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VG Karlsruhe: Kriterien Prüfung freiheitlich demokratische Grundordnung

Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) ist im Einbürgerungsverfahren und für viele Aufenthaltstitel Voraussetzung. Wie es geprüft wird, ist sehr unterschiedlich. Nun hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 1.2.2023 (Az: 19 K 1832/21) entschieden:

„Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein materielles Tatbestandsmerkmal; die hierzu abgegebene Erklärung des Einbürgerungsbewerbers muss von einer inneren Hinwendung zur Verfassungsordnung getragen sein. Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung setzen allerdings voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Kontakt zu verfassungsfeindlichen Organisationen oder Aktivitäten bestehen…. Dies beugt einer freischwebenden „Gewissensprüfung“ und der damit verbundenen Gefahr einer diskriminierenden Behandlung vor und lässt sich mit einer Richtigkeitsvermutung zugunsten der formellen Abgabe des Bekenntnisses begründen (vgl. Berlit, a. a. O., Rn. 135).“

Aus dieser Entscheidung lässt sich ableiten, dass nur weil eine Person im Gespräch zur FDGO nicht alle Fragen der Behörde bezüglich Demokratie etc. einwandfrei beantworten kann, dies nicht den Rückschluss erlaubt, dass keine innere Hinwendung zur Verfassungsordnung besteht. Es müssen weitere Gründe vorliegen, welche Zweifel der Behörde an der inneren Hinwendung der Antragstellenden erlauben. Dies ist besonders im Hinblick auf das Chancen-Aufenthaltsrecht wichtig, da hier die Prüfung der FDGO äußerst heterogen vorgenommen wird.


Erlass: Passbeschaffung Eritrea

Endlich gibt es einen Erlass des Justizministeriums in BW zur Unzumutbarkeit der Passbeantragung und Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer von subsidiär schutzberechtigten Eritreer*innen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte bereits am 11.10.2022 (Az. 1 C 9.21) entschieden, dass ein eritreischer Staatsangehöriger mit subsidiärem Schutz Anspruch auf einen Reiseausweis für Ausländer hat, weil es ihm nicht zumutbar ist, eine „Reueerklärung“ zu unterzeichnen. Das BVerwG stellte klar, dass eine plausible Erklärung reicht, keine „Reuerklärung unterzeichnen zu wollen. Trotzdem haben Ausländerbehörden in Baden-Württemberg in der Vergangenheit Anträge auf Reiseausweise für Ausländer abgelehnt und Eritreer*innen auf die Passbeschaffung verwiesen.

Aus dem Erlass geht hervor:

1. Unzumutbarkeit einer „Reueerklärung“
Einer*einem subsidiär schutzberechtigten eritreischen Staatsangehörigen

  • im dienstfähigen Alter (18 bis 49 Jahre),
  • der*die illegal aus Eritrea ausgereist ist,
  • ohne den Nationaldienst vollständig erfüllt zu haben, 

ist die Abgabe einer Reueerklärung, in der man sich der nach eritreischem Recht strafbaren illegalen Ausreise selbst bezichtigen müsste, unzumutbar, wenn die Person nachvollziehbar erklärt, zu dieser Selbstbezichtigung nicht freiwillig bereit zu sein.

Dabei ist davon auszugehen, dass die eritreische Auslandsvertretung die Ausstellung eines Passes von der Abgabe einer Reueerklärung abhängig macht. Eritreer*innen müssen demnach keinen Nachweis von der eritreischen Auslandsvertretung über das Erfordernis der Unterzeichnung der Reueerklärung vorlegen.

2. Ermessensreduktion hinsichtlich Erteilung des Reiseausweises für Ausländer auf Null bei feststehender Unzumutbarkeit

Wird die Unzumutbarkeit der Unterzeichnung der Reuerklärung plausibel dargelegt, müssen Ausländerbehörden Eritreer*innen in der Regel einen Reiseausweis für Ausländer (§ 5 Abs. 1 AufenthaltsV) ausstellen. Dafür hat die Diakonie Schleswig-Holstein einen Musterantrag entworfen. Diesen bitte nur nach vorheriger Beratung und mithilfe der Hinweise ausfüllen!

