LSG Bayern: Ermessensausübung bei Leistungskürzungen § 1a AsylbLG

Das Bayerisches Landessozialgericht (LSG) hat mit Beschluss vom 30.10.2023 – L 8 AY 36/23 B ER entschieden, dass bei der Befristung von Bescheiden nach § 1a AsylbLG Ermessen auszuüben ist. Dies gilt insbesondere, wenn Betroffene bereits schonmal eine sechs monatige Leistungskürzung erhalten hatten. Will die Leistungsbehörde die Leistungskürzung verlängern, muss nach § 14 Abs. 2 AsylbLG zwingend Ermessen ausgeübt werden. Denn die gesetzliche Befristung einer Leistungskürzung soll verhindern, dass automatisch dauerhaft Leistungen gekürzt werden. Die Leistungsbehörden müssen stets im Einzelfall und gemäß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes neu entscheiden, ob eine Kürzung fortgeführt werden darf. Daran fehlte es in dem konkreten Fall, da familiäre Gründe nicht beachtet wurden.


Arbeitshilfe: Das Chancen-Aufenthaltsrecht in der Beratungspraxis

Seit Anfang 2023 gibt es das Chancen-Aufenthaltsrecht – eine einmalige und befristete Aufenthaltserlaubnis für am 31.10.2022 seit fünf Jahren in Deutschland lebende und geduldete Personen (§ 104c AufenthG). Für die Beratung dieser Personengruppe hat der Paritätische nun die Arbeitshilfe „Das Chancen-Aufenthaltsrecht in der Beratungspraxis“ veröffentlicht.

Die Arbeitshilfe ist bewusst praxisnah gestaltet mit zahlreichen Tipps und Hinweisen für die Beratungspraxis. Sie geht ausführlich auf die Erteilungsvoraussetzungen und die Antragstellung des § 104c AufenthG ein sowie auf die Voraussetzungen, Besonderheiten und Schwierigkeiten bei dem Übergang in die Bleiberechtsregelungen der Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 25a und 25b AufenthG.



OVG Schleswig-Holstein: Krankheit als Abschiebungsverbot

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 26.07.2023 – 2 LA 31/20 entschieden, dass sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann, wenn eine medizinische Behandlung im Zielstaat zwar verfügbar ist aber aus finanziellen Gründen nicht erlangt werden kann. Es verweist auf die bereits bestehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts:

„Insofern ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass sich die Gefahr einer drohenden wesentlichen Verschlimmerung einer Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände alsbald nach der Rückkehr des Ausländers im Einzelfall auch daraus ergeben kann, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich beispielsweise aus finanziellen Gründen nicht erlangen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2019 – 1 B 85.18, 1 PKH 67.18 -, juris Rn. 5).“


Untersuchung: Gesetzesverschärfungen erwirken nicht mehr Abschiebungen

Seit 2015 gab es vier Gesetzesverschärfungen, deren Ziel es war, Abschiebungen zu erleichtern und somit höhere Abschiebezahlen zu ermöglichen. Nun plant die Bundesregierung eine weitere Verschärfung bei Abschiebungen und hat den Gesetzesentwurf „Gesetz zur Verbesserung der Rückführung“ auf den Weg gebracht. Doch die Untersuchung des Mediendienstes Integration zeigen, dass die Gesetzesverschärfungen in der Vergangenheit nicht zu höheren Abschiebezahlen führten.

Wir müssen aktuell damit rechnen, dass eine weitere Gesetzesverschärfung durchgesetzt wird, die bereits jetzt schon Panik unter Geflüchteten schürt und vor allem rechte Wähler*innenstimmen bedienen möchte. Allerdings gibt es innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Ansichten, so verlautet das Bundesjustizministerium verfassungsrechtliche Bedenken.



Aufruf „Stop GEAS“: Gegen die Abschaffung des Asylrechts in Europa

Der Flüchtlingsrat BW zeichnet mit!

