Trotz Lebensgefahr schiebt die EU Geflüchtete nach Afghanistan ab. Medico International und seine Partnerorganisation AHRDO haben die Lage von Abgeschobenen und Rückkehrer*innen vor Ort untersucht.
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Abschiebung light: Teuer, aber wenig wirksam
Extrem staatstragend im Bereich der Flüchtlingspolitik ist alles, was der Aufenthaltsbeendigung dient. Hierbei gilt die „freiwillige Ausreise“ als Königsweg, denn sie ist weitaus billiger als die Abschiebung und sie verursacht weniger politischen Lärm. Nun hat das BAMF eine wissenschaftliche Analyse über die Wirkungen des Anfang 2017 aufgelegten Rückkehrprogramms „Starthilfe Plus“ vorgelegt. Zahlenmäßiges Ergebnis: Knapp über 15.000 Personen haben Deutschland „freiwillig“ und mit finanziellem Zuschuss von „Starthilfe Plus“ in 2017 und 2018 verlassen, darunter ca. 2.000 Personen, über deren Asylantrag noch gar nicht entschieden war und ca. 600 Personen, die bereits einen Schutzstatus hatten.
Die BAMF-Studie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass die finanziellen Rückkehrhilfen nur ein Faktor bei den Rückkehrentscheidungen sei und dabei nicht der wichtigste. Und nach der Rückkehr verläuft nicht alles wie es im CSU-Obergrenzen-Bilderbuch ausgemalt ist. Die „freiwillige Rückkehr“ wird bis auf Syrien in fast alle Länder dieser Welt gefördert, so auch zum Beispiel ins Kriegsland Afghanistan, das auch noch auf dem viertletzten Platz weltweit beim „Human Delevopment Index liegt. Auf Deutsch: katastrophale humanitäre Situation. So haben sich auch mehrere hundert Afghanen seit 2017 zur freiwilligen Rückkehr entschieden, die meisten davon bezahlen ihre Rückkehr mit ständiger Lebensgefahr oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit oder sie landen kurze Zeit später auf Lesbos, wo sie jetzt festsitzen, wie das eindrückliche Beispiel im Artikel der Taz zeigt.
Text: move on – menschen.rechte tübingen e.V.
- 20.11.2019 BAMF: Begleitstudie zum Bundesprogramm StarthilfePlus „Geförderte Rückkehr aus Deutschland“; Zentrale Ergebnisse
- 20.11.2019 Die Tageszeitung: Einmal Kabul und wieder weg. Das Bundesprogramm StarthilfePlus will Geflüchtete freiwillig zur Rückkehr bewegen. Yama Sadat sitzt nun im Flüchtlingscamp auf Lesbos fest“ und Kommentar Zum Leben zu wenig. Das BAMF will Migranten mit Geld zur freiwilligen Rückkehr animieren. Wer wirklich nach Hause geht, hat meist andere Gründe.
Auch Familien aus „Sicheren Herkunftsländern“ sollen maximal sechs Monate in der Erstaufnahme bleiben
Im Rahmen der jüngsten Gesetzesänderungen ist auch die maximale Dauer der Pflicht zur Wohnsitznahme in der Erstaufnahme neu geregelt worden. Die Neuregelung bringt eine Verbesserung für Familien aus sog. „Sicheren Herkunftsstaaten“ (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Senegal und Serbien). Diese waren bis jetzt verpflichtet, bis zum Abschluss des Asylverfahrens und im Falle einer Ablehnung bis zur Ausreise, in der Erstaufnahme zu wohnen. Nun sollen sie nicht länger als sechs Monate dort wohnen müssen. Die Regelung betrifft allerdings nur Minderjährige sowie ihre Eltern und Geschwister. Der Flüchtlingsrat hat im Rahmen des Projekts „Welcome2BW“ ein Informationsblatt in mehreren Sprachversionen entworfen, und außerdem einen Musterantrag auf Verlegung für Personen, die auch nach sechs Monaten keinen Transfer bekommen haben.
· Informationsblatt auf Deutsch
· Informationsblatt auf Albanisch
· Informationsblatt auf Serbisch (kyrillische Schrift)
· Informationsblatt auf Serbisch (lateinische Schrift)
· Informationsblatt auf Romanes
· Informationsblatt auf Türkisch
Unbegleitete Minderjährige von Baden-Baden aus abgeschoben
Zwei unbegleitete Minderjähige im Alter von 16 Jahren wurden am 18. September vom Flughafen Baden-Baden aus nach Albanien abgeschoben. Die Jugendlichen hatten in einer Jugendhilfeeinrichtung in Thüringen gewohnt. Der Flüchtlingsrat Thüringen hat zu dem Fall recherchiert und eine Pressemitteilung veröffentlicht.