Sollte es weiterhin Probleme bei der Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer geben, bittet der Flüchtlingsrat um Mitteilung.

Wichtig: Für Einbürgerungsverfahren ist das Innenministerium in BW zuständig. Dieses fordert in Einbürgerungsverfahren von eritreischen Staatsangehörigen einen Nachweis, dass die eritreische Auslandsvertretung die Unterzeichnung einer Reueerklärung verlangt.



Handicap International: Telefonische Beratung für Menschen mit Behinderung aus der Ukraine

Handicap International bietet eine telefonische und kostenfreie Erst- und Orientierungsberatung für geflüchtete Menschen mit Behinderung aus der Ukraine und ihre Angehörigen an. Themen der Beratung sind: Mögliche Themen der Beratung sind Zugänge zu staatlichen Hilfen über Sozialamt/Jobcenter, Aufenthaltsstatus oder Asyl, Kinderbetreuung, Spracherwerb und Evakuierungen von Menschen mit Behinderung aus der Ukraine. Die ratsuchenden Personen werden über die telefonische Beratung an Hilfestrukturen vor Ort angebunden. Die Beratung ist in ukrainischer und russischer Sprache möglich. Für andere Sprachen können Sprachmittler*innen hinzugezogen werden.

Kontakt: Alan Dmitriev
a.dmitriev@hi.org
+49 30 28043922
+49 (0)15173023090



Kundgebung „Don’t forget Afghanistan“ am 1. Juli 2023 in Mannheim

Die Seebrücke Mannheim und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg führen mit Unterstützung von Gruppen wie Organisationen wie Save Me Mannheim, PLUS Rhein-Neckar, Start with a Friend Mannheim am Samstag, 1.7., ab 16 Uhr eine Kundgebung zum Thema Afghanistan auf dem Mannheimer Marktplatz durch. Gemeinsam möchten die Organisationen ein Zeichen gegen die Unterdrückung von Frauen, Mädchen, queeren Menschen, Oppositionellen und ethnischen Gruppen durch das Taliban-Regime setzen.


Ausstellungszeiträume von Duldungen

Oft werden Duldungen nur für einen kurzen Zeitraum ausgestellt. Verlängerungen sind für Betroffene und Mitarbeitende in den Ausländerbehörden/Landratsämter zeitraubend und aufwendig. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat nun auf Anfrage mitgeteilt über welche Zeiträume Duldungen in der Regel erteilt werden sollen:

  • Duldungsersterteilungen: 3 Monate
  • Duldungsverlängerungen: 6 Monate
  • Duldungen nach § 60b AufenthG (sog. „Duldung Light“): 6 Monate
  • Duldungen in Dublin-Fällen: 3 Monate

In Einzelfällen können Ausnahmen von diesen Duldungszeiträumen vorgenommen werden. Die Regelung gilt ausdrücklich nicht für Fälle des Sonderstabs Gefährliche Ausländer.


Stellungnahme zur geplanten Einstufung der Republik Moldau als „sicheren Herkunftsstaat“

Aktuell wird im Bundestag über die Einstufung der Republik Moldau als „sicheren Herkunftsstaat“ beraten. Roma Center e.V. hat eine Stellungnahme dazu angefertigt, die von verschiedenen Roma & Sinti-Organisationen, PRO ASYL, einigen Flüchtlingsräten und weiteren Organisationen erstunterzeichnet wurde. Diese betrachtet die geplante Ernennung der Republik Moldau zum „sicheren Herkunftsstaat“ als Symbolpolitik auf Kosten flüchtender Roma, die eher die flüchtlingsfeindliche Stimmung in Deutschland weiter anheizen soll statt eine nennenswerte Auswirkung auf die Gesamtzahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen zu haben (die Anzahl der Asylanträge von moldauischen Staatsangehörigen ist sehr gering). Es steht allerdings zu befürchteten, dass die Einstufung von Moldau als „sicheren Herkunftsstaat“ die Ausgrenzung und Stigmatisierung von Roma in Deutschland und in Moldau weiter verstärken wird. Der Flüchtlingsrat BW ist erstunterzeichnende Organisation.