Anfang Dezember soll im EU-Parlament über eine Verschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) diskutiert werden. Das Parlament wird dabei über ein ganzes Bündel an Verordnungen abstimmen, welche das europäische Asylsystem grundlegend verschärfen sollen. In der Folge wird es zu systematischen Menschenrechtsverletzungen kommen. Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl droht.

► Wir fordern das EU-Parlament dazu auf, diesen historischen Einschnitten nicht zuzustimmen, sondern sich für die Einhaltung der Menschenrechte aller einzusetzen. Das individuelle Asylrecht muss das Fundament unseres Schutzsystems bleiben!

► Wir fordern die deutsche Bundesregierung dazu auf, ihren Wahlversprechen nachzukommen und sich für eine menschenrechtsbasierte Migrationspolitik einzusetzen.

► Wir laden die Zivilgesellschaft ein, mit uns auf die Straße zu gehen, gemeinsam gegen diese historischen Asylrechtsverschärfungen zu protestieren und ein Zeichen für ein offenes und solidarisches Europa zu setzen!

Was droht durch die Asylrechtsverschärfungen?

Die von der EU-Kommission und dem Rat der EU ausgearbeiteten Vorschläge zur „Reform“ des GEAS sehen verschiedene Verordnungen vor, welche menschenrechtswidrige Praktiken, wie willkürliche Inhaftierungen und Abschiebungen, legalisieren würden. Sollten diese geplanten Verordnungen durch das EU-Parlament bestätigt werden, wäre dies eine Zäsur für die europäische Migrationspolitik und das faktische Ende des Grundrechts auf Asyl.

Systematische Inhaftierungen nach der Ankunft

Durch sogenannte „Grenzverfahren“ soll die Identifikation von Menschen auf der Flucht zukünftig schon an der EU-Außengrenze stattfinden. Menschen sollen dafür in Lagern in Grenznähe untergebracht werden. Die Lager sollen sich zwar auf dem Boden der EU befinden, die Geflüchteten jedoch offiziell als „nicht eingereist“ gelten. Und das bis zu dem Zeitpunkt, bis über ihre jeweilige Aussicht auf Asyl entschieden wurde. Einreisen darf nur, wem eine Aussicht auf Asyl attestiert wird. Bis zum Abschluss dieser Prüfung werden die Menschen kaserniert – und das für bis zu 12 Wochen. Auch Kinder werden – entgegen der Versprechungen der Grünen von dieser Regelung nicht ausgenommen. Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass eine individuelle und rechtsstaatlich fundierte Prüfung der Asylgründe unter solchen Bedingungen nicht möglich ist. Darüber hinaus sollen alle Menschen, welche über einen sogenannten „sicheren Drittstaat“ eingereist sind, ohne jegliche Prüfung unmittelbar nach ihrer Ankunft wieder abgeschoben werden.

Auslagerung von Verantwortung an Drittstaaten

Zeitgleich sollen die Kriterien für sogenannte sichere Drittstaaten stark aufgeweicht werden. Bisher mussten als „sicher“ klassifizierte Drittstaaten die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, also unterschrieben und anerkannt haben. Dies ist nun nicht mehr der Fall – ein historischer Rückschritt! Und mehr noch: auch einzelne Regionen eines Landes können als „sicher“ gelten, auch wenn der Rest des Landes dies nicht tut. (Länder wie Tunesien sollen beispielsweise zukünftig als „sicher“ gelten.) Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen auf ihrer Flucht Richtung Europa über eines dieser Länder kamen und damit ihren Asylanspruch in Europa verwirkt haben, ist groß.

Diese Politik reiht sich in eine Tendenz in der europäischen Migrationspolitik der letzten Jahre ein: die Externalisierung von Migrationskontrolle. Die EU schließt sogenannte „Migrations-Abkommen“ mit Anrainer-, also Nachbarstaaten, wie etwa der Türkei oder Libyen, aber auch mit Staaten ohne gemeinsame Grenze, wie etwa in der Sahel-Zone. Darin garantieren diese Staaten gegen Fluchtbewegungen vorzugehen oder der Abschiebung von Menschen aus Europa zuzustimmen, und erhalten im Gegenzug finanzielle Unterstützung durch die EU. So kauft sich die EU von ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung des Asylrechts frei. Sie unterstützt so nicht nur autoritäre Regime unmittelbar beim systematischen Bruch von Menschenrechten. Sie stiftet sie regelrecht dazu an. Schon jetzt ist die Situation für Geflüchtete in Libyen und Tunesien katastrophal.

