Umsetzung der GEAS-Reform: Freiheitsbeschränkungen minimieren, Rechte Geflüchteter wahren

Aktuell planen die Innenminister*innen der Bundesländer die Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Anlässlich der Innenminister*innenkonferenz fordert der Flüchtlingsrat daher ein klares Signal aus Baden-Württemberg: Die Landesregierung steht in der Verantwortung, ihre Spielräume bei der landesweiten Umsetzung so zu nutzen, dass Schaden begrenzt und Grund- und Menschenrechte konsequent gewahrt werden.

Voraussichtlich wird der Bundestag zeitnah das sogenannte GEAS-Anpassungsgesetz beschließen. Mit diesem Gesetz setzt Deutschland die GEAS-Reform um. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg warnt vor einer weiteren Aushöhlung der Rechte schutzsuchender Menschen: Die Reform droht Schutzstandards abzusenken, Freiheitsrechte weiter einzuschränken und den Zugang zu fairen Verfahren zu erschweren.

„Die Reform verspricht europäische Solidarität, schafft in der Praxis aber ein äußerst kompliziertes System abgestufter Rechte für unterschiedliche Personengruppen. Statt Schutz zu stärken, drohen beschleunigte Grenzverfahren, haftähnliche Unterbringung und höhere Hürden im Rechtsschutz – mit besonders harten Folgen für Kinder und andere schutzbedürftige Menschen“, erklärt Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. „Baden-Württemberg muss bei der Umsetzung von GEAS jetzt Transparenz schaffen, die Zivilgesellschaft einbinden und jede vermeidbare Freiheitsbeschränkung unterlassen.“

Worum geht es?

Nach langjährigen und intensiven Verhandlungen haben sich das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Mai 2024 auf die GEAS-Reform geeinigt. Die entsprechenden europäischen Gesetzgebungsakte sind bereits im Juni 2024 in Kraft getreten. Die Neuregelungen werden weitreichende Auswirkungen auf die aktuelle Praxis haben. Daher haben die EU-Mitgliedsstaaten bis Juni 2026 Zeit, die Anpassungen des Europäischen Rechts umzusetzen. Doch die nationale Umsetzung wird voraussichtlich bedeuten: noch mehr Schnellverfahren an Grenzen, strengere Kontrollen sogenannter Sekundärmigration, größere Sammelunterkünfte mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit, mehr Datenerhebung und weniger Zeit für Beratung und Rechtsmittel. Das trifft besonders Kinder, Familien und traumatisierte Menschen.

Spielräume der Länder

Allerdings haben die Bundesländer trotz des nationalen Anpassungsgesetzes bei der Umsetzung der europäischen Reform Spielräume und können somit schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verhindern. Vor allem auf Ausgestaltung der Freiheitsbeschränkungen können die Länder Einfluss nehmen. Diesen Spielraum sollte das Land Baden-Württemberg nutzen, denn sonst drohen langfristige negative Konsequenzen: Ein defacto Inhaftierung tagsüber wie nachts verursacht bei den Betroffenen Verzweiflung, Stress und Depressionen und verunmöglicht das Ankommen in Deutschland. Geflüchtete Menschen zunehmend zu isolieren und auszugrenzen ist unverantwortlich und verhindert gesellschaftliche Teilhabe.

Daher fordert der Flüchtlingsrat BW von der baden-württembergischen Landesregierung:

  • Freiheitsbeschränkungen minimieren: Keine geschlossenen oder haftähnlichen Einrichtungen; vorrangig offene, dezentrale Unterbringung. In Baden-Württemberg darf kein sogenanntes Sekundärmigrationszentrum entstehen!
  • Transparent informieren: Einen öffentlichen, laufend aktualisierten Umsetzungsplan vorlegen – mit Zuständigkeiten, Zeitplan, Auswirkungen auf Kommunen und Rechte der Betroffenen.
  • Zivilgesellschaft einbeziehen: Wohlfahrtsverbände, Fachberatungsstellen, Kommunen, Selbstorganisationen und Betroffene früh und kontinuierlich an der GEAS-Umsetzung beteiligen.
  • Rechte sichern, Schaden begrenzen: Unabhängige Beratung, Dolmetschen und wirksamen Rechtsschutz garantieren; Zugang zu Anwält*innen in allen Einrichtungen; Zugang zu Schule, Kita, Gesundheitsversorgung und psychosozialer Beratung ab Tag eins.
  • Schutz für Kinder und besonders Schutzbedürftige: Besondere Bedarfe konsequent erkennen; kindgerechte Verfahren; Familienzusammenführung priorisieren; keine haftähnliche Unterbringung.