SG Landshut: Leistungskürzung Alleinstehende verfassungswidrig
Das Sozialgericht Landshut hat in einem Eilbeschluss die Herabstufung von alleinstehenden AsylbLG-Beziehender in einer Gemeinschaftsunterkunft von Regelbedarfstufe 1 in Regelbedarfstufe 2 vorläufig untersagt (entspricht einer zehnprozentigen Leistungskürzung), da es diese neue Regelung als verfassungswidrig einschätzt. Wir raten allen alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten, die in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnen und in Regelbedarfsstufe 2 herabgestuft wurden, Widerspruch beim Sozialamt bzw. der zuständigen Sozialbehörde einzulegen. Zusätzlich sollte ein Eilantrag beim Sozialgericht gestellt werden, da der Widerspruch an sich keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Herabstufung wurde mit den Gesetzesänderungen im Migrationspaket beschlossen und in dem abgeänderten und am 1. September 2019 in Kraft getretenen AsylbLG umgesetzt. Begründet wurde sie mit der Annahme, dass alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind (sowohl Landesaufnahmeeinrichtung als auch kommunale Gemeinschaftsunterkunft) eine „Schicksalsgemeinschaft“ bilden würden und deshalb wie Ehepaare/Paare in Regelbedarfstufe 2, statt 1 einzugruppieren seien. Somit werden Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünfte sozialrechtlich zwangsverpartnert. Konkret betrifft das sowohl Grundleistungsbeziehende nach § 3 AsylbLG (310 statt 344 Euro bei vollständiger Barauszahlung), als auch Analogleistungsbeziehende nach § 2 AsylbLG (382 statt 424 Euro).
Das Sozialgericht nicht davon aus, dass die Leistungskürzungen gerechtfertigt sind, da nichtverwandte Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft regelmäßig nicht diese drei Voraussetzungen erfüllen würden: Die Betroffenen müssen zusammenleben, in einer Partner*innenschaft leben und aus einem Topf wirtschaften. Auch stehen den Betroffenen bei einer zehnprozentigen Leistungskürzung gegebenenfalls „weniger als die ihr nach Art. 1 und 2 GG zustehenden existenzsichernden Leistungen zur Verfügung“.
Im Widerspruch bzw. Klageverfahren sollten Gründe gegen die Haushaltsgemeinschaft-Vermutung vorgetragen und verfassungsrechtliche Argumente aufgeführt werden.
Tahiri-Schwestern: Abgeschoben aus der Heimat
Am 27. September wurden die Schwestern Gylten und Gylije Tahiri (21 und 23 Jahre alt) im Rahmen einer Sammelabschiebung nach Serbien abgeschoben. Die Schwestern sind im Alter von einem und drei Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen, nachdem sie wie viele andere Roma nach dem Kosovo-Krieg gewaltsam vertrieben wurden. Sie haben in Deutschland Kindergarten und Schule besucht, haben gearbeitet und sprechen nur Deutsch und ein bisschen Albanisch. Sie sind kosovarische Staatsangehörige, dennoch wurden sie nach Serbien abgeschoben. Nun sind sie in einem fremden Land, zu dem sie keinen Bezug haben, wo sie niemanden kennen, die Sprache nicht beherrschen und keinerlei staatliche Unterstützung bekommen. Ein verzweifelter Hilferuf per Video wurde von hunderttausenden Menschen gesehen und hat eine große Medienresonanz ausgelöst. Eine Petition für ihre Rückkehr ist binnen weniger Tage von über 30 000 Menschen unterzeichnet worden.