Weitere Entsolidarisierung innerhalb der EU

Auch innerhalb der EU soll zu einer weiteren Entsolidarisierung kommen. Das seit vielen Jahren in der Kritik stehende Dublin-System soll verschärft werden. Durch die geplante Ausweitung der Überstellungsfristen, sind letzte Zufluchtsmöglichkeiten, wie Kirchenasyl als Schutz vor Abschiebungen, künftig kaum noch möglich. Auch die solidarische Verteilung von schutzsuchenden Menschen innerhalb der EU wird durch die geplanten Verordnungen nicht gewährleistet. Stattdessen können sich Mitgliedsstaaten durch Zahlung von geringen finanziellen Beträgen oder der Entsendung von Personal von der Verpflichtung zur Aufnahme freikaufen.

Und das ist noch nicht alles …

Als ob diese geplanten Verschärfungen des Asylrechts nicht schon schlimm genug wären, plant die EU aktuell einen Mechanismus, welcher die noch geltenden Schutzstandards für fliehende Menschen noch weiter absenken kann: die sogenannte „Krisenverordnung“. Diese würde greifen, wenn besonders viele Menschen an den Grenzen ankommen und muss im Europäischen Rat beschlossen werden. Wird der „Krisenfall“ ausgerufen, kann die Zeit in Haft zur Identitätsprüfung auf bis zu 20 Wochen verlängert werden. Auch der Kreis von Menschen, die inhaftiert werden können, kann im Zuge der Krisenverordnung erweitert werden.

MACHT MIT!

Markiert euch den 26.11. schon mal dick im Kalender, um gemeinsam mit uns auf die Straße zu gehen! Wenn ihr als Teil des Bündnisses mitarbeiten wollt, schreibt uns gern bei Twitter, Insta oder per Mail an stopgeas@posteo.de.
Ihr wollt unseren Aufruf mit unterzeichnen? Dann schreibt uns eine Mail an stopgeas@posteo.de. Wir freuen uns, wenn ihr den Aufruf verbreitet und so weitere Menschen darauf aufmerksam macht, welche Entrechtung von Menschen auf der Flucht in Gang ist!


Sozialportal.net: Suchmaschine für Beratung und Hilfe

Sozialportal.net ist eine neue Internetseite, auf der sich Rechtsanwält*innen, Beratungsstellen und Selbsthilfeinitiativen deutschlandweit finden lassen, die zu Sozialrecht, Mietrecht, Migration, Schulden, Gesundheit, Rente, Gewalt, Wohnungsnotfälle und so weiter beraten/helfen. So sollen Betroffene schneller Angebote in ihrer Umgebung finden.

Gegründet wurde Sozialportal.net von hat Tacheles e.V., da bisher Beratungsstellen und Hilfsangebote entweder nur über einzelne Träger oder auf bestimmte Themenfelder begrenzt findbar waren. Das Sozialportal bietet nun eine Übersicht über alle Hilfsstrukturen.

Wichtig: Beratungsstrukturen, Rechtsanwält*innen, Selbsthilfeinitiativen und andere Institutionen, die sich für die Rechtsmobilisierung ratsuchender Menschen einsetzen, sollen sich selbstständig in das Sozialportal eintragen.