„Baden-Württemberg kann ein Zeichen setzen: Schutz statt Abschreckung, Rechte statt Restriktionen. Wir appellieren an die Landesregierung, die Spielräume zu nutzen, auf ein Sekundärmigrationszentrum zu verzichten und die Zivilgesellschaft als Partnerin einzubeziehen. Systematische Inhaftierungen Schutzsuchender müssen unbedingt verhindert werden.“, so Lucia Brass vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.


BVerfG: Durchsuchungsbeschluss für Abschiebungen aus Schlafzimmer notwendig

Das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe (BVerfG) hat in dem Beschluss vom 30. September 2025 (2 BvR 460/25) entschieden, dass der Schutz der Wohnung auch in Unterkünften für Geflüchtete gilt. Die Polizei braucht demnach grundsätzlich einen Durchsuchungsbeschluss, um für eine Abschiebung in die Wohnung geflüchteter Menschen einzudringen.

2019 hatte die damalige Bundesregierung mit einer neuen Regelung in § 58 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) versucht, den in den Grundrechten festgelegten Schutz des Wohnraums zu unterlaufen: Nach dieser Regelung durfte die Polizei im Rahmen einer Abschiebung ohne Durchsuchungsbeschluss in ein Zimmer eindringen, wenn aufgrund von Tatsachen zu schließen ist, dass sich die Person aktuell in der Wohnung aufhält. Es würde sich in diesem Fall um ein reines „Betreten“ des Zimmers und nicht um eine Durchsuchung handeln.

Im selben Jahr drangen Polizeibeamt*innen mit einem Rammbock in das Zimmer eines Geflüchteten in einem Berliner Übergangswohnheim ein, um diesen abzuschieben. Dafür lag kein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vor. In der ersten Instanz wurde der Klage des Geflüchteten recht gegeben, durch den fehlenden Durchsuchungsbeschluss hätte die Polizei rechtswidrig gehandelt. Im Berufungsverfahren hob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) diese Entscheidung auf und bestätigte das Vorgehen der Polizei. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte eine Revision ab.

Nach einer Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und PRO ASYL stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nun klar, dass ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich ist, solange die Polizei vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis darüber hat, dass und wo sich die Person konkret im Raum befindet. Auch in Fällen von Abschiebungen gilt folglich das Grundgesetz (Art. 13 Abs. 2 GG). Für § 58 Abs. 5 AufenthG bleibt damit nahezu kein Anwendungsbereich mehr.

Die Notwendigkeit richterlicher Durchsuchungsbeschlüsse für das Eindringen in Wohnungen im Fall von Abschiebungen bedeutet, dass ein Gericht prüfen muss, ob eine Durchsuchung überhaupt erforderlich ist, um eine Person abzuschieben oder ob es mildere Mittel gibt. Und ob es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Abschiebung ohne Zimmerdurchsuchung fehlschlagen würde. 

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg lehnt Abschiebungen grundsätzlich ab. Solange Abschiebungen jedoch politische Realität sind, müssen dabei rechtsstaatliche Standards eingehalten werden. In einer Stellungnahme vom 14. März kritisierte der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg das Vorgehen der Polizei bei Abschiebungen und unterstützte die Entscheidung von PRO ASYL und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), für die Unverletzlichkeit der Wohnung in Erstaufnahmeeinrichtungen vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Die Stellungnahme hebt besonders die psychischen Folgen für geflüchtete Menschen, die regelmäßig mit Abschiebungen aus Erstaufnahmeeinrichtungen einhergehen, hervor. Das Urteil des BVerfG bestätigt in diesem Fall, dass kein Grundrechtsschutz zweiter Klasse für Geflüchtete besteht und das Grundgesetz ohne Ausnahme für alle Menschen gleichermaßen gilt.



