SG Hannover: Eilrechtsschutz gegen Leistungskürzung wegen „Schicksalsgemeinschaft“

Nachdem das SG Landshut Ende Oktober 2019 die Einstufung erwachsener Alleinstehender und Alleinerziehender in Gemeinschaftsunterkünften in die Regelbedarfsstufe 2 des AsylblG (statt 100 % nur noch 90 % des Regelsatzes) wegen angeblich gemeinsamen Wirtschaftens aus einem Topf als „Schicksalsgemeinschaft“ wie Ehepaare für verfassungswidrig erachtete meldet jetzt auch das SG Hannover erhebliche Zweifel daran an, ob diese Einstufung verfassungskonform ist (hier: § 3a AsylG). Das SG Hannover gewährt in diesen Fällen Eilrechtsschutz unter Verweis auf das Urteil des BVerfG aus 2012 zum AsylbLG und führt unter anderem aus: „… dass die Einführung der besonderen Bedarfsstufe des § 3 a Asylbewerberleistungsgesetz für Asylbewerber in Sammelunterkünften nicht auf einer realitätsgerechten und schlüssigen Berechnung gründen.“

Geflüchtete, denen mit Verweis auf die vermeintliche „Schicksalsgemeinschaft“ die Leistungen gekürzt werden, kann also durchaus empfohlen werden, fristgerecht Widerspruch, Eilantrag und gegebenfalls Klage einzureichen. Hierfür gibt es Schriftsätze für Musterargumentationen, die von den Rechtsanwälten Volker Gerloff und Klaus Schank zusammengestellt wurden und verwendet werden können.Entscheidung des SG Hannover vom 20.12.19


2648 Abschiebungen aus Baden-Württemberg 2019

Die Zahl der Abschiebungen aus Baden-Württemberg ist 2019 von 3018 auf 2648 zurückgegangen. Grund dafür sind vor allem die zurückgehenden Rückführungen in die Länder des westlichen Balkans, auch wenn sie mit gut 750 Menschen einen erheblichen Anteil ausmachen, jedoch rund 500 weniger betrafen als noch 2018. Angesichts der drastischen sinkenden Zahlen von Asylanträgen von Menschen aus diesen Ländern, und angesichts des hohen Anteils von selbständigen Ausreisen abgelehnter Asylsuchender führt das Festhalten des Landes Baden-Württemberg an den monatlichen Sammelabschiebungen in die Westbalkanländer nach Auffassung des Flüchtlingsrats zu einer Häufung besonders unmenschlichen Abschiebungen – die etwa zu Familientrennungen führen, oder rechtswidrig sind, oder bei denen Menschen, die fast ihr ganzes Leben in Deutschland vebracht haben, in ein Land abgeschoben wurden, in dem sie nie waren und dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. 

Erstmals ist Italien das häufigste Zielland, was sich in den häufigsten Fällen  (abzüglich acht Abschiebungen italienischer Staatsangehöriger) mit Rücküberstellungen in das Erstankunftsland der Geflüchteten erklären lässt (Dublin-Fälle oder Personen mit Schutzstatus in Italien). Auf Italien folgen die angeblich „sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans als häufigste Zielländer. Mehr als ein Viertel der gesamten Abschiebungen fielen auf den Kosovo (188), Serbien (180), Nordmazedonien (173) und Albanien (165).

63 Abschiebungen nach Gambia fanden statt, die allermeisten am Anfang des Jahres: Im ersten Quartal gab es 51 Abschiebungen nach Gambia, im zweiten Quartal drei, im dritten keine und im vierten Quartal neun. Die Anzahl der Abschiebungen nach Afghanistan, das als gefährlichstes Land der Welt gilt, ist von 21 im Jahr 2018 auf 33 deutlich angestiegen.