Studie: Überlastung der Ausländerbehörden

Überall ist es das Gleiche: Die Ausländerbehörden sind stark überlastet und darunter leiden alle Beteiligten insbesondere Geflüchtete mit prekärem Aufenthalt. Es gibt zahlreiche Gründe für die Überlastungen: ständige und komplexe Gesetzesänderungen, ungenügende Qualifizierung des Personals, gestiegene Zuwanderung und überfrachtete bürokratische Abläufe. Dabei gibt es Lösungsansätze: Reduktion von Prüfverfahren, Leitplanken für Ermessensspielräume, Digitalisierung von Antragsverfahren und Anstellung von mehr Personal und deren Qualifizierung. Dies sind nur einige pragmatische Möglichkeiten zur Entlastung, welche die Autor*innen der Studie „An den Grenzen. Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag“ ausgearbeitet haben.

Die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie ging den Fragen nach, welche aktuellen und strukturellen Ursachen die Belastung der Ausländerbehörden hat und wie die Mitarbeitenden ihren Arbeitsplatz und ihre Aufgaben wahrnehmen.



531 Abschiebungen im dritten Quartal 2023

Im dritten Quartal des Jahres wurden insgesamt 531Menschen aus Baden-Württemberg abgeschoben. Mit Abstand betraf es am meisten Menschen mit gambischer Staatsangehörigkeit (107 – davon 100 (!) nach Gambia). An zweiter Stelle kamen Menschen nordmazedonischer Staatsangehörigkeit (54 – davon alle nach Nordmazedonien). An dritter Stelle wurden Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit abgeschoben (45 – davon 24 in die Türkei). Die Differenz lässt sich damit erklären, dass nicht alle Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Vermutlich gingen die anderen Abschiebungen in europäische Länder als sog. Dublin-Verfahren oder Anerkannte.

In der Tabelle wird zwischen Ziel- und Herkunftsland unterschieden. Anhand der Zahlen zu den Zielländern wird ersichtlich wie viele Personen in ein bestimmtes Land abgeschoben worden sind. Die Zahlen zu Herkunftsländern geben die Anzahl der Personen mit einer bestimmten Staatsangehörigkeit an, die abgeschoben worden sind.

ZiellandAbschiebungen
Ägypten1
Albanien3
Algerien16
Belgien4
Bosnien-Herzegowina18
Bulgarien8
China3
Dänemark1
Frankreich14
Gambia100
Georgien20
Ghana4
Griechenland7
Guinea3
Indien2
Irak6
Italien11
Jordanien1
Kamerun2
Kasachstan1
Kosovo12
Kroatien10
Lettland2
Malta2
Marokko1
Montenegro2
Niederlande4
Nigeria38
Nordmazedonien54
Österreich41
Pakistan7
Polen12
Portugal3
Rumänien16
Schweden1
Schweiz7
Serbien37
Slowakische Republik2
Slowenien2
Spanien12
Sri Lanka2
Tschechische Republik2
Tunesien7
Türkei24
Ungarn3
USA1
Venezuela1
Vietnam1
Gesamtergebnis531
HerkunftslandAbschiebungen
Afghanistan26
Ägypten1
Albanien3
Algerien24
Bosnien-Herzegowina18
Bulgarien2
China3
Gambia107
Georgien20
Ghana4
Guinea3
Guinea-Bissau1
Indien10
Irak12
Italien1
Jordanien1
Kamerun2
Kasachstan2
Kosovo12
Kroatien3
Lettland2
Libanon1
Marokko5
Montenegro2
Niederlande1
Nigeria41
Nordmazedonien54
Pakistan9
Polen9
Portugal1
Rumänien13
Russische Föderation6
Serbien37
Slowakische Republik2
Slowenien1
Somalia4
Spanien1
Sri Lanka2
Staatenlos1
Syrien12
Tschechische Republik1
Tunesien13
Türkei45
Unbekannt6
Ungarn2
USA1
Venezuela1
Vietnam1
Weißrussland2
Gesamtergebnis531

LSG NRW: SGB-II-Leistungen für Drittstaatsangehörige aus der Ukraine

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat in einem Eilverfahren eine positive Entscheidung getroffen zu der Frage, ob aus der Ukraine geflüchtete Drittstaatsangehörige mit Fiktionsbescheinigung Anspruch auf SGB-II-Leistungen haben (LSG NRW, Beschluss vom 19. Oktober, L 6 AS 873/23 B ER). Leistungen nach SGB II werden oft von Jobcentern verweigert, weil:

  • Die Personen keine oder keine ausreichende Beschäftigungserlaubnis in ihrer Fiktionsbescheinigung hätten und deshalb nach § 8 Abs. 2 SGB II ausländerrechtlich nicht erwerbsfähig seien.
  • Die Personen keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten – sie würden sich nur kurzfristig hier aufhalten.
  • Die Personen keinen Aufenthaltstitel hätten und deswegen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen erhalten sollten.

Dies alles sieht das LSG NRW anders: Der Betroffene ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Zudem darf der rechtmäßige Aufenthalt mit einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 AufenthG als Aufenthaltsrecht gewertet werden, mit dem SGB-II-Leistungen ermöglicht sind (es besteht voraussichtlich kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 SGB II).

Auch in Baden-Württemberg haben etliche Drittstaatsangehörige mit Fiktionsbescheinigung, die aus der Ukraine geflohen sind, Probleme, bei den Jobcentern ihren Anspruch auf SGB-II-Leistungen durchzusetzen.



Herbsttagung 2023

Informationen auf: Englisch und Türkisch

Herzliche Einladung zur Herbsttagung am Samstag, den 18. November 2023, in Stuttgart. Wir haben ein äußerst spannendes und vielfältiges Programm auf die Beine gestellt. Der Hauptvortrag beleuchtet kritisch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). In den Arbeitsgruppen können Sie wählen zwischen den Themen Abschiebehaft, Flucht aus der Türkei und Rechtsmittel im AsylbLG. Zudem gibt es zwei Gruppen zu Rassismus, jeweils ein Reflexionsraum für weiß-gelesene Personen und ein Empowerment-Raum für von Rassismus betroffene Personen. Zum Abschluss der Tagung findet ein Fachgespräch zu Ausgrenzungsmechanismen statt. Dazwischen wird es ausreichend Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch geben.

Die Tagung ist kostenlos und richtet sich in erster Linie an Ehrenamtliche in der Geflüchtetenarbeit.

Ort: Bürgerräume West in der Bebelstraße 22, 70193 Stuttgart (barrierefrei)

Unsere Tagung soll einen möglichst geschützten Raum für alle Beteiligten darstellen. Deshalb bitten wir alle Beteiligten, die Vereinbarung zum Umgang miteinander bei der Anmeldung zur Kenntnis und sich bei der Tagung zu Herzen zu nehmen.

Die Tagung findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Integration“ statt, unterstützt durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag Baden-Württemberg beschlossen hat. Eine Koförderung besteht durch die UNO-Flüchtlingshilfe und die Deutsche Postcode Lotterie.

PROGRAMM

09:45 Uhr: Anmeldung und Ankommen

10:00 Uhr: Begrüßung

10:15 11:45 Uhr: Arbeitsgruppen-Phase I

Wählen Sie eine Arbeitsgruppe aus den vier folgenden aus. Die Arbeitsgruppen „Was tun bei Abschiebehaft?“, „Flucht und Migration aus der Türkei“ und „“Bekomme ich wirklich nur so wenig Geld?“ AsylbLG-Bescheide verstehen und dagegen vorgehen werden“ werden in der Arbeitsgruppen-Phase II wiederholt. Die Arbeitsgruppe 4 „Reflexionsraum „kritisches weiß-Sein““ findet nur in der Arbeitsgruppen-Phase I statt. Die Arbeitsgruppe 5 „Empowerment Raum“ findet nur in der Arbeitsgruppen-Phase II statt.

Arbeitsgruppe 1: Was tun bei Abschiebehaft?