UNHCR: 108,4 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht

Zum Weltgeflüchtetentag am 20. Juni hat der UNHCR die aktuellen Flüchtlingszahlen veröffentlicht. Ende 2022 waren weltweit insgesamt 108,4 Millionen Menschen auf Grund von Verfolgung, gewaltsamen Konflikten oder anderweitigen Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht (2021: 89,3 Millionen). Dies ist der größte Anstieg innerhalb eines Jahres, den der UNHCR je verzeichnet hat. Hauptgrund für diesen Anstieg ist die russische Invasion in der Ukraine, die Millionen Menschen zur Flucht zwang.

58 Prozent der Flüchtenden im Jahr 2022 flüchteten nicht ins Ausland, sondern suchten eine Zuflucht innerhalb des eigenen Landes (sog. Binnenvertriebene). 52 Prozent aller Geflüchteten kamen aus drei Staaten: Syrien (6,5 Millionen), der Ukraine (5,7 Millionen) und Afghanistan (5,7 Millionen). Allgemein erweist sich die globale Verteilung von Geflüchteten auf andere Länder – gemessen am Einkommensniveau der Aufnahmeländer – als extrem ungleich. Die große Mehrheit aller Geflüchteten (76 Prozent) lebte 2022 in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen („low-and-middle-income countries“). Allein in der Türkei lebten Ende 2022 3,6 Millionen geflüchtete Menschen, gefolgt vom Iran (3,4 Millionen), von Kolumbien (2,4 Millionen) und Deutschland (2,1 Millionen).

Eine Verbesserung ist laut UNHCR leider nicht in Sicht. Im Gegenteil: Durch weitere Gewalt, wie z.B. jüngst im Sudan, schätzt die Organisation, dass die Zahl der weltweit Vertriebenenin 2023 bereits weiter auf 110 Millionen angestiegen ist.



Weltgeflüchtetentag: Jeden dritten Tag Angriffe auf Unterkünfte

Im vergangenen Jahr gab es durchschnittlich jeden dritten Tag einen Angriff auf eine Unterkunft von Geflüchteten: 121 Überfälle, Anschläge und Sachbeschädigungen – das sind über 73 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Außerhalb von Unterkünften wurden im Durchschnitt drei Asylsuchende pro Tag angegriffen, die Dunkelziffer ist vermutlich um ein Vielfaches höher.

Zahlen, die erschrecken und bestürzen. Doch Anschläge entstehen nicht im luftleeren Raum. Niemand wacht auf und beschließt einfach, eine Unterkunft anzuzünden oder Geflüchtete anzugreifen: Diese Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs und Ausdruck des Rassismus, der in unserer Gesellschaft herrscht.

Wir dürfen es uns dabei nicht zu leichtmachen: Nicht nur diejenigen, die solche Taten verüben sind rassistisch. Wir alle sind in einer rassistischen Gesellschaft sozialisiert worden und reproduzieren Rassismus in unserem täglichen Handeln. Populistische Hetze und menschenfeindliche Sprache seitens Politiker*innen tragen ihren Teil dazu bei, rassistische Denkweisen in der Öffentlichkeit zu etablieren. Wir müssen daher aktiv rassismuskritisch sein und versuchen, Rassismus zu verlernen. Und das bedeutet, sich mit unserer Gesellschaft, Machtverhältnissen, Privilegien, der Geschichte, der eigenen Sozialisation auseinanderzusetzen und Rassismus als ein gesamtgesellschaftliches und strukturelles Problem zu begreifen.  

Zum #Weltgeflüchtetentag wollen wir auf die aktuellen Entwicklungen aufmerksam machen. Die Zahl der Anschläge auf Unterkünfte ist bundesweit seit 2015 erstmalig wieder gestiegen. Rassismus hat drastische Konsequenzen. Menschen werden nicht nur angefeindet, sondern offen angegriffen.

Setzen wir uns gemeinsam für eine offene und rassismuskritische Gesellschaft ein, die Gewalt und Anschläge aufs Äußerste verurteilt und Rassismus gleichzeitig als gesamtgesellschaftliches Problem begreift.


Informationen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Am 15. Juni 2023 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über zwei zu einem Verfahren verbundene Klagen (BVerwG 1 CN 1.22, BVerwG 1 C 10.22). In beiden ging es um die Frage des grundrechtlichen Schutzes von Zimmern in Sammelunterkünften von Geflüchteten. Geklagt hatten zwei ehemalige Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen in Ellwangen und Freiburg.

Hintergrund der ersten Klage (Az: 1 C 10.22) war ein Polizeieinsatz im Juni 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen. Der Kläger Alassa Mfouapon sollte nach Italien abgeschoben werden, weil er dort zuerst seinen Asylantrag gestellt hatte und damit Italien nach der Dublin III-Verordnung für seinen Asylantrag zuständig war. Mehrere Polizist*innen begleitet von Polizeihunden, drangen in das Zimmer des Klägers ein – einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss hatten sie dafür jedoch nicht. Die Richter*innen des Bundesverwaltungsgerichts stellten zwar ausdrücklich klar, dass der Schutzbereich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung auch in Geflüchtetenunterkünften uneingeschränkt gilt, sie kamen aber zum dem Schluss, dass die Polizei das Zimmer des Kläger rechtmäßig „betreten“ – nicht „durchsucht“ – hatte. Dies sei „zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ nach Artikel 13 Absatz 7 GG erforderlich gewesen, weil es galt, den Kläger noch am selben Tag nach Italien zu überstellen. Aufgrund der geringen Größe des Zimmers sei es möglich gewesen, alles im Zimmer auf einem Blick zu erfassen, ohne dass gezielt nach etwas Verborgenem hätte gesucht werden müssen. Daher sei von einem „Betreten“ und nicht von einer „Durchsuchung“ auszugehen, so das Gericht. Die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen ist entscheidend für die Zulässigkeit der konkreten Maßnahme, weil das „Betreten“ zum Zweck der Durchführung einer Abschiebung nach § 58 Abs. 5 AufenthG auch ohne Anordnung durch ein Gericht stattfinden kann. Das „Durchsuchen“ einer Wohnung zum selben Zweck (nach § 58 Abs. 6 AufenthG) erfordert hingegen grundsätzlich eine richterliche Anordnung (vgl zu den Begriffen auch den Beitrag von Julian Seidl und Verena Veeckman aus dem Asylmagazin 6/2021, S. 193–197) .

Im zweiten Fall (Az: 1 CN 1.22) hatten Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg gegen bestimmte Punkte der Hausordnung der Einrichtung geklagt. Unter anderem ging es um Zimmerkontrollen und Zugangs- bzw. Taschenkontrollen beim Betreten des Geländes. Während der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Klägern noch in einigen Punkten Recht gegeben hatte, wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage als unzulässig ab, da das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger nicht mehr gegeben sei, da sie nicht mehr in der Einrichtung untergebracht sind. Die Grundsatzfrage, ob derartige Vorgaben in der Hausordnung einer Aufnahmeeinrichtung die Grundrechte der Betroffenen verletzen, wurde somit vom BVerwG nicht beantwortet.

Beide Klageverfahren wurden von einem Bündnis von Organisationen unterstützt, dem die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), PRO ASYL, die Aktion Bleiberecht Freiburg und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg angehören. Das Bündnis sieht in dem Urteil die Bestätigung der anhaltenden Praxis, die Rechte von Geflüchteten unzulässig zu beschneiden, um migrationspolitische Zeichen zu setzen. Es plant nun den Gang zum Bundesverfassungsgericht.



Schulungsvideos zu den Schutzformen des Asylrechts sowie zu Duldungen

Das Deutsche Rote Kreuz und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg veröffentlichen Schulungsvideos zum Migrationsrecht. Zielgruppe sind Berater*innen im Themenfeld Flucht und Migration. Die Reihe ermöglicht eine systematische Einarbeitung in das Rechtsgebiet und stellt eine ideale Ergänzung zu Seminaren und Lehrveranstaltungen dar. Nun sind neue Folgen zu den Schutzformen des Asylrechts und zu Duldungen erschienen.