem Bericht der WELT plant, syrische Häftlinge mit dem Versprechen einer Haftzeitverkürzung zur Ausreise zu bewegen.
Statt schmutzige Rücknahmedeals einzufädeln, muss die Bundesregierung endlich akzeptieren, dass Syrien-Abschiebungen bis auf Weiteres nicht möglich sind. Erst im März hat das Europäische Parlament die EU-Mitgliedstaaten in einer Resolution daran erinnert, „dass Syrien kein sicheres Land für eine Rückkehr ist“ und alle EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, „von einer Verlagerung der nationalen Politik in Richtung der Aberkennung des Schutzstatus für bestimmte Kategorien von Syrern abzusehen und diesen Trend umzukehren, wenn sie eine solche Politik bereits verfolgt haben.“


Gutachten belegt Kindeswohlgefährdung nach rechtswidriger Abschiebung

Neue Entwicklungen im Fall Dana und Edi: Niemand ist sorgeberechtigt, kein Schulbesuch möglich

Im Fall der beiden im Dezember aus einer Jugendhilfeeinrichtung im Landkreis Böblingen nach Albanien abgeschobenen Kinder Dana und Edi liegt nun ein Gutachten vor, welches das Ausmaß der entstandenen Kindeswohlgefährdung deutlich macht. Eine Sozialarbeiterin und Juristin von der Organisation International Social Service hat die Kinder besucht, um sich über ihre Situation zu informieren.

Die Gutachterin bestätigt, dass Edi kein Albanisch spricht, und sich nur mit ihr verständigen konnte, weil seine Schwester gedolmetscht hat. Dana kann zwar albanisch sprechen, aber nicht schreiben. Ein Schulbesuch ist für beide Kinder daher aktuell unmöglich. Die vorhandenen Verwandten sind nicht in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern, da sie selbst für ihren Lebensunterhalt auf die Unterstützung von im Ausland lebenden Verwandten angewiesen sind. Die Großeltern der Kinder sind zudem gesundheitlich zu sehr angeschlagen, um sich dauerhaft um die Kinder zu kümmern. Aktuell leben die Kinder in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung, zusammen mit ihrem 24-jährigen Halbbruder und dessen hochschwangere Frau.

Die Gutachterin erläutert, dass aktuell niemand das Sorgerecht für die Kinder innehat, so dass es keine Möglichkeit gibt, in ihrem Namen irgendwelche Rechtsgeschäfte wie etwa die Beantragung von Sozialleistungen zu tätigen. Eine staatliche Inobhutnahme, die nach albanischen Recht in solchen Fällen vorgesehen ist, würde zu einer Trennung der Kinder führen, da sie in unterschiedliche Heime kommen würden. Dies wäre nach Überzeugung der Gutachterin keine geeignete Lösung, denn nach allem, was die beiden in den letzten Jahren durchgemacht haben, ist für beide das jeweils andere Geschwisterteil die einzige wirkliche Bezugsperson, die sie haben.
Zusammenfassend bezeichnet die Gutachterin die Situation als „problematisch“ – die Kinder seien durch die Abschiebung traumatisiert, fühlen sich in ihrer aktuellen Umgebung fremd und können ihr Recht auf Bildung nicht in Anspruch nehmen, zudem ist keine sorgeberechtigte Person in der Nähe.

Die Verantwortlichen in der Jugendhilfeeinrichtung Waldhaus, wo die Kinder bis zur Abschiebung gelebt haben, nehmen diese neuen Information tief besorgt zur Kenntnis: „Wir machen uns weiterhin große Sorgen um Dana und Edi. Je länger die beiden in dieser unsicheren Situation sind, desto größer die negativen Auswirkungen auf ihre Entwicklung. Beispielsweise fehlt beiden nun schon vier Monate Schulbildung. Wir alle, auch die Jugendlichen in den Wohngruppen, hoffen weiterhin darauf, dass Dana und Edi zurück kehren können“, so Cordula Breining, Koordinatorin für unbegleitete Minderjährige im Waldhaus.

Im Februar hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart den Eilantrag auf Rückholung der Kinder abgelehnt, obwohl die Abschiebung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ rechtswidrig war. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die eingetretene Kindeswohlgefährdung nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. „Dieses Gutachten bestätigt die wesentlichen Umstände, die die Kinder bereits seit ihrer Abschiebung geschildert haben. Es wird deutlich, dass durch das rechtswidrige Verhalten von Behörden des Landes Baden-Württemberg eines Kindeswohlgefährdung eingetreten ist und fortbesteht“, stellt Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg fest. Er fordert die neue Landesregierung auf, sich um eine Rückholung der Kinder zu kümmern, die Umstände der rechtswidrigen Abschiebung aufzuklären und Maßnahmen dafür zu treffen, dass sich ein solcher Fall nie wiederholen kann.

Die Petition zur Rückholung der Kinder hat mittlerweile über 8000 Unterschriften und kann noch unterschrieben werden:
https://www.openpetition.de/petition/unterzeichner/herr-strobl-holen-sie-die-beiden-elternlosen-abgeschobenen-kinder-nach-leonberg-zurueck


Dialog-Sprachhilfen für den Alltag

Im Rahmen eines  Semesterprojekts im Studiengang Kommunikationsdesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle sind die Dialog [Sprachhilfen für den Alltag] entstanden. Es handelt sich dabei um Karten mit alltäglichen Vokabeln und Sätzen in den Sprachen Deutsch, Arabisch und Englisch. Es gibt Karten für unterschiedliche Situation, wie zum Beispiel in der Bank, im Obst- und Gemüsegeschäft oder in der Apotheke. Die Kartensets können online bestellt werden:

Dialog [Sprachhilfen für den Alltag]


Auftakt zur Rettungskette für Menschenrechte

Das Sterben im Mittelmeer geht weiter – auch wenn es in Zeiten der Pandemie in Vergessenheit gerät. Deshalb soll am Samstag, 24. April, in lokalen Aktionen an das Elend der Menschen auf der Flucht erinnert werden. Der Aktionstag steht in Zusammenhang mit der für den 18. September geplanten symbolischen „Rettungskette“ quer durch Deutschland, Österreich und Italien bis zum Mittelmeer. In Baden-Württemberg sind Aktionen in Heidelberg, Esslingen und Stuttgart geplant:

HEIDELBERG: Kundgebung mit Fahrraddemo, 13:00-15:00 am Universitätsplatz:
ESSLINGEN: Sternmarsch ab 11 Uhr mit Kundgebung ab 11:45 an der Agnesbrücke; Organisator: Caritas-Zentrum Esslingen; weitere Infos HIER
STUTTGART: Kundgebung um 16 Uhr auf dem Kronprinzenplatz; weitere Infos HIER