Presseberichte zum Thema:
Leitfaden bezüglich der Änderungen im AsylbLG
Mit dem am 28.08.2019 in Kraft getretenen „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ und dem „Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetz“, welches seit dem 1.9.2019 gilt, sind Änderungen im AsylbLG vorgenommen worden, die mit zum Teil erheblichen Verschlechterungen für die Situation Geflüchteter verbunden sind. Um über die wichtigsten Änderungen zu informieren und Empfehlungen für die Beratungspraxis im Hinblick auf die neuen Gegebenheiten abzugeben, hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen den folgenden Leitfaden veröffentlicht:
Ein Schlaglicht auf die europäische Abschiebungspolitik
Aktivist*innen der Geflüchteten-Selbstorganisation aus Baden-Württemberg haben eine Sammelabschiebung in Nigeria beobachtet. Eine nigerianische Zeitung berichtet über die Ankunft der Abgeschobenen, die im Flugzeug gefesselt waren und nach der Landung ohne jegliche Unterstützung „abgeladen“ wurden. Der im Artikel zitierte Mann namens „Mike“ war zuvor mehrere Monate in der Abschiebehaft in Pforzheim. Er ist Krebspatient, und ein vorheriger Abschiebungsversuch mit einem Linienflug scheiterte, weil der Pilot sich weigerte, den offensichtlich schwer Kranken mitzunehmen. Bei einem Charterflug hat man solche Probleme natürlich nicht.
Statement by German refugee helpers on deportations to The Gambia
German refugee helpers have written a Statement of concern to the Gambian leader, HE Adama Barrow, and copied to the Executive and Legislative arms of the Gambian Government. The said Statement of Concern was copied to ministers and the Speaker of the National Assembly.
The collective and individual deportations of the previous months from Germany to The Gambia were perceived both in The Gambia and in Germany with great dismay. Arrests out of German companies, the handcuffing of deportees and detention in deportation prisons have led to criticism of deportation practices in both countries.
The „Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.“ and the information platform „Gambia-Helfernetz“ have now sent a statement of concern to the President of the Republic of The Gambia, His Excellency Mr. Adama Barrow. Both are organisations of supporters of refugees in Germany who stand up for the rights of refugees in Germany and support their integration into German society and the German working world. The members and participants of both organizations are mainly from the state of Baden-Württemberg in southwest Germany. A large part of the Gambian migrants is living in this Federal State, and almost all Gambians who have been deported from Germany in recent months have previously lived in this Federal State.
The statement was handed over to the President, the Vice-President, the members of the Government and the Speaker of the National Assembly on 25/26 July in the name of the above-mentioned German organisations. The German bearers of the memorandum regret that it was unfortunately not possible to present the memorandum personally at The Gambia. They hope that their statement nevertheless will be heard and would look forward to feedback from the President, the Vice-President and other members of the Government of the Republic of The Gambia.
The statement was handed over to the President, the Vice-President, the members of the Government and the Speaker of the National Assembly on 25/26 July in the name of the above-mentioned German organisations. The German bearers of the memorandum regret that it was unfortunately not possible for them to visit The Gambia and hand over the document personally to the addressees. They hope that their statement nevertheless will be heard and would look forward to a response from the President, the Vice-President and other members of the Government of the Republic of The Gambia.
VG München: Rückschiebung aufgrund von „Seehofer-Deal“ rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht München hat in einem Eilverfahren angeordnet: Ein Afghane, der nach dem deutsch-griechischen Verwaltungsabkommen — dem sogenannten „Seehofer-Deal“ — von der deutsch-österreichischen Grenze direkt nach Griechenland abgeschoben wurde, ist umgehend zurückzuholen. Der afghanische Schutzsuchende wurde im Mai nach Übertritt der deutsch-österreichischen Grenze von der Bundespolizei im Zug aufgegriffen. Ohne jegliche Einschaltung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entschied die Bundespolizei allein auf Grundlage eines sog. EURODAC-1-Treffers, d.h. einer Registrierung und Antragstellung in Griechenland, diese Person nach Griechenland zu verbringen. Das VG München hat in dem Beschluss vom 08.08.2019 (Az. M 18 E 19.32238) erhebliche Zweifel an der Vorgehensweise der Bundespolizei geäußert: Es sei keine europarechtliche Grundlage ersichtlich, die diese Maßnahme rechtfertige. Auch sei die Bundespolizei nicht die zuständige Behörde – sondern eben das BAMF, das für die Prüfung von Asylanträgen und dem damit zusammenhängenden sog. Dublin-Verfahren zuständig ist.
- PRO ASYL, 14.08.2019: Ein Jahr Seehofer-Deal, ein Jahr europa- und menschenrechtswidrige Maßnahmen
- Legal Tribune Online, 14.08.2019: Deutschland muss Flüchtling aus Griechenland zurückholen