Umfrage zu Diskriminierung in Deutschland

Die Antidiskriminerungsstelle des Bundes ruft Menschen in Deutschland dazu auf, ihre Diskriminierungserfahrungen zu teilen. Vom 12. November 2025 bis zum 28. Februar 2026 können Betroffene von Diskriminierung ab 14 Jahren an einer Online-Umfrage teilnehmen – in Deutsch, Englisch, Französisch, Türkisch, Arabisch, Spanisch, Russisch, Polnisch, Ukrainisch, in einfacher deutscher Sprache oder deutscher Gebärdensprache. Eine Printversion des Fragebogens kann online kostenlos in Deutsch und in einfacher deutscher Sprache bestellt werden. Auch die Kosten für die Rücksendung werden übernommen. Die Umfrage ist anonym und alle Angaben werden vertraulich behandelt. Die Teilnahme dauert ungefähr 30 Minuten.  

Unter dem Motto „Deine Erfahrung zählt“ soll mit den Ergebnissen der Umfrage ein umfassendes Bild der Diskriminierungserfahrungen in Deutschland geschaffen werden. Denn wie häufig Diskriminierung vorkommt, in welchen Lebensbereichen sie auftritt und welche Folgen sie für Betroffene hat, ist bis heute kaum bekannt. Die Antworten sollen dabei helfen, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten in Politik und Gesellschaft auszuarbeiten.

Neben der Umfrage wird eine repräsentative Befragung durchgeführt, um herauszufinden, wie viele Menschen von Diskriminierung betroffen sind.

Ergebnisse dieser umfassenden Studie sollen im Frühsommer 2027 veröffentlicht werden.  

In Zeiten, in denen gleiche Rechte für alle in Frage gestellt werden, ist eine große Beteiligung an der Umfrage wichtiger denn je. Hilf mit, Diskriminierung mithilfe dieser Umfrage sichtbar zu machen. Kostenloses Werbematerial für die Teilnahme ist auf der Webseite verfügbar.



Landtagswahlkampf: Sachlich bleiben statt Vorurteile schüren

Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen am 8. März 2026 fordert der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg die demokratischen Parteien dazu auf, ein Fairness-Abkommen zu unterzeichnen. Hierfür haben die Parteien Zeit bis zum 31. Dezember 2025. Ziel des Abkommens ist es, die Parteien dazu anzuhalten, sich in hitzigen Wahlkampfzeiten um einen sachlichen Diskurs rund um die Themen Flucht und Migration zu bemühen.

Am 01. Dezember haben die baden-württembergischen Parteispitzen von CDU, Grünen, SPD, FDP, der Linken und BSW eine E-Mail vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg erhalten. Darin werden die für die Landtagswahlen relevanten demokratischen Parteien dazu aufgefordert, bis Ende des Jahres 2025 ein Fairness-Abkommen zu unterzeichnen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens geht eine Selbstverpflichtung einher, in Zeiten des Wahlkampfes hinsichtlich der Themen Flucht und Migration inhaltlich fair zu bleiben. Das bedeutet zum Beispiel, keinen Wahlkampf auf Kosten von Menschen mit Migrationsgeschichte zu betreiben oder keine Vorurteile gegenüber geflüchteten Menschen zu schüren. Der genaue Wortlaut des Abkommens ist öffentlich und kann jederzeit von allen Interessierten auf der Homepage des Flüchtlingsrats nachgelesen werden.

Der Flüchtlingsrat-Baden-Württemberg wird im Januar 2026 veröffentlichen, welche Parteien sich zu einem fairen Wahlkampf im Bereich Flucht und Migration verpflichtet haben – und welche gegebenenfalls nicht. „Wir hoffen sehr, dass sich alle demokratischen Parteien für eine Unterzeichnung des Abkommens entscheiden und damit ein wichtiges politisches Signal gegen Polemik und Hetze setzen“, so Meike Olszak vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. „Natürlich ist es völlig legitim, dass im Landtagswahlkampf auch um den politisch richtigen Umgang mit Flucht und Migration in Baden-Württemberg gerungen wird. Viel zu oft verfallen Politiker*innen dabei aber in Polemiken, diskutieren faktenfern oder reproduzieren verletzende Stereotype gegenüber geflüchteten Menschen. Mit dem Abkommen möchten wir einen Beitrag leisten zu einem Wahlkampf, der die Vielfältigkeit der baden-württembergischen Gesellschaft achtet und von pauschalen Anschuldigungen absieht“, so Anja Bartel vom Flüchtlingsrat.

Inspiriert zum Fairness-Abkommen wurde der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg durch den Runden Tisch Integration Köln, welcher ein gleichnamiges Instrument seit vielen Jahren mit Erfolg in Zeiten des Wahlkampfes anwendet.