Kommt eine Person in Abschiebehaft, dann stehen alle Kopf. Oft bricht erstmal der Kontakt zu der inhaftierten Person ab. Die Betroffenen wissen kaum wie ihnen geschieht, sind überrumpelt, überfordert und überwältigt. Und dann soll alles ganz schnell gehen, denn Unterstützung muss aktiviert werden. Alle Beteiligten hoffen, dass der*die Inhaftierte doch noch entlassen und nicht abgeschoben wird. In dieser Arbeitsgruppe geht es um die Grundlagen von Abschiebehaft: Was ist Abschiebehaft und wie läuft sie rechtlich und praktisch ab? Was kommt auf die Betroffenen und ihre Unterstützer*innen zu? Welche praktischen und rechtlichen Möglichkeiten gibt es, die Betroffenen zu unterstützen? Gibt es überhaupt Chancen, dass jemand aus der Abschiebehaft entlassen wird? Diesen Fragen werden die Berater*innen in der Abschiebehaft Pforzheim Dirk Keil und Theresa Kräling sowie die Anwältin Anne Feßenbecker nachgehen.

Referent*innen: Anne Feßenbecker (Rechtsanwältin Mannheim), Dirk Keil (Unabhängige Beratung in der Abschiebehaft Pforzheim, Caritasverband Erzdiözese Freiburg) und Theresa Kräling (Unabhängige Beratung in der Abschiebehaft Pforzheim, Diakonisches Werk Baden)

Arbeitsgruppe 2: Flucht und Migration aus der Türkei

Seit vielen Jahrzehnten fliehen und migrieren Menschen aus der Türkei aus politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen nach Deutschland. Nach dem Militärputsch und dem blutigen Krieg in den kurdischen Gebieten begann in den 1980er Jahren die am stärksten sichtbare politische Fluchtbewegung aus der Türkei nach Deutschland. Sie dauert bis heute an, auch wenn sich die spezifischen Auslöser ebenso verändert haben wie die Zusammensetzung der Geflüchteten selbst.

Die Situation in Deutschland ist für Geflüchtete und Migrant*innen aus der Türkei sehr unterschiedlich. So erhielten beispielsweise 2022 73 Prozent der geflohenen Türk*innen einen Schutzstatus im Asylverfahren, im Vergleich zu nur 8,2 Prozent der Kurd*innen aus der Türkei. Auch die Chancen auf politische Partizipation verteilen sich sehr ungleich; während Kurd*innen häufig unter den Generalverdacht einer vermeintlichen Nähe zu der verbotenen PKK geraten und entsprechend seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft gemieden werden, erhalten liberale Türk*innen einen deutlich größeren Zugang zur Öffentlichkeit. In dieser Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns mit den unterschiedlichen Personengruppen aus der Türkei, ihrer Lage in Deutschland und inwieweit der türkische Geheimdienst auf sie einwirkt.

Referent: Dr. Ismail Küpeli (Politikwissenschaftler an der Universität Köln)

Arbeitsgruppe 3: „Bekomme ich wirklich nur so wenig Geld?“ AsylbLG-Bescheide verstehen und dagegen vorgehen

Geflüchtete Personen in Duldung und Gestattung erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Vielen werden die Leistungen gekürzt und sie bekommen nur noch extrem wenig Geld. Doch die meisten Bescheide sind fehlerhaft und verletzen die Rechte der Betroffenen. Insbesondere da Leistungskürzungen den sehr sensiblen Bereich des Existenzminimums betreffen ist es überaus wichtig und gar nicht mal so schwierig, dagegen vorzugehen. Rechtsanwalt Jörg Schmidt-Rohr erklärt die häufigsten Fehler in Bescheiden, welche Rechtsmittel möglich sind und wie man selbst Widersprüche schreiben kann. Für die Teilnahme sind Vorkennntnisse im AsylbLG notwendig: Lesen Sie dazu „Grundlagen Sozialleistungen“ auf der Internetseite des Flüchtlingsrats BW. Bringen Sie gerne anonymisierte Bescheide mit.

