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SG Nürnberg: Bezahlkarte muss individuell angepasst werden

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat mit zwei Beschlüssen vom 30.7.2024 (Az. S 11 AY 15/24 ER und S 11 AY 18/24 ER) entschieden, dass Bezahlkarten nicht ohne vorherige Anhörung ausgehändigt werden dürfen, die Umstände jedes Individuums berücksichtigt werden müssen und keine pauschalen Begrenzungen des Bargelds (hier: 50 €) vorgenommen werden dürfen.

Die Sozialämter müssen jede Person anhören, bevor sie auf die Bezahlkarte umstellen. Dazu gehört auch eine Rechtsmittelbelehrung. Die Aushändigung der Bezahlkarte ist eine Ermessensentscheidung und das Ermessen muss bei jeder Entscheidung ausgeübt werden. Zudem müssen die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden. Bargeldbegrenzungen müssen im Ermessen und im Hinblick auf die Lebensumstände entschieden werden.

Das SG kritisierte die Bezahlkarte auch ganz allgemein: Die Restriktionen der Bezahlkarte im Hinblick auf begrenzte Bargeldmittel und wegfallenende Onlineeinkäufe sowie Überweisungen führen dazu, dass Bedarfe nicht mehr gedeckt werden können. Auch seien Informations- und Teilhaberechte massiv beschränkt.

Nun muss das Sozialamt die Leistungen wieder vollständig auf das Konto überweisen. Den Beschluss hat Rechtsanwalt Volker Gerloff mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte erstritten.



Prävention von Menschenhandel und Ausbeutung

Das International Rescue Committee (IRC) bietet Trainingsvideos zur Prävention von Menschenhandel für Fachkräfte aus den Bereichen Unterkunftsvermittlung, Arbeitsvermittlung und Bildung, die im engen Kontakt mit Geflüchteten und Migrant*innen arbeiten. Hilfsangebote und Schutzmaßnahmen werden auf Deutsch, Englisch, Ukrainisch und Russisch bereitgestellt.

Das Projekt Safety Net will Flüchtende und Geflüchtete aus der Ukraine vor Missbrauch, Vernachlässigung und Ausbeutung schützen. Etwa 90% der Ankommenden sind Frauen und Kinder, die schnell Unterkunft und Einkommen finden müssen, oft ohne ausreichende Überprüfung der Angebote. Betroffene und Organisationen kennen die Risiken von Menschenhandel häufig nicht, was zu mangelndem Schutz führt. Angebote zur Prävention erreichen die Betroffenen oft nicht mehr. Deshalb ist es wichtig, dass Akteure wie Schulen, Arbeitsvermittlungsagenturen, Behörden und NGOs, die mit Geflüchteten in Kontakt stehen, informiert und geschult sind.

Das Angebot gilt für alle Menschen in Notsituationen. 


OVG Berlin-Brandenburg: Geschwisternachzug mit den Eltern zum subsidiär Schutzberechtigten

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat am 10.06.2024 einen sehr erfreulichen Beschluss zum Geschwisternachzug gefasst (OVG 3 S 32/24):

Einem 13-jährigen Bruder eines minderjährigen, subsidiär schutzberechtigten Syrers ist ein Visum zu erteilen, damit er gemeinsam mit seinen Eltern einreisen kann und die familiäre Gemeinschaft mit seinen Eltern aufrecht gehalten wird. Dass der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, spricht nicht gegen eine Visumerteilung. Da die Referenzperson in wenigen Tagen volljährig wird und dann der Nachzugsanspruch der Eltern endet, ist ein zeitlich gestaffelter Nachzug nicht zumutbar. Zudem sind die zeitlichen Dimensionen nicht absehbar. Die Eltern und der Bruder lebten im Irak.

  • Eine auch nur vorübergehende Trennung des Antragstellers von seinen Eltern kommt im Hinblick auf sein Alter – er ist erst dreizehn Jahre alt – und den Aufenthalt außerhalb des Herkunftslandes Syriens nicht in Betracht, weil dies mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre. Dies gilt umso mehr, als sich die Dauer einer Trennung des Antragstellers von seinen Eltern – etwa bis zu einer den Nachzug uneingeschränkt rechtfertigenden Zuerkennung internationalen Schutzes für die Eltern durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder bis zu einer Erzielung eigener Einkünfte der Eltern durch Erwerbstätigkeit – nicht sicher prognostizieren lässt. Hinzu kommt, dass auch die Dauer eines (weiteren) Visumverfahrens unter Beteiligung des Beigeladenen ungewiss ist.
  • Im Übrigen spricht auch die Argumentation der Antragsgegnerin eher für die Annahme eines Ausnahmefalles. Sie geht offensichtlich selbst davon aus, dass „langfristig kein Verlust des Nachzugsrechts“ drohe und die familiäre Lebensgemeinschaft letztlich im Bundesgebiet hergestellt werde. Warum es unter diesen Umständen entgegen höherrangigem Recht zumutbar wäre, zunächst das von der Antragsgegnerin geforderte Verfahren zu durchlaufen und eine (in zeitlicher Hinsicht) ungewisse Trennung in Kauf zu nehmen, ist für den Senat nicht ersichtlich.
  • Außerdem ist es den Eltern nicht zuzumuten, dass nur ein Elternteil in das Bundesgebiet einreist, wenn der Nachzugsanspruch des im Ausland verbleibenden Elternteils wegen der eintretenden Volljährigkeit des subsidiär Schutzberechtigten in wenigen Tagen untergeht und ein Nachzugsanspruch der restlichen Kernfamilie in zeitlicher Hinsicht ungewiss ist.

(Leitsätze von asyl.net)

Es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Auslandsvertretungen diese Entscheidung bei zukünftigen Anträgen auf Familiennachzug berücksichtigen.


OVG Nordrhein-Westfalen stellt subsidiären Schutz für Syrer*innen in Frage

Laut eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen  vom 16.07.2024 (14 A 2847/19.A) besteht für Zivilpersonen in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Bürgerkrieg) mehr.

Dieser Wortlaut führt zu großer Verunsicherung unter Syrerinnen und Syrern in Deutschland. Bevor aber große Panik ausbricht, sollte folgende Punkte beachtet werden:  

  • Die Entscheidung betrifft nicht Syrer*innen allgemein, sondern bezieht sich auf die spezifische Situation des Klägers. Außerdem ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
  • Syrer*innen, die in den letzten 13 Jahren einen Schutzstatus erhalten haben, sind von der Entscheidung nicht betroffen. An ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation ändert sich nichts. Sie müssen keine unmittelbare Abschiebung befürchten.
  • Eingebürgerte oder Personen mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis müssen sich keine Sorgen über den Widerruf ihres Schutzstatus machen; selbst im Falle des Widerrufs der Aufenthaltserlaubnis gibt es rechtliche Möglichkeiten der Aufenthaltssicherung.
  • Obwohl der Druck auf das BAMF und die Gerichte wächst, ändert sich für Personen mit bestehendem Schutzstatus durch das Urteil vorerst nichts. Individuelle Entscheidungen können jedoch überprüft werden.
  • Trotzdem gilt natürlich, dass das BAMF seine Entscheidungspraxis ändern könnte, was es für neue syrische Geflüchtete schwieriger machen würde, Schutz zu erhalten. Selbst wen das BAMF seine Entscheidungspraxis ändert und Gerichte dem folgen, wird voraussichtlich aufgrund der Sicherheitslage in Syrien in den meisten Fällen ein Abschiebungsverbot festgestellt werden. Auch der Kläger im genannten Urteil erhielt ein Abschiebungsverbot.

Fazit: Für schon in Deutschland befindliche Syrer*innen wird sich mit dieser Entscheidung erstmal nichts ändern. Die einseitige mediale Berichterstattung nutzten einige Politiker*innen, um die Debatte über Abschiebungen nach Syrien wieder anzufachen. Abschiebungen nach Syrien werden aufgrund der desaströsen Lage vor Ort aber vorerst keine reelle Option sein.



BumF: Stellungnahme zur Situation von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten

Im Rahmen der Evaluation des Verteilgesetzes befragt die Bundesregierung Verbände zu ihrer Einschätzung der Situation von unbegleitet Geflüchteten in Deutschland. Der Bundesfachverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (BumF) hat der Bundesregierung die Stellungnahme für das Jahr 2023 übergeben.

Die Ergebnisse zeigen erhebliche strukturelle Defizite in der Versorgung und Betreuung von jungen Geflüchteten, die dringend behoben werden müssen. Besonders problematisch ist die regional stark unterschiedliche Unterstützung, wodurch die Teilhabe dieser jungen Menschen zu einer „Lotterie“ wird, abhängig davon, wo sie in Deutschland ankommen. Dies betrifft alle Bereiche von der Kinder- und Jugendhilfe über die rechtliche Vertretung bis zur Schulsituation und Gesundheitsversorgung.


Sommerpause der Beratung

Bitte beachten Sie: Vom 3.8.24 bis zum 25.8.24 ist unsere Beratung geschlossen. E-Mails und Anrufe können wir in dieser Zeit leider nicht beantworten. In dringenden Fällen können Sie sich an Pro Asyl und gegebenfalls an Migrationsberatungen und an die Jugendmigrationsdienste wenden.

Die Beratung für Hauptamtliche schließen wir vom 10.08.24 bis zum 25.08.24.

Ab dem 26.8.24 sind wir wieder für Ihre Anfragen erreichbar.


Zwiespalt im Umgang mit Antiziganismus: Symbolische Ablehnung und alltägliche Ignoranz

Laut dem Roma / Sinti Diskriminierungsbericht Freiburg 2024 ist die Situation in Bezug auf Diskriminierung und Rassismus gegen Roma und Sinti zwiespältig und ambivalent.  Zwar wird Antiziganismus politisch und medial auf Bundes- und Länderebene symbolisch abgelehnt und es gibt positive Entwicklungen, wie etwa die Einrichtung einer Antiziganismusbeauftragten oder die Entwicklung des gesellschaftlichen Diskurs, in dem Roma und Sinti nicht mehr als Feindbilder verwendet werden.

Im Alltag jedoch, besonders auf lokaler Ebene wie in Freiburg, zeigt sich ein Anstieg des kulturellen Rassismus. Zwar ist körperliche Gewalt selten, aber Diskriminierungserfahrungen werden oft ignoriert, besonders von lokalen Behörden. Die Stadtpolitik erkennt den Antiziganismus symbolisch zwar an, aber konkrete Fälle werden nicht ernstgenommen und geschilderte Ausgrenzungs- und Entfremdungserfahrungen der Betroffenen nicht aufgeklärt.

Zahlreiche Fallbeispiele werden im Roma / Sinti Diskriminierungsbericht Freiburg 2024 dargestellt.


Zehn Jahre nach dem Völkermord: Flüchtlingsrat fordert Schutz für Jesid*innen

Am 3. August jährt sich der Völkermord an den Jesid*innen im Nordirak zum zehnten Mal. Zu diesem Anlass fordert der Flüchtlingsrat die baden-württembergische Landesregierung auf, die Abschiebungen von Jesid*innen auszusetzen. Den Überlebenden des vom Bundestag anerkannten Völkermordes muss Schutz geboten werden.

Ein kürzlich erschienenes Gutachten zeigt: Die Lage der Jesid*innen im Irak ist düster – und wird es absehbar bleiben. In ihrer Herkunftsregion Sinjar kämpfen staatliche und nichtstaatliche Akteure rücksichtslos um Macht und Einfluss. Ungeachtet dessen schiebt Baden-Württemberg aktuell Jesid*innen in diese prekäre Sicherheitslage ab und überlässt sie dort ihrem perspektivlosen Schicksal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand April 2024) bestätigt, dass „die Zukunftsperspektiven in Sinjar angesichts herausfordernder Lebensbedingungen, der Präsenz von nicht-staatlichen Milizen sowie einer mangelnden Umsetzung des sog. Sinjar-Abkommen schwierig“ bleiben.

Die baden-württembergische Landesregierung hat 2021 im Koalitionsvertrag angekündigt, ein weiteres Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Personen, insbesondere Frauen und Kinder, die Opfer traumatisierender Gewalt durch den IS geworden sind, ins Leben zu rufen. Doch das versprochene Sonderkontingent lässt auf sich warten. Während mehrere Bundesländer bereits Abschiebestopps in den Irak für jesidische Frauen und Minderjährige erlassen haben schiebt die baden-württembergische Landesregierung trotz eigener Handlungsspielräume die Verantwortung auf den Bund und bleibt untätig. 

 „Wir sehen einen klaren Widerspruch zwischen den Schutzversprechen auf Landes- und Bundesebene und der aktuellen Anerkennungs- und Abschiebepraxis. Den Überlebenden des Genozids sollte eine Bleibeperspektive geboten werden. Stattdessen werden sie trotz des kollektiven Traumas zurück an den Ort des Völkermords geschickt, wo sie ehemaligen Tätern begegnen, sich ständig bedroht fühlen müssen und keine Zukunft haben. Das ist grausam und unmenschlich”, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Die prekäre Sicherheitslage im Nordirak wird sich nicht grundlegend ändern, solange der Konflikt in Syrien andauert. Für die überwältigende Mehrzahl der im Nordirak lebenden Jesid*innen heißt das: Sie müssen auch fast zehn Jahre nach dem Völkermord auf unabsehbare Zeit in irakischen Flüchtlingslagern leben, die 2014/15 als Nothilfe eingerichtet wurden. Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes betont, dass die geplante Schließung der Flüchtlingslager in der kurdischen Autonomieregion sogar mit einer noch schlechteren Versorgung einherginge und die Situation für Jesid*innen zusätzlichen verschärfen wird. Auch eine innerirakische Fluchtalternative gibt es nicht, denn die jesidischen Familie sind auf die lebenswichtige Gemeinschaft und deren Schutz angewiesen.

 „Es ist und bleibt unverantwortlich, jesidische Männer, Frauen und Kinder in ein Land abzuschieben, in dem sie keine Lebensgrundlage haben und ihre Sicherheit fundamental bedroht ist. Daher fordern wir, dass die baden-württembergische Landesregierung Abschiebungen aussetzt und sich für einen bundesweiten Abschiebestopp für Jesid*innen einsetzt“, so Anja Bartel vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Unsere Gedanken gehören den Opfern des Völkermords, den Tausenden Männern, Frauen und Kindern, die vor zehn Jahren vom IS systematisch ermordet, verschleppt und vergewaltigt wurden. Wir möchten an sie erinnern und den überlebenden Familienangehörigen, Freund*innen und Bekannten unser tiefstes Mitgefühl ausdrücken.


Pro Asyl: Zehn Jahre nach dem Völkermord

Vor dem zehnten Jahrestag des Völkermords an den Jesid*innen im Irak fordern PRO ASYL und Wadi e.V. ein Bleiberecht für Jesid*innen in Deutschland. Die Opfer des vom Bundestag anerkannten Völkermords brauchen Sicherheit. Im ersten Schritt muss endlich ein bundesweiter Abschiebestopp beschlossen werden.

„Aus Deutschland dürfen keine Opfer des Völkermords abgeschoben werden. Die Jesid*innen brauchen Sicherheit und ein Bleiberecht hier. Statt den Überlebenden dieses vom Bundestag anerkannten Genozids diese Sicherheit zu gewähren, droht die Abschiebung an den Ort des Völkermords. Es muss endlich ein bundesweiter Abschiebestopp beschlossen werden“, sagt Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Auch wenn aktuell keine neuen Abschiebungen bekannt sind, wird Jesid*innen gezeigt, dass sie in Deutschland keine Perspektive bekommen sollen. In Bayern zum Beispiel wird irakischen Geflüchteten, darunter auch Jesid*innen, systematisch die Duldung entzogen oder als ungültig gestempelt. Damit verlieren sie ihre Arbeitserlaubnis und auch die Möglichkeit, in einer eigenen Wohnung zu leben. Und auch in anderen Bundesländern werden Jesid*innen behördlich unter Druck gesetzt und ihnen werden Sanktionen wie Arbeitsverbot und Leistungskürzungen angedroht.

Flüchtlingslager im Irak sollen geräumt werden 

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Irak ist ein Abschiebestopp längst überfällig: Die Lage für Jesid*innen hat sich in den letzten Wochen verschärft. Nach dem Willen der irakischen Regierung sollen Zehntausende Jesid*innen die Flüchtlingslager im Nordirak verlassen – ohne, dass es einen sicheren Ort für sie gibt.

Konkret bedeutet das: Genau zehn Jahre nach dem Beginn des Völkermords durch den IS stehen die Jesid*innen im Irak vor einer völlig ungewissen Zukunft. Es ist unklar, ob die Lager ab August noch eine Grundversorgung erhalten, ob die Schulen in den Camps nach den Sommerferien wieder öffnen werden. Die Entscheidungen Bagdads haben schon jetzt verheerende Auswirkungen auf die Menschen.

„Grundsätzlich wäre es gut, wenn die Jesidinnen und Jesiden endlich die Lager verlassen und ein normales Leben führen könnten. Doch genau das passiert nicht: Denn die Jesidinnen und Jesiden können in ihrer Herkunftsregion Sinjar im Irak nicht sicher leben – und auch in anderen Regionen im Irak nicht. Ohne diese Camps drohen sie obdachlos, mittellos und schutzlos zu werden, zudem verlieren sie ihre Schulen und ihre Gesundheitsversorgung“, betont Shokh Mohammed von Wadi e.V.

Auswärtiges Amt: Zukunftsaussichten bleiben schwierig 

Das sieht das Auswärtige Amt ähnlich. Im aktuellen Lagebericht zum Irak (Stand April 2024) heißt es: Ungeachtet von Bemühungen, die Lage der Jesid*innen zu verbessern, „bleiben die Zukunftsperspektiven in Sinjar angesichts herausfordernder Lebensbedingungen, der Präsenz von nicht-staatlichen Milizen sowie einer mangelnden Umsetzung des sog. Sinjar-Abkommen schwierig. Auch das kollektive Trauma des Völkermords stellt für Mitglieder der Gemeinschaft häufig ein Rückkehrhindernis dar, zumal in die traditionellen Siedlungsgebiete und Orte des IS-Verbrechens in Sinjar. Die geplante Schließung von IDP Camps [IDP=Internally displaced persons] in der Region Kurdistan Irak zum 30. Juli 2024 und damit verbundene Umsiedlung in ‚informelle Camps‘ mit mutmaßlich schlechterer Versorgung würde die Lage der mehrheitlich in Camps lebenden Jesid*innen zusätzlich verschärfen.“


Hintergrund: Die Lage für Jesid*innen im Irak 

Vor zehn Jahren, am 3. August 2014, begann die Terrororganisation IS damit, jesidische Frauen, Männer und Kinder zu verschleppen, zu versklaven, zu vergewaltigen und zu töten. Seit diesem Massaker und auch weiter nach dem Sieg über den IS 2017 leben die meisten Jesid*innen noch immer in Flüchtlingslagern, weil sie wegen der prekären Sicherheitslage in ihrer Heimatregion Sinjar (Shingal) keine Möglichkeit haben, in ihre früheren Orte und Häuser zurückzukehren.

Diese IDP-Camps (Internally Displaced Persons) für die Jesid*innen liegen in den von der kurdischen Regionalregierung verwalteten Gebieten des Irak, für ihren Unterhalt ist jedoch größtenteils die irakische Zentralregierung zuständig. Diese hat angekündigt, die Unterstützung für die Camps zum 31. Juli einzustellen. Die Regierung in Bagdad will, teils mit finanziellen Anreizen, teils mit Druck, die Jesid*innen dazu bewegen, in den Sinjar zurückzukehren.

Basma Aldikhi, Mitarbeiterin von Wadi e.V. und jesidische Aktivistin, die vom IS verschleppte und missbrauchte Frauen und Mädchen unterstützt, hat beobachtet: „Die Menschen in den Camps sind überall unerwünscht, sie haben das Gefühl, dass sie von überall vertrieben und weder von Kurdistan noch vom Irak akzeptiert werden.“

In diese völlig unsichere Situation dürfen deutsche Bundesländer keine Jesid*innen abschieben. Ihr Herkunftsgebiet Sinjar liegt im strategisch wichtigen Grenzgebiet zwischen Irak, Syrien, Türkei und Iran. Dort kämpfen verschiedene staatliche und nichtstaatliche Akteure, teils mit Waffengewalt, um die Macht. Aktuell läuft im Nordirak eine erneute Militäroffensive der türkischen Armee gegen Einheiten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Auch in andere Gebiete Iraks könnten Jesid*innen nicht ziehen, denn ohne ihre Gemeinschaft sind sie schutzlos Ausgrenzung, Diskriminierung und Angriffen ausgesetzt.

Ausführlich beschrieben ist die verfahrene Situation im Gutachten „Zehn Jahre nach dem Völkermord: Zur Lage der Jesidinnen und Jesiden im Irak“, das PRO ASYL und Wadi e.V. im April 2024 veröffentlicht haben. Das Ergebnis: Ohne relevante Sicherheitsgarantien, eine jesidische Selbstverwaltung, funktionierende Strafverfolgungsmaßnahmen und Entschädigungsprozesse sowie Klärung des Status der umstrittenen Gebiete und einer Demilitarisierung kann über eine Zukunft der Jesid*innen im Irak nicht einmal ansatzweise diskutiert werden.



Vorstandsmitglied verstorben: Eva Thien

Eva Thien verstarb viel zu früh und viel zu plötzlich am 19. Juli 2024.

Eva hatte sich jahrelang intensiv für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt, sowohl in ihrer Arbeit bei der Sozial- und Verfahrensberatung der Caritas im Ankunftszentrum Heidelberg, als auch ehrenamtlich bei der Seebrücke Heidelberg und dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Mit Ruhe und umfangreichem Wissen begleitete sie etliche Geflüchtete in ihrer ersten Zeit des Ankommens in Deutschland. Mit ihrer klaren Haltung für offene Fluchtwege und eine solidarische Welt sowie gegen rechte Hetze und Abschiebungen hat sie uns alle bereichert. Mit viel Energie kämpfte sie für Gerechtigkeit an vielen oft so unsichtbaren Ecken.

Wir werden ihre besonnene, reflektierte und liebenswerte Art vermissen. Allen Angehörigen und Freund*innen sprechen wir unser Mitgefühl aus.