Nach Herkunftsland:

HerkunftslandAbschiebungen
Nigeria255
Kosovo196
Georgien184
Serbien182
Nordmazedonien179
Algerien173
Albanien166
Gambia129
Marokko88
Tunesien88
Afghanistan83
Iran78
Irak77
Pakistan69
Rumänien65
Türkei61
Guinea54
Bosnien-Herzegowina53
Russische Föderation49
Somalia37
Eritrea36
Kamerun30
Syrien28
China27
Litauen24
Indien22
Togo21
Sri Lanka19
Polen18
Senegal13
Bulgarien12
Ghana10
Ungeklärt10
Italien8
Ungarn8
Armenien6
Kroatien6
Montenegro6
Slowakische Republik6
Lettland5
Moldawien5
Niederlande5
Ukraine5
Vietnam4
Weißrussland4
Ägypten3
Staatenlos3
Dominikanische Republik2
Frankreich2
Griechenland2
Haiti2
Kenia2
Kolumbien2
Korea2
Portugal2
Spanien2
Sudan2
USA2
Angola1
Aserbaidschan1
Belgien1
Brasilien1
Elfenbeinküste1
Großbritannien1
Guinea-Bissau1
Kasachstan1
Kongo1
Libanon1
Libyen1
Madagaskar1
Mongolei1
Niger1
Österreich1
Slowenien1
Gesamt2648

Nach Zielland:

ZiellandAbschiebungen
Italien295
Kosovo188
Serbien180
Georgien178
Nordmazedonien173
Albanien165
Algerien157
Frankreich133
Nigeria123
Marokko82
Rumänien80
Tunesien72
Spanien64
Gambia63
Pakistan61
Bosnien-Herzegowina53
Türkei51
Schweiz48
Österreich44
Polen34
Afghanistan33
Litauen30
Niederlande28
Schweden28
Belgien24
Russische Föderation22
Indien20
Bulgarien18
Tschechische Republik15
Finnland12
Kamerun12
Slowakische Republik12
Sri Lanka12
Dänemark10
Griechenland10
Kroatien9
Lettland9
Ungarn8
Armenien6
China6
Iran6
Montenegro6
Slowenien6
Irak5
Moldawien5
Portugal5
Ghana4
Ukraine4
Vietnam4
Großbritannien3
Weißrussland3
Haiti2
Kenia2
Kolumbien2
Korea2
Norwegen2
Senegal2
Sudan2
USA2
Ägypten1
Angola1
Aserbaidschan1
Brasilien1
Dominikanische Republik1
Elfenbeinküste1
Kasachstan1
Libanon1
Luxemburg1
Madagaskar1
Malta1
Mongolei1
Somalia1
Gesamt2648

Stellungnahme von PRO ASYL zur Asylstatistik 2019

Das Bundesinnenministerium hat die Asylstatistik zum Jahr 2019 veröffentlicht. Der Bundesinnenminister wertet es als Erfolg, dass es weniger Schutzsuchende nach Deutschland geschafft haben. Diese rein nationale Sicht ignoriert: Erstmals waren 2019 weltweit mehr als 70 Millionen Menschen auf der Suche nach Schutz. Die immer größer werdende Verzweiflung und Notlage der Menschen ist für Seehofer nichts anderes als »Migrationsdruck«, den es abzuwehren gilt. »Was vom Bundesinnenministerium als Erfolg verkauft wird, geht auf Kosten Schutzsuchender«, sagt Bellinda Bartolucci, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik bei PRO ASYL. Die gesamte Pressemitteilung lässt sich hier einsehen.


Wohnsitzauflagen im Migrationsrecht: Handreichung des Flüchtlingsrats BW

Im Asyl- und Aufenthaltsrecht gibt es verschiedene Arten von Wohnsitzauflagen, je nachdem, ob die betroffene Person eine Aufenthaltsgestattung, Duldung oder Aufenthaltserlaubnis besitzt. Diese Arbeitshilfe erklärt die verschiedenen Wohnsitzauflagen und die Umstände, unter denen sie verhängt und aufgehoben werden.

 Die Broschüre liegt nur in deutscher Sprache vor und richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte. Ab Januar kann man die Broschüre als Druckversion erhalten, Vorbestellungen sind unter info@fluechtlingsrat-bw.de möglich.


Erfolg

Rückschläge, Enttäuschungen, Hiobsbotschaften, ständige Gesetzesverschärfungen, unverständliche Behördenentscheidungen, Wut, Frust und Ohnmacht … das waren in den letzten Jahren die ständigen Begleiter der meisten Engagierten in der Flüchtlingsarbeit. Es wird zunehmend schwierig, die richtigen Worte zu finden, wenn man eine scheinbar endlose Aneinanderreihung von negativen Erlebnissen durchmacht und das über Jahre.
Dazu wollen wir mit dem Schwerpunkthema dieser Ausgabe einen Kontrapunkt setzen und die Erfolgserlebnisse in den Mittelpunkt stellen. Zudem gibt es Beiträge über die neuen Gesetze, über die Gambia-Veranstaltungsreihe des Flüchtlingsrats, über das Widerrufsverfahren, den Unterschied zwischen Abschiebungshindernis und Abschiebungsverbot und vieles mehr auf insgesamt 60 Seiten. 


