In Afghanistan herrschen wieder die Taliban, viele Menschen sind in Lebensgefahr. Pro Asyl fordert: Deutschland muss die begonnenen Evakuierungen fortführen, den Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Afghan*innen beschleunigen, über Landes- und Bundesaufnahmeprogramme eine längerfristige Aufnahme planen und Afghan*innen hier endlich Schutz geben.
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Appell an Ministerin Gentges zur aktuellen Lage in Afghanistan
Das folgende Schreiben hat der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg heute an Justiz- und Migrationsminister Marion Gentges geschickt. Eine umfangreiche Auflistung dessen, was auf Bundesebene getan werden muss, hat Pro Asyl zusammengestellt. Es gibt leider nicht viel, was wir als Einzelpersonen oder NGOs tun können. Was wir aber tun können, ist die politisch Verantwortlichen auf Landes- und Bundesebene zu kontaktieren und Ihnen zu sagen, was jetzt passieren muss. Sprechen also auch Sie Ihre Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene an. In wenigen Wochen sind Bundestagswahlen – machen Sie Ihren Abgeordneten und Kandidat*innen deutlich, dass sie niemanden wählen werden, der sich nicht in der jetzigen Situation für die dringend erforderliche Nothilfe für die Menschen Afghanistan einsetzt!
Sehr geehrte Frau Ministerin Gentges,
angesichts der dramatischen Entwicklungen in Afghanistan erreichen uns als Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, ebenso wie andere Hilfsorganisationen und Beratungsstellen, ununterbrochen verzweifelte Hilferufe bezüglich Personen, die gerade in Afghanistan festsitzen. Teilweise geht es um Familienangehörige von afghanischen Menschen, die in Baden-Württemberg leben – einige von ihnen befinden sich seit langer Zeit im Visumsverfahren – teilweise geht es direkt um in Baden-Württemberg wohnhafte afghanische Staatsangehörige, die sich gerade in Afghanistan aufhalten und dort nicht mehr weg kommen. Wir begrüßen die Ankündigung der Landesregierung, sich an der Aufnahme von afghanischen Ortskräften zu beteiligen. Angesichts des Ausmaßes der humanitären Katastrophe sind aus unserer Sicht jedoch weitergehende Maßnahmen erforderlich.
Deshalb appellieren wir an Sie, jetzt:
- nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins und Berlins umgehend ein Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan auf den Weg zu bringen. Dieses Programm könnte Familienangehörige von in Baden-Württemberg lebenden afghanischen Staatsangehörigen umfassen, ebenso wie besonders gefährdete Personengruppen wie politisch und zivilgesellschaftlich aktive Personen, LSBTTIQ und andere Minderheiten,
- das Regierungspräsidium Karlsruhe anzuweisen, allen in Baden-Württemberg bis dato nur geduldeten Afghan*innen anstelle von Kettenduldungen wegen der offensichtlichen Unmöglichkeit der Rückkehr eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu erteilen,
- die schnelle und unbürokratische Aufnahme aller Familienangehörigen hier lebender Geflüchteter sicherzustellen, auch derjenigen Angehörigen, die sich eigenständig auf den Weg nach Deutschland gemacht haben und nun in anderen EU-Ländern (z.B. Griechenland) oder vor den EU-Grenzen (z.B. in Bosnien) festsitzen,
- sich beim Bund und den anderen Bundesländern für eine bundesweite Bleiberechtsregelung für geduldete Afghan*innen einsetzen,
- sich beim Bund für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme aller Ortskräfte der Bundeswehr und weiterer deutscher Institutionen / Organisationen und ihrer Familien einzusetzen, einschließlich der über Subunternehmen eingesetzten Ortskräfte, auch wenn ihre Tätigkeit länger zurückliegt,
- sich beim Bund für eine zeitnahe Überprüfung der offenkundig fehlerhaften Asylablehnungen durch das BAMF und die sofortige Wiederaufnahme der Asylverfahren einzusetzen,
- sich beim Bund dafür einzusetzen, sichere Fluchtwege für gefährdete Afghan*innen zu schaffen. Es braucht jetzt sichere und legale Fluchtwege für alle Menschen in Afghanistan, die das Land verlassen wollen oder müssen. Es müssen alle deutschen Botschaften für Bearbeitungen von Visumsanträgen afghanischer Staatsangehöriger für zuständig erklärt werden. Da es jederzeit zu spät sein kann, um noch aus Afghanistan herauszukommen, ist es nicht zumutbar, dass Menschen, die in Afghanistan ausharren, ein langwieriges Visumsverfahren durchlaufen müssen. Deshalb muss für diese Personen von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit ( § 6 IV iVm § 14 II AufenthG) Gebrauch gemacht werden, dass Ausnahme-Visa bei der Einreise nach Deutschland erteilt werden.