Referent: Jörg Schmidt-Rohr (Rechtsanwalt Wiesloch)

Arbeitsgruppe 4: Reflexionsraum „kritisches weiß-Sein“

Die Arbeitsgruppe richtet sich an weiße Menschen, die sich bereits mit Rassismus auseinandergesetzt haben. Anhand von verschiedenen Impulsen wollen wir unsere Rolle und Aufgabe im Machtverhältnis Rassismus reflektieren und uns dazu austauschen. Mit den Worten von Tupoka Ogette ausgedrückt:

„Ich wünsche mir, dass der Kampf gegen Rassismus von weißen Menschen nicht als Bürde, sondern als Chance gesehen wird. Als Chance, Teil der Veränderung zu sein. Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.“

Die Anzahl der Teilnehmenden ist aufgrund des Formats beschränkt.

Referentin: Susanne Belz (Büro für Diskriminierungskritische Arbeit Stuttgart)

11:45 Uhr: Pause

12:00 Uhr: Hauptvortrag: EU-Europas Grenzen – Grenzen der Demokratie und der Menschenrechte

Die Europäische Union will die Regeln für Asylverfahren weiter verschärfen: Durch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sollen unter anderem an den Außengrenzen Haftzentren entstehen, um Geflüchtete festzusetzen, in Grenzverfahren auszusortieren und in fast jedes beliebige Land wieder abzuschieben. Faire und menschenwürdige Asylverfahren sind unter diesen Bedingungen nicht möglich. Prof. Dr. Sabine Hess wird auf die aktuellen Entwicklungen eingehen und die zentralen Dynamiken des europäischen Grenz- und Fluchtregimes seit 2016 betrachten. Sie wird zeigen, dass was heute als GEAS Reform verkauft wird, teils schon längst in der Praxis praktiziert wird – und nicht funktioniert. Was funktioniert, ist eine autoritäre Wende der europäischen Gesellschaften.

Referentin: Prof. Dr. Sabine Hess (Kulturanthropologin an der Universität Göttingen)

13:00 – 14:00 Uhr: Mittagessen

14:00 15:30 Uhr: Arbeitsgruppen-Phase II

Wählen Sie eine Arbeitsgruppe aus den vier folgenden aus. Wiederholung der Arbeitsgruppen 1-3. Die Arbeitsgruppe 5 „Empowerment Raum“ findet nur in der Arbeitsgruppen-Phase II statt.

Arbeitsgruppe 1: Was tun bei Abschiebehaft?

Arbeitsgruppe 2: Flucht und Migration aus der Türkei

Arbeitsgruppe 3: „Bekomme ich wirklich nur so wenig Geld?“ AsylbLG-Bescheide verstehen und dagegen vorgehen

Arbeitsgruppe 5: Empowerment Raum

Der Raum richtet sich an Menschen, die in Deutschland negative Erfahrungen mit Rassismus und/oder Antisemitismus machen.

Menschen, die Rassismus und/oder Antisemitismus erleben, sind mehrfach belastet. Diskriminierung verletzt und kann krankmachen. Deshalb ist es so wichtig, Räume zu haben, in denen sich Menschen dazu in einem möglichst sicheren Rahmen austauschen können, ohne dass ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen werden. Wir wollen zusammen sein, uns gegenseitig zuhören, uns stärken und darüber sprechen, welche Ressourcen wir in uns tragen.

Referentinnen: Eden Mengis und Anna Feldbein (Büro für diskriminierungskritische Arbeit Stuttgart)

15:30 Uhr: Pause

15:45 17:00 Uhr: Fachgespräch: Ausgrenzungsmechanismen

Zum Abschluss der Tagung diskutieren Prof. Dr. Sabine Hess (Universität Göttingen), Dr. Ismail Küpeli (Universität Köln), Monzer Haider (Flüchtlingsrat BW) und N.N das Thema Ausgrenzung aus ihren Expertisen und Blickwinkeln. Dabei werden die unterschiedlichen Ebenen von Teilhabeprozessen und Ausgrenzung bzw. Abschottung in den Blick genommen.

Die Anmeldung ist geschlossen – kommen Sie spontan vorbei!