Mitwirkungspflichten von Geduldeten: Handreichung des Flüchtlingsrats BW

In der 2. Auflage dieser Arbeitshilfe werden die gesetzlichen Mitwirkungspflichten vorgestellt, denen Geduldete unterliegen. Relevant ist das Thema vor allem in der Konstellation, dass Geduldete aufgefordert werden, ihre Identität zu klären und sich um einen Reisepass zu bemühen. Immer wieder kommt es auch vor, das Sanktionen wie Arbeitsverbote verhängt werden mit der Begründung der fehlenden Mitwirkung. In dieser Arbeitshilfe wird erklärt, welche Mitwirkungspflichten exisitieren, welche Pflichten die Geduldeten haben und welche die Ausländerbehörde, wie man die Erfüllung der Mitwirkungspflichten glaubhaft machen kann, und welche Sanktionen unter welchen Umständen rechtlich zulässig sind.

Die Broschüre liegt nur in deutscher Sprache vor und richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte. Ab Januar kann man die Broschüre als Druckversion erhalten, Vorbestellungen sind unter info@fluechtlingsrat-bw.de möglich.


Petitionsübergabe – Verwandte und Unterstützer*innen fordern Rückkehr der Tahiri-Schwestern

Verwandte und Unterstützer*innen von Gylten und Gylije Tahiri haben am Mittwoch eine Petition mit rund 35 000 Unterschriften an das Innenministerium von Baden-Württemberg übergeben. Die beiden Schwestern, die 1998 als Kleinkinder aus dem Kosovo nach Deutschland geflüchtet waren, wurden am 27. September nach Serbien abgeschoben.

„Sie wurden abgeschoben in eine Situation der Rechtlosigkeit. Dies wurde vorher nicht ordnungsgemäß geprüft“, erklärte Walter Schlecht vom Antirassistischen Netzwerk. Die beiden seien in Deutschland verwurzelt gewesen – ihre Familie, ihr Freundeskreis, ihre Arbeitsplätze, ihre Wohnungen und sämtliche Lebensinhalte seien hier. „Nur die rechtliche Verwurzelung scheiterte, weil sie mangels Papiere keine Pässe bekommen konnten“, erklärte Schlecht weiter. Abgeschoben wurden die beiden mit „Laissez-Passers“ der EU, die in Serbien nicht als Identitätsnachweis akzeptiert werden und keinerlei Rechte mit sich bringen. Deshalb befinden sich die Schwestern in einer ausweglosen Situation.

Senad Tahiri, einer der Brüder der beiden Abgeschobenen, hat seine Schwestern nach der Abschiebung besucht. Er war zusammen mit ihnen auf verschiedenen Ämtern. „Sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen oder Krankenversicherung, sie bekommen keine Pässe oder Personalausweise. Es scheitert alles an der fehlenden Wohnsitzanmeldung. Diese kann durchaus noch Jahre dauern. Eine Mitarbeiterin der Caritas, die mit Rückkehrenden arbeitet, kennt Fälle, in denen Abgeschobene seit zwei Jahren immer noch auf ihre Wohnsitzanmeldung warten. Die Cartias-Mitarbeiterin betonte auch, dass gerade alleinstehende junge Frauen in einer solchen Situation besonders gefährdet sind“, berichtet er.

Im Moment, so die Schilderung von Senad Tahiri, haben die beiden von einem Priester eine notdürftige Unterkunft bekommen, nachdem sie zwischenzeitlich auf der Straße gelebt haben. Ihre Familie unterstützt sie nach Kräften finanziell, ansonsten wären sie völlig mittellos. Eine Änderung dieser Situation sei nicht in Sicht. Obwohl mittlerweile serbische Geburtsurkunden vorliegen, geht aus Sicht des serbischen Staates nichts ohne Wohnsitzanmeldung.

Für Medina Bozza, eine Freundin der beiden Abgeschobenen, die die Petition initiiert hat ist klar: „Sie müssen zurück, denn sie gehörten hierher. Hier haben sie ihre Familie und Freunde, dort haben sie nichts. Sie kennen niemanden und können die Sprache nicht, weil sie hier immer nur Deutsch gesprochen haben. Sie haben keine Möglichkeit, eine Wohnung oder Arbeit oder auch nur Sozialhilfe oder Krankenversicherung zu bekommen. Weil sie keine Ausweise haben, ist es sogar schwierig, ihnen Geld zu schicken.“

 „Die Tahiri-Schwestern sind Opfer der aktuellen Abschiebungs-Hysterie. Die Behörden haben da keinen Blick auf die Menschen“, kritisierte Walter Schlecht. Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg stimmt dieser Einschätzung zu und verweist auf die Statistiken zu den Sammelabschiebungen in die Westbalkan-Staaten: „Unseren Schätzungen zufolge ist eine große Mehrheit der Abgeschobenen seit 2015 oder länger in Deutschland. Fälle wie diese, in denen Menschen Jahrzehnten in Deutschland gelebt haben, teilweise hier geboren sind, und ins absolute Nichts abgeschoben werden, sind leider auch keine Seltenheit, sondern werden uns immer wieder gemeldet.“

Kritisiert wurde auch, dass die Ausländerbehörden entgegen der Beschlusslage der Landesregierung offensichtlich nicht konsequent über die existierenden Bleiberechtsregelungen aufklären. „Viele dieser Abschiebungen würden sich verhindern lassen, wenn die Personen die Bleiberechtsoptionen in Anspruch nehmen würden. Doch oft wissen sie nicht davon. Für die Tahiri-Schwestern wurde zum Beispiel nie ein Härtefallantrag gestellt. Es wird gerne so getan, als seien diese Abschiebungen alternativlos, man würde nur das Recht durchsetzen. Unerwähnt bleibt dabei, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, im Rahmen des geltenden Rechts Humanität walten zu lassen und ein Bleiberecht zu gewähren – gerade in Fälle wie diesem. Entscheidend ist der politische Wille, der offensichtlich nicht vorhanden ist“, so Seán McGinley.

Die Unterstützer*innen hoffen, dass die große öffentliche Aufmerksamkeit für diesen Fall dazu führen wird, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg eine Wiedereinreise der Tahiri-Schwestern prüft. Diesen Wunsch gab Medina Bozza dem Mitarbeiter des Innenministeriums mit auf den Weg. „Wir werden Ihr Schreiben prüfen“, sagte er.


Der Weg zum unbefristeten Aufenthaltstitel

Für Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben – beispielsweise deshalb, weil ihnen im Asylverfahren ein Schutzstatus zugesprochen wurde oder weil sie nach einem erfolglosen Asylantrag auf anderem Wege ein Bleiberecht erhalten haben – stellt sich oft irgendwann die Frage, wie sie ihren Aufenthalt verfestigen können. Diese Arbeitshilfe erklärt, unter welchen Umständen welche Personengruppen einen unbefristeten Aufenthaltstitel – zum Beispiel eine Niederlassungserlaubnis erhalten, und unter welchen Umständen ein unbefristeter Aufenthaltstitel erlöschen oder widerrufen werden kann.


Die Beschäftigungsduldung

Ab Januar 2020 besteht für Geduldete, die schon lange arbeiten und weitere Voraussetzungen erfüllen, die Möglichkeit, eine Beschäftigungsduldung zu erhalten. Eine neue Broschüre des Flüchtlingsrats BW erklärt, was die Beschäftigungsduldung ist, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit sie erteilt werden kann, und wie die Beschäftigungsduldung zu einer Aufenthaltserlaubnis führt. Die Broschüre liegt nur in deutscher Sprache vor und richtet sich in erster Linie an ehrenamtlich Engagierte. Ab Januar kann man die Broschüre als Druckversion erhalten, Vorbestellungen sind unter info@fluechtlingsrat-bw.de möglich.


Arbeitshilfe „Das Asylbewerberleistungsgesetz“

Der Paritätische Gesamtverband hat eine Arbeitshilfe zum Thema „Soziale Rechte für Geflüchtete – Das Asylbewerberleistungsgesetz“ herausgegeben. Autor ist Claudius Voigt. Die Arbeitshilfe beinhaltet die neuen rechtlichen Änderungen im Hinblick auf die Asylbewerberleistungen durch das Migrationspaket und ist eine Vorabveröffentlichung, die Teil der umfangreicheren Arbeitshilfe „Soziale Rechte für Geflüchtete“ sein soll, die demnächst in einer aktualisierten dritten Auflage erscheinen wird.