Herzlichen Dank im Voraus für die Prüfung und Umsetzung dieser aus unserer Sicht dringend gebotenen Maßnahmen.
Politisch gewollte Ignoranz hat zur Katastrophe geführt
Mit Entsetzen verfolgt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die dramatischen Entwicklungen in Afghanistan, wo die Taliban die Macht übernommen haben und tausende Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Nicht minder entsetzt ist der Flüchtlingsrat über das beschämende und menschenfeindliche Verhalten der politisch Verantwortlichen in Deutschland, die bis wenige Tage vor der Eroberung Kabuls durch die Taliban in erster Linie darauf bedacht waren, die mittlerweile zusammengebrochene Regierung unter Druck zu setzen, um weitere Abschiebungen hinzunehmen. Zuletzt sollte am 10. August eine Sammelabschiebung stattfinden, an der sich auch Baden-Württemberg beteiligt hätte, wenn sie nicht kurzfristig storniert worden wäre.
Den Flüchtlingsrat erreichen Anfragen von verzweifelten Menschen, deren Familienangehörige sich noch in Afghanistan befinden. Teilweise geht es um Menschen die auf ein Visum zum Familiennachzug warten, teilweise um Personen, wegen ihrer Tätigkeiten hoch gefährdet sind. In anderen Fällen geht es um Afghan*innen, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, und sich gerade in Afghanistan aufhalten. Aktuell können sie sich von den deutschen Behörden nicht viel erwarten. Wie das Auswärtige Amt bei Anfragen mitteilt, werden bei der Evakuierung zurzeit nur Personen mit einer deutschen Staatsbürgerschaft berücksichtigt.
„Dass so viele gefährdete Menschen in Afghanistan gerade ihrem Schicksal überlassen werden, ist das direkte Ergebnis davon, dass die Bundesregierung praktisch bis zum Tag der Machtübernahme der Taliban darauf bedacht war, die Lage in Afghanistan schönzureden, um Asylanträge von Afghan*innen ablehnen und Abschiebungen rechtfertigen zu können. Dazu hat sie die Warnungen unzähliger Betroffener und Länderexpert*innen bewusst ignoriert. Das kann man eigentlich nur als politisch motivierte Ignoranz bezeichnen“, so Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.
Noch Ende Juni hatten Union die SPD im Bundestag einen Antrag im Bundestag auf erleichterte Aufnahme afghanischer Ortskräfte abgelehnt – aus Prinzip, wie mittlerweile eingeräumt wird. Bereits seit Wochen wird in der Praxis deutlich, dass die Evakuierung von Ortskräften in sehr vielen Fällen an hohen bürokratischen Hürden und politischem Unwillen scheitert. Unterdessen scheint für den Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, das oberste Ziel darin zu bestehen , dass möglichst wenige Menschen aus Afghanistan Zuflucht in Deutschland finden.
„Laschet spricht davon, dass sich ‚2015 nicht wiederholen darf‘, der Baden-Württembergische Fraktionschef Manuel Hagel weist scheinheilig darauf hin, dass man ‚nicht alle afghanischen Probleme in Deutschland lösen kann‘. Mit solchen unehrlichen Argumentationen, die wir aus Framing-Strategien der extremen Rechten kennen, machen Politiker der selbsternannten politischen Mitte Stimmung gegen schutzbedürftige Menschen, rechtfertigen die tödliche Abschottungspolitik an der Außengrenzen Europas und ignorieren vollkommen, dass Afghanistans Nachbarländern Iran und Pakistan schon vor der aktuellen Eskalation des Konflikts insgesamt über fünf Millionen Geflüchtete aus Afghanistan aufgenommen hatten – rund 20 Mal so viele wie Deutschland. Das entspricht dem weltweiten Status Quo, wonach die große Mehrheit der geflüchteten Menschen sich in den ärmsten Ländern der Welt aufhalten, weshalb das ‚Wir können nicht alle aufnehmen‘-Mantra absolut verlogen ist, weil davon überhaupt keine Rede sein kann“, so Seán McGinley.
Der Flüchtlingsrat fordert die Bundesregierung auf, sichere Fluchtwege für gefährdete Afghan*innen zu schaffen. Hierzu gehören nicht nur Ortskräfte, die für deutsche Institutionen und Einrichtungen gearbeitet haben, sondern auch zivilgesellschaftliche und politische Aktivist*innen, Familiennachzügler:innen und besonders vulnerable Personen und Gruppen. Es braucht jetzt sichere und legale Fluchtwege für alle Menschen in Afghanistan, die das Land verlassen wollen oder müssen. Es müssen alle deutsche Botschaften für Bearbeitungen von Visumsanträgen afghanischer Staatsangehöriger für zuständig erklärt werden. Da es jederzeit zu spät sein kann, um noch aus Afghanistan rauszukommen, ist es nicht zumutbar, dass Menschen, die in Afghanistan ausharren, ein langwieriges Visumsverfahren durchlaufen müssen. Deshalb muss für diese Personen von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit ( § 6 IV iVm § 14 II AufenthG) Gebrauch gemacht werden, dass Ausnahme-Visa bei der Einreise nach Deutschland erteilt werden.
Baden-Württemberg ist aufgefordert, dem Beispiel Schleswig-Holsteins zu folgen und ein Landesaufnahmeprogramm auf dem Weg zu bringen. Afghan*innen die bereits in Deutschland sind und einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben, müssen ein effektives Bleiberecht erhalten.
Am Samstag findet in Stuttgart (12.30 Uhr, Rotebühlplatz) eine von Angehörigen der afghanischen Community organisierte Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit der afghanischen Bevölkerung“ statt. Weitere Kundgebungen finden am Freitag, 18.30 Uhr auf dem Münsterplatz in Ulm, sowie am Samstag, 11 Uhr auf dem Münsterplatz in Weingarten statt. Der Flüchtlingsrat ruft alle Menschen, die über die aktuellen Entwicklungen in Bezug auf Afghanistan empört sind, zur Teilnahme auf.
Rettungskette für Menschenrechte
Am 18. September um 12 Uhr setzen auch in Stuttgart mehrere Vereine und Bündnisse ein Zeichen für Solidarität mit Rettern und Geflüchteten.
Aufgrund von Einschränkungen durch die Pandemie und Parallelveranstaltungen werden anstelle einer Menschenkette Rettungsringe mithilfe von Seilen gebildet.
Weitere Informationen zur konkreten Aktion im Stuttgarter Schlossgarten finden Sie hier.
Weitere Infos unter: www.rettungskette.eu und www.ak-asyl-stuttgart.de
Kundgebung: Solidarität mit der afghanischen Bevölkerung!
Solidarität mit der afghanische Bevölkerung! Frieden für Afghanistan!
Wir sind zutiefst geschockt, traurig und wütend angesichts der schrecklichen Bilder, die gerade aus Afghanistan um die Welt gehen. Verzweifelt versuchen sich die Menschen angesichts der Machtübernahme der Taliban in Sicherheit zu bringen. Es geht dabei nicht „nur“ um die sogenannten „Ortskräfte“, die mit westlichen Militärs zusammengearbeitet haben. Auch die Afghan*innen, die sich in den letzten Jahren für Menschenrechte und für eine offene und demokratische Gesellschaft engagiert haben, sind den westlichen Mächten nun offensichtlich egal und werden schutzlos ihrem Schicksal überlassen. Hinzu kommen viele „normale“ Menschen, die aus gutem Grund der repressiven und menschenverachtenden Herrschaft der Taliban entkommen wollen. Wir solidarisieren uns mit all diesen Menschen und mit ihren Angehörigen und Freund*innen, die gerade zutiefst besorgt und verzweifelt sind. Anstatt schnellstmöglich die Evakuierung möglichst vieler betroffener Personen zu organisieren, hat die Bundesregierung noch vergangene Woche – obwohl der Vormarsch der Taliban in vollem Gange war – weiter an den geplanten Abschiebungen nach Afghanistan festgehalten. Das SPD-geführte Auswärtige Amt hat einen Lagebericht vorgelegt, das auf veraltete Informationen basierte – um Abschiebungen und die Ablehnung von Asylanträgen von Menschen aus Afghanistan zu rechtfertigen. Wir sagen deutlich: Es darf keine Abschiebungen geben, nicht nur vorübergehend.
In dieser Situation ist das Gerede von „Kommt jetzt eine neue Flüchtlingswelle auf uns zu?“ und „2015 darf sich nicht wiederholen“, wie wir es z.B. von Armin Laschet hören, beschämend und menschenverachtend. Sehr viele Menschen in Afghanistan haben berechtigte Angst um ihr Leben und ihre Zukunft. Wir sind froh um jede Person, der es gelingt, sich in dieser Situation in Sicherheit zu bringen, denn die Alternative wäre, von ihnen zu erwarten, dass sie sich dem Terror der Taliban aussetzen. Selbst wenn es vielen Menschen gelingt, aus Afghanistan zu flüchten, ist damit zu rechnen, dass die allermeisten es nur bis in die Nachbarstaaten Pakistan und Iran schaffen – dort leben jetzt schon 20 Mal so viele Menschen aus Afghanistan als in Deutschland. Das Europäische Abschottungssystem, das darauf ausgerichtet ist, möglichst keine Schutzsuchenden nach Europa zu lassen, wird dafür sorgen, dass allenfalls ein kleiner Teil von ihnen es nach Europa und nach Deutschland schaffen wird. Wir fordern sichere Fluchtwege für diejenigen, die durch die aktuelle Entwicklung zur Flucht gezwungen sind.
Kommen Sie zur Kundgebung am Samstag, 21. August um 12.30 Uhr, Rotebühlplatz, Stuttgart. Zeigen Sie Ihre Solidarität mit der afghanischen Community und mit den gefährdeten Menschen in Afghanistan!


15. Stuttgarter LebenSLauf zugunsten von LSBTTIQ geflüchteten Menschen
Abseitz Stuttgart e.V., der Sportverein für Schwule, Lesben und Freund*innen, richtet seinen diesjährigen 15. Stuttgarter LebenSLauf zu Gunsten von Menschen aus, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität flüchten mussten. Das Event in der Woche vom 12. bis 19. September 2021 wird von Bürgermeisterin Frau Dr. Alexandra Sußmann, Referat Soziales und gesellschaftliche Integration, als Schirmfrau sowie von den Abteilungen Integrationspolitik und individuelle Chancengleichheit der Stadt Stuttgart unterstützt. Es steht für eine Welt, in der Menschen, egal wo sie geboren sind und sich aufhalten, angstfrei und ohne Selbstverleugnung in Sicherheit, Würde und Respekt lieben und leben können.
Corona-bedingt läuft oder walkt in dieser Woche jede*r alleine oder zusammen mit Freund*innen zwei, fünf oder zehn Kilometer, egal wo und egal um welche Uhrzeit. Gruppenanmeldungen sind möglich. Zudem wird bei mindestens fünf Läufer*innen oder alternativ einer Spende von 100 Euro auf der Webseite unter Partner*innen das Logo der Gruppe / Firma oder Institution veröffentlicht. Jede*r sendet sportlich-lustige Fotos und/oder die gemessene Zeit an die Organisatoren des LebenSLauf. Alternativ kann dies auf der Facebook- oder Instagram-Seite des Sportvereins gepostet werden. Für beide Kategorien winken Überraschungspreise. Sofern es die Corona-Situation zulässt, wird die Woche mit einem geselligen Zusammensein bei Kaffee und Kuchen und einem kleinen Programm am 19. September 2021 um 15 bis 17 Uhr bei der Friedrich-von-Cotta-Schule abgeschlossen
Lange Zeit galt auch in Deutschland: es gibt nur Mann und Frau, zwei Geschlechter, und alle Menschen sind heterosexuell. Menschen, die nicht in diese Norm passen, wurden bei uns insbesondere in der NS-Zeit terrorisiert und entwürdigt. In vielen Ländern der Erde wie z. B. Syrien, Uganda oder Iran erfahren sie bis heute Verfolgung und Gewalt. In Deutschland angekommen, ist für viele von ihnen ein Leben in Sicherheit noch nicht erreicht. Zu den oft langwierigen und schwierigen Asylverfahren kommen Erfahrungen von Rassismus und von LSBTTIQ-Feindlichkeit, letzteres gerade auch in Flüchtlingsunterkünften und Integrationskursen, hinzu. Der Erlös des LebenSLauf wird der LSBTTIQ-Geflüchtetenarbeit von just human e. V. Stuttgart (just-human.de/) und vom Regenbogenrefugium des Weissenburg LSBTTIQ-Zentrum Stuttgart e.V. (zentrum-weissenburg.de/regenbogen-refugium/) zugutekommen. Diese setzen sich dafür ein, dass lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen – kurz LSBTTIQ – ein Gefühl von Sicherheit erleben und dass sie in ihrer geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität und Orientierung frei sein können.
Anmeldung und weitere Informationen: stuttgarter-lebenslauf.de
Bundesregierung setzt Abschiebungen nach Afghanistan aus
Angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage in Afghanistan hat die Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt. Zuvor hatten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch der Flüchtlingsrat BW, einen Abschiebestopp gefordert. Eine wesentliche Rolle für diese politische Entscheidung dürfte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gespielt haben, der eine für den 3. August geplante Abschiebung von Österreich nach Afghanistan im Eilverfahren gestoppt hatte.
In der Folge hat auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Entscheidungen über Asylanträge von Geflüchteten aus Aufghanistan vorläufig ausgesetzt. Die Behörde will einen aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amts abwarten, der die durch das Vorrücken der Taliban veränderte Situation im Land berücksichtigt. Pro Asyl kritisiert diesen Entscheidungsstopp. Geflüchtete bräuchten Schutz und keine Warteschleife im Asylverfahren. Stattdessen fordert Pro Asyl eine sofortige Notaufnahme von gefährdeten Menschen aus Afghanistan sowie ein unbürokratisches Familiennachzugsverfahren.
- 13.08.21 „Pro Asyl fordert sofortige Notaufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan“
- 12.08.21 Migazin: „Deutschland setzt Abschiebungen nach Afghanistan aus“
- 12.08.21 Der Spiegel: „Bamf setzt Entscheidungen über Asylanträge aus“
- 10.08.21 Aufruf: „Keine Abschiebungen nach Afghanistan“
- 13.07.21 Flüchtlingsrat fordert landeseigenen Afghanistan-Abschiebungsstopp
Studie: „Ohne Angst zum Arzt“
Wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitssystem für die Gesellschaft, aber auch für jede*n Einzelne*n ist, wurde uns allen durch die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Der Besuch beim Arzt ist jedoch nicht für alle Menschen in Deutschland so einfach möglich: Hunderttausende Menschen, die ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, sind praktisch von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Denn – im Gegensatz zur Praxis in anderen europäischen Staaten – sind staatliche Stellen hier dazu verpflichtet, Menschen ohne Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde zu melden. Mit einem Arztbesuch riskieren Personen ohne geregelten Aufenthalt also im schlimmsten Fall eine Abschiebung.
Die Pflicht zur Datenübermittlung sorgt in der Folge dafür, dass Betroffene lieber auf einen Arztbesuch verzichten. Damit steht diese Regelung im Gegensatz zum Grundrecht auf ein medizinisches Existenzminimum, welches den Betroffenen einen Anspruch auf Behandlung bei akuten Erkrankungen einräumt.
Eine neue Studie der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ und „Ärzte der Welt“ zeigt nun die Auswirkungen der Übermittlungspflicht und macht daran deutlich, weshalb diese Regelung als verfassungswidrig einzustufen ist.
- Gesellschaft für Freiheitsrechte & Ärzte der Welt, August 2021: Ohne Angst zum Arzt
Pressemitteilung : Keine Abschiebungen nach Afghanistan
Mit über 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg einen gemeinsamen Appell an die Bundesregierung und fordert erneut einen vollständigen Abschiebestopp nach Afghanistan.
In Afghanistan vergeht kaum ein Tag ohne Anschlag. Seit dem Abzug der NATO-Truppen sind die Taliban auf dem Vormarsch: über die Hälfte der Bezirke in Afghanistan steht schon unter Kontrolle der Taliban. Die dritte Welle der Covid-19-Pandemie verschärft die humanitäre Situation im Land zusätzlich. Die Lage am Hindukusch ist dramatisch und wird sich aller Voraussicht nach weiter verschlechtern.
Ein Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan ist vor diesem Hintergrund dringend geboten.
Die afghanische Regierung hat bereits im Juli die europäischen Staaten aufgefordert, vorläufig keine Abschiebungen mehr durchzuführen. Norwegen, Finnland und Schweden sind dieser Aufforderung nachgekommen. Auch die Grenzschutzagentur Frontex hat Anfang August bekanntgegeben, keine Abschiebungen nach Afghanistan mehr unterstützen zu wollen. Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Eilentscheidung am 2. August eine Abschiebung aus Österreich nach Kabul, die ursprünglich gemeinsam mit Deutschland stattfinden sollte, mit Verweis auf die dortige Sicherheitslage gestoppt.
Auch Deutschland darf die Augen vor der sich immer weiter verschlechternden Lage in Afghanistan nicht verschließen und muss alle Abschiebungen einstellen.
Rechtsstaat heißt, dass menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden. Sie dürfen auch nicht in einem Wahlkampf zur Verhandlung gestellt werden. Das völkerrechtliche Nicht-Zurückweisungsgebot, das aus dem absoluten Folterverbot abgeleitet wird und das Abschiebungen bei zu erwartenden schwersten Menschenrechtsverletzungen verbietet, gehört hierzu. Dieses Abschiebungsverbot gilt unabhängig von individuellem Verhalten.
Aufruf unterzeichnet von:
AG Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein
Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT-Deutschland)
Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)
Amnesty International
AWO Bundesverband
Brot für die Welt
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Bundesweite Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan
Deutscher Caritasverband
Diakonie Deutschland
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Landesflüchtlingsräte
medica mondiale e.V.
medico international
MISEREOR
Neue Richtervereinigung e.V.
Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.
Oxfam Deutschland
PRO ASYL
Republikanischer Anwältinnen – und Anwälteverein e.V. (RAV)
Seebrücke
terre des hommes Deutschland e.V.
Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF)
YAAR e.V.
Online-Seminar: Passbeschaffung
„Hilfe, die Behörde hat mich aufgefordert einen Pass zu beschaffen. Was muss ich jetzt machen?“ Vor dieser Fragen stehen etliche Geflüchtete. Inwieweit sie verpflichtet sind, bei der Beschaffung eines Passes mitzuwirken, hängt allerdings von ihrem Aufenthaltsstatus ab. In dieser Veranstaltung geht es sowohl um Personen mit Aufenthaltsgestattung als auch mit Duldung und Aufenthaltserlaubnis. Welche Rolle die Passpflicht, Passbeschaffungspflicht und Identitätsklärung in diesen drei Aufenthaltskategorien spielt, werden wir uns genauer anschauen. Dabei werden wir uns auch damit beschäftigen, ab wann eigentlich eine Mitwirkung bei der Passbeschaffung unzumutbar ist.
Die Infoveranstaltung richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingsarbeit. Sie wird mit Zoom durchgeführt und die Teilnehmenden erhalten die Zugangsdaten nach Anmeldung einen Tag vor dem Seminar. Datenschutzhinweise für das online-Seminar via „Zoom“ finden Sie hier.
Referentin: Maren Schulz (Flüchtlingsrat Baden-Württemberg)
Das Online-Seminar findet im Rahmen des Projekts „Aktiv für Flüchtlinge“ statt, gefördert vom Land Baden-Württemberg, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Kommunen mit Unterstützung der UNO Flüchtlingshilfe und der Deutschen Postcode-Lotterie.
Die Anmeldung ist